Forum | Chat | Galerie
 
Startseite | Favoriten
Harry Potter Xperts
Harry Potter Xperts
Startseite
Newsarchiv
Link us
Sitemap
Specials
Shop
Buch 7
Buch 6
Buch 5
Buch 4
Buch 3
Buch 2
Buch 1
Lexikon
Lustige Zitate
Gurkensalat
Hörbücher
Harry, A History
Steckbrief
Biographie
Werke
Erfolgsgeschichte
Interviews
Bilder
Harry Potter & Ich
JKRowling.com
Film 7, Teil 1 & 2
Film 6
Film 5
Film 4
Film 3
Film 2
Film 1
Schauspieler
Autogramme
Galerie
Musik
Videospiele
Downloads
Lesetipps
eBay-Auktionen
Webmaster
RSS-Feed
Geburtstage
Gewinnspiele
Twitter
Fanart
Fanfiction
User-CP
Quiz
Währungsrechner
Forum
F.A.Q.
Ăśber uns
Geschichte
Impressum

Fanfiction

A Season In Hell - Ein Jahr In Der Hölle - After The Flood - Nach der Sintflut

von Resimesdra

VON EPICYCLICAL a.k.a Cassandra Claire

ĂśBERSETZUNG: RESIMESDRA

Das Original ist leider ebenfalls nicht mehr ĂĽber das Internet zu beziehen

--

Quand le monde sera réduit en un seul bois noir pour nos quatre yeux étonnés, - en une plage pour deux enfants fidèles, - en une maison musicale pour notre claire sympathie, - je vous trouverai.

Wenn die Welt vor unsern erstaunten Augen zu einem einzigen schwarzen Wald zusammenschrumpft – zu einem Strand für zwei muntere Kinder – zu einem Haus der Musik für unsere Sympathie – dann werde ich dich finden.


*~*~*~*


Das Gebäude fällt in sich zusammen. Deswegen ist auch die Miete so billig. Ron und Harry zahlen eine lächerlich geringe Summe für die längliche, beinahe schon antiquarische Wohnung im obersten Stockwerk. Natürlich leckt die Decke, der Strom fällt regelmäßig aus und die Dielen sind morsch – aber das ist ein kleiner Preis für den Zugang zum Dach und die Sicht auf den Kanal tief unten.

Sie verbringen sowieso nur sehr wenig Zeit in der Wohnung selbst. Meistens sind sie auf dem Dach, sitzen gelehnt an die niedrige Wand am Rand. Sie rauchen billiges, ziemlich wirkungsloses Gras und trinken billiges, ziemlich wirkungsloses Bier – beide aus ortsansässiger Produktion und leicht zu beziehen. Harry zieht Ziegelsteine aus der Wand und wirft sie über die Brüstung, sieht zu, wie sie zu rosigem Staub zerbersten, wenn sie unten auf dem Bürgersteig aufschlagen. Manchmal öffnet Ron dann träge seine blauen Augen ein wenig und sagt: „Harry, wenn du damit nicht aufhörst wird irgendwann das ganze beschissene Gebäude zusammenkrachen.“

„Soll’s doch zusammenkrachen“, sagt Harry.

Er liebt es, auf dem Dach zu sein. Manchmal träumt er noch immer, dass er an einem dunklen Ort eingesperrt ist und nicht weg kann. Manchmal träumt er noch, dass er am Verhungern ist und es nichts zu essen gibt. Gras und Alkohol, die beide so einfach zu bekommen sind, helfen ihm weiter. Damit fühlt er sich, als öffne sich die Welt um ihn, unendlich weit, so dass er bis ans Ende des Universums gehen könnte und es nicht finden würde.

In manchen Nächten trinkt er, bis er auf der Couch einschläft. Dann kommt Ron und nimmt ihm die Flasche aus der Hand, deckt ihn zu und legt seine Brille auf den Tisch neben ihm. Am nächsten Morgen schenkt Ron ihm Orangensaft ein und reicht ihm einen Kopfschmerztrank. Einmal zieht Harry Ron zu sich runter, so dass er sich neben ihn setzen muss, und lässt sein Handgelenk bis zum Morgen nicht wieder los. Ron sitzt die ganze Nacht bei ihm, geduldig, aber leicht besorgt. Am Tag darauf erzählt er Harry, was der ihm in der Nacht gesagt hat – aber Harry weigert sich, es zu glauben.

Manchmal geht Ron tagsüber weg, weil er zu Arbeit muss. Er hat einen Teilzeitjob beim holländischen Verlag des Tagespropheten angenommen, aber er will Harry nicht sagen, was genau er dort macht. Wenn er eine Ausgabe der Zeitung mitbringt, versteckt er sie in seinem Zimmer. Einmal erwischt Harry ihn dabei, wie er im Wohnzimmer Zeitung liest. Ron klappt sie schnell zusammen – aber nicht bevor Harry die Schlagzeile und das Foto von Lucius Malfoy auf der Titelseite sehen kann.

Harry verbringt die Tage, an denen Ron weg ist, allein. Er wandert die engen Straßen entlang, geht über diverse Brücken, starrt in die Kanäle und isst Sachen, die in fettigem Zeitungspapier eingewickelt serviert werden. Er inhaliert die Gerüche der Stadt: Rauch, Ruß, Staub, dreckiges Wasser, frische Luft. Der magische Teil der Stadt ist klein, es sind nur ein paar Straßen, und Harry und Rons Apartment ist an der Grenze, so dass sie Muggel-Elektrizität und Fernsehen haben (Ron liebt es), aber nachts kann Harry manchmal den fahlen, goldenen Schein von Fackeln sehen.

Die magische Nachbarschaft hat auch ihren Rotlichtbezirk. Die Live Sex Shows dort sind verstörend. Zumindest ein paar, davon ist Harry überzeugt, involvieren eine grausame und unsachgemäße Handhabung von Flubberwürmern.

Er ist nur sehr selten allein zu Hause, wenn Ron nicht da ist. Er mag es nicht, wenn das Haus so leer ist. Dann fängt er nämlich an, Dinge zu bemerken. Zum Beispiel, wie feiner Staub in dem Licht tanzt, das durch die Fenster hereinbricht. Oder das tonlose, leere Summen des Kühlschranks. Er wird dann nervös und zappelig und macht sich Sorgen, so dass er, wenn Ron dann endlich heim kommt, sich ihm wie ein kleines Hündchen an den Hals wirft, das den ganzen Tag eingesperrt war. Deswegen ist es eigentlich fast schon ein kleines Wunder, dass er heute zu Hause ist, allein, als zum allerersten Mal die Türklingel schellt.

Es braucht einen Moment, bis er kapiert, was das anhaltende, grelle Geräusch tatsächlich ist. Erst denkt er, dass es der kaputte Feuermelder ist, der mal wieder unerwartet in Aktion tritt, und er wandert benebelt in die Küche – es ist Mittag und er ist gerade erst aufgewacht – ohne Hemd und barfuß, sich den Schlaf aus den Augen reibend. Dann bemerkt er irgendwann, dass es die Klingel ist. Er tappst verwundert die Treppe runter, entriegelt die Tür und reißt sie auf – und findet Draco Malfoy auf seiner Schwelle vor.

***


Es ist ja nicht so, dass er Draco vergessen hätte. Das hat er nicht. Er denkt manchmal an ihn, aber noch häufiger träumt er von ihm. Er träumt ihn in kleinen Details: seine kurzen weißen Finger, die Windungen und Einbuchtungen seiner Ohren, wie Muscheln, in denen man das Rauschen des Meeres hören kann, sein Haar, das aussieht wie gehämmertes Silber, aber leicht nach salzigem Stroh schmeckt, die abgekauten Fingernägel, die sich früher brutal in Harrys Haut gegraben und dort halbmondförmige Spuren hinterlassen haben, welche jetzt Harrys Rücken bedecken wie geheime Inschriften, die nur Draco lesen kann. Harry schneidet sich an diesen Erinnerungen, so wie früher, als er noch ein Kind war, wenn er absichtlich auf einen kaputten Zahn gebissen hat, nur um den angenehmen Schmerz zu fühlen. Er würde diese Erinnerungen für nichts in der Welt aufgeben – aber die Realität wollte er dennoch nicht wieder haben.

***


Dracos silbergraue Augen weiten sich, als Harry die Tür öffnet. Er mag vielleicht darauf vorbereitet gewesen sein, Harry zu sehen – aber der Anblick eines barfüßigen, halb bekleideten Harry scheint was immer er sich auch als Ansprache zurecht gelegt hat, eindeutig aus seinem Kopf verdrängt zu haben. Sein Blick flackert über Harrys bloße Brust zu dem Gummizug seiner Pyjamahose und bleibt dann an einem Punkt über seinem linken Ohr hängen. „Du solltest nicht so an die Tür gehen“, sagt er. „Ich könnte doch sonst wer sein. Ich könnte ein Todesser sein.“

„Bist du?”, fragt Harry neugierig.

„Nein“, sagt Draco.

„Na ja, es ist schon Monate her, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe“, sagt Harry. „Nach allem, was ich weiß, könntest du einer sein.“

„Wenn ich einer wäre”, sagt Draco, “dann wärst du jetzt schon tot.”

Es hat nicht einmal eine Minute gedauert bis sie wieder bei Todesdrohungen angekommen sind. Harry ist dunkel amüsiert. Draco hat sich ziemlich verändert, seit dem letzten Mal, als Harry ihn gesehen hat. Damals war er eine halbverhungerte Vogelscheuche mit blutigen, abgebrochenen Nägeln und alptraumgehetzten Augen. Er ist noch immer sehr dünn, aber zumindest bedeckt jetzt eine zarte Schicht Fleisch seine Knochen, sein helles Haar ist weich und ordentlich geschnitten, und seine Kleider sind sauber und sitzen richtig. Nur unter seinen Augen sind noch immer Schatten, so als hätte sie jemand mit einem rußigen Finger umfahren. Sein Kinn ist arrogant erhoben, seine Lippen bilden eine feste Linie. Es ist nicht mehr viel von dem Jungen übrig, den Harry damals in Hogwarts zitternd und an Tränen fast erstickend am Ufer des Sees zurückgelassen hat.

„Ist es Art der Todesser, unbewaffnete und barfüßige Leute zu ermorden?”, fragt Harry und stemmt die Hände in die Hüften.

„Ja“, sagt Draco, „natürlich ist es das, du Vollidiot. Also, hast du vor, mich rein zu lassen oder nicht? Unter normalen Umständen würde es mir ja nichts ausmachen, Unhöflichkeiten an der Türe auszutauschen, aber kurz bevor du runter kamst, ist ein Ziegelstein von eurem Dach gefallen und hat mir fast den Schädel eingeschlagen. Ich hab keine Lust, hier herumzustehen und darauf zu warten, dass es noch mal passiert.“

Er deutet anklagend auf den Ziegelstein, der neben ihm gelandet und zu mehreren pudrigen StĂĽcken zerplatzt ist.

„Ich schätze, dann kommst du wohl besser rein“, sagt Harry.

Schon kurze Zeit später fragt er sich, ob das nicht vielleicht eine blöde Entscheidung gewesen ist. Draco steht in ihrem spärlich möblierten Wohnzimmer und schaut sich mit leicht gekräuselten Lippen um, die sowohl lächeln als auch spötteln, das selbe selbstgefällige Grinsen, das früher alles in seinem Weg zu vernichten pflegte. „Das ist ein ziemliches Rattenloch, Potter.“

„Danke“, sagt Harry. „Es ist nicht viel, aber mein Zuhause. Kann ich dir irgendwas anbieten? Kaffee? Tee? Batteriesäure?”

Irgendwie schafft Draco es, so auszusehen, als hätte er eben ein Paar Handschuhe ausgezogen und sie achtlos auf den Beistelltisch geworfen. Obwohl er gar keine Handschuhe trägt, und das, was einem Beistelltisch in Ron und Harrys Haushalt am nächsten kommt, ein Stapel alter Milchkästen ist. Er starrt interessiert auf seine Fingernägel.
„Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich hier bin“, sagt er.

“Ich schätze, du bist hier weil du mich noch immer liebst und es ohne mich nicht aushältst”, sagt Harry. „Entweder das, oder du hattest plötzlich ein unerklärliches Verlangen nach Bier und Holzschuhen.“

„Ich war nie in dich verliebt“, sagt Draco schnell.

Die gigantische Lüge steht zwischen ihnen im Raum, gerade so, als wäre soeben ein peinlich nackter Mann ins Zimmer gerannt und sie täten beide so, als sei er nicht da. Irgendwann räuspert sich Harry.

„Gut”, sagt er. “Dann also keinen Kaffe.“

Dracos Wangen sind mittlerweile scharlachrot, aber er reckt sein Kinn noch immer arrogant in die Höhe. „Das Ministerium hat mich hergeschickt“, sagt er.

Harry ist verwirrt. „Wozu das denn? Untersuchen die sei neuestem den Missbrauch von Flubberwürmern oder was?“

Draco blinzelt irritiert, spricht aber tapfer weiter. „Sie finden, dass ich mit dir reden sollte“, sagt er. „Dass ich dich überzeugen soll, heim zu kommen. England braucht dich, Potter.“

Diese Aussage bringt Harry dazu, eine halbleere Flasche Bier von der nächstgelegenen ebenen Fläche zu schnappen und einen tiefen Zug daraus zu nehmen. Die Flüssigkeit ist warm, schal und bitter. „Wofür braucht England mich? Braucht mich England, damit ich bei einer aktualisierten Fassung von „A Chorus Line“ Regie führe? Braucht mich England, damit ich mit einer fetten, überschminkten Frau namens Imogen Flamenco-Aerobic mache? Du wirst dich wohl...“

„Ich weiß schon“, sagt Draco. „Mich deutlicher ausdrücken müssen.“
Harry blinzelt und stellt die Flasche vorsichtig wieder auf der Lehne des Sofas ab. „Hör mal, Malfoy...“

Aber Draco sieht sich im Zimmer um, seine Augen verengen sich als er den Haufen Klamotten sieht, die über den Boden verstreut liegen, den Küchentisch, auf dem noch immer das Frühstücksgeschirr steht. „Sekunde“, sagt er. „Du lebst hier gar nicht allein, oder?“

„Nein”, sagt Harry. “Junge, euer Geheimdienst beim Ministerium muss ziemlich beschissen sein. Ich wohne mit Ron zusammen.”

Dracos Gesicht nimmt die Farbe von Gauda an. „Mit Weasley? Du und Weasley?“

„Was ist mit mir und Weasley? Ich meine, Ron und mir? Na klasse, jetzt red ich schon wie du!“

„Fickst du ihn?“, fragt Draco, und schafft es irgendwie, diese ziemlich erbärmliche Frage mit einem guten Quäntchen empörter Würde zu tränken. „Wie hältst du das aus? Er ist so... rothaarig.“

„Ich? Ron ficken?” Harry platzt fast vor Lachen. Es fühlt sich irgendwie gut an. Er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so sehr gelacht hat. Er stellt sich vor, dass er, wenn er an sich runterschauen würde, sehen könnte, wie Sprungfedern und Schrauben aus seiner Brust springen. Sein verrosteter Amüsierapparat scheint völlig auseinander zu fallen. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich im Grunde...“

„…auf Frauen stehe, ich weiß”, sagt Draco, ganz so als erachte er das für ziemlich skurril. „Nur, dass du damals mit mir in der Schule gar nicht so sehr auf Frauen zu stehen schienst.“

„Tut mir ja leid, dir das sagen zu müssen, Malfoy, aber für einen Typen bist zu wirklich ziemlich mädchenhaft.“

Draco sieht aus, als wolle er Harry kaltmachen. „ICH BIN NICHT MÄDCHENHAFT!”

„Eigentlich schon, irgendwie”, sagt Ron, der leise herein gekommen ist und mit einer Einkaufstüte im Türrahmen steht. „Ich meine, nicht dass du wie ein Mädchen aussehen würdest. Aber du hast zum Beispiel sehr lange Wimpern, einen ziemlichen Schmollmund und aufs Schmollen stehst du ja sowieso. Harry, kann ich dich in der Küche sprechen? ALLEIN?“

In der Küche angekommen, lässt Ron seine Einkäufe fallen, schiebt Harry in eine Ecke und zischt ihm so heftig ins Ohr, dass Harry zusammenzuckt. „Was um alles in der Welt will der denn hier?“

„Er sagt, das Ministerium schickt ihn“, antwortet Harry.

