von käfer
Dobby machte sich am Kamin zu schaffen. Die Herrin hatte befohlen, zu heizen. Sie fror; die Kälte des Winters steckte noch immer in den Mauern des alten Landhauses.
Eine Eule klopfte ans Fenster. Die Herrin ging, um das Tier einzulassen. Dobby erkannte den Uhu des jungen Herrn. Vielleicht hatte der junge Herr wieder etwas über Harry Potter geschrieben. Eine Aschewolke stiebte aus dem Kamin. Dobby schlug sich mit dem Schürhaken auf die Füße. Die Pein der Ungeschicklichkeit schwand. Dobby machte sich daran, sorgfältig den Fußboden zu reinigen. Die Herrin duldete keinen Dreck auf den Dielen.
Der Herr las den Brief schweigend. Die Herrin streckte die Hand aus, aber der Herr sagte: „Das ist nichts, was dich interessiert. Ich habe Draco gebeten, für mich etwas zu recherchieren, das ist die Antwort darauf.“ Der Herr steckte den Brief in die Tasche seines Hausmantels. Die Herrin sah aus, als bekäme sie Kopfschmerzen. Sie fragte: „Geht es ihm wenigstens gut?“
Der Herr schnarrte: „Natürlich geht es ihm gut. Severus ist recht nachsichtig mit den Hausaufgaben, schließlich müssen sie Quidditch üben. Dafür hat er Potter eine Strafarbeit verpasst.“
Oh-uh, eine Strafarbeit für Harry Potter! Der hatte das bestimmt nicht verdient. Dobby zog sich am rechten Ohr. Ein guter Hauself freute sich mit seinem Herrn, wenn es dessen Feinden schlecht ging. Aber Dobby konnte sich nicht freuen, wenn es Harry Potter schlecht ging.
Dobby säuberte seine Hände und fing an, Kartoffeln zu schälen. Der Herr rief ihn in sein Ankleidezimmer und befahl: „Aufräumen!“ Noch während Dobby sich verbeugte, marschierte der Herr nach draußen. Er ließ die Tür einen Spalt offen, so dass Dobby hören konnte, wie die Herrin sagte: „Du gehst aus? Wir wollten doch zusammen essen!“
Der Herr erwiderte mit harter Stimme: „Daraus wird nichts. Dringende Geschäfte.“
Dobby hörte den Herrn zur Haustür gehen und die Herrin in ihre Räume. Beide Türen wurden mit lautem Knall zugeschlagen. Mit einem Seufzer machte sich Dobby daran, die verstreuten Wäschestücke des Herrn einzusammeln. Da ertönte die Stimme der Herrin: „Dobby!“
Gehorsam kam Dobby zu ihr ins Zimmer. „Räum hier auf. Kochen brauchst du nicht, ich gehe auch.“ Die Herrin warf ihren dunklen Umhang über und ging.
Kopfschmerzen hatte die Herrin wohl keine, aber Wut. Dobby schnippte dreimal mit den Fingern und das Bett der Herrin war gemacht, die Wäsche aufgeräumt und der Frisiertisch in Ordnung. Eigentlich müsste Dobby jetzt staubwischen und den Fußboden bohnern, aber es war alles noch sauber, er hatte gestern erst geputzt. Dobby musste seinen Kopf gegen den Bettpfosten schlagen, um die Pein des Ungehorsams wieder loszuwerden, die Herrin verlangte, dass er jeden Tag putzte.
In den Räumen des Herrn machte Dobby auf die gleiche Art Ordnung, nur den Hausmantel hängte er eigenhändig auf. In der Tasche raschelte etwas. Dobby holte tief Luft, er spürte den Schmerz schon in seinen Eingeweiden, als er nur daran dachte, das Verbotene zu tun. Aber er musste es einfach wissen. Rasch faltete er den Brief des jungen Herrn auseinander und las. Da stand gar nichts von Severus und Quidditch und Harry Potter, der junge Herr hatte nur geschrieben: „Es ist wohl soweit. Das Monster hat die Tochter des Blutsverräters in die Kammer geholt. Ich hoffe, diese wenigen Worte reichen Dir, mehr weiß ich nämlich nicht. D.“
Dreimal schlug Dobby seinen Kopf mit voller Wucht auf den Fußboden, ehe die Pein verging. Dann jedoch rasten Dobbys Gedanken:
Der junge Herr war in Hogwarts.
„Das Monster“ war das Ding, vor dem Dobby Harry Potter warnen und bewahren wollte.
„Die Tochter des Blutsverräters“ musste die Schwester von Harry Potters rothaarigem Freund sein.
Wenn die Schwester in Gefahr war, würde Harry Potters rothaariger Freund versuchen, sie zu retten.
Wenn Harry Potters rothaariger Freund versuchte, seine Schwester zu retten, würde Harry Potter versuchen, ihm zu helfen.
Harry Potter war in größter Gefahr.
Dobby ging nach Hogwarts. Er musste die Kammer suchen. Er musste Harry Potter helfen. Dobby musste sich bestrafen, denn er war ungehorsam. Wenn es keinen Gegenstand gab, mit dem er sich selbst schlagen konnte, blieb einem ungehorsamen Hauselfen nichts anderes übrig, als den Kopf auf den Boden zu schmettern.
