von Gipsy
Nervös beobachtete Hermine die anderen Studenten. Niemand schien überrascht, dass Professor Merrythought die Tische und Stühle mit Magie zur Seite gerückt und dann eine Duellbühne in der Mitte des Raumes erschaffen hatte. Mit fragendem Blick wandte sie sich an Abraxas, der neben ihr stand.
„Ab dem fünften Jahr macht sie das immer. Ein kleiner Test am Anfang des Schuljahres, um die Stärke ihrer Schüler im Duell herauszufinden“, erklärte er, „wir werden vermutlich wieder in dieselben Paare wie letztes Jahr eingeteilt und je nach dem, ob wir immer noch gleichstark sind, werden wir wieder für den Rest des Jahres in diesen Paaren zusammen arbeiten.“
„Und was ist mit mir?“, hakte sie nach. Ihr schauderte bei dem Gedanken, vor allen und insbesondere vor Tom Riddle ihre Duellierkünste zeigen zu müssen. Ihr war nur zu bewusst, dass sie durch ihre Erfahrungen im Krieg und durch das, was Harry ihnen in ihren heimlichen Lehrstunden im fünften Jahr beigebracht hatte, deutlich mächtiger war als es eine normale Schülerin sein sollte. Der Gedanke, dass sie damit erneut Riddles Aufmerksamkeit wecken könnte, behagte ihr nicht.
„Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Warten wir es einfach ab“, flüsterte Abraxas leise, als Professor Merrythought die Bühne betrat.
„Meine Lieben, ihr wisst ja alle, was nun folgt!“, begann sie eine Ansprache, „Bitte stellt euch in den Paaren zusammen, in denen ihr im letzten Jahr auch zusammen gearbeitet habt. Ihr werdet euch wieder duellieren und wenn eure Stärke noch immer etwa gleich groß ist, werdet ihr weiterhin zusammen arbeiten.“
Aus den Augenwinkeln registrierte Hermine, wie Tom Riddle die Hand hob. Nach einem auffordernden Nicken sagte er: „Professor, ich habe im letzten Jahr mit Abraxas und Rufus zusammen gearbeitet, weil wir eine ungerade Anzahl von Schülern hatten. Mit Miss Dumbledore hier hat sich das nun geändert. Ich würde ihr gerne persönlich die Chance geben, sich zu beweisen, und, falls wir uns ebenbürtig sind, mit ihr zusammenarbeiten.“
Bei diesen Worten wurde Hermine schlagartig kalkweiß. Der Blick, den Riddle ihr zuwarf, sprach Bände: Er hatte ihre Aussage am Frühstückstisch, dass sie sich nicht für unterlegen hielt, nicht vergessen und wollte diese Gelegenheit nutzen, um sie in die Schranken zu weisen. Sicher würde er doch keine verbotenen Zaubersprüche gegen sie anwenden?
„Ein sehr guter Gedanke, Mr. Riddle, aber Ihre Dreiergruppe war die stärkste im letzten Jahr, vielleicht findet sich ein passenderer Partner für Miss Dumbledore?“
„Oh, ich denke, ich bin völlig angemessen“, widersprach jener, „Miss Dumbledore hat in den übrigen Schulstunden bisher recht viel Talent bewiesen, ich bin sicher, sie wird nicht vollkommen untergehen.“
Zweifelnd schaute die Professorin Hermine an, doch da sie keine weitere Verzögerung wünschte, nickte sie schließlich. Ein Zittern erfasste diese. Sie hatte keine Ahnung, wie stark Voldemort in seiner Schulzeit gewesen war – sicherlich aber war er stärker als alle anderen hier. Soll ich all mein Können zeigen? Falls Voldemort auffällt, dass ich besser bin als üblich, wird er mich dann nicht nur noch mehr belästigen? Ist es nicht besser, wenn er mich unterschätzt?
Doch noch während Hermine diesen Gedanken hatte, spürte sie innerlich schon, wie ihr Ehrgeiz dagegen protestierte. Sie war zu stolz, um jemals zuzulassen, dass sie nicht alles gab, sich nicht bis zum letzten anstrengte. Es widerstrebte einfach ihrer Natur. Ein grimmiges Lächeln erschien auf ihren Lippen: Schön. Vielleicht erleben wir ja heute alle eine Überraschung. Vielleicht ist Tom Riddle ja noch gar nicht so stark. Mit Voldemort kann ich es nicht aufnehmen, aber Riddle ist nur ein siebzehnjähriger Junge. Ich bin achtzehn. Ich habe einen Krieg hinter mir. Ich weiß, was es heißt, auf Leben und Tod zu kämpfen – und das habe ich ihm voraus!
„Hermine?“
Das Flüstern von Abraxas an ihrer Seite riss sie aus ihren Gedanken: „Bitte?“
„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt, „Du bist eben ganz weiß geworden, als Tom seinen Vorschlag gemacht hat. Und jetzt lächelst du, dass einem das Blut in den Adern gefrieren könnte.“
„Ich danke dir für deine Sorge“, erwiderte sie warm, „aber mir geht es gut. Ich habe lediglich nicht vor, Tom Riddle für seine überheblichen Worte am Frühstückstisch so leicht davon kommen zu lassen. Er nimmt mich nicht ernst. Und ich werde ihm zeigen, dass er das tun sollte.“
Zweifelnd schaute Abraxas sie an, doch er sagte nicht mehr dazu. Ein Blick auf seinen Freund zeigte ihm, dass auch Tom sich offensichtlich auf das Kräftemessen freute. Er gab es nur ungerne zu, doch als er im fünften Jahr gegen Tom gekämpft hatte, war er ihm unterlegen gewesen. Und all seine Anstrengungen, dies im Laufe des Schuljahres aufzuholen, hatten sich zu Beginn des sechsten Jahres als fruchtlos erwiesen: Wenn überhaupt, hatte Tom ihn nur noch schneller besiegt. Abraxas bezweifelte, dass irgendein Schüler sich mit Tom messen konnte, geschweige denn ein Mädchen. Nicht, dass er Hermine für dumm hielt, aber Frauen waren einfach nicht so hart im Nehmen wie Männer – und nur darauf kam es im Duell an.