„Ach und das glaubst du? Harry, er ist wahrscheinlich hier um dich umzubringen!“

„Wenn er mich umbringen wollte, hätte er das schon längst getan“, bemerkt Harry. „Guck mich doch mal an. Ich bin nicht gerade für einen Kampf gerüstet.“

„Richtig, dazu wollte ich noch kommen. Du kannst doch nicht halbnackt vor Malfoy rumspazieren, du wirst ihn völlig verrückt machen. Ich meine, ich weiß ja, was du mir über...eh... euch beide erzählt hast. Bestimmt überlegt er gerade, ob er’s schaffen kann, dich noch mal flachzulegen bevor er dich hinterrücks erledigt, der kaltherzige, verräterische...“

„Ron, bitte hör auf Kriminalromane zu lesen. Ich flehe dich an. Es ist zum Wohle der Menschheit.“

Ron packt Harry bei den Schultern. „Du darfst ihm nicht vertrauen!“

„Erzähl mir was Neues. Schau mal, Ron, ich werde mit ihm einen Spaziergang durch die Stadt machen, ihm die Sehenswürdigkeiten zeigen, und ihn dann am Bahnhof absetzen. Mach dir keine Sorgen. Er versucht nur, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, oder vielleicht hat ihn das Ministerium ja sogar tatsächlich geschickt. Ist auch egal. Er will mich nicht umbringen.“

„Ich weiß nicht”, sagt Ron und lässt Harry mit einem zweifelnden Blick los. „Wenn du mit mir so umspringen würdest, wie du es mit ihm tust, dann würde ich dich umbringen wollen.“

„Danke, Ron. Du bist mir eine große Hilfe.“

„Aber immer doch.”

***


Es ist ein kühler Tag und der Himmel über den Kanälen ist blau und weiß gescheckt. Draco und Harry gehen an der Seite eines Kanals entlang. Draco trinkt Kaffe; da er den Plastikdeckel nicht mochte, hat er ihn in den Kanal geworfen, woraufhin Harry ihm Umweltverschmutzung vorwirft.

Draco zuckt die Schulter. “Scheiß Muggel”, sagt er. “Als ob die das merken würden. Die lassen ihren Müll doch überall herumliegen.”

Harry hat keine große Lust, eine Diskussion über Müllproduktion in der Zaubererwelt versus Müllproduktion in der Muggelwelt anzufangen, daher lässt er das Thema fallen. „Ich verstehe nicht, warum das Ministerium ausgerechnet dich schickt um mit mir zu reden“, sagt er. „Warum glauben die, dass ich auf dich hören würde?“

„Weil Hermine ihnen gesagt hat, dass wir was miteinander hatten“, sagt Draco.

Harry schnaubt. „Dann bin ich jetzt also nicht mehr nur berühmt, weil ich ein expatriotischer Versager und eine Enttäuschung für die gesamte Zaubererwelt bin, sondern weil ich ein SCHWULER expatriotischer Versager und eine Enttäuschung für die gesamte Zaubererwelt bin.“

Draco schaut ihn von der Seite an. Er hat Milchschaum an der Oberlippe. „Macht dir das was aus?“

„Nein”, sagt Harry wahrheitsgemäß, “obwohl ich annehme, dass das eine längere Fußnote in den Geschichtsbüchern ergeben wird.”

„Niemand hält dich für einen Versager, Potter“, sagt Draco. „Na ja, ich schon. Aber keiner außer mir. Alle anderen glauben, dass du die Belagerung beendet hast. Sie glauben alle, dass du hier an einem weiteren genialen Plan arbeitest, um Voldemort zu besiegen. Nur ich weiß, dass du nicht mal den Hauch einer Ahnung hast, weshalb die Belagerung aufgehört hat, und ich hab’s keinem erzählt.“

„Warum nicht?“, fragt Harry.

„Weil ich will, dass zu zurückkommst“, sagt Draco.

Harry bleibt stehen und schaut ihn an. Draco bleibt ebenfalls stehen, dreht sich zu Harry um und sieht ihn fragend an. Der Milchschaum ist noch immer auf seiner Oberlippe. Harry beugt sich vor, hält sich an Dracos Schulter fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und leckt ihn langsam ab, wobei seine Zunge über Dracos Lippen streicht. Sie sind so vertraut: weich und geschmeidig, aber dennoch fest, der harte Mund eines Jungen. Zucker und Kaffe und eine leichte Note von Pfefferminz. Harry läst seine Zunge auch über die Unterlippe gleiten, nur um ganz sicher zu gehen.

Draco zuckt erst erschrocken zusammen und schließt dann die Augen. Der Kaffeebecher gleitet aus seiner Hand und fällt zu Boden, heißer Kaffee spritzt auf die Aufschläge von Harrys Jeans. Harry springt zurück.

Draco öffnet die Augen und sieht Harry langsam an. Etwas blitzt tief in seinen Augen auf, doch Harry kann nicht sagen, was es ist. „Jetzt hab ich wegen dir meinen Kaffee fallen lassen, Potter.“

„Ich kauf dir einen neuen.“

Draco greift in seine Hosentasche und zieht ein Päckchen Zigaretten heraus. Marke Lucky Snitch. „Mir wär’s lieber, wenn du davon Abstand nehmen würdest, mich plötzlich anzuspringen“, sagt er. Sein Tonfall ist ruhig, aber seine Hände zittern als er die Zigarette anzündet und das Streichholz wegwirft.

„Also”, sagt Harry und geht weiter. Draco folgt ihm. „Warum sollte Hermine denn so was sagen? Und woher willst du wissen, dass sie es war?”

„Ich treffe sie ab und zu im Hauptquartier der Widerstandsbewegung”, sagt Draco. “Sie arbeitet bei den magischen Auftragskillern. Sie ist eine ziemlich gerissene Attentäterin. Und sie trägt dieses Catsuit...” Seine Stimme klingt wage bewundernd.

Harry schnaubt. “Ich kapier nicht, warum dir das gefallen sollte.”

„Es gibt nur sehr wenige Menschen, die in engen Lederanzügen gut aussehen. Da kann man nur beeindruckt sein.“

„Warum willst du, dass ich zurückkomme, Malfoy?“

„Weil“, sagt Draco und vermeidet Augenkontakt, „wir dich brauchen. Die Widerstandsbewegung braucht dich. Ich weiß, dass du gleich sagen wirst, wie nutzlos du bist, und das bist du tatsächlich. Aber das ist nicht wichtig. Du bist Harry Potter. Du bist ein Prüfstein. Ein Symbol. Du bedeutest diesen Leuten alles. Du bist ihr verdammter König Artus!”

„Ron wird sich freuen das zu hören“, sagt Harry. „Ich schätze, das macht ihn zu Lancelot.“

„Und zu was macht es mich?“

„Du kannst die runde Tafel sein“, bietet Harry ihm großzügig an.

„So dass jeden Tag zwölf stramme Männer kommen und um mich herum sitzen können?“

„Sag nicht, das würde dir nicht gefallen.“

Draco nimmt einen letzten Zug und wirft dann seine Zigarette weg, tritt sie mit der Schuhspitze aus. „Ich wäre Galahad“, sagt er. „Ich hatte mal ein Buch mit einem Bild von den Rittern. Galahad war bei Weitem der Hübscheste.“

„Und er starb als Jungfrau“, sagt Harry.

Draco sieht unbeeindruckt aus. “Scheiß drauf”, sagt er und deutet auf Harry. „Du“, sagt er, „lenkst vom Thema ab.“

Sie kommen an einer BrĂĽcke vorbei. Harry schaut hinunter auf Dracos ausgestreckte Hand. Dann schnappt er ihn am Handgelenk und zieht ihn zu den Treppen, die unter die BrĂĽcke fĂĽhren. Dracos Handgelenk und die Knochen darin fĂĽhlen sich zerbrechlich an, wie Harry sie in Erinnerung hat. Draco ist nicht klein, aber leicht gebaut, wie Harry, wie alle guten Sucher. Draco hat sich ins Team der Slytherins eingekauft, das stimmt schon, aber Harry weiĂź auch, dass sie ihn aufgenommen haben, weil er so gut zu Harry passt, weil er gleich groĂź und gleich gebaut ist, das selbe leichte Gewicht hat.

Draco stolpert über die letzte Stufe und zieht sein Handgelenk aus Harrys Griff. „Wohin gehen wir?“

Harry antwortet nicht, er duckt sich nur unter die Brücke. Es ist dunkel hier, und riecht intensiv nach feuchtem Stein und leicht verschmutztem Wasser. Das Wasser wirft flüchtige Schatten an die Steinmauer. Halbverrottete Bierkästen häufen sich am Ufer. Harry zieht seinen Sweater über den Kopf, wirft ihn auf einen der Kästen. Er dreht sich um und sieht Draco ein paar Fuß entfernt von ihm stehen, seine Hände in den Taschen, halb im Schatten, halb in der Sonne. Etwas geht hinter diesem hübschen Gesicht vor, aber Harry kann nicht genau sagen, was.

„Willst du schwimmen gehen, Potter?“

„In diesem Wasser?“, fragt Harry. Er beginnt, an seiner Gürtelschnalle herumzufummeln, zieht seinen Gürtel aus den Schlaufen seiner Jeans, wirft ihn neben seinen Sweater und sieht Draco an. „Das könntest eigentlich auch du machen“, sagt er. „Es sei denn, du willst lieber zuschauen.“

„Warum machst du das?“, fragt Draco.

„Ich lenke vom Thema ab”, sagt Harry. Er nimmt seine Brille ab und sofort verschwimmt Draco vor seinen Augen zu einer Kaskade von verschmierten Farben. Grüngraues Wasser, schwärzliche Steine, Draco wie ein weißer Strich quer über allem. Harry lässt seine Brille fallen und streckt die Arme aus. „Komm her“, sagt er.

Er kann den Ausdruck auf Dracos Gesicht nicht erkennen, aber er sieht, dass der Junge beinahe über seine eigenen Füße stolpert, weil er es so eilig hat, näher zu kommen. Er schlägt Harrys Hände aus dem Weg, rennt ihn fast um, presst ihn gegen die kalten Wände aus Stein hinter ihnen. Seine Hände sind auf Harrys Taille, ziehen am Bund seiner Jeans, seine Finger schnell und verlangend und suchend, seine Nägel streichen über bloße Haut. Der Reißverschluss geht auf, Draco schiebt seine Finger in die Taschen von Harrys Jeans und zieht sie herunter, rauer Denim kratzt über Harrys Hüftknochen, und all die Wildheit hat Harry hart werden lassen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, er war halbhart seit er oben am Kanal den Schaum von Dracos Lippe geleckt hat. Draco schnappt nach Luft als seine Hand über Harrys flachen Bauch gleitet, seine Unterwäsche abstreift und erst dann, als sich seine Hand sicher um Harrys Schwanz geschlossen hat, hebt er sein Gesicht und reckt sich, um Harry auf den Mund zu küssen.

Er schmeckt noch immer nach Zigaretten und er küsst noch immer zu unbeherrscht, um wirklich gut darin zu sein. Harry lässt seinen Kopf zurückfallen; die Steinwand an seinem Hals und seinen Schultern ist kalt. Er lässt sich in den Kuss fallen. Er hat einen Rhythmus, wie das regelmäßige Schwappen von Wasser gegen die Seitenwände des Kanals. Seine Zunge umfährt Dracos Lippen, ihre Münder öffnen sich gemeinsam und Harry findet die unerwartete Süße in Dracos Mund. Dracos Zunge streichelt seine und Harry erschauert. Seine Hände finden ihren Weg nach oben und wühlen sich in Dracos Haar. Er lässt sie da, verstärkt seinen Griff, also Draco seinen Mund verlässt und an seinem Körper hinunter gleitet, seine Hände flach an Harrys Körper gepresst, wo sie hinunter bis zu Harrys Hüften rutschen und sie nach vorne ziehen. Harry schließt die Augen und beißt sich auf die Unterlippe, als er fühlt, wie sich Dracos Lippen um seine Eichel schließen. Draco saugt ihn in seinen Mund, heiß und fordernd, und Harry hört, wie sich ein abgehacktes, kleines Keuchen den Weg aus seiner Kehle bahnt.

Und ja, das ist es, woran er sich erinnert. Nicht nur die Hitze und das ziehende, ertränkende Gefühl, nein, alles. Die Art, wie sein Kopf sich leert, so dass nur noch dieser rhythmische, rasende, taumelnde Rausch übrig ist, gerade so als renne er sehr schnell oder fiele sehr tief. Seine Hände in Dracos Haar, Dracos Hände fest auf seinen Hüften, so fest, dass dort später blaue Flecken sein werden. Draco hat die Blutergüsse früher immer geküsst, einen nach dem anderen, fünf auf jeder Seite, da wo sich seine Finger in Harrys Fleisch gegraben haben. Harry erinnert sich an all das, doch er hatte vergessen, wie gut Draco seinen Körper kennt, wie genau er weiß, wann er schneller machen muss und wann langsamer, und wann er seine Zunge an genau jenem Punkt flackern lassen muss, an dem Harry es so mag, und genau das tut er jetzt, und es ist wie stechende Nadeln aus Silber und Feuer. Harry keucht etwas, er weiß nicht genau was, und Draco macht es noch mal, und Harry rammt seine Schultern gegen die Steinwand als er kommt und dabei „Oh Gott, oh GOTT“ keucht, obwohl er gar nicht an Gott glaubt und es, wirklich, auch niemals getan hat.

***


„Hast du das damit gemeint, als du gesagt hast, dass du mir die Sehenswürdigkeiten zeigen willst?“, fragt Draco. Er sitzt am Ufer des Kanals, seine Beine baumeln über die Kante und er starrt hinunter ins Wasser.

Harry, der seine Kleider wieder in Ordnung bringt und zuknöpft, braucht einen Moment bis er antwortet. „Na ja, eigentlich hatte ich ja vor, dir das Kunstmuseum zu zeigen. Aber dann ist mir eingefallen, dass es an Montagen geschlossen hat.“

Draco sagt nichts. Er schaut noch immer ins Wasser. Harry kommt zu ihm herüber und setzt sich neben ihn. Sie starren gemeinsam ins Leere. Alle möglichen Dinge treiben auf der Kanaloberfläche vorbei. Die Sonne spiegelt sich in der Alufolie von Bonbonpapieren, bunten leeren Flaschen, zerrissenen Postern und Abfallteilen. Das Wasser selbst scheint so dick wie Sirup zu sein. Harry vermutet, dass es wahrscheinlich an seinen Fingern kleben bliebe, wenn er es anfassen würde.

Er bemerkt, das er Draco verstohlen aus den Augenwinkeln beobachtet. Genauer gesagt, er beobachtet alles, was er von Draco sehen kann, wenn er ihn aus diesem Winkel betrachtet – und das sind seine Hände. Sie liegen flach auf seinen Schenkeln, sauber und blass, die Nägel nicht mehr bis auf die Fingerkuppen abgekaut. Das sind nicht die Hände, an die Harry sich erinnert. Oder vielleicht muss er sich auch einfach nur noch weiter zurückerinnern, um diese Hände zu finden. Es sind die Hände, die neben seinen nach dem Schnatz gegriffen haben, Hände, die seine weg schlugen wenn er nach dem flatternden, goldenen Ball griff. Draco hat immer darauf geachtet, seine empfindliche Haut nicht zu verletzen, und Harry hat gesehen, wie er diese Hände mit Spellotape umwickelt hat, bevor er damit die aggressiveren Zutaten für Zaubertränke angefasst hat. Er erinnert sich daran, wie eitel er das fand, wie typisch.

Draco sieht ihn an. „Also“, sagt er. “Was jetzt?”

***


Als Ron an diesem Abend nach Hause kommt, sitzen Harry und Draco im Wohnzimmer auf der Couch mit den kaputten Sprungfedern und sehen fern. Oder zumindest Harry sieht fern. Draco dagegen starrt mit einer Mischung aus Entsetzen und schwachem Ekel auf den Fernseher. Er behauptet, schon früher ferngesehen zu haben, aber Harry glaubt ihm nicht. Er erklärt ihm gerade, dass die Bildqualität auf diesem hier besonders mies ist, aber Draco scheint das nicht sonderlich zu interessieren.

Draco hat die Beine untergeschlagen. Seit ihrem Intermezzo unter der Brücke hat er Harry nicht mehr berührt. Trotzdem lässt er, als er den Arm nach der Schachtel Streichhölzer auf der Stuhllehne ausstreckt, seinen Ärmel absichtlich über Harrys Arm streichen.
Harry, der ruhig Chips aus der TĂĽte isst, ignoriert das. Als die TĂĽr auffliegt und Ron herein kommt, winkt Harry ihm zu.

„Hi Ron.“

Ron starrt Draco an, der seine bloßen Füße auf dem Couchtisch drapiert hat und damit beschäftigt ist, seine Haarspitzen auf Spliss zu untersuchen.

Ron wendet sich an Harry. “In die Küche”, sagt er. „Sofort.“

Harry geht wachsamen Blickes in die KĂĽche. Rons EinkaufstĂĽte steht noch immer unberĂĽhrt auf dem KĂĽchentisch, wo Ron sie vorher abgestellt hat. Harry steckt eine Hand hinein und zieht einen Schokokeks heraus.

„Wage es ja nicht, diesen Keks zu essen!“, zischt Ron ihn an.

Harry schaut den Keks leicht beunruhigt an. „Warum nicht? Hast du ihn vergiftet?“

„Nein! Weil du mir eine Erklärung schuldest! Was macht der immer noch hier?”

„Ach, Malfoy?“, Harry späht aus der Küchentür. Draco kniet neben dem Fernseher und fummelt neugierig an den Drähten herum. Harry überlegt, ob er Draco eventuell vor den Gefahren der Elektrizität warnen sollte, entscheidet sich dann aber dagegen. „Also, du hast doch selbst gesagt, dass ich etwas finden soll, womit ich mir die Zeit vertreiben kann.“

„Etwas, Harry. Etwas. Nicht jemanden.”