Dobby überlegte, wo wohl der Eingang in diese „Kammer des Schreckens“ sein könnte. Bestimmt unten in den Kellern. Dobby suchte jeden einzelnen Raum ab. Der Herr rief ihn von Ferne. Dobby musste Harry Potter suchen, er konnte nicht zum Herrn gehen. Dobby rammte seinen Kopf gegen die Wand und suchte weiter. In den Kellern unten war nichts zu finden. Dobby versuchte es im Erdgeschoss. Von einem Zimmer lief er ins andere. Immer wieder rief ihn der Herr, immer wieder widerstand Dobby dem Drängen, zu gehorchen und der Pein ein Ende zu machen. Wenn er jetzt aufhörte, nach Harry Potter zu suchen, war alles umsonst. Der Herr würde ihn schlimm bestrafen, dazu kam noch die Strafe, die er sich selbst auferlegen musste, um die innere Pein loszuwerden. Und Harry Potter würde etwas Schlimmes passieren… Dobby sprang den Kopf voran auf eine Treppenstufe. Er sah eine Weile Sterne, dann konnte er weitersuchen. Doch auch im Erdgeschoss war Harry Potter nicht zu finden, Harry Potter nicht und auch kein Eingang in eine Geheimkammer. Dobby hatte gewaltige Kopfschmerzen und bestimmt einige Beulen auf der Stirn, aber er musste Harry Potter finden.
Dobby war inzwischen im zweiten Stock angekommen. Die Pein war so schlimm, dass jede neue Bestrafung nur noch für kurze Zeit wirkte. Dobby MUSSTE Harry Potter finden. Dobby MUSSTE Harry Potter vor Schaden bewahren.
Die Tür zu der gesperrten Mädchentoilette, in der dieser Geist hauste, stand offen. Gerade wollte Dobby dort nachsehen, als ein Feuervogel aus der Tür flog. Ihm nach liefen dieser blondgelockte Lehrer, der Harry Potter die Knochen aus dem Arm gezaubert hatte, Harry Potters rothaariger Freund, dessen Schwester und – Harry Potter. Dobbys Erleichterung verdrängte die Pein in seinem Körper. Mühsam folgte er den Menschen. Sie gingen in das Büro von Professor McGonagall. Durch die Tür konnte Dobby sehen, dass auch Professor Dumbledore darin war. Alles war gut.
Dobby war so erschöpft, dass er keinen Schritt mehr gehen konnte. Er taumelte in eine Ecke, rollte sich auf der nackten Erde zusammen und ruhte sich aus.
Plötzlich wurde Dobby von einer harten Hand am Ohr gepackt und hochgezerrt. „Was machst du denn hier, du ungehorsamer Kerl? Ich habe dich mehrmals gerufen, warum bist du nicht erschienen?“
Dobby fühlte solche Pein, dass er nicht antworten konnte. Der Herr schlug ihm seinen Stock über Kopf und Rücken. „Du bleibst jetzt hier in meiner Nähe, verstanden? Wage ja nicht, dich auf mehr als zwei Schritte von mir zu entfernen!“
Dobby musste mit dem Herrn in das Büro hineingehen. Harry Potter war darin. Das war ein großer Trost für Dobby.
Dobby hörte, wie Professor Dumbledore mit dem Herrn über ein Tagebuch sprach. Dobby erkannte es, der Herr hatte es daheim gehabt. „Das muss nach Hogwarts“, hatte der Herr zu seinem Freund Borgin gesagt, und: „Dann kann er wiederkehren und mir wird der Ruhm gebühren, ihm dazu verholfen zu haben.“
Dobby machte Harry Potter ein Zeichen, aber Harry Potter verstand nicht. Dobby musste sich bestrafen, weil er schon wieder ungehorsam war. Diesmal genügte es, sich mit der Faust an den Kopf zu schlagen. Dobby wiederholte das Zeichen. Immer wieder zeigte er erst auf das Tagebuch, dann zu seinem Meister. Dann musste er sich bestrafen. Endlich begriff Harry Potter. Der Herr hatte das Tagebuch in ein Schulbuch geschmuggelt, das der kleinen Schwester von Harry Potters rothaarigem Freund gehörte.
Dobby musste sich die Ohren verdrehen, um die Pein für eine kleine Weile loszuwerden. Er war der ungehorsamste Hauself, den es je gegeben hatte. Aber für seinen Freund Harry Potter war Dobby gern ungehorsam. Für Harry Potter nahm Dobby gern all die Bestrafungen auf sich. Schließlich befahl der Herr, zu gehen, und trat Dobby in die Seite. Dobby flog durch die Tür und schlug mit dem Kopf voran auf den Steinfußboden. Noch einmal trat der Herr zu und noch einmal.
Dann kam Harry Potter gerannt. Er gab dem Herrn etwas in die Hand, das dem Herrn Ekel verursachte. Es war eine schmutzige Socke, in der etwas steckte. Der Herr riss die Socke von dem Etwas und warf sie in Dobbys Richtung. Dobby fing die Socke auf.
Der Herr hatte ihm die Socke gegeben. Der Herr hatte ihm Kleidung gegeben! Ein ungeheures Glücksgefühl durchströmte Dobbys schmerzenden Körper. Dobby konnte sein Glück kaum fassen: „Dobby ist frei!“
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