von Minerva82
Zehn Minuten später saß sie an seinem Bett. So wie jeden Abend seit der Schlacht um Hogwarts und dem endgültigen Sieg über Voldemort. Sechs Tage, die ihr wie eine halbe Ewigkeit erschienen. Tage, die geprägt waren von tiefer alles erdrückender Trauer, von Abschied und den verzweifelten Versuchen Trost zu spenden und doch nichts weiter hervor zu bringen als leere Worte und hilflose Gesten. Wenn sie die Augen schloss, sah sie Remus und Tonks neben einander aufgebahrt, sah sie George Weasley vor dem Grab seines Bruders knien, die Hände in der frisch aufgehäuften Erde vergraben, hörte sie Molly Weasley haltlos schluchzen. Ruckartig öffnete sie die Augen wieder und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf reglose Gestalt in dem Krankenbett vor ihr.
Dünne schwarze Strähnen umrahmten eingefallene, bleiche Wangen. Ein dicker weißer Verband war um seinen Hals geschlungen, durchbrochen von einer Drainage, in der eine gelbliche Flüssigkeit träge vor sich hin sickerte. Die Hände langen reglos auf der steril-weißen Bettdecke. Hätte sich nicht sein Brustkorb beständig gehoben und gesenkt durch das Beatmungsgerät, man hätte den Mann für tot halten können.
„Oh, Severus...“, seufzte sie nun und legte ihre Hand auf die schmalen, kalten Finger.
„Wie soll das alles weitergehen...?“ Dann holte sie jedoch tief Luft, straffte sich und begann, wie jeden Abend, zu erzählen:
„Wir werden morgen mit dem Wiederaufbau des Schlosses beginnen. Ich denke, es wird für alle das Beste sein, möglichst schnell wieder in einen geregelten Alltag zurückzukehren. Pomona, Fidelius und Hagrid haben schon Pläne gemacht. Sogar die Zentauren haben ihre Hilfe angeboten. Sie werden die Trümmer von den Schlossgründen entfernen. Wer hätte das gedacht? Ach, und Drako ist heute in Hogwarts angekommen. Das Ministerium hat eingewilligt, ihn unserer Obhut zu übergeben. Aber allein die paar Tage in Askaban haben ihn gezeichnet. Es wird schwer für ihn werden, Severus. Gerade jetzt bedürfte er deiner Führung und Stütze. Du bist der einzige, der je zu ihm durchgedrungen ist. Hogwarts braucht dich. Ich...ich kann das alles nicht alleine tragen. Ich bin nicht wie Albus... Du musst gegen das Gift ankämpfen!“
„Das wird er.“ Sie schreckte hoch und blickte irritiert zur Tür.
„Es ist gut zu wissen, dass Severus nicht alleine ist.“ Entgeistert musterte sie den Mann, der soeben die Tür des Krankenzimmers hinter sich schloss. Er war mittelgroß, hatte graumeliertes leicht gewelltes Haar und war in einen braunen Reiseumhang gehüllt. Er legte seinen ebenfalls braunen Hut auf einem Beistelltisch ab und kam nun mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
„Professor McGonagall! Es ist schön, Sie nach all der Zeit wieder zu sehen.“
Sie betrachtete ihn immer noch verwirrt. Es lag etwas Vertrautes in seiner Stimme, aber sie konnte es beim besten Willen nicht einordnen. Der Mann schien mit ihrer Reaktion gerechnet zu haben und lächelte, wobei sich kleine Falten um seine Augen bildeten.
„Ja, es ist wirklich lange her und die Zeit ist nicht spurlos an mir vorüber gegangen.“, fuhr er fort.
„Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, das war auf dem Schulabschlussball meines Sohnes...“ Sein Blick wanderte nun von ihr hinüber zu dem Krankenbett. Da weiteten sich auf einmal die Augen der Hauslehrerin der Gryffindor, und Erkenntnis flackerte darin auf:
„Tobias Snape!?!“
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