von käfer
Diese Welt wurde inspiriert durch verschiedenste Geschichten über Avalon, die Bewohnerinnen sind aber meiner eigenen Fantasie entsprungen.
Aus dem Schwarz wird rot.
Ich höre ein Geräusch, es klingt wie ein Teekessel und ist direkt in meinem Kopf.
Ich liege; der Untergrund ist hart und etwas piekt mich in die Seite.
Ich muss die Augen aufmachen, sehe grün und weiß. Grün vom Gras, weiß von meinem Kleid.
Ich liege auf etwas sehr hartem. Es bohrt sich in meine Seite, schmerzt.
In meinen Ohren ist ein hässliches Geräusch, es klingt wie ein Wasserkessel.
Mein Körper ist schwer wie Blei.
Lebe ich etwa immer noch? Habe ich diesen Mordssprung überlebt? Unverletzt? Mir tun alle Knochen weh, aber es ist alles ganz, einschließlich Zauberstab.
Ich stehe wieder auf einer grünen Wiese. Wiederholt sich jetzt alles?
Ich fürchte, ja. Dort ist der Torbogen und von einer fremden Kraft getrieben trete ich hindurch.
Ich schaue mich um. Es wiederholt sich anscheinend nicht. Es sieht alles anders aus, die Blumen fehlen. Die Wiese wirkt irgendwie künstlich, aber das Gras ist echt.
Es gibt keine Berge, nur einen einzigen, sanft ansteigenden Hügel. Hinter mir ist Wasser. Es riecht nicht nach Meer, eher nach Binnensee. Das andere Ufer kann ich nicht erkennen, es verschwindet im Nebel.
Zu meinen Füßen führt eine Spur den Hügel hinauf, wie ein Pfad, der schon ewig nicht mehr benutzt wird. Ohne es wirklich zu wollen, setze ich mich in Bewegung.
Als ich den Pfad halb hinaufgegangen bin, sehe ich die Spitzen einer massiven Palisade. Wo bin ich bloß gelandet? Das Paradies ist es jedenfalls nicht, es ist zu still. Nicht ein einziges Insekt summt, kein Vogel zwitschert, niemand singt, keiner lacht. Im Blumenland habe ich mich nach Stille gesehnt. Jetzt, wo ich sie habe, macht sie mir Angst.
Ich höre etwas quietschen und zucke zusammen. Was ist das?
Eine Gestalt kommt auf mich zu. Es ist eine junge Frau, sie trägt wie ich ein Brautkleid und schreitet daher wie eine Braut auf dem Weg zum Traualtar. Ich muss mir ein Grinsen verbeißen und spüre etwas, das ich längst vergessen glaubte: Belustigung. Das Kleid ist viel zu weit für die magere, knochige Gestalt. Das Mieder, gemacht, um Rundungen zu formen und zu betonen, zieht Falten. Die Spitze, die einen ordentlichen Busen umhüllen sollte, hat nichts zu umhüllen und der weite Ausschnitt lässt spitze Schlüsselbeine sehen. Der Rock ist über ein Drahtgestell gespannt, welches um zu schmale Hüften schlackert.
„Willkommen auf der Insel der Jungfrauen, neue Schwester.“
Insel der Jungfrauen? Schwester? - ???
„Komm mit!“
Meine Füße setzen sich in Bewegung, ich folge der Fremden.
Wir gehen lange und schweigend. Der Pfad windet sich über den Hügel und um Büsche und Bäume. Doch er ist immer so breit, dass meine Führerin mit ihrem breiten Rock mühelos gehen kann.
Die Palisaden kommen näher. Quietschend öffnet sich eine Pforte. Auch sie ist breit genug für die Krinoline. Meine Führerin zieht die Pforte wieder zu und legt drei Riegel vor, dann winkt sie mich weiter.
Innerhalb der Palisaden ist es flacher und der Pfad windet sich noch mehr. Es ist unnatürlich still.
Eine letzte Biegung noch, dann trete ich auf einen größeren Platz und erstarre. Vor mir stehen gut und gerne zwanzig weißgekleidete Frauen im Halbkreis. Die Szene erinnert mich an Debütantinnen vor einem Opernball und erscheint unwirklich. Die Frauen gleichen sich, ich weiß schon nicht mehr, welche von ihnen mich hergebracht hat. Nur die eine, die genau in der Mitte steht, unterscheidet sich von allen anderen. Sie ist als einzige ziemlich wohlgenährt und ihr Kleid ähnelt mehr der Robe einer Nonne als einem Brautkleid.
Ist sie die Chefin hier? Jedenfalls fängt sie an, mir eine Rede zu halten; doch die rauscht an mir vorbei. Nur ein paar Fetzen haken sich in meinem Gehirn fest:
„… Vorteile des jungfräulichen Daseins…“ und „… glücklicher leben ohne Männer…“
„Vorteile des jungfräulichen Daseins“ – nun, Jungfrau bin ich schon lange nicht mehr. Wir waren siebzehn, als wir das erste Mal miteinander geschlafen haben. Eines Samstagabends versteckten wir uns mit einer Flasche Elfenwein im Wahrsagekabinett – dort gab es ausreichend Kissen und Decken und wir wussten, dass die Lehrerin übers Wochenende weggefahren war. Wir wollten es beide und wussten, wie es ging – theoretisch. Aber weder Patrick noch ich hatten auch nur einen Funken Ahnung von der „Praxis“. Es tat nicht weh, wie ich das hier und da gehört hatte, aber ich hatte auch keinen Höhepunkt, geriet nicht in Ektase oder so. Schön war es trotzdem und wir hatten noch viel Gelegenheit zum Üben; später hätte man mit Beschreibungen unserer Liebesspiele ein ganzes unanständiges Buch füllen können. Die Erinnerung daran treibt mir die Tränen in die Augen.
Ohne Patrick werde ich nie mehr glücklich sein.
Zwei der weißen Mädchen führen mich in ihr Haus. Sie stellen sich als Ada und Ida vor, Ada sagt: „Wir sind deine Freundinnen.“
Das geht mir alles zu schnell, außerdem brauche ich keine Freundinnen. Ich würde auch lieber allein in eins der leerstehenden Häuschen ziehen, damit ich ungestört bleibe und aus dem Leben verschwinden kann, sobald ich einen Weg dazu gefunden habe. Doch die Anweisung von Marga war eindeutig: Ich muss mit Ada und Ida zusammenleben. „Drei Jungfrauen gehören in jedes Haus, das bietet Sicherheit vor den Männern.“
Ich habe mir das alles schweigend angehört, versuche die ganze Zeit, mir einen Reim darauf zu machen und vor allem frage ich mich, warum ich nicht auf den spitzen Steinen am Fuß der Klippen aufgeschlagen bin. Wo bei Merlins Bartspitze bin ich jetzt gelandet?
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