Harry beißt von dem Keks ab. “Er hat Geld. Er wird sein Essen selbst bezahlen.”

„Darum geht’s doch nicht.“

„Worum geht’s dann?“

„Er könnte uns an die Todesser verraten.“

„Ach, und wenn wir ihn mit unserer Adresse in der Tasche zurück nach England schicken wird er uns nicht verraten?“ Harry hat den Keks aufgegessen und leckt die verbliebene Schokolade konzentriert von seinen Fingern ab. „Wenn wir ganz sicher zu gehen wollen, müssen wir ihn umbringen und seine Leiche in einen Kanal zu werfen. Willst du das machen?“

Ron läuft grün an. „Nein. Nicht wirklich.”

„Das hab ich mir gedacht.” Harry zuckt die Schultern und dreht sich wieder Richtung Wohnzimmer.

Ron hält ihn am Ärmel fest. „Hör mal, bist du wegen irgendwas sauer, Harry? Hab ich was falsch gemacht? Hab ich was Falsches gesagt? Gibt es etwas, das ich nicht mache…?”

Harry sieht ihn vielsagend an.

Ron errötet, ganz langsam, ein roter Fleck, der sich von seinem Schlüsselbein bis zu den Wurzeln seines noch röteren Haares ausdehnt. „Oh. Das.“ Er lässt Harrys Ärmel vorsichtig los. „Na ja, also das will ich nicht machen.“

„Ich weiß”, sagt Harry.

„Ich meine...” Das Rot ist weg und Ron ist nun wieder grün. „Wenn es aus irgendeinem Grund unbedingt sein muss...“

„Danke, Ron, ich weiß deine Opferbereitschaft zu schätzen. Dennoch, ich denke, Sex wäre fatal für unsere Beziehung. Mir ist klar, dass du der heterosexuellste Mensch bist, den ich kenne. Vielleicht sogar der heterosexuellste Mensch auf der ganzen Welt.“

„Und mit Malfoy ist Sex nicht fatal für eure Beziehung?“

„Wir haben keine Beziehung”, sagt Harry.

„Das ist gut“, sagt Ron, der über Harrys Schulter späht. „Ich glaube nämlich, er hat sich soeben mit dem Fernsehkabel einen tödlichen Stromschlag verpasst.“

„Oh Scheiße“, sagt Harry und geht, um nach dem Rechten zu sehen.

***


Es stellt sich heraus, dass der Stromschlag doch nicht tödlich war, und es Harry und Ron daher erspart bleibt, Dracos verkohlte Leiche im Kanal zu entsorgen. Harry hegt den leisen Verdacht, dass Ron dies bedauert – aber das ist schwer zu sagen, weil Ron im Grunde wirklich ein guter Mensch ist. Irgendwann lässt er sich sogar erweichen lässt, Draco ein wenig Eis in einem Waschlappen zu bringen, den dieser sich auf die verbrannte Stelle halten soll, bis sie taub wird. Draco hält abwechselnd das Eis darauf und saugt dann wieder mit leidendem Gesichtsausdruck an der Brandwunde, während er Harry über seine Hand hinweg ansieht.

Harry lässt sich genervt neben ihm aufs Sofa fallen. „Du hast den Fernseher total geschrottet“, sagt er anklagend.

„Sei bloß froh, dass ich ihn dir nicht über den Schädel gezogen habe, Potter, du Arsch“, sagt Draco um seine Mundvoll Hand.

„Ich geh ins Bett“, sagt Harry und steht auf.

Draco steht ebenfalls auf. Einen Moment lang starren ihn Ron und Harry an und er starrt zurück, dann läuft er langsam schmerzlich rot an, so als sei der Rest von ihm genauso verbrannt wie seine Hand.

„Du“, sagt Harry, „wartest hier.“

Harry verlässt das Zimmer und kommt mit Decken und Kissen zurück. Er wirft sie Draco zu, der sie auffängt, und ihn dann, etwas ratlos, über den Berg von Leichtüchern ansieht. Ron, der sehr unangenehm berührt wirkt, macht sich lautlos aus dem Staub.

„Was soll das?”, fragt Draco.

„Ich teile mein Bett nicht gern mit anderen Leuten“, sagt Harry. Das ist weder eine Lüge, noch wirklich die Wahrheit – Harry hat sein Bett noch niemals mit irgendjemandem geteilt. Aber er ist ziemlich sicher, dass er es nicht mögen würde, wenn er es denn täte. Er ist sich aber nicht so sicher, ob er mag, was mit Draco bei seinen Worten passiert: er scheint vom Rand her in sich zusammenzusinken, wie angesengtes Papier.

„Du musst nicht hier bleiben”, sagt Harry. „Das weißt du.“

Draco schüttelt den Kopf. Er wirft die Decke und die Kissen auf die Sofapolster und legt sich oben drauf. „Sonst noch irgendwelche Regeln, die du mir an den Kopf werfen willst?“, fragt er, seine Daumen in die Schlaufen seiner Hosen gehackt. Dadurch wird das Material gedehnt und offenbart den Raum zwischen dem Cord und der flachen Platte seines Bauches. „Kein Rauchen auf dem Sofa? Nicht zu Weasley ins Bett kriechen? Den letzten Schokokeks nicht aufessen?“

„Den Fernseher nicht schrotten”, sagt Harry.

Dracos Augen sind von einem schwachen, silbrigen Grau, wie Scherben eines Spiegels. „Hau ab, Potter“, sagt er. „Ich will jetzt schlafen.”

Als Harry in seinem Zimmer ist, legt er sich angezogen auf sein Bett. Er will eigentlich nur seine Augen ein bisschen ausruhen, aber zum ersten Mal seit Monaten schläft er ein, sobald sein Kopf das Kissen berührt.

***


Die kleine Uhr in der Küche zeigt zwei Uhr früh, und Draco liegt auf er Couch auf dem Rücken, die Decken zu seinen bloßen Füße heruntergestrampelt. Er sieht aus wie eine lebendige Werbeanzeige für irgendwas Anstößiges, mit seinem bleichen Haar und seiner noch bleicheren Haut, die vom Mondlicht gestreift wird. Er trägt nur die Hose seines Pyjama, eine Hand flach auf dem nackten Bauch, die andere auf dem Kissen, und die Innenseiten seiner Arme und die Vertiefungen zwischen den einzelnen Rippen sehen aus irgendeinem Grund ganz besonders verletzlich und rührend aus, als Harry leise durch den Raum geht und auf die Couch klettert. Er legt sich flach auf Draco und drückt ihn in die nachgebenden Polster.

Draco wacht sofort mit einem leisen, gurgelnden Keuchen auf, und seine Augen flattern auf. „Harry?“

„Nein“, sagt Harry. „Jemand anderes.“

Dracos Körper passt zu seinem; nicht perfekt, aber gut genug. Ihre Beine passen zusammen, ihre Hüften und Brustkörbe, Harrys Hände auf Dracos Schultern. Harry muss an die Puzzles denken, die er besaß als er noch kleiner war. Er hat immer versucht, unpassende Teile zusammen zu setzen. Wenn er die richtigen nicht finden konnte, nahm er eben die, die fast perfekt saßen, die waren gut genug. Er fragte sich, ob das wohl etwas ausmacht – er ist mit seinen Puzzles nie so weit gekommen, dass daraus ein Problem hätte entstehen können.

Draco windet sich unter ihm. Reibung. Harrys Herz setzt einen Schlag aus. „Potter, du zerquetschst meine Hand!”

Harry drückt sich gerade so weit hoch, dass Draco genug Platz hat, seine Hand zwischen ihnen herauszuziehen. Seine Ellbogen sinken in dem Kissen zu jeder Seite von Dracos Schultern ein. „Ist es so besser?“

„Ja”, sagt Draco automatisch, und dann: „Warte mal, nein. Was hast du vor?“

„Was zu Hölle glaubst du denn? Ich backe ein Soufflé, Malfoy. Ich gehe Höhlentauchen auf Yucatan. Ich grabe den größten Diamant der Welt in einer südafrikanischen Mine aus . Ich mache beim Clog-Tanzwettbewerb mit. Ich hab noch mehr davon.“

„Nee, lass mal. Schön. Dann war es eben eine blöde Frage.”

„Ja“, sagt Harry, „war es.“ Und er bewegt sich ein wenig, immer noch auf Draco liegend. Das dünne T-Shirt, das er trägt, rutscht hoch, und wo Haut auf Haut trifft ist es ist feucht und klebrig. Harry fasst nach unten, findet die Baumwollkordel, die Dracos Hosen zusammenhält, und fummelt daran herum. Sie ist nicht so einfach aufzubekommen, wie er erwartet hat. Draco muss mindestens sechs oder sieben Knoten gemacht zu haben, „Wozu zur Hölle machst du so viele Knoten?“, fragt Harry. „Versuchst du, eine Horde brandschatzender Ostgoten fernzuhalten?“

„Nein”, sagt Draco. Sein Kinn ist trotzig erhoben, obwohl er sich gar nicht bewegt hat. „Nur dich.“

Harry wickelt sich die Kordel um den Finger und zieht einmal leicht daran. „Ich kann wieder ins Bett gehen, wenn dir das lieber wäre.“

Dracos Augen verengen sich. „Seit wann interessiert dich, was ich will?“

Statt zu antworten, beendet Harry ihre Diskussion, indem er Draco küsst. Schließlich ist historisch erwiesen, dass dies eine wirkungsvolle Methode ist, solcherlei Diskussionen im Keim zu ersticken. Eigentlich, um alle Diskussionen im Keim zu ersticken. Draco presst einen Moment lang die Lippen zusammen, hält Stand, doch dann gibt er nach und öffnet seinen Mund für Harry. Er schmeckt nach Zahnpasta und hat bestimmt die weichsten Lippen, die Harry jemals geküsst hat, sogar weicher als Chos. Harry lässt die Kordel los und arbeitet sich an Dracos Körper hoch, versucht, eine bessere Kussposition einzunehmen. Draco stöhnt unwillkürlich auf und sein Rücken biegt sich durch, drückt seine Vorderseite Harry entgegen. Harry grinst gegen Dracos Mund und lässt seine Hüften gegen Dracos kreisen, woraufhin Draco erschaudert, ein sanfter Schauer, der von schmelzendem Widerstand herrührt, und seine Verteidigung zerfällt zu Hitze als er sich von der Couch hoch stemmt und seine Hüften gegen Harrys presst.

Eigentlich, denkt Harry, sollten sie hierbei besser sein, schließlich haben sie genug Übung. Aber das ist schließlich schon eine Weile her. Draco hat seine Augen zusammengepresst, als hätte er Angst, sie zu öffnen, aber seine Hände sind hinter Harrys Rücken verschränkt, und Harry spürt, wie Dracos Erektion gegen seinen Bauch presst, fast als sei da überhaupt kein Stoff zwischen ihnen. Harry beschließt, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob sie ihre Klamotten nun ausziehen oder nicht. Keiner von ihnen wird es lange genug aushalten, als dass das eine Rolle spielen könnte. Also stützt sich Harry stattdessen auf seine Arme und schiebt seine Hüften langsam gegen Dracos, in groben, kreisenden Bewegungen, die ein Keuchen aus Dracos Kehle bringen und Harry ein Paar hastige Hände auf seinem Rücken bescheren. Harry spürt ein gewalttätiges Pulsieren, das durch Dracos Körper bebt. Es erinnert Harry an die Vibrationen, die durch die Schienen gehen, wenn ein Zug im Anrollen ist, und jede Faser von Dracos Körper schreit mach das noch mal, mach das noch mal, mach das noch mal.

Aber Draco selbst sagt gar nichts, er öffnet nicht einmal die Augen, hält sich nur stumm an Harrys Rücken fest, Harry spürt seine Nägel durch den dünnen Baumwollstoff auf seiner Haut. Ihre Lippen liegen noch immer aufeinander, obwohl sie sich jetzt nicht mehr richtig küssen, sondern eher in den Mund des jeweils anderen keuchen – schließlich sind sie trotz allem nur zwei Teenager, und keiner der beiden ist sonderlich gut darin, mehrere Dinge zur selben Zeit zu machen. Dracos Körper ist gespannt wie ein Bogen und Harry reibt sich an ihm, jetzt härter und schneller, so dass es schon fast weh tut, und Draco hält seine Augen noch immer geschlossen. Aber als er kommt schlingt er seine Knöchel um Harrys Kniekehlen, hält Harry an den Schultern fest, zittert und beißt sich auf seine Finger (wobei er den verbrannten Teil seiner Hand natürlich sorgfältig ausspart).

Die Erschütterungen, die durch Dracos Körper laufen, lassen auch Harry über den Rand der Klippe stürzen und er fällt in seinen Orgasmus, dunkles Wasser schlägt über seinem Kopf zusammen, und er bricht auf Draco zusammen, als seien die Knochen seiner Arme zerbrochene Zuckerstangen. Er zittert, als er kommt, eine ganze Serie von immer schwächer werdenden Beben, eins nach dem anderen, langsam abebbende Wellen des Schmerzes, die eine seltsame Leere in ihm zurücklassen. Harry ist sich nur am Rande bewusst, dass Draco ihn festhält, bis er von diesem dunklen, alles verschlingenden Ort zurückgekehrt ist und wieder atmen kann.

Draco sagt etwas in Harrys Ohr und seine Stimme scheint im Rhythmus des Blutes in Harrys Kopf zu pulsieren. Harry ist nicht ganz sicher, was er sagt. Es klingt wie Du gehst so weit weg, aber dass macht keinen Sinn, hat keine Bedeutung. Er geht auf Distanz, setzt sich auf, befreit sich aus dem verschlungen Gewirr aus Gliedmaßen und feuchter Haut und klebrigem Schweiß, und die kühle Luft streicht angenehm über sein heißes Gesicht. Er legt den Kopf in den Nacken und atmet ein und aus, schmeckt, was die Luft von draußen durch das halb geöffnete Fenster mit herein bringt: Kanalwasser, Staub, Rauch, der kühle Geschmack von draußen vermischt mit dem salzigen Geruch nach Sex von drinnen. Draco stützt sich auf einen Ellbogen auf und schaut Harry an. Er versucht nicht, ihn zu berühren. Vielleicht liest er in Harrys Gesicht, was passieren würde, wenn er es täte.

***


Draco ist ein schrecklicher Hausgast. Er legt es wahrscheinlich nicht drauf an, einer zu sein, aber er ist es trotzdem. Er lässt seine Klamotten überall herumliegen, und als Ron ihn bittet, wenigstens ein bisschen im Haushalt zu helfen, reagiert Draco, als habe man ihm aufgetragen, ein Waisenhaus abzufackeln. Er schürzt die Lippen und seine Nasenflügel beben, und Harry sieht in seinen Augen die Generationen von Malfoys, die vor ihm lebten, voll Verachtung für die Hauselfen, die sich in ihrem Schatten zusammenkauern.

Ron, wie es nun mal seine Art ist, geht nicht weiter darauf ein, zieht aber ein wütendes Gesicht beim Putzen und macht am nächsten Morgen nachdrücklich nicht genug Frühstück für alle drei. Er geht jetzt immer allein aufs Dach, und Harry weiß es, wenn er dort oben ist, weil er dann hören kann, wie die Ziegelsteine am Fenster vorbeifliegen und auf dem Gehsteig zerplatzen. Manchmal geht er auch hinauf; dann sitzen er und Ron nebeneinander im Windschutz der flachen Steinmauern und rauchen in kameradschaftlichem Schweigen – aber Ron fragt nie nach Draco, und Harry gewährt ihm auch nie irgendwelche persönlichen Einblicke oder Erkenntnisse. Wenn Draco irgendwann auch aufs Dach kommt, steht er nur da und wartet oben an der Treppe, beobachtet die beiden von Weitem, und nach einer Weile hört Harry auf mit dem, was er gerade macht, steht auf und geht zu Draco. Dann verlassen sie gemeinsam das Haus und wandern durch die Stadt. Harry fragt Ron jedes Mal, ob er mitkommen will, und Ron sagt jedes Mal nein.

Es ist wahrscheinlich auch gut so, dass er nicht mitkommen will.

Harry entdeckt Dinge wieder; wiederentdeckt die Stadt, durch die er jeden Tag spaziert ist. Aber jetzt entdeckt er andere Aspekte. Er entdeckt die schattigen Plätze unter den Brücken, wo man sich küssen kann, ohne dabei erwischt zu werden. Er entdeckt die dunklen Ecken, in die nie jemand kommt, wo es möglich ist, auch andere Sachen zu machen, ohne dabei erwischt zu werden. Das Verlangen nach Draco kommt und geht in Wellen: es überkommt ihn wie die Flut und füllt eine Leere in ihm, die sonst wahrscheinlich unerträglich wäre. Und wenn er ihn will – was zwar nicht immer der Fall ist, aber doch oft genug – dann will er nicht warten.

