von SynthiaSeverin
Weich war der Rasen, wie frisch gesät in aufgeschütteter Erde. Zum Ufer hin beugten sich die Halme. Der Wind zog Kräuselwellen über den See, verlor sich flüsternd im Gras. Ein Hauch nur, eine Sommerbrise. Viel zu warm für die herannahende Nacht. Noch war es nicht ganz dunkel. Noch hing ein Streifen Rot am Horizont wie eine klaffende Wunde oder – das letzte Feuer einer verlorenen Schlacht? Die Welt stand still. Still, als könne sie sich nicht entscheiden. Tag oder Nacht? Nacht oder Tag? Durch das satte Laub der Bäume fiel kläglich graues Licht. Dämmerlicht. Licht des Dazwischen, das nicht wusste, ob es dem Mond oder der Sonne gehörte. Kaum berührte der Schein die farblose Gestalt, die ohne eine Regung unter den Bäumen stand und ihr Gesicht für einen Augenblick gen Himmel hob. Hin zur blutigen Röte des Firmaments. Und gleich der Wellen auf dem See bewegten sich die Muskeln in dem blassen, hakennasigen Gesicht mit den dunklen, feuchten Augen. Erst ein Ausdruck tiefen Schmerzes, als wäre das Rot des Himmels ihr selbst ins Fleisch geschnitten worden, dann Skepsis. Die langfingrige Hand unter der schwarzen Robe ruhte noch immer auf dem gleichen Fleck. Jenem erkalteten Fleck, der am Tag doch so geglüht, so geleuchtet hatte, nun nur noch ein fahles, nebliges Schimmern war. Marmor, ein Abglanz des Lichtes. Marmor, so breit, so lang, so hoch, dass ein Mensch unter der steinernen Decke ruhen konnte und tatsächlich ruhte. Das Grabmal, marmorweiß, trotzte – unglaublich - noch immer der schleichenden Finsternis wie ein Fels im brandenden Meer. Die Finger darauf tasteten in Feuchtigkeit. Salzige Feuchtigkeit, über die Platte gesprenkelt. Eine Geschichte zu Tropfen zerflossen. So viel zu erzählen, das nie ausgesprochen worden war. Doch die langsam trocknenden Augen blickten jetzt nicht hinab auf dieses Trauermeer. Sie schauten nachdenklich hinauf zum Horizont, zu jenem letzten, feurigen Schimmer. Dort oben, direkt hinter dem verwaisten Turm, vom dem längst verklungener Vogelsang herab zu wehen schien. Und eine Frage spiegelte sich in dem morgenblassen Gesicht mit dem nachtschwarzen Haar. Eine Frage, die die ganze Welt zu wispern schien: Entflammte das Licht dort oben auf oder erlosch es? Stille. Kein Wort. Nur der Wind strich flüsternd übers Ufergras. Und durch die Zweige fiel ein grauer Schein auf die farblose Gestalt: Dämmerlicht.
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