von käfer
Der Himmel ist wieder blau. Am Morgen hat ein kräftiger Wind die letzten Wolken weggeblasen. Der Wirt des kleinen Dorfgasthofes meinte, es würde nun bestimmt eine ganze Woche schön warm werden.
Zwei, höchstens drei Tagesmärsche habe ich noch bis Hogsmeade. Ich werde mich in den „Drei Besen“ einquartieren und meine Bewerbung schreiben. Ob der alte Spinnett wohl immer noch der Wirt ist? Oder hat er seine „Drohung“ wahrgemacht und das Lokal verkauft? Nun, das werde ich bald herausfinden.
Ich habe mich so darauf versteift, in Hogwarts die Bibliothek zu übernehmen, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, was ich tue, falls ich die Stelle nicht bekomme. Die Anzeige im Tagespropheten war ja schon einige Wochen alt…
Bleibt noch die Bibliothek des Zaubereiministeriums, obwohl ich kaum Chancen habe, dort eingestellt zu werden, nur weil ich Bücher liebe. Ich habe keine Verwandten im Ministerium, die ein gutes Wort für mich einlegen könnten und ausgebildet bin ich als Lehrerin für Grundschulkinder. Das ist aber genau das, was ich nie wieder machen möchte: verwöhnten Gören reicher Eltern das Alphabet beibringen.
Mein Geld müsste ausreichen, um ohne Einkommen für ein, zwei Jahre zu Untermiete zu leben. Mehr als nur einmal habe ich in den letzten Tagen mit dem Gedanken gespielt, meine Reiseerlebnisse aufzuschreiben und als Buch herauszubringen. Wenn ich es als Fantasiegeschichte bezeichne, kann ich darin eine Hexe bleiben und es Muggelverlagen anbieten. Ob ich allerdings von dem Honorar leben kann, bleibt abzuwarten.
Vielleicht setze ich auch das in die Tat um, was ich John gegenüber als meinen Plan für die Zukunft angegeben habe und werde Buchbinderin. Ich kann das Wohn-Automobil von Onkel Zac herrichten lassen und damit durchs Land ziehen.
Die Sache mit dem Wohnmobil ist auch so eine Überlegung wert. Dann hätte ich ein Dach über dem Kopf und wäre gleichzeitig unabhängig. Egal was ich mache, schreiben könnte ich trotzdem.
Schade, dass ich mich von John getrennt habe mit der Verpflichtung, einander keinesfalls zu suchen. Er war ein angenehmer Weggefährte, am Tage wie in der Nacht. Dass er genau wie ich nicht ganz ehrlich war, was Reisegründe und Reiseroute betrifft, hat mich nicht gestört. Ihn hoffentlich auch nicht. Vielleicht, wenn ich das Buch wirklich schreibe und er sich darin wiedererkennt…
Wieso ist es auf einmal so dunkel, kalt und windig? Mir klappern ja schon die Zähne! Mit eiskalten Fingern hole ich meine Jacke aus dem Rucksack; ich bekomme kaum die Verschnürung auf.
Es ist alles sinnlos. Warum bin ich nicht gestorben? Ich bräuchte mich nie mehr herumzuplagen…
Verdammt, das sind doch Dementoren! Eins, zwei, drei…
Sie kommen auf mich zu. Die Kälte, die von ihnen ausgeht, lähmt Körper und Geist. Unter Aufbietung der letzten Kräfte gelange ich mit der rechten Hand an den Zauberstab, der im linken Ärmel steckt. Zorn übermannt mich, sobald ich den Stab zwischen meinen Fingern spüre, heißer Zorn. Und das ist gut so. Mein Arm mit dem Zauberstab peitscht durch die Luft, ich denke an die letzte Nacht mit John und schreie mit aller Kraft: „Expecto Patronum!“
Nun geschieht ein kleines Wunder: aus der Spitze meines Stabes springt ein blendend weißes Einhorn, während gleichzeitig am Boden das weiße Einhorn mit den smaragdgrünen Augen auf die Dementoren losgeht, das Horn gesenkt, den Schwanz gestreckt.
Beim Üben in der Schule entstanden immer nur Wölkchen und Kringel, nie ein körperlicher Patronus. Aber ich war auch nie in einer Situation, in der ich ernsthaft einen Patronus brauchte. Bis jetzt.
Die Dementoren verflüchtigen sich mit einem schauerlichen Schrei. Ich halte mir die Ohren zu, den Zauberstab fest in den Fingern. Endlich wird es wieder warm und hell; ich richte mich auf.
Mich überkommt ein derartiger Appetit auf Schokolade, dass ich ins nächste Dorf laufe – zum Glück ist eines in Sichtweite -, zwei Tafeln Schokolade kaufe und eine sofort aufesse.
Danach geht es mir besser, keine Spur mehr von Traurigkeit. Ich laufe in Richtung Hogsmeade und nehme meine Gedanken wieder auf. Egal, wofür ich mich entscheide, gleichgültig, ob ich allein bleibe oder wieder einen Mann finde, ich werde nie mehr zulassen, dass jemand so über mein Denken und Wollen bestimmt wie Patrick. Wenn ich eines gelernt habe, dann dies: selbst zurechtzukommen.
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