Ein Beispiel: sie sitzen eines Nachmittags in einem Café und Harry sieht Draco dabei zu, wie er sich durch eine Schachtel Zigaretten arbeitet, wie er jede einzelne auf nachdenkliche, hingebungsvolle und konzentrierte Weise raucht, wie seine Wangen hohl werden, wenn er daran zieht. Und während er zuschaut, denkt Harry daran, wie Draco früher in der Schule dasaß und auf seinem Federkiel herumkaute, damals, als er noch bitter und arrogant und unangenehm aussah, und wie sehr Harry sich damals wünschte, er würde die blöde Feder verschlucken und daran ersticken. Dann schaut Draco auf, als könne er hören, was Harry denkt, und so steht Harry auf, schnappt Dracos Arm und zieht ihn hinter sich her, raus aus dem Café und die Straße runter, um die Ecke und in eine Gasse, wo er ihn gegen einen klapprig aussehenden Holzzaun drückt. Draco lacht unsicher, verschluckt sich daran und versucht dann halbherzig, sich zu befreien. „Ich werd runterfallen. Du bist nicht stark genug, Potter“, sagt er, und Harry erwidert: „Ich bin stärker als du denkst.“ Und das ist er tatsächlich, zumindest stark genug für die fragliche Aktivität. Er presst Draco flach gegen den Zaun und fickt ihn dort, und Draco schnappt nach Luft und keucht, als er kommt, er beißt in Harrys Schulter, spuckt Staub aus und murmelt „Gottverdammte Spreißel!“, was Harry zum Lachen bringt – natürlich erst, nachdem er selbst gekommen ist.

Das Lachen fĂĽhlt sich noch immer seltsam fremd in seiner Kehle an.

Er beobachtet Dracos Gesicht wenn sie ficken, versucht, es zu enträtseln, vor allem wenn Draco seinen Höhepunkt hat, versucht, die Sterne zu sehen, die hinter seinen Augen explodieren, fragt sich, was er denkt, fühlt, hört. Braucht er dieses Ventil um Druck abzulassen, so wie Harry es tut? Staut es sich in ihm auf, wie Schmerzen hinter den Augen, bis er es nicht mehr aushalten kann, oder ist es etwas anderes, etwas Einfaches und Geradliniges, ist Draco einfach nur in ihn verliebt? Und sieht so Liebe aus, wenn er sich unter Harrys Körper windet und krümmt, wenn seine Fersen gegen die Rückseiten von Harrys Beinen hämmern? Oder ist es Liebe, wenn er abwesend Harrys Handrücken küsst, wenn Harry ihm etwas reicht, und danach wütend errötet, als ob er das nicht hätte tun wollen, und die Hand dann fluchend wegschiebt?

Harry bemerkt, dass andere Leute sich nach ihnen umdrehen, wenn sie gemeinsam die Straße entlanggehen. Nicht, weil er Harry Potter ist – es sind Muggel, er ist ihnen völlig egal – nein, weil sie aussehen, wie sie aussehen, weil sie so jung sind, wegen Dracos silberweißem Haar und seinem auffällig finsteren Gesichtsausdruck, weil Draco nicht anders kann als sich leicht in Harrys Richtung zu lehnen, wie ein Baum, der sich zum Wind neigt. Manchmal sehen die Leute missbilligend drein, öfter eher tolerant oder sogar bewundernd. Harry glaubt, er sollte sich deswegen irgendwie fühlen – dankbar vielleicht, oder amüsiert – aber er spürt gar nichts. Manchmal, wenn fremde Leute Draco zu lange anstarren, überfällt Harry der Drang, ihn nach Hause zu schleppen und zu ficken. Und für gewöhnlich gibt er diesem Drang auch nach. Und warum auch nicht? Alles andere ist ihm sowieso egal.

Die Zeit rinnt so langsam und gleichmäßig vorbei wie das Wasser in den Kanälen, und manchmal, wenn Harry Draco küsst, schmeckt er wieder den Staub aus der Belagerung, wie Puderzucker in seinem Mund, er riecht die abgestandene, kühle Luft und hört die flüsternde Stille eines ganzen Schlosses voller Menschen, die aufgegeben haben. Draco schließt noch immer die Augen, wenn Harry ihn küsst, aber jetzt öffnet er seine Lippen sofort, erwartungsvoll und ohne Widerstand, vergräbt seine Finger in Harrys Haar oder streichelt seine Wange, oder er legt seine Finger leicht auf Harrys Hüftknochen, als wäre er ein Tänzer, der nur ein winziges Bisschen Unterstützung braucht, um das Gleichgewicht zu halten. Und Harry weiß, dass es so ist, weil Draco ihm vertraut, und dass Harry – genau wie er es mit jedem gemacht hat, der ihm je vertraut hat, genau wie er es einst mit einer ganzen Welt gemacht hat, die ihm vertraute – dass Harry am Ende auch Draco enttäuschen wird.

Das Wetter verändert sich in der zweiten Woche nach Dracos Ankunft. Die frische Kälte verschwindet nach und nach aus der Luft und es wird langsam wärmer. Harry lässt das Fenster zu seinem Schlafzimmer offen. Ron ist jetzt häufiger daheim und aus einer verspäteten Achtung vor Rons Gefühlen fasst Harry Draco nicht mehr an, wenn Ron anwesend ist. Und er erlaubt auch nicht, dass Draco ihn anfasst. Er hat keine Ahnung, ob es Ron überhaupt etwas ausmachen würde, aber irgendwie hat er den Eindruck, dass dieses kleine Zugeständnis Ron darüber hinwegtröstet, dass Draco sich weigert zu kochen, oder zu putzen und dass er häufig Rons Cornflakes aufisst. Harry versucht sogar, Körperkontakt mit Draco zu vermeiden, wenn sie hinter verschlossener Tür in seinem Zimmer sind und Ron zu Hause ist, obwohl Harry weiß, dass das eine sinnlose Geste ist. Teilweise macht er es einfach nur, weil es Draco wirklich auf die Nerven geht. Er neigt dann dazu, schmollend am Fuß des Bettes zu sitzen und Harry grimmig anzustarren, bis dieser über das Bett zu ihm kriecht und ihn entweder von der Bettkante schubst oder sich auf ihn rollt – je nachdem, wie ihm gerade zumute ist.

Trotz seiner tapferen Versuche, sich in Zurückhaltung zu üben, fickt er Draco doch einmal, als er weiß, dass Ron daheim ist. Und prompt macht er es so heftig, dass er dabei tatsächlich einen Fuß durch die Wand am Fußende des Bettes stößt.

„Au!”, brüllt er und rollt von Draco herunter, obwohl es gerade ein gewissermaßen kritischer Moment ist. “Au, au, au! Scheiße, tut das weh!“

Er zieht seinen FuĂź zurĂĽck ins Zimmer und untersucht ihn mit besorgter Miene. Seinem FuĂź scheint es gut zu gehen, aber als er sich die Wand genauer ansieht, kriegt er einen Schreck: das Loch geht einfach glatt durch den billigen Gips! Harry kann jetzt durch die Wand ins Wohnzimmer sehen.

Draco lacht inzwischen so sehr, dass er kaum sprechen kann.

Harry starrt ihn an. „Das ist nicht lustig!”

„Doch, ist es“, sagt Draco. „Es ist wahrscheinlich sogar das Lustigste, das jemals passiert ist. Ich kann kaum erwarten, dass Weasley sieht, was du mit der Wand angestellt hast.“

Wie aufs Stichwort dringt Rons Stimme aus dem Wohnzimmer herein. Harry kann nicht genau verstehen, was er sagt, aber es klingt nach einem wütenden Fluch und das Wort „Wand“ kommt definitiv auch darin vor. Mit einem genervten Stöhnen rollt Harry vom Bett herunter, zieht seine Unterhose über und stapft raus ins Wohnzimmer, wo Ron am Küchentisch sitzt. Zu Harrys Überraschung ist Ron nicht allein. Hermine sitzt bei ihm.

Sie sieht Harry mit erhobenen Augenbrauen an. Sie sitzt auf der Tischkante und hält eine leicht beschädigte Teetasse in der Hände. Ihre Beine sind übereinander geschlagen. Sie trägt, wie Draco gesagt hat, einen Lederanzug: enge Hosen und eine noch engere Jacke, über und über besetzt mit dekorativen und zweifelsohne multifunktionellen Reißverschlüssen, Schlaufen und Haken. Hohe Stiefel betonen ihre langen Beine. Ron starrt sie mit offenem Mund an und Harry vermutet, dass er einen Kurzschluss in dem erst kürzlich reparierten Fernsehkabel verursachen wird, wenn er auch nur noch ein bisschen mehr sabbert.

„Hallo Harry”, sagt sie. “Ich würde dich ja gern umarmen, aber…”

Sie rümpft die Nase. Harry nimmt das nicht persönlich; schließlich ist er ziemlich verschwitzt und voller Gipsstaub.

„Ich weiß“, sagt er. „Hey, Ron – tut mir Leid, das mit der Wand!“

Ron schaut finster drein. “Das sollte es auch.”

„Oh Mann.” Hermine bückt sich und zieht ihren Zauberstaub aus ihrem Stiefel. Ron starrt sie an während sie das tut, und seine Augen werden ganz glasig vor stiller Bewunderung. Sie deutet mit ihrem Zauberstab auf die Wand, murmelt „Reparo!“ und das Loch schließt sich als hätte es nie existiert. „Ihr zwei“, sagt sie und steckt ihren Zauberstab zurück in den Stiefel, „seid absolut nutzlos.“

„Ich benutze keine Zauberei mehr”, sagt Harry flach.

„Also”, sagt Hermine, “das ist doch einfach bloß albern, oder?”

„Wahrscheinlich”, sagt Harry. „Also, was gibt’s, Hermine? Bist du einfach bloß so hereingeschneit? Und übrigens – cooles Catsuit.”

„Es ist kein Catsuit. Das ist die Attentäteruniform des Ministeriums!“

„Mir gefällt’s“, tut Ron kund.

„Danke, Ron.“ Hermine sieht ihn dankbar an.

„Nein“, sagt Ron. „Ich meine, es gefällt mir wirklich.“

Hermine sieht etwas weniger dankbar aus. „Ja. Also.“ Sie spielt nervös an einem Reißverschluss herum. Ron sieht aus, als würde er gleich den Tisch umwerfen. Hermine hört mit dem Herumspielen auf. „Ich bin hier, um euch vor Voldemort zu warnen.“

„Ich glaube, ich brauche nicht mehr vor ihm gewarnt zu werden”, sagt Harry. „Es ist mir bereits ziemlich klar, dass er nichts Gutes verheißt.“

„Bitte sei nicht so gedankenlos, Harry“, sagt Hermine dunkel. „Es ist ernst. Ich habe die Spuren der Todesser durch ganz Europa verfolgt, und eine ganze Menge sind auf dem Weg hier nach Amsterdam gesichtet worden.“

„Das überrascht mich nicht wirklich. Wo sonst kann man sehen, wie eine Ziege eine illegale Show mit einem Flubberwurm darbietet? Ich wette, die sind ständig hier.“

Hermine starrt ihn an. „Ich denke, du solltest Amsterdam verlassen, Harry. Komm zurück nach England.“

„Nein“, sagt Harry schlicht. „Aber Ron kann natürlich gehen, wenn er möchte. Ich würde es ihm nicht übel nehmen.”

Ron schüttelt den Kopf. „Was, und Malfoy mietfrei in meinem Teil des Hauses wohnen lassen? Wohl kaum.“

Hermines Augenbraue zuckt. „Malfoy?”

Wie aufs Stichwort kommt Draco herein, auch er ist verstrubbelt und verschwitzt, und er trägt ein Paar von Harrys Boxershorts. Darauf sind kleine, verzauberte Besen abgebildet, die irritierend über seinen Schritt flitzen, als er da so in der Tür steht. „Ich hatte keine Lust mehr, nackt auf dem Boden zu sitzen und darauf zu warten, dass du zurück kommst“, sagt er zu Harry. „Hallo Granger. Nettes Catsuit.“

„Es ist kein Catsuit”, sagt Hermine. „Hallo Malfoy. Ich nehme an, ich sollte nicht überrascht sein, dich hier zu finden. Ich hab mich schon gefragt, wessen Fuß da wohl durch die Wand kam.“

„Eigentlich war das Harrys Fuß”, sagt Draco.

„Es hat auch ziemlich weg getan“, sagt Harry, der auf ein bisschen Mitleid hofft.

Doch umsonst. „Sind das nicht Harrys Boxershorts?“, fragt Hermine und starrt Draco an. „Ich könnte schwören, dass ich ihm genau so ein Paar zu Weihnachten geschenkt habe.“

„Kann gut sein“, gibt Draco zu. „Gibt’s hier irgendwas zu essen, Weasley? Sex macht mich immer so hungrig.“

Hermine sieht Ron an. „Was geht hier vor?“

Ron zuckt die Schultern und das Gewicht von Wochen des Verdrusses schwingt darin mit. „Harry leidet am posttraumatischen Stresssyndrom und benutzt Sex mit Malfoy, um sich über den Schmerz eines Daseins hinwegzutrösten, das ihm sonst als leer und bar jeglicher Bedeutung erscheinen würde.“

„Harry benutzt mich nicht für Sex”, sagt Draco.

„Ich leide nicht am posttraumatischen Stresssyndrom“, sagt Harry.

„Doch, tust du“, sagt Ron heftig, „Ansonsten wäre das, was du da mit Malfoy machst, einfach nur seltsam und verstörend. Ich meine, du magst ihn ja noch nicht mal.“

Draco gibt einen undeutlichen Laut des Protests von sich.

„Posttraumatisches Stresssyndrom impliziert aber, dass das Trauma vorbei ist”, beharrt Harry. „Ich glaube aber, das Trauma hält an.“

„Ja“, sagt Hermine kühl, „ich bin sicher, dass es überaus traumatisch für dich ist, so viel Sex mit Malfoy zu haben.“

„Für mich wäre es das garantiert“, murmelt Ron.

„Wenn ihr alle weiterhin über mich reden wollt, als wäre ich nicht da, dann geh ich wieder in mein Zimmer“, sagt Draco und stapft zurück ins Schlafzimmer.

Harry überlegt, ob er ihm nachrufen soll, dass es sich dabei eigentlich um sein Zimmer handelt, entscheidet sich dann aber dagegen. Hermine sieht ihn noch immer kühl an. „Ich schätze, ich verstehe, warum du nicht nach England zurück willst“, sagt sie in frostigem Tonfall. „Ich nehme an, du hast aufgegeben.“

„Ja“, sagt Harry, „ja, das habe ich, vielen Dank.“

Es herrscht eine unangenehme Stille.

Dann seufzt Hermine und ihre Augen sind traurig. „Oh Harry”, sagt sie. “Die Belagerung ist vorbei!“

Harry möchte gern etwas Großes und Bedeutungsloses sagen, wie: „Die Belagerung wird niemals wirklich vorbei sein!” Aber natürlich hat sie Recht, sie ist vorbei. Es ist auch gar nicht die Belagerung selbst, die ihn stört, die ihm so schwer auf dem Herzen liegt. Um genau zu sein: er ist sich gar nicht sicher, ob es etwas Bestimmtes ist, das ihm auf dem Herzen liegt. Eigentlich ist eher das Problem, dass da nichts ist. Er fühlt sich leicht, in Schwebe, wie ein Schiff, dessen Haltetaue durchschnitten worden sind, als ob er dabei zusehen könne, wie die rettende Küste einer schwarzen Linie gleich in der Ferne verschwindet. Die Schwerkraft hat keine Wirkung auf ihn; wie immer ist er einzigartig ohne es sein zu wollen.

„Ich kann nicht zurück”, sagt er jetzt zu Hermine. „Ich hab die Belagerung nicht beendet.“

„Aber alle denken, dass du das getan hättest“, sagt Ron.

„Deswegen kann ich ja nicht zurück”, sagt Harry.

Hermine rutscht vom Tisch und kommt auf ihn zu. Sie legt ihre Hände auf seine Schultern, lehnt sich vor und küsst ihn auf die Wange: ein kühler, trockener, schwesterlicher Kuss.. „Was auch immer passiert“, sagt sie, „ich liebe dich, Harry.“

„Klar“, sagt er. „Dafür scheine ich ja da zu sein.“

***


Im Schlafzimmer sitzt Draco auf dem Boden. Er hat die Decke um seinen Kopf und seine Schultern zu einem Zelt drapiert, so wie Kinder es machen, wenn sie noch heimlich lesen wollen, obwohl sie schon längst schlafen sollten. Er schaut auf, als Harry herein kommt, und die Decke rutscht zurück. Sein Haar fällt ihm in die Stirn. „Was ist passiert?“

„Nichts.” Harry schaut einen Moment auf ihn hinunter, dann setzt sich auf ihn, ein Knie auf jeder Seite seiner Hüften. Draco lehnt sich zurück und macht ihm Platz, die Decke rutscht jetzt ganz herunter. „Ich will etwas machen“, sagt Harry.

Draco legt seine Hand flach auf Harrys Bauch und lässt sie abwärts gleiten. Seine Nägel streifen dabei ganz leicht über Harrys Haut, gerade genug, um ihn erschauern zu lassen. Dann finden seine Finger den Bund von Harrys Unterhose und gleiten hinein, kühl und trocken wie Papier. Sein Gesichtsausdruck ist konzentriert, ernst und vorsichtig, sein Mund eine schmale, gerade Linie.

„Nein”, sagt Harry. “Nicht das.”

