von käfer
Vorab: Vielen Dank an psimo_de für den Kommi! Habe die beiden Kapitel gleich noch mal hochgeladen. Nun muss mir nur jemand verraten, was da passiert war - in der Vorschau sah alles richtig aus und in meinem Word-Dokument sind diese ganzen kryptischen Zeichenketten ganz normale Satzzeichen...
Was tue ich hier noch?
Jeden Morgen wache ich auf mit dem festen Vorsatz, endlich von den Klippen zu springen. Ich gehe los, doch sobald ich auf dem Pfad bin, der aus dem Dorf hinaus führt, werden meine Glieder träge und die Füße schwer wie Blei. Schließlich habe ich das Gefühl, gegen eine Wand aus Gummi zu laufen, Panik befällt mich und der Wunsch wird übermächtig, in die Sicherheit des Dorfes zurückzukehren. Doch welche Sicherheit, welches Leben ist das? Alles ist oberflächlich und leer. Die Leute hier – und ich mitten unter ihnen – leben vor sich hin in glückseliger Sorglosigkeit, aber ohne jegliches tieferes Gefühl. Sie sind nett zueinander, weil sie schon immer nett waren. Sie arbeiten zusammen, weil sie es schon immer so gemacht haben. Sie sitzen zusammen und reden, aber sie besprechen nichts. Sie denken, aber sie machen sich keine Gedanken.
Alles war schon immer so und wird ewig so bleiben. Sie haben keine Sehnsüchte, keine Wünsche, keinen Antrieb. Wozu auch? Es ist alles gut, so wie es ist.
Ich habe versucht, wenigstens den Kindern ein paar Sachen beizubringen, aber sie haben keinen Ehrgeiz, neues zu lernen. Wozu? ist das Wort, das ich am häufigsten höre. Wozu? frage ich mich jeden Morgen beim Erwachen. Wozu?, wenn ich wieder einmal zurückgerannt bin und keuchend in meinem Zimmer stehe. Wenn die Panik weicht, kommt der Frust, weil ich es wieder nicht geschafft habe. Jeden Tag aufs Neue.
Die Menschen legen auf den Gräbern ihrer Angehörigen Blumenbeete an. Es gibt keine Grabsteine, keine Kreuze, nichts. Sie scheinen auch keiner Religion anzuhängen. Andere Länder, andere Sitten, habe ich gedacht. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob es wirklich nur andere Sitten sind. Die Menschen haben keine Emotionen. Sie hassen nicht, sie lieben nicht, sie trauern nicht. Sie sind freundlich, lieb und nett, lachen, singen und tanzen miteinander, sie wohnen in einer engen Gemeinschaft und doch leben sie nebeneinander her. Zwei Häuser weiter hat ein alter Mann gewohnt, zusammen mit mehreren jüngeren Leuten, von denen ich vermute, dass sie Verwandte von ihm sind. Aber erst, als aus dem Zimmer komischer Geruch drang, hat mal jemand nachgesehen und den Toten gefunden. Drei Stunden später war das Blumenbeet auf seinem Grab fertig, das Zimmer leer und sauber und der Sohn des Mannes tanzte und lachte mit den anderen am Dorfrand. Ich kann weder lachen noch tanzen, weil ich dauernd an Patrick denken muss und weinen möchte.
„Was ist eigentlich mit dir los?“, spricht mich eine Frau an, die Kinderkleider zum Ausbessern bringt. „Warum tanzt du nicht mit uns? Du lachst auch nie.“
„Ich bin traurig“, antworte ich halb gegen meinen Willen.
„Trau-rig? Warum? Hier ist es doch schön.“
„Ich habe meinen Mann verloren. Er ist vor meinen Augen umgebracht worden.“
„Um-ge-bracht?“ Ihre Augen werden groß. „Was ist das?“
„Jemand hat ihn tot gemacht und ich stand daneben, als es passierte.“ Ich muss schlucken, meine Augen füllen sich mit Tränen.
„Ach so. Du brauchst einen Mann. Aber das ist doch nichts Schlimmes. Du suchst dir einfach einen aus und fragst ihn. Was ist daran so schwer?“
Ich schreie und renne nach draußen. Ich renne, entsetzt und wütend. Ich renne, spüre den Widerstand. Aber das Entsetzen über die Gleichgültigkeit ist größer, ich renne, bis ich am Abgrund angekommen bin. Ohne zu zögern renne ich weiter und stürze ins Leere.
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