Draco schaut überrascht auf. „Was denn dann?“

„Was anderes.”

„Was Ablenkungen angeht, ist Sex ganz groß. Außerdem ist er billig und vor Ort zu haben.“

„Genau”, sagt Harry. „Ich will woanders hingehen.”

„Und wohin?“, fragt Draco, vernünftigerweise.

Harry weiß es nicht. Aber das ist auch egal. Er steht auf und beginnt, den gewaltigen Haufen Kleider auf dem Boden nach seiner Jeans und seiner Jacke zu durchwühlen. Draco sieht ihm wortlos einen Moment zu, dann beginnt er, nach seinen eigenen Sachen zu suchen. Er hat nicht sonderlich viele Kleidungsstücke mitgebracht, und in letzter Zeit besteht seine Garderobe aus einer Kombination von Harrys und seinen eigenen Klamotten. Sie haben die selbe Größe, deshalb passen ihm die Sachen, aber Harry findet es trotzdem seltsam, wenn er Draco im seinen eigenen angegrauten T-Shirts sieht, oder in den Sweatern mit den ausgeleierten Ärmeln und den Löchern darin. Es ist, als sähe man ein sehr teures Auto, das in einer verfallenen Garage parkt.

Sie gehen zur Hintertür raus und sobald sie draußen sind, beginnt Draco zu rauchen, was Harry zeigt, dass er nervös ist.

„Du brauchst nicht nervös zu sein“, sagt Harry und sieht in seiner Tasche nach, wie viel Geld er dabei hat.

„Ich würde mich entspannter fühlen, wenn du mir sagen würdest, wo wir hingehen“, sagt Draco. „In den Rotlichtbezirk? In noch mehr Coffee shops? Auf eine Kanalboottour? In eine Bleistiftfabrik?”

„Zum Bahnhof”, sagt Harry kurz und beschleunigt seine Schritte.

„Super“, sagt Draco. „Jetzt fühle ich mich viel besser.“

Als sie am Bahnhof angelangt sind, sucht Harry den nächsten Regionalzug heraus und kauft Fahrkarten dafür, eine Geste der Willkür, die ihn unglaublich befriedigt. Draco folgt ihm in den Zug, schlechtgelaunt und rebellisch. Harry zieht die Tür zu ihrem Abteil zu und drückt Draco dagegen, wobei er ein Knie zwischen Dracos Beine schiebt, sie auseinander zwängt. Dann arbeitet sich seine Hand hinunter in Dracos Jeans und als er unten ankommt, ist Draco schon hart – trotz des schmollend-verdrossenen Gesichtsausdrucks, den er zur Schau stellt. Harry holt ihm schnell und hart einen runter, weil er weiß, dass das Draco nichts ausmacht, dass er eigentlich sogar ziemlich darauf steht. Draco schließt die Augen und keucht etwas, als er kommt. Aber was auch immer er gesagt haben mag, wird von dem schrillen Pfiff verschluckt, der ertönt als der Zug den Bahnhof verlässt.

Harry nimmt seine Hand aus Dracos Hose und küsst ihn zum ersten Mal an diesem Tag. Draco macht die Augen zu, lehnt sich in den Kuss und sagt in Harrys Mund: „Wo zur Hölle fährt dieser Zug hin?“

„Ich weiß nicht genau”, sagt Harry. „Ich glaube, zum Strand.“

Harrys Schuss ins Blaue entpuppt sich, erstaunlicherweise, als korrekt, was keinen mehr überrascht als Harry selbst. Der Zug hält in einer kleinen Stadt am Meer, die mit einem Z beginnt und viel zu viele Vokale im Namen hat. Draco findet, dass es nichts Deprimierenderes gibt, als einen Badeort außerhalb der Saison und Harry sagt, er solle die Klappe halten, obwohl er ihm insgeheim recht gibt. Der graue Himmel bildet eine trübe Blase über dem Hafenviertel, den kleinen Läden und dem Meer, und die Straßen sind verlassen und wie ausgestorben.

Harry macht das nichts aus, obwohl er durchaus bemerkt, dass Draco neben ihm missgelaunt und frierend schaudert und seine Schultern unter der viel zu leichten Jacke hochzieht. Sie gehen hinunter zum Strand und Harry zieht seine Schuhe aus, um hinaus ins Wasser waten zu können. Es ist klar und eisig, sieht so bitter aus wie kalter Weißwein, und es schwappt um seine Knie, als ob es ihn ins offene Meer hinausziehen wollte. Er legt seinen Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Er fühlt sich, als sei er genau in der Mitte von etwas, als hätten Flugzeuge und Angeln ihre Plätze vertauscht, als sei der Himmel zu seinen Füßen und das Meer über seinem Kopf.

Als er zitternd zurück zum Strand geht, schaut Draco ihn seltsam an. „Versuchst du, zurück nach England zu schwimmen?“

„Nicht wirklich“, sagt Harry, und bückt sich, um seine nassen, sandigen Füße in seine Schuhe zu stecken. Er streckt einen Arm aus, um das Gleichgewicht halten zu können, und Draco hält ihn an der Schulter fest. Als er sich wieder aufrichten will, bückt Draco sich und küsst ihn. Harry lässt ihn, ist aber irgendwie unfähig, den Kuss zu erwidern. Das Geräusch des Meeres hallt laut in seinem Kopf wider, aber er schmeckt noch immer Staub in seiner Kehle, diesen feinen, pudrigen Staub, der so viel feiner ist als Sand.

Draco lässt ihn los und seine Lippen werden schmal. „Was jetzt? Willst du mich in der Öffentlichkeit nicht küssen? Hast du Angst, jemand könnte dich mit mir sehen?“

„Nein”, sagt Harry, „daran denke ich nie.”

Draco steckt die Hände in die Taschen. „Das glaube ich dir nicht.“

„Ich schäme mich nicht für dich. Es ist mir sowieso egal, was die Leute von mir denken.“

Draco schaut an ihm vorbei, hinaus auf den Ozean, der von dem selben, düsteren Grau ist wie seine Augen. „Großartig“, sagt er. „Ich bin also nur ein weiterer Ausdruck deiner überwältigenden Teilnahmslosigkeit.“

„Was auch immer, Malfoy. Hör mal, ich will ein Hotelzimmer nehmen. Ich bin am Erfrieren.”

Draco schaut ihn giftig an. „Willst du, dass ich sechs Schritte hinter dir bleibe, damit du so tun kannst, als kennst du mich nicht?”

„Wenn du glaubst, dass sechs dafür ausreichend sind“, sagt Harry und stolziert davon. Draco folgt ihm und flucht dabei leise vor sich hin.

Ein paar Straßen vom Hafenviertel entfernt steht eine Pension neben der anderen, und alle haben Schilder in den Fenstern, auf denen zu lesen steht, welche Sprachen die Inhaber sprechen und welche Fernsehkanäle zur Verfügung stehen. Die dritte, an der sie vorbeikommen, ist in einem grellen Pink gestrichen und mit Schnörkeln verziert, die aussehen wie der Zuckerguss auf einem Lebkuchen, und auf der Veranda steht ein Schaukelstuhl. Darin sitzt eine Frau mittleren Alters, die nachdenklich eine Zigarette raucht und die die beiden neugierig beobachtet.

Harry steigt die Stufen hoch. Er weiß, dass Draco – angesäuerten Widerwillen ausstrahlend – hinter ihm ist. Als sie näher kommen, sieht die Frau auf.

„Hallo“, grüßt Harry sie freundlich. „Ich bin Harry Potter und das ist mein homosexueller Lover, Draco Malfoy. Er hat schlechte Laune, weil er glaubt, dass ich mich für unsere Beziehung schäme. Draco, komm und sag der netten Dame Guten Tag.“

Dracos Gesicht hat die Farbe von frisch ausgegrabenen Champignons angenommen. „Fick dich, Potter“, sagt er, mit einer erstaunlichen Menge Gift in der Stimme.

„Gleich”, sagt Harry. „Haben Sie noch Zimmer frei?”

„Alle unsere Zimmer sind frei“, sagt die Vermieterin. Sie zieht – offenbar völlig unberührt von Harrys direkter Erklärung – an ihrer Zigarette. Sie schaut Harry an, als sei er das Unterhaltsamste, das ihr seit langer Zeit unter die Augen gekommen ist.

„Sind die auch schallisoliert?”, fragt Harry nach. „Wir haben nämlich vor, ziemlich viel Sex zu haben. Auf dem Fußboden. Gegen die Wand. Möglicherweise in der Badewanne.”

„Badewanne kostet extra.” Die Vermieterin hebt den Blick und mustert Draco von oben bis unten, ihre amüsierten blauen Augen wandern von seinem silberblonden Haar bis zu seinen abgenutzten Turnschuhen. Sie grinst um ihre Zigarette herum.

Wenn es möglich wäre, vor Verlegenheit zu sterben, wäre Draco wahrscheinlich bereits tot. Zumindest erweckt er den Eindruck.

Als sie in dem Hotel auf die Vermieterin warten, die gerade fort ist, um den Schlüssel zu ihrem Zimmer zu holen, schubst Draco Harry in die Nische unter der Treppe und küsst ihn so hart, dass es weh tut, beißt ihn auf die Unterlippe und gräbt seine Finger in Harrys Schultern. „Du“, sagt er, als er ihn endlich los lässt, „hast deinen Standpunkt klar genug gemacht, okay?“

Harry saugt nachdenklich an seiner Lippe und sagt nichts.

Das Zimmer, das sie ganz oben am Ende der Treppe beziehen, hat tatsächlich keine Badewanne und ist dafür aber mit einer Gründlichkeit, die schon fast an Fetisch grenzt, mit Teddybären dekoriert. Sie sind überall. Auf dem Fernseher. Auf dem Kopfbrett. Auf den Stühlen. Auf dem Fensterbrett. Auf den Bildern an der Wand. Es ist das Erste, was Harry an dem Raum auffällt, als er ihn hinter Draco betritt. Er sieht sich um und lacht belustigt auf. Es ist wirklich schrecklich, aber es stört ihn nicht sonderlich. Harry hat sich nie groß um die ästhetischen Qualitäten seiner Umgebung geschert.

Draco steht stocksteif in der Mitte des Raum. Harry wirft die Tür ins Schloss und dreht Draco gleichzeitig zu sich herum. Er zieht ihn an sich und legt seine Hände auf diese vertrauten Arme, umschlingt sie mit seinen Fingern. Draco ist keine kräftige Person und wird es auch nie sein, auch wenn er seit der Belagerung ein wenig zugenommen hat. Harry kann seine Handgelenke mit Daumen und Zeigefinger umfassen, und wenn er die schmalen Oberarme festhält, so kann er die zerbrechlichen Knochen unter der dünnen Schicht von Fleisch darüber fühlen.

Draco wandet den Kopf ab, schaut Harry nicht an. Harry legt seinen Mund an Dracos Schläfe, auf das flachsfarbene Haar dort. „Was genau“, fragt er, und seine Lippen streichen über den weichen Flaum, „ist jetzt wieder dein Problem?“

Als Draco antwortet, ist seine Stimme kaum hörbar. Es scheint, dass er ein Problem mit der Dekoration hat. Die Teddybären stören ihn. Er fühlt sich beobachtet. Harry wirft ein, dass es sich dabei nur um leblose, ausgestopfte Dinge handelt, die Knöpfe statt Augen haben, aber das scheint es nur noch schlimmer zu machen.

Letztendlich lässt Harry Draco los, geht durch das Zimmer und dreht alle Stofftiere zur Wand. Er bemerkt, dass diese ziemlich lächerliche Aufgabe ihn gar nicht so sehr aufregt, wie man denken könnte. Eigentlich findet er es sogar ganz unterhaltsam. Als er sich umdreht, sitzt Draco auf dem Bett und schaut ihm zu. Seine Augen sind nachdenklich und halb geschlossen. Er hat die Schuhe ausgezogen und lehnt sich auf den Ellbogen zurück. „Ich hätte nicht gedacht, dass du es tatsächlich machen würdest“, sagt er.

Harry zieht seine nassen Schuhe aus, dann seine Socken, und kommt zu Draco ins Bett. Er kniet sich über ihn und starrt ihn an. Draco scheint ein bisschen überrascht davon, so genau betrachtet zu werden. Seine Augen weiten sich, als Harry auf ihn herabstarrt, die Details seines Gesichts studiert: die Wimpern, wie silbrige Vorhänge, die feine, blasse Haut, die über den Wangenknochen auf dem Nasenrücken ein ganz kleines wenig rauer ist, weil die Sonne sie da am häufigsten berührt hat. Dracos Lippen öffnen sich, während Harry ihn ansieht, werden weich als wolle er etwas antworten oder als erwarte er, geküsst zu werden, aber als Harry weder etwas sagt, noch Anstalten macht, sich zu einem Kuss herunter zu beugen, wird Draco rot. Es ist ein klares Erröten, wie bei einem Kind, und er sieht Harry finster an. „Mach das nicht“, sagt er. „Spiel nicht mit mir.“

Harry berührt Dracos Wangenknochen mit seinem Handrücken. Seine Haut fühlt sich weich an Harrys rauen Knöcheln an. „Zieh dein Hemd aus“, sagt Harry.

Draco tut es. Er greift den Saum seines Hemds und windet sich ein bisschen, als er es hochzieht, drückt seinen Rücken durch, um es über den Kopf zu ziehen, und da stoppt Harry ihn. Er hält seinen Ellbogen fest, als das Hemd gerade zur Hälfte über Dracos Kopf gerutscht ist und sein Gesicht von dem dünnen Baumwollstoff bedeckt wird. „Halt“, sagt Harry. „Warte.“

Was Draco erwidert ist gedämpft und beinahe unhörbar. Harry lässt sich langsam auf Draco herunter, stützt sich auf seine Ellbogen ab, ihre Brustkörbe werden zusammengepresst, ihre Hüften liegen aufeinander. Er rollt seine Hüften gegen Dracos und hört ihn scharf aufkeuchen als ihre Erektionen sich berühren, wobei ein angenehmer Schmerz durch Harrys Körper fährt. Draco wimmert, wahrscheinlich, weil er ich nicht bewegen kann, weil seine Arme in seinem Hemd gefangen sind, aber er krümmt seinen Rücken als Harry seinen Hals küsst, und sein Körper zuckt unter Harrys beruhigenden Händen. Harry fährt mit den Fingerspitzen sanft Dracos Rippenbogen entlang, berührt seinen flachen Bauch mit federleichten Fingern, bückt sich und legt sein Ohr auf Dracos Brust. Er hört das schnelle, synkopierte Schlagen seines Herzens, leicht gedämpft durch die Wand aus Rippen und Fleisch. Es klingt wie Trommelschläge im Wasser. Es ist fremd und vertraut, irritierend und beruhigend zur selben Zeit, ein Flüstern und ein Schrei.

„Bleib”, sagt Harry. “Bleib so, wie du bist.”

Er kann Draco atmen hören, unregelmäßig, gedämpft durch die Baumwolle und seine verschränkten Arme. Harry bewegt sich an Dracos Körper hinunter, findet den Bund seiner Jeans, öffnet sie mit schneller, mathematischer Präzision. Er zieht die Jeans runter, schiebt eine Hand in Dracos Boxershorts und befreit seinen steif werdenden Schwanz. Draco zittert und windet sich und Harry hält ihn an den Hüftknochen fest, drückt ihn runter auf die Matratze.

„Ich sagte, du sollst dich nicht bewegen”, sagt er ruhig.

Draco flucht vor sich hin, oder zumindest nimmt Harry das an, denn sonst hätte er gerade so was wie „Pott verschrammte Meise“ gesagt, und das hält Harry dann doch für ziemlich unwahrscheinlich. Aber er bewegt sich nicht.

Harry senkt seinen Kopf, so dass seine Haare über Dracos nackte Haut streichen. Die Muskeln an Dracos Bauch zucken, als hätte er einen Elektroschock bekommen, und er keucht wieder, drückt seinen Rücken durch. Mittlerweile ist er steinhart und Harry senkt sein Gesicht langsam, ganz langsam, und nimmt die Spitze von Dracos Schwanz in den Mund, wobei seine Zunge rau an der empfindlichen Unterseite reibt.

Draco zuckt heftig zusammen, seine Hüften drängen sich Harry entgegen. Schweißperlen erscheinen auf seiner Brust und rinnen daran hinunter, hinterlassen glitzernde Spuren zwischen den Rippen. Harry lässt seine Hände auf Dracos Hüften, hält ihn fest, sehr fest, während er seine Lippen und seine Zunge an Dracos Schwanz auf und ab bewegt, lutscht und leckt und schmeckt. Draco schmeckt jetzt nach der salzigen Meeresluft, nach sonnenwarmer Haut, und die schmeckt anders als Haut, die von einem Feuer gewärmt wurde.

Er hört Draco in sein Hemd keuchen. Er zittert am ganzen Körper, seine Hüften rollen unter Harrys Händen vor und zurück. Seine Füße hämmern einen schnellen Rhythmus gegen die Matratze. Jeder Zentimeter seines Körpers scheint auf Harry hinzustreben, stumm vor Verlangen. Er schreit auf, als er kommt, und dieser Laut wird kaum gedämpft.

Harry macht langsamer, seine Hände noch immer auf Draco, sie gleiten über seinen Bauch, spüren die flatternden Nachbeben des Orgasmus, die durch die festen Muskeln laufen, als wäre etwas Lebendiges in Draco, das versucht, aus ihm herauszubrechen. „Shh“, sagt er. Seine Stimme ist jetzt sanft, weich. „Shhh, ganz ruhig.”

Aber Draco dreht sich von ihm weg, setzt sich mühsam auf und befreit sich aus seinem T-Shirt. Er zieht es über den Kopf und wirft es zur Seite. Er keucht und seine Wangen sind scharlachrot angelaufen, sein Haar ist tropfnass und Bäche von Schweiß rinnen sein Gesicht herunter.

Er starrt Harry anklagend an. „Was zur Hölle sollte das?“

Harry leckt langsam über seine Unterlippe, die noch immer nach Draco schmeckt, salzig und ein bisschen bitter, dann fragt er sich, ob das nicht vielleicht ein albernes Porno-Klischee ist und hört damit auf. „Ich hab dir einen geblasen. Das hab ich schon mal gemacht. Schon oft, wenn ich mich richtig erinnere.”

„Das meine ich nicht! Ich meine – dass, du mein Gesicht abgedeckt hast – was verdammt nochmal sollte das? Versuchst du jetzt, zu vergessen, wer ich bin?“ Er hebt sein zerknittertes, verschwitztes T-Shirt auf und wirft es nach Harry. „Fick dich, Potter. Fick dich!“

„Ich hab dich”, sagt Harry, “mich noch nie ficken lassen.”

Draco grapscht nach einem der Teddybären auf dem Nachttisch und schleudert ihn auf Harry. Harry duckt sich und der Bär fliegt gegen die Wand hinter Harrys Kopf. „Vielleicht will ich dich ja auch gar nicht ficken!“, brüllt Draco.

„Dann sollte das hier doch die ideale Beziehung für dich sein“, stellt Harry fest.

Draco ist plötzlich sehr ruhig. Die Wut in seinem Gesicht wird ein bisschen weniger, wird zu einem ratlosen, halb-nachdenklichen, halb-emotionslosen Ausdruck. „Das hier“, sagt er, „ist für niemanden die ideale Beziehung.“

Harry sieht ihn einfach nur an. Es ist ihm bewusst, dass er – während Draco nackt ist – noch alle Klamotten anhat. Die Hände auf den Knien seiner Jeans sehen bleich und dünn aus, wehrlose Hände, nutzlose Hände, egal wie viel Schreien und Stöhnen und trotziges Fluchen sie aus Draco Malfoy herausbringen können.

„Andererseits”, sagt Draco, „hast du es vorher noch nie eine Beziehung genannt. Ich denke mal, ich sollte wohl glücklich darüber sein.“

„Bist du das?“, fragt Harry.

„Nein“, sagt Draco. Er schaut Harry einen Moment lang an, dann dreht er sich um und kriecht unter die Decke, zieht sie sich bis ans Kinn. Er legt seinen Kopf auf seine Arme und schließt die Augen. Harry sieht ihm eine Weile zu und fragt sich, was er da wohl macht. Dann bemerkt er, dass er genau das tut, wonach es aussieht – er legt sich schlafen. Harry hat ihm noch nie beim Einschlafen zugesehen. Ein- oder zweimal sind sie zwar praktisch aufeinander ohnmächtig geworden und danach auseinander gerollt, als seien sie zwei Magnete mit der gleichen Polarität, aber das hier ist irgendwie anders.

Harry zieht seine Jeans aus und rutscht ebenfalls unter die Decke; dabei streckt er einen Arm aus, um das Licht auszumachen. Er liegt da, lauscht den Geräuschen der unruhigen Nacht, dem Meer draußen und Dracos Atem neben ihm. Es erfordert eine bewusste Anstrengung, damit sein Atem sich nicht einem der beiden Geräusche anpasst, aber er schafft es. Zumindest bis er zu müde ist, um es noch zu merken, und er schließlich in einen tiefen Schlaf fällt.

***


Später in der Nacht schreckt Harry plötzlich aus dem Schlaf hoch, obwohl da nichts ist, das ihn aufgeweckt haben könnte. Wenn er einen Alptraum gehabt hat, dann erinnert er sich nicht mehr daran, und wenn ihn ein Geräusch geweckt hat, dann kann er es jetzt nicht mehr hören. Der schwache Duft des Ozeans dringt sogar durch das geschlossene Fenster herein. Draco ist weit weg auf der anderen Seite des Bettes, er hat das Gesicht in seinen Armen vergraben und sein Atem ist flach und gleichmäßig.

Harry rutscht näher zu ihm, vorsichtig und behutsam, und berührt seine bloße Schulter, findet einen Weg durch den schützenden Wall aus Gliedmaßen, den Draco um sich selbst geschaffen hat. Es ist ein kompliziertes Konstrukt aus spitzen Ellbogen, angezogenen Knien und Armen, aber Harry findet hindurch wie ein Prinz, der sich den Weg durch eine Dornenhecke um ein verzaubertes Schloss bahnt. Er findet seinen Weg hindurch und legt seine Lippen auf Dracos, küsst ihn, küsst ihn wach, und Draco wacht langsam auf und gibt dabei leise, verärgerte Laute des Protests und der Verwirrung von sich, die aber in Zustimmung umschlagen, als er zu erkennen scheint, wer ihn da im Dunkeln hält und küsst.

Und Harry kĂĽsst ihn weiter, drĂĽckt sich blind an ihn, als versuche er, durch ihn hindurch zu etwas anderem zu gelangen. In Harrys KĂĽssen schwingt Verzweiflung mit, doch Draco scheint das nicht zu bemerken. Er wendet sich Harry zu, als wĂĽrde er magnetisch von ihm angezogen. Er berĂĽhrt sein Haar mit leichten Fingern, legt seine Hand um Harrys Nacken, als sei der etwas ganz schrecklich Zerbrechliches: ein geblasener Glasflakon voll Gift, oder die zarten Knochen eines Kindes, vielleicht.

„Potter”, sagt Draco schließlich. Er hat aufgehört ihn zu küssen, aber sein Mund liegt noch immer auf Harrys Mund. Er flüstert, als hätte er Angst, jemanden aufzuwecken – obwohl Harry vermutet, dass das Hotel abgesehen von ihnen leer ist. „Bist du okay? Wir müssen nichts tun, wir können auch einfach…“

„Nein“, sagt Harry. „Leg dich auf mich, ich will dich auf mir.“ Er zieht Draco auf sich, und Harry liegt jetzt auf dem Rücken; von wo er nach oben zu Draco sieht, der Schlaf und Überraschung und Verwirrung aus seinen Augen blinzelt. Aber schließlich verwirrt Harry ihn oft, und das hier ist wohl kaum etwas anderes.

„Es ist komisch“, sag Draco. „Es mal in einem Bett zu machen, meine ich.“

Harry erwidert darauf nichts, er greift nur nach unten, zwischen sie, lässt seine Hand Dracos flachen Bauch hinunter gleiten, und als er seinen Schwanz findet, beginnt er, ihn mit rhythmischen, sanften Bewegungen zu streicheln. Draco ist bereits hart, natürlich, er ist gerade mal sechzehn und für gewöhnlich erregt es ihn schon, wenn Harry ihn nur anhaucht. Draco schließt die Augen bei der Berührung; er zittert, so wie kleine Tiere es tun, wenn sie verletzt sind: wortlos, mit kaum wahrnehmbarem Schauern, die seinen Körper erbeben lassen. Er lehnt sich vor, findet Harrys Mund in der Dunkelheit, schmiegt sich an ihn wie eine Katze, die nach Wärme sucht. Harry beißt sanft in Dracos Mund, öffnet seine Lippen mit seiner Zunge. Draco stöhnt und macht mit. Harry lässt ihn selten so küssen, wie er es möchte: mit offenem Mund, nass und heiß, ihre Zungen ineinander verschlungen, wild und intim. Aber jetzt lässt Harry ihn, weil er nach etwas sucht. Er ist nicht ganz sicher, was er sucht, aber die Wellen, die sich durch den Kontakt ihrer Lippen in ihm aufbauen, oder dadurch, wie ihre Erektionen aneinander reiben – Harry hat seine Hände bewegt, sie liegen jetzt flach auf Dracos Rücken, pressen ihn auf Harry herunter – sind nicht die Antwort, die er sucht. Die Wellen sind diffus, er kann sie nicht festhalten, kann sie nicht reiten, kann ihre Einzelteile nicht wirklich zu einem zusammenhängenden Ganzen zusammensetzen.

Draco keucht jetzt in seinen Mund, seine Bewegungen werden immer heftiger und sein Griff an Harrys Schultern ist fest – aber zu Harrys schwacher Überraschung stoppt er sich selbst bevor er kommt, öffnet seine Augen und schaut hinunter auf Harry. Seine bleichen Haare fallen ihm in die Augen, wie ein eingezogener Vorhang aus Licht. „Das willst du nicht“, sagt er. „Was willst du?“

„Was ich mit dir mache”, sagt Harry, der aus irgendeinem Grund die Worte nicht finden kann. „Mach es mit mir.“

Draco sieht verwirrt aus, fast schon entsetzt. „Du willst mich in dir?“

Harry nickt. „Ich glaub schon.“

Draco zuckt zusammen und runzelt die Stirn. „Potter… was du vorher gesagt hast…“

„Ist egal“, sagt Harry. „Ich will es. Ich will es wirklich.”

Aber Draco muss noch weiter überredet werden, und zwar auf die Weise, die Harry mittlerweile ziemlich gut beherrscht. Zumindest glaubt er, dass er die Kunst der Überzeugung erlernt hat; vielleicht hat er aber auch einfach nur gelernt, wie Unterwerfung aussieht. Das Überreden macht ihm nichts aus, es nimmt seine eigene angenehme Form an, ein langsamer Tanz von Lippen und Zunge und Berührungen. Er hat gelernt, wo Dracos verletzliche Stellen sind, wo man ihn am wirkungsvollsten angreifen kann: an den weichen Innenseiten seiner Handgelenkte, an dem Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger, an den zarten Schläfen unter den Strähnen blonden, von Schweiß verdunkelten Haares. Er kann Dracos Gegenwehr auf die selbe Weise auseinanderpflücken, wie er früher in besonders langweiligen Schulstunden die Enden seines Schals aufgedröselt hat. Er schreibt seinen Namen mit seiner Zungenspitze auf Dracos Schlüsselbein, er lässt seine Zähne ganz leicht über die sensible Stelle genau unter seinem Unterkiefer wandern, er leckt sanft an seinem Mund, so zart wie mit Pinselstrichen, bis Draco schließlich aufgibt und sich an ihn drängt. Und als ihre Hände sich gemeinsam bewegen, weiß Harry, dass er auch diese Schlacht gewonnen hat.

Und dennoch, als Harry seine Füße hinter Draco Knien verschränkt und seinen Rücken durchdrückt, sich ihm öffnet – da sieht Draco für einen Moment aus, als wolle er wegrennen. Als er dann endlich in ihn eindringt macht er es langsam, so langsam, dass seine Hände da, wo sie Harrys Oberarme festhalten, zu schwitzen anfangen und fast abrutschen. Trotz seiner übermäßigen Vorsicht tut es weh, wie Harry erwartet hat, obwohl es nicht halb so schmerzhaft ist, wie er befürchtet hat. Aber weh tut es trotzdem, und Harry schließt seine Augen, nimmt seine Hand in den Mund und beißt darauf.

Draco hört sofort auf, sich zu bewegen. „Harry, bist du…“

„Nicht“, sagt Harry, der den salzigen Geschmack seiner eigenen Handfläche im Mund hat. „Malfoy…“

Draco klingt panisch. „Was nicht?“

„Sei nicht vorsichtig. Du kannst mir weh tun”, und Harry nimmt die Hand aus dem Gesicht, auch wenn er seine Augen weiterhin geschlossen hält, diese letzte Hürde kann er noch nicht überwinden. „Tu mir weh“, sagt er. „Ich will, dass du mir weh tust.“

Draco nimmt seine Hände von Harrys Armen, lässt sie zu seinen Schultern hoch wandern. „Ich kann’s versuchen“, sagt er.

Er lehnt sich vor, küsst Harry heftig auf den Mund, zieht ihn an sich, seine Hände unter Harrys Schultern, bis sie ganz eng aneinander gepresst sind. Er reibt seine Wange an Harrys, küsst seine Schläfe, und stößt hart in ihn hinein, so dass Harry aufkeucht. Der Schmerz ist grell, scharf, verblüffend, als ob man mit dem Daumen über eine Rasierklinge fährt. Er stellt sich vor, dass er den Geschmack von Blut im Mund hat, während er sich an Draco drängt und sich seine Hände hinter Dracos Rücken verschränken, und während Draco sich immer weiter gegen und in ihn bewegt, ebbt der Schmerz zunächst ab, doch dann kommt die Flut und bringt Feuer mit sich. Harrys Hände lösen sich von Draco, krallen sich in die Laken unter ihm, verkrampfen sich in den groben Stoff. Dracos Stöße haben jetzt einen regelmäßigen Rhythmus eingenommen, wie der Schlag eines Herzens, und mit jeder weiteren Bewegung spürt Harry sie intensiver, grelle Spitzen der Erregung blitzen durch seine Handgelenke, seinen Unterkörper, hinter seinen Augen, in seinen Schläfen, intensiver als jeder Schmerz es jemals könnte, und er beißt sich auf die Lippe, so wie er es schon in der Schule immer gemacht hat, wenn er keine andere Möglichkeit hatte, seiner Enttäuschung Ausdruck zu verleihen.

Jetzt flüstert er seine Enttäuschung in Dracos Mund, und Draco wimmert zurück, dass er es doch versucht.

Und dann ist da nur noch das Geräusch von quietschenden Sprungfedern, während sie sich gemeinsam bewegen, und Dracos abgehackter Atem in Harrys Ohr und das fiebrige Scheuern ihrer Körper auf den Laken und seine eigene Stimme, die Draco bittet, ihm weh zu tun, er sagt es wieder und wieder, bis die Worte alle organische Bedeutung verloren haben und bloß noch eine Serie von schmerzerfülltem und schmerzlichem Keuchen sind. Bis Draco es nicht länger zurückhalten kann, bis er zerbricht und laut aufstöhnt und auf Harry zusammenbricht, wie ein Spielzeug, das in seine Einzelteile zersplittert. Er vergräbt sein Gesicht in Harrys Schulter und flüstert mit dem letzten Rest seiner Stimme, dass er Harry nicht mehr weh tun kann, als er es getan hat, und dass Harry, wenn er das so unbedingt will, einen anderen Weg finden muss.

***


Als sie in dem Zug zurück in die Stadt sitzen, ist Harry ziemlich sicher, dass Draco ihn merkwürdig ansieht. Nicht so, als sei Harry selbst komisch, aber dennoch auf eine sonderbare Art, auf die er ihn noch nie zuvor angesehen hat. Harry ist nicht sicher, wie er es definieren soll, aber es verunsichert ihn, und wenn er verunsichert ist, wird er sogar noch wortkarger als sonst. Sie sprechen nicht miteinander und als der Zug im Bahnhof hält, steigt Harry aus, ohne sich nach Draco umzusehen. Er ist bereits halb aus dem Bahnhof draußen, bevor Draco ihn einholt und sagt: „Ich überlege, ob ich zurück nach Hause gehen soll.“

„Nach Hause?” Harry sieht ihn ausdruckslos an.

„Zurück nach England”, sagt Draco und spricht extra laut und deutlich. „Nach Hause.“

„Jetzt sofort?” Harry blinzelt. „Na ja, am Bahnhof sind wir ja schon.”

In Dracos Augen flackert für eine Sekunde ein Hass aus, der so intensiv ist, dass Harry sich an ihre gemeinsamen Tage in Hogwarts erinnert fühlt. „Ich muss noch mal zurück in die Wohnung“, sagt Draco. „Meine Sachen sind doch noch da.“

Sie stehen mittlerweile auf den untersten Stufen der Treppen vor dem Haupteingang des Bahnhofs. Die Menge teilt sich vor ihnen und eine blaue Straßenbahn hält vor Harry, verstellt ihm die Sicht, und er sagt: „Wolltest du nicht noch das Kunstmuseum sehen, bevor du gehst?“

Draco sieht ihn an. „Wollte ich das?”

Irgendwie finden sie sich ein halbe Stunde später in dem Museum wieder, wo sie vor einem gewaltigen Gemälde stehen, auf dem Bauern Kaffee trinken und Kartoffeln essen. Draco sagt Sachen über Hell-Dunkel-Kontraste und die Anordnung der Farben. Harry findet, dass es nach komplettem Schwachsinn klingt. Das beunruhigende Gefühl, das ihn vorher im Zug überfallen hat, ist wieder da. Es fühlt sich an, als öffne sich in seinem Magen langsam eine kalte Hand.

Draco start das Gemälde aus zusammengekniffenen Augen an. „Komisch, dass es sich nicht bewegt.“

„Es wird sich auch nicht bewegen. Es ist ein Muggel-Gemälde.“

„Ich weiß, dass es ein Muggel-Gemälde ist. Ich sag ja bloß, dass das komisch ist.“

„Es ist nicht komisch. Bilder, die sich bewegen, sind komisch. Das hier ist normal. Das ist ein völlig normales Gemälde von Leuten, die Kartoffeln essen, und es symbolisiert die natürliche Rechtschaffenheit der Arbeiterklassen.“

„Es symbolisiert nicht die natürliche Rechtschaffenheit der Arbeiterklassen. Es symbolisiert die Überlegenheit der Natur über die beschränkten Fähigkeiten der Menschen.“

„Es symbolisiert nicht die Überlegenheit der Natur über die beschränkten Fähigkeiten der Menschen!”

„Doch, tut es.“

„Bis du einfach nur blöd, oder was?“

Draco sieht verletzt aus. „Ich dachte, wir sprechen hier über Kunst.”

„Komisch, dass es sich nicht bewegt ist nicht gerade intelligente Kunstkritik. Das ist einfach nur…“ Harry sucht nach Worten. Er ist plötzlich verärgert, obwohl ein kleiner Teil von ihm sehr wohl weiß, dass diese Reaktion völlig überzogen ist. „Muggel-Gemälde sind normal. Muggel sind normal. Wie viele Zauberer gibt es auf der Welt? Vielleicht einen auf hundert Muggel? Einen auf tausend? Wir sind komisch. Nicht sie.“

„Ich dachte, du willst kein Zauberer mehr sein”, sagt Draco.

Harry fährt herum, sieht, dass Draco ihn mit leicht geöffneten Lippen aus schmalen Augen anschaut, und plötzlich will Harry ihn unbedingt küssen. Also tut er es. Er hält ihn mit einer Hand um die Taille und küsst ihn hart, heftig, drückt Dracos Mund mit seiner Zunge auf, leckt und beißt seine Lippen. Draco wird kurz stocksteif, dann küsst er zurück, seine Zunge in Harrys Mund und seine Finger in Harrys Haar. Harry erinnert sich daran, wie er dachte, dass Draco ein schrecklicher Küsser sei, dann legt er seine andere Hand auch auf Dracos Taille und zieht ihn hart gegen sich, so dass er spüren kann, ob Draco ihn will. Er will ihn. Also macht er sich an seinem Gürtel zu schaffen, aber Draco schlägt seine Hand weg und sagt etwas, das klingt wie „…zurück in die Wohnung?“

„Zu weit“, sagt Harry. „Da drüben ist eine Bank, wir könnten..“ und seine Hände rutschen unter Dracos Hemd, aber Draco tritt zurück und schiebt Harrys Hände weg.

„Nein“, sagt er. „Nicht hier im Museum.“

„Nicht hier im Museum?”, echot Harry. „Warum nicht?“

„Weil es ein Museum ist“, sagt Draco, als ob das alles erklären würde.

„Ja, und vorher war es in einer Gasse und unter einer Brücke und auf dem Dach und hinten im Coffee Shop und in unserem ehemaligen Klassenzimmer für Zaubertränke und im alten Gemeinschaftsraum und jetzt stört es dich plötzlich, dass es ein Museum ist?“

„Es ist ein Museum“, sagt Draco. Er klingt müde. „Es könnte jemand vorbeikommen.“

„Das interessiert doch niemanden, Malfoy.”

Draco sieht ihn an. „Nein”, sagt er. „Niemanden.”

Er verlässt den Raum. Harry steht da, die Hände in den Taschen, und sieht ihm zu, wie er geht. Er erwartet, dass Draco in ein paar Minuten zurückkommen wird. Als er das nicht tut, betrachtet Harry wieder das Gemälde. Er ist nicht sicher, warum. Er mag das Bild nicht besonders. Er steht da und starrt es an, bis er ein Geräusch hinter ihm hört. Er dreht sich um, aber es ist nicht Draco. Es ist einer der Museumswärter, der ihn neugierig beobachtet.

„Magst du dieses Bild?”, fragt er, und der schwache, niederländische Akzent gibt seiner Stimme einen angenehm rollenden Klang.

„Ich bin nicht sicher“, sagt Harry. „Zeigt es die Überlegenheit der Natur über die beschränkten Fähigkeiten der Menschen?“

„Nein”, sagt der Wärter. „Es zeigt die natürliche Rechtschaffenheit der Arbeiterklasse.”

„Scheiß Malfoy“, sagt Harry.

***


Eigentlich ist es Ron, der als Erster die Tatsache kommentiert, dass Draco weg ist – jetzt schon seit mehreren Tagen. Er ist nicht zurückgekommen, um seine Sachen abzuholen. Harry sitzt auf der Couch und zieht mit seinem Zeigefinger Kreise in seinem Kaffee. Ron setzt sich neben ihn und sagt: „Hast du ihn umgebracht und seine Leiche in einen Kanal geworfen, oder was?“

Harry sagt nichts.

„Das war ein Witz”, sagt Ron.

„Ich hab keine Ahnung, wo er ist“, sagt Harry, und nimmt einen Schluck Kaffee. Er ist kalt. „Wir haben uns gestritten. Er ist irgendwohin gegangen.”

„Seine Sachen sind noch da”, sagt Ron.

Harry zuckt die Schultern. „Vielleicht will er sie nicht mehr.”

Ron hebt eine Augenbraue. „Sein Vater hat ihn enterbt, es gibt kein Hogwarts mehr und er ist ein Malfoy – es nicht so, als wüsste er, wie man arbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine Sachen nicht mehr will.“

„Dann soll er wiederkommen und sie holen“, sagt Harry.

Ron sieht ihn an. Dann streckt er die Hand aus und legt seine Finger unter Harrys Kinn, hebt sein Gesicht an. Harry schaut auf und denkt sich dabei, dass ihm – obwohl Ron soviel größer ist als er – der Größenunterschied noch nie so deutlich bewusst geworden ist. Dass er noch nie so bewusst zu ihm aufgeschaut hat.

„Er wird nicht zurückkommen”, sagt Ron. „Ich würde an seiner Stelle auch nicht zurückkommen.“

„Ich weiß nicht, wo er hin ist“, sagt Harry. Er hört seine eigene Stimme, sie kling kleinlaut und nörgelnd, und er spürt eine Welle von Hass auf seine Stimme und eigentlich auch auf sich selbst in sich aufbranden.

„Nicht weit“, sagt Ron. Er lässt Harrys Gesicht los und nimmt ihm die Kaffeetasse weg. „Er würde nicht weit von dir weg gehen.“

„Warum geht er dann überhaupt?“, fragt Harry.

„Damit du ihm nachgehst”, sagt Ron.

„Bin ich aber nicht“, sagt Harry. „Ich bin ihm nicht nachgegangen.“

„Irgendwie schon“, sagt Ron. „Du bist Harry. Du gehst den Leuten immer nach. Sogar wenn du hier bleibst, du wirst trotzdem nach ihm suchen. Du tust es bereits.“

Harry ist beeindruckt. „Du hast gerade etwas gesagt, das absolut keinen Sinn ergibt, und trotzdem klang es irgendwie bedeutungsvoll.”

Ron sieht erfreut aus. „Danke.“

Harry steht auf. Er versucht, dynamisch aufzuspringen, als sei er plötzlich erfüllt von einer noblen Absicht, doch dabei kippt er um und fällt auf Ron, wobei er beinahe den Kaffee über das Sofa verschüttet hätte.

„Pass auf“, sagt Ron.

Harry bleibt stehen und dreht sich um. „Tut mir leid.”

„Ich meine nicht wegen dem Kaffee“, sagt Ron.

Als er schon halbwegs die Straße runter ist, dreht Harry sich um und sieht, dass Ron auf dem Dach steht, und ihm nachschaut, die Arme über der Brust verschränkt, als sei ihm kalt. Er winkt ihm zu und biegt um die Ecke, ist aber schon zu weit weg, um zu sehen, ob Ron zurück winkt.

***


Harry bemerkt, dass er doch eine Ahnung hat, wohin Draco gegangen sein könnte. Er hat sogar eine ziemlich genaue Vorstellung, wo er sein könnte – obwohl es ein Gebiet ist, dass sie nicht wirklich gemeinsam erkundet haben: der kleine magische Teil der Stadt.

Seine Suche nach Draco gleicht einer ziellosen Wanderung. Er geht in diverse Läden rein und wieder raus, er durchsucht Pubs, Coffee Shops, Bars und Keller. Es fühlt sich seltsam an, in diesen Straßen herumzulaufen. Seltsam, zu sehen, wie die Ladenbesitzer ihren Müll einfach verschwinden lassen, anstatt ihn an den Randstein zu stellen. Die Schaufenster sind voller Dingsbums-Riegel und Fianians Fertigstell-Tränke und Quidditch Zubehör und Zauberstäbe, und oh, sein Herz krampft sich zusammen, als er sich die Zauberstäbe ansieht und sich daran erinnert, wie hilflos sie sich alle gefühlt haben, als sie eines Tages alle verschwunden waren. Alle schienen so hilflos, sogar Leute, von denen er nie geglaubt hätte, dass sie irgendwann hilflos sein könnten.

Er läuft durch die Gegend, als träume er: die Orte, an denen er vorbeikommt, scheinen nicht zusammen zu gehören und seine Anwesenheit wird weder bemerkt noch kommentiert. Er sucht einen Tag, dann einen zweiten, macht eine Pause, um sich an einen Kanal zu setzen und Kekskrümel ins Wasser zu werfen. Und dann, am Nachmittag das dritten Tages, geht er in einen Sexshop und erspäht im hinteren Teil des Ladens eine schmale Tür in der Wand, auf der in sich bewegenden Buchstaben ‚Opiumhöhle’ steht. Harry, der sich fragt, ob die Werbung wohl der Wahrheit entspricht, schlüpft durch die Türe und steigt die paar wenigen Stufen hinunter. Er befindet sich jetzt in einem schäbigen Kellerraum voller zerschlissener Teppiche und Sessel, der ihn ein wenig an den Gemeinschaftsraum in Hogwarts erinnert. Der Raum ist voller Rauch und überall sind Zauberer – die meisten nur halb bekleidet – die sich auf Sofas gegenseitig befummeln, oder in Ecken herumknutschen, und Harry glaubt, dass manche ihm vage bekannt vorkommen – aber das ist uninteressant, denn Draco hängt in einem der Sessel. Seine Hosen sind offen und er scheint einen effektiven Blowjob von einem Jungen zu bekommen, der von hinten ein bisschen aussieht wie Colin Creevey.

„Malfoy”, sagt Harry. „Kann ich mir dir reden?”

Draco zuckt ganz gewaltig zusammen und seine Augen fliegen erschrocken auf. Er schubst den Jungen zwischen seinen Beinen weg. Der Junge stolpert zurück, fällt auf den Rücken und sieht von dort milde überrascht zu Harry auf.

„Hi Harry“, sagt er.

„Hi Collin”, sagt Harry.

Draco, der seine Unterwäsche hastig hochgezogen hat, schaut verblüfft auf. „Ihr kennt euch?“

„Das ist Colin Creevey“, sagt Harry und deutet auf ihn. „Er ist mit uns zur Schule gegangen.“

„Ich war in Gryffindor”, sagt Colin entschuldigend.

„Kein Wunder, dass du so lausig bläst“, sagt Draco. Seine Finger zittern leicht, als er die Knöpfe an seiner Hose schließt.

Harry schaut Colin an. „Würdest du uns für einen Moment allein lassen?“, sagt er. „Ich muss mit Malfoy reden.“

Colin zuckt die Schultern. „Mir egal. Er hat mich schon bezahlt”, sagt er und geht, um sich auf ein nahe gelegenes Sofa zu setzten. Offenbar hat er vor, alles mitanzuhören. Harry ist bloß froh, dass Colin wenigstens seine Kamera nicht mehr zu haben scheint.

„Ich dachte mir, dass ich dich hier finden würde“, sagt Harry zu Draco.

Draco sieht ihn kalt an. „Du dachtest dir, dass du mich in der Opiumhöhle im Keller eines Sexshops finden würdest, wo ich mir gerade von Colin Creevey einen blasen lasse?“

„Na ja, nicht ganz“, gibt Harry zu. „Aber das klang besser als ‚Ich suche schon seit zwei Tagen nach dir’.“

„Und jetzt hast du mich gefunden”, sagt Draco. „Was willst du?“

„Ich wollte sicher gehen, dass es dir gut geht“, sagt Harry risikobereit.

Draco schaut auf, als sei er total verblüfft, und dann wieder auf den Boden. Er trägt die gleichen Kleider, die er das letzte Mal anhatte, als Harry ihn gesehen hat: einen alten rot-goldenen Sweater von Harry, der an den Ärmeln schon ausgefranst ist. Dracos bleiche Finger lugen daraus hervor wie eine Reihe weißer Babyzähne. Die Farben sind zu intensiv, um schmeichelhaft zu sein: es sieht so aus, als würden sie alle Farbe aus seiner hellen Haut saugen, und das ärgerliche Rot, dass seine Wangen angenommen haben, sticht hervor, als sei er auf beide Wangen geschlagen worden. „Nein, das glaube ich dir nicht“, sagt er. „Was willst du von mir? So eine Art Schluss-mach-Ding? Es abschließen? Willst du sicher gehen, dass ich dich nicht wieder belästige?”

„Nein“, sagt Harry. „Und ich hab dir sogar was mitgebracht.“

Draco sieht kurz verwundert aus. „Was?“

Harry greift in seine Tasche und holt etwas heraus. Es ist eine Postkarte. Er gibt sie ihm, ohne etwas dazu zu sagen.

Draco starrt die Karte an. „Ist das eine deiner patentierten Harry Potter Schluss-mach-Gesten? Du gibst mir einfach eine Postkarte, auf der NEIN steht?“

„Nein“, sagt Harry.

Draco dreht die Karte um. „Ich verstehe. Es steht überhaupt nichts drauf. Du machst Schluss mit mir, indem du mir eine LEERE POSTKARTE gibst. Ich hasse dich, Potter, du bist echt ein Arsch.“

„Es ist das Gemälde”, sagt Harry hartnäckig. „Das aus dem Museum. Das eine, von dem du behauptet hast, es zeige die Überlegenheit der Natur über die beschränkten Fähigkeiten der Menschen, und von dem ich gesagt hab, es zeige die natürliche Rechtschaffenheit der Arbeiterklasse. Ich hab entschieden, dass du Recht hast. Es geht tatsächlich um die Überlegenheit der Natur.“

„Nein, darum geht’s nicht“, meldet sich Colin zu Wort. „Es stellt die Alte Welt der modernen Industrialisierung gegenüber.“

„Halt’s Maul, Colin“, sagt Harry, der seine Augen nicht von Draco abwendet.

Draco starrt die Karte ausdruckslos an, dann Harry, und der Ă„rger aus seinem Blick weicht Verwirrung. Es ist Harry klar, dass Draco nicht versteht, was Harry ihm mit dieser Geste zu sagen versucht und dass er Harry selbst wahrscheinlich auch nicht versteht und ihn vielleicht auch niemals verstehen wird, aber das ist nicht wichtig, weil Harry aus irgendeinem Grund den Eindruck hat, dass er sich fast selbst versteht, wenn Draco bei ihm ist.

„Komm mit zurück in die Wohnung”, sagt Harry.

Draco sieht ihn misstrauisch an. „Warum sollte ich?“

„Hör mal, ich weiß, dass du nicht gern im Wohnzimmer schläfst. Du hast nie was gesagt, aber ich weiß, dass du glaubst, dass ich dich nicht sehen will, wenn ich morgens aufwache.“

„So?”, fragt Draco, noch immer misstrauisch. „Und bitte sprich doch noch ein bisschen lauter. Es macht nur halb soviel Spaß, wenn nicht jeder hier in der Opiumhöhle über meine intimen Unsicherheiten unterrichtet wird.“

„Ich hab das geändert. Weißt du, jetzt können wir uns morgens sehen.”

Draco blinzelt. „Du meinst, ich darf in deinem Zimmer schlafen?“

„Na ja”, sagt Harry, “nicht ganz.”

„Ich frage mich, ob es wohl möglich wäre, dir mit dieser Postkarte den Kopf abzutrennen?“, überlegt Draco laut.

„Es wäre ein langwieriger und nicht sonderlich lohnender Prozess“, versichert ihm Harry. „Es wäre viel besser, wenn du einfach mit mir zurück kämst. Ich zeig dir, was ich gemacht hab. Und wenn es dir nicht gefällt, dann lass ich mir was anderes einfallen.“

„Noch was anderes, als mich in deinem Zimmer schlafen zu lassen?”, fragt Draco.

„Ich hab ein paar Probleme”, sagt Harry schlicht. „Wenn du mich liebst, dann musst du auch meine Probleme lieben.“

„Ich hab nie gesagt, dass ich dich liebe“, sagt Draco und er hebt den Blick, um Harry zum ersten Mal offen anzusehen.

„Ich weiß“, sagt Harry. Er geht einen Schritt auf Draco zu, der nicht zurückweicht, und macht etwas, was er noch nie zuvor getan hat. Er legt seine Arme um ihn, nicht um ihn näher heran zu ziehen, oder ihn gegen eine Wand zu drücken, oder ihn in seinen Schoß zu ziehen – einfach nur, um seine Arme um ihn zu haben. Es ist eine so ungewohnte Geste, dass es sich anfühlt, als würde Dracos Körper sich unter Harrys Händen neu formieren, bis er ebenfalls fremd wird. Er spürt seine Zerbrechlichkeit, die scharfen Schulterblätter, den Schlag seines Herzens, die zarten Wirbel, jede Erhebung seiner Wirbelsäule gegen die sanfte Berührung seiner Finger. Und obwohl er jeden Zentimeter dieses Körpers so oft berührt hat, ihn mit Händen und Lippen und Zähnen und Zunge erkundet hat, bleibt er doch unentdecktes Land unter seiner Berührung – oder vielleicht ist es auch wiederentdecktes Land. Harry fühlt sich, als hätte er etwas wiedergefunden, etwas, das immer schon ihm gehört hat, das er aber zurückgelassen hat, etwas, das jedes Mal, wenn er es findet, anders aussieht. Wie Kindheit, wie Magie: etwas, das er verloren hat, aber unendlich oft wiederfinden kann, etwas, das er weggestellt hatte, das ihn aber nie verlassen hat – denn ungeachtet dessen, ob er es wollte oder nicht, es war immer einzig und allein seines.

„Du stehst auf meinem Fuß”, sagt Draco.

„Tut mir Leid“, sagt Harry und will zurücktreten. Aber Draco lässt die Postkarte fallen und hält Harry an seinem T-Shirt fest. Harry lässt ihn und dreht sich ein wenig, so dass Draco ihn besser halten kann. Draco lehnt seinen Kopf an Harrys Schulter und er riecht nach süßem Opiumrauch, nach billiger, süßer Seife und nach ihm selbst. Sein Haar kitzelt Harrys Wange, so weich wie eine Pusteblume, und löst Niesreiz bei Harry aus. Harry schaut er sich in dem Raum um, schaut in die Gesichter der Fremden, die sie anstarren, an die Wände, von denen der Putz abblättert, auf den aufgerissenen Boden und die Asche, die zu ihren Füßen verstreut liegt. Dann umarmt er Draco noch fester und legt seinen Kopf auf Dracos Schulter, so dass sie ein geschlossenes System bilden, sie beide, da und doch nicht da, verloren in der Dunkelheit, die der kleine leere Raum zwischen ihnen ist.

Draco nickt, ganz leicht, eine so winzige Geste, dass Harry sie beinahe nicht wahrnimmt. „Okay“, sagt er. „Ich komme mit dir zurück.“

***


Sie gehen nebeneinander an den Kanälen entlang, halten sich dabei aber nicht an den Händen. Draco sieht nach drei Tagen in den selben Klamotten mitgenommen und müde aus, und in dem hellen Sonnenlicht erscheint er sechs Jahre jünger, als er ist. Er kaut auf seiner Unterlippe herum, nicht besorgt, nur gedankenverloren, und seine Augen schweifen in der Ferne.

„Weasley wird nicht sehr glücklich darüber sein, dass du mich gefunden hast”, sagt er, und bricht damit das Schweigen. Er fischt eine zerdrückte Schachtel Zigaretten aus seiner Tasche. Er reißt ein Streichholz an, zündet eine an und wirft das Hölzchen mit einer professionellen Bewegung aus dem Handgelenk weg so weit er kann.

Harrys Augen folgen dem Flugbogen und er fragt sich, wie so ein kleines Stückchen fliegendes Holz ihn an den Flug eines kleinen goldenen Balls erinnern kann, der durch die Luft schwirrt. Er fragt sich, warum er ausgerechnet jetzt wieder ans Fliegen denkt, und sagt: „Ich denke darüber nach, zurück nach Hause zu gehen, wie du es wolltest.“

Draco bleibt stehen und starrt ihn an. „Nach England?“

Harry nickt. Draco schaut ihn einfach nur an, zwischen einem Schritt und dem nächsten, und Harry beugt sich vor und küsst ihn sehr sanft auf den Mund, wobei er seine Hände in den Taschen behält. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass er ihn küsst, und es fühlt sich an, als mache er etwas sehr Genaues und Heikles; er bemisst den Kuss so sorgfältig, als wiege er Zutaten für einen Zaubertrank ab, bei dem er nicht sicher weiß, was dabei herauskommen wird. Draco jedoch fliegt weder in die Luft, noch explodiert sein Kopf, er legt nur die Ballen seiner Hand ganz leicht auf Harrys Schultern und erwidert den Kuss mit einer seltsamen, niedlichen Zurückhaltung, und als Harry zurückweicht, sagt er „Danke“. Und Harry weiß, dass er ihm nicht für den Kuss dankt, sondern dafür, dass Harry ihm gestattet hat, zärtlich zu sein.

„Tja”, sagt Harry. „Dann geht’s also zurück nach England, nehme ich an.”

Draco sieht ihn abschätzend an. „Versuch, nicht zu viel an einem Tag zu machen“, rät er ihm. „Du wirst dir noch was verrenken.“

Sie gehen gemeinsam weiter und nähern sich ihrer Nachbarschaft. Als sie um ihre Straßenecke biegen, bleiben sie stehen und starren geradeaus. Vor der Tür zu ihrer Wohnung stehen eine ganze Menge Leute. Harrys Augen fallen sofort auf Ron, der bleich neben einem gewaltigen Haufen Ziegelsteine steht. Er spricht, wild gestikulierend, mit einer Gruppe größerer Männer, die alle die schwarzen Umhänge des Ministeriums tragen. Als er nach oben schaut, erblickt Harry ein großes Loch in den Ziegeln am Dach, wo der Windschutz eingebrochen und auf den Bürgersteig herunter gekracht ist.

Dracos Mund steht so weit offen, dass seine Zigarette heraus gefallen ist und auf dem Boden zu seinen Füßen liegt, wo sie still und leise verglimmt. „Das Dach“, sagt er. „Es ist eingestürzt.“

„Gut beobachtet.” Harry schüttelt den Kopf. „Die schicken aber nicht das Ministerium, bloß weil einem die Decke auf den Kopf gefallen ist. Da steckt was anderes dahinter.“

Draco gibt einen gurgelnden Laut von sich und zeigt auf etwas. Harry folgt seinem Blick und verschluckt sich fast vor Schreck: unter den Ziegelsteinen ragt ein Arm hervor, genau zu Rons FĂĽĂźen. Der Arm ist in einen schwarzen Zaubererumhang gehĂĽllt und an seinem Ende liegt eine weiĂźe Hand ausgestreckt in einer BlutpfĂĽtze.

„Komm”, sagt Harry und geht weiter.

Draco bleibt noch einen Moment stehen. „Ich kann kein Blut sehen. Ich bin da empfindlich – als ich neun war sah ich mal, wie mein Vater einen Hauself getötet hat. Ich musste drei Wochen im Bett bleiben…“

„Los, komm schon”, sagt Harry noch einmal, und diesmal packt er den Jungen an seinem schmalen Handgelenk. Er zieht Draco hinter sich her zu Ron, der noch immer mit den Zauberern vom Ministerium spricht. „Jetzt hören Sie mal“, sagt Ron gerade, als Harry näher kommt. „Ich hab das nicht absichtlich getan, ich sag doch…“

„Hat er wirklich nicht”, geht Harry dazwischen. „Es war meine Schuld. Ich hab das Dach beschädigt.“

Die Reaktion auf dieses Geständnis ist nicht gerade die, die Harry erwartet hat. Der Zauberer, der am nächsten steht, schaut ihn an und ruft: „Harry Potter! Natürlich!“
Im nächsten Moment ist Harry umrundet von Leuten, die ihm gratulieren, auf die Schulter klopfen und ihn umarmen. Draco wird dadurch von ihm getrennt, was Harry mit dem Stoismus des wahrhaft Geplätteten erträgt. „Der Junge, der überlebt hat!“, brüllt der am nächsten stehende Zauberer voll in Harrys Ohr. „Harry Potter hat den Dunklen Lord vernichtet!“

„Entschuldigen Sie bitte?“, fragt Harry, aber keiner achtet mehr auf ihn, denn jetzt umarmen sich alle gegenseitig. Das alles erinnert Harry stark an den Tag, an dem die Belagerung geendet hat; es herrscht die selbe ausgelassene Feierlaune. „Ich hab was?“

„Voldemort getötet”, sagt Ron ein wenig pikiert von hinter ihm. „Das ist der Dunkle Lord, der da unter all den Ziegeln liegt.“

Harry starrt Ron an. „Du hast Voldemort mit Ziegeln gesteinigt?“

„Nicht absichtlich”, sagt Ron, und sieht verlegen aus. „Ich hab nur wieder mal Ziegel aus der Dachwand gezogen. Dann hat es unten an der Tür geklingelt, also hab ich mich über die Wand gelehnt, um zu sehen, wer es ist, und das ganze verdammte Ding ist einfach in sich zusammengekracht. Ich hatte Glück, das ich nicht mit runtergefallen bin.“

„Und es war VOLDEMORT?”, will Harry wissen.

„Voldemort hat AN DER TÜR geklingelt?“, fragt Draco.

Ron zuckt die Schultern. „Es handelt sich hierbei immerhin um den Typen, der mal versucht hat, Harry mit einem genialen Plan bestehend aus Portschlüsseln, einem Heckenlabyrinth, Vielsafttrank und Hauselfen umzubringen. Wenn du mich fragst, er hätte genauso gut versuchen können, Harry mit seiner eigenen Zahnbürste umzulegen. Vielleicht dachte er, so wäre es dramatischer.“

Draco sieht erschüttert aus. „Das Böse klingelt an der Tür”, sagt er. „Ich bin so enttäuscht von meiner Seite, dass ich es kaum aushalte.“

„Deine Seite?”, fragt Harry nach. „Voldemort war hier, um mich umzubringen!“

„Sorry“, sagt Draco. „Alte Gewohnheit.“

„Ich kann kaum glauben, dass ihn ein Haufen Ziegel wirklich um die Ecke bringen würde.” Harry stellt erstaunt fest, dass er leicht hoffnungsvoll klingt. „Vielleicht lebt er ja doch noch.“

„Nee”, sagt Ron. „Ich hab einen Avada Kedavra in die Ziegelsteine gefeuert, als ich runterkam, und sobald das Ministerium aufgetaucht ist, haben die alle auch noch mal draufgehalten, um ganz sicher zu gehen. Der ist echt hinüber.“

„Oh”, sagt Harry. “Das ist wirklich …” Er sucht nach Worten. “…unglaublich.”

„Nein, überhaupt nicht!”, brüllt der Zauberer neben ihm plötzlich. „Wir hatten immer Vertrauen in dich! Wir wussten, dass du den Dunklen Lord irgendwann besiegen würdest!“

„Aber ich war’s doch gar nicht“, sagt Harry und zeigt auf Ron. „Er war’s!“

Der Zauberer starrt Ron irritiert an. „Du hast ihn, dessen Name nicht genannt werden darf, getötet?“

Ron nickt und streicht sich nervös grinsend eine Strähne seines roten Haars aus den Augen.

„Aber ich dachte, Harry Potter hätte schwarze Haare”, sagt der Zauberer, und starrt Ron weiterhin an.

„Hat er auch“, sagt Ron. „Ich bin nicht Harry. Ich bin Ron Weasley.“

„Wie kannst du dann Voldemort getötet haben?”, fragt der Zauberer.

„Eh“, sagt Ron.

„Es ist nicht sehr schicklich, sich mit fremden Federn zu schmücken, weißt du?“, belehrt ihn der Zauberer und geht dann zurück zum Rest der Gruppe, die mittlerweile um den Ziegelhaufen herumstehen und mit brüchigen Stimmen „For Harry’s A Jolly Good Fellow“ singen.

Harry zieht Ron am Arm. „Komm”, sagt er zu seinem verwirrt dreinblickenden Freund. „Lass uns hier abhauen, bevor die Presse anrückt.“

Niemand versucht, sie aufzuhalten. Die Jungs gehen ein Stück weiter die Straße runter, bis das Singen in der Ferne verhallt. Ron lässt sich neben dem Kanal fallen und starrt hinunter ins Wasser. Harry kniet sich neben ihn und Draco setzt sich neben Harry. Er schwingt seine langen Beine über den Rand, so dass seine baumelnden Füße beinahe die Wasseroberfläche berühren.

So sitzen die drei für eine Weile schweigend da. Ron starrt immer noch still und fast ausdruckslos ins Wasser. Harry schaut seitlich auf Draco, der konzentriert Fäden aus dem Ärmel seines Sweaters zupft. Wenn er weiß, dass Harry ihn ansieht, dann lässt er es sich nicht anmerken, aber er lehnt sich an ihn und die Seite seines Arms und seiner Schulter fühlen sich warm auf Harrys Körper an.

In Harry kämpft Enttäuschung mit einem seltsam friedlichen Gefühl der Müdigkeit. Aber das ist okay, Harry kennt sich mittlerweile mit Enttäuschungen aus, er ist daran gewöhnt. Er denkt wieder an die Puzzleteile, die nicht passen wollten, und wie er, weil er es nie geschafft hat, das Puzzle so hinzubekommen, wie es aussehen sollte, die Teile stattdessen so zusammengesetzt hat, wie er wollte, gewagt, eins auf dem anderen, gestapelt zu großen,
einsturzgefährdeten Türmen, elegant arrangiert in Kreisen und Windungen und Rollen und Pfeilen, die auf Dinge zeigten, die nicht da waren. Zu dieser Zeit hatte er noch gedacht, dass es schlimm sei, dass er es nicht richtig machte – aber jetzt fragt er sich, ob es nicht vielleicht mehr als einen Weg gibt, etwas richtig zu machen.

„Tut mir Leid, Ron”, sagt Harry. „Das ist echt dumm gelaufen.“

Draco zieht wieder einen Faden aus seinem Sweater und wirft ihn weg. Der Wind erwischt ihn und trägt ihn hoch in die Luft, ein winziges, goldfarbenes Partikelchen im Flug. Er sieht zu, wie es davon fliegt, und Harry sieht ihm beim Zusehen zu und fragt sich, was er wohl denkt und ob er Draco jemals ansehen und wissen wird, was er denkt. Und ob es überhaupt wichtig ist, dass er es weiß. In diesem Moment, da der rot-goldene Faden sich über ihren Köpfen im Wind wiegt, reicht es schon, dass er sich diese Frage stellen kann.

„Harry”, sagt Ron endlich. Er starrt noch immer in den Kanal. „Es gibt da etwas, das ich dich fragen wollte.“

„Ja?“

„Was hat dich dazu veranlasst, mit einem Brecheisen ein Loch in die Wand zwischen deinem Schlafzimmer und dem Wohnzimmer zu schlagen?“

Dracos Kopf fährt herum und er schaut Harry erstaunt an. „Das hast du gemacht?“

Harry nickt. „Mh-hm.“

„Harry?”, sagt Ron wieder, in ziemlich klagendem Tonfall.

„Ich hab gedacht, eine Veränderung würde mir gut tun“, sagt Harry, so ernsthaft, wie er es kann ohne dabei lachen zu müssen. „Tut mir Leid.“

„Tja, da geht unsere Kaution dahin“, sagt Ron im Trauerton.

„Scheiß auf die Kaution“, sagt Harry, fast schon fröhlich.

In diesem Augenblick flitzt plötzlich etwas Goldenes am Rand seines Blickfeldes vorbei. Er spürt, wie seine Sucherreflexe in ihm aufflackern, wie ein nervöser Muskel, und er greift danach, schnappt etwas aus der Luft – und es stellt sich als der Faden heraus, den Draco hat fliegen lassen. Dann schlägt etwas gegen seine Hand, und er bemerkt, dass Draco gleichzeitig danach gegriffen hat.

Draco lässt seine Hand fallen. „Du musst immer gewinnen“, sagt er. „Oder, Harry?“

Harry sagt nichts. Er streckt seine Hand hoch und öffnet sie langsam, öffnet sie für die Elemente, und der Wind nimmt den winzigen Goldfaden aus seiner Handfläche und trägt ihn davon, über den Kanal, wo er langsam an Höhe verliert und dann ins Wasser fällt, wo Gold zu Silber wird.

Harry, der nicht sehen will, wie er untergeht, schlieĂźt die Augen.



*~*~*~*



A/N.: Ich habe mich entschieden, Rimbaud als Thema beizubehalten, daher ist der Titel wieder von einem Rimbaud-Gedicht entliehen. Es stammt aus den „Phrasen“, welche ein Teil der Gedichtsammlung „Illuminationen“ von Rimbaud sind. Hurra, schwule, depressive Dichter!

Das Gemälde im Museum ist “Die Kartoffelesser” von Van Gogh.


Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.

Zurück zur Übersicht

Twitter
HPXperts-Shop
Buch: Der Heckenritter von Westeros: Das Urteil der Sieben
Top-News
Suche
Updates
Samstag, 01.07.
Neue FF von SarahGranger
Freitag, 02.06.
Neue FF von Laurien87
Mittwoch, 24.05.
Neue FF von Lily Potter
Zitat
Der Tod ist in allen sieben BĂĽchern ein ganz bedeutendes Thema.
Joanne K. Rowling