Gelangweilt beobachtete Hermine, wie sich Paar um Paar auf der Bühne einfand und duellierte. Bei den ersten Duellen hatte sie noch interessiert hingeschaut, doch schnell war ihr aufgegangen, dass diese Kinder ihr tatsächlich alle unterlegen waren. Wenn wir nicht mit einem auferstandenen Voldemort zu tun gehabt hätten, wäre ich vermutlich auch nicht besser als die alle hier. Für Harry, Ron und mich war es einfach überlebenswichtig, dass wir starke Kämpfer waren. Es gibt für keinen der Schüler hier eine akute Bedrohung. Man spürt es förmlich an jedem Fluch, an jeder Abwehr, dass sie sich immer die Zeit lassen, darüber nachzudenken, was gerade angemessen ist, was stilvoll wirkt, wie die Bewegungen auszusehen haben.
Als sich die Stunde schließlich dem Ende näherte es und endlich sie dran war, meinte Hermine, vor nervöser Energie zu vibrieren. Sie würde jetzt dem künftigen Dunklen Lord gegenüber treten, würde seine Stärke kennen lernen und einschätzen können, ob sie ihm gewachsen war. Eine leise Stimme in ihr bezichtigte sie erneut der Todessehnsucht, doch der viel größere Teil schrie in Triumph auf, diesem eingebildeten Jungen zeigen zu können, dass sie, die eigentlich ein Schlammblut war, deutlich besser als normal war.
„Auf mein Zeichen!“, rief Professor Merrythought zum gefühlten hundertsten Mal in dieser Stunde, dann ließ sie Funken aus ihrem Zauberstab sprühen. Ohne einen Wimpernschlag abzuwarten, sandte Hermine einen Tarantallegra gegen ihren Gegner. Offensichtlich überrascht von ihrer Schnelligkeit blieb Riddle keine Zeit auszuweichen, so dass der Spruch traf und seine Beine unkontrolliert anfingen zu tanzen. Unter höchster Konzentration befreite er sich von dem Zauberspruch, ehe er ihr einen finsteren Blick zu warf.
„Ich habe Ihre Schnelligkeit mit dem Zauberstab erneut unterschätzt, Miss Dumbledore“, zischte er, „das wird mir kein drittes Mal passieren.“
Mit diesen Worten schleuderte er ihr einen lautlosen Spruch entgegen. Sie hatte keine Zeit zu analysieren, was es sein könnte, stattdessen baute sie ein einfaches Schild auf und blockte ihn ab. Lautlose Flüche also, mh? Das kann ich auch!, dachte sie grimmig. Mit aufeinander gepressten Lippen und peitschendem Stab schickte sie einen Stupor und einen weiteren Tarantallegra los. Sie hörte deutlich das schockierte Gemurmel, als die Klasse um sie herum feststellte, dass auch sie in der Lage war, lautlose Zaubersprüche auszuführen. Breitbeinig, ihren linken Arm zur besseren Balance in die Luft gestreckt, führte sie Schlag um Schlag gegen Riddle, ohne sich viel zu bewegen. Er wiederum blieb ebenso regungslos, auch bei ihm bewegte sich nur der Arm mit dem Zauberstab in der Hand, doch Hermine konnte sehen, dass er mit jedem verpassten Spruch genervter wurde.
Immer schneller wurden die Bewegungen seiner Hand und langsam spürte Hermine, dass sie an ihre Grenzen kam. Sie hatte keine Ahnung, was er ihr da alles entgegen schleuderte, doch die Angst, dass etwas wirklich Böses dabei sein könnte, trieb sie zu gleicher Geschwindigkeit an. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, doch Hermine scherte sich nicht darum, dass sie vermutlich inzwischen nicht mehr damenhaft aussah. Alles in ihr schrie danach, den Jungen vor ihr zu besiegen.
Plötzlich brannte ihr linkes Auge, und ehe Hermine registrieren konnte, dass es kein Fluch war, der getroffen hatte, sondern ihr eigener Schweiß, hatte sie schon reflexartig beide Augen zusammen gekniffen. Das nächste, was sie spürte, war das vertraute Gefühl eines der ersten Duellzauber, die sie je gelernt hatte: Ein überaus mächtiger Everte Statum traf sie mitten gegen die Brust, riss sie von den Füßen und schleuderte sie von der Bühne.
Stöhnend öffnete Hermine die Augen wieder, nur um in das finstere Lächeln von Tom Riddle zu schauen: „Sie sind mir nicht gewachsen, Miss Dumbledore. Und ich rate Ihnen, dass Sie das in Zukunft niemals vergessen werden.“
Er hatte ihr diese Worte so leise ins Ohr geflüstert, dass von den Umstehenden keiner etwas mitbekommen hatte. Ehe sie zu einer scharfen Erwiderung ansetzen konnte, reichte er ihr die Hand und half ihr auf die Beine zurück.
„Es tut mir furchtbar leid, dass ich Ihnen so zugesetzt habe, Miss Dumbledore!“, sagte er laut in seinem unschuldigsten Tonfall, „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie diesen Zauber nicht abblocken würden.“
Zitternd vor Wut riss Hermine ihre Hand aus der seinen, doch anstatt all die Beleidigungen, die ihr auf der Zunge lagen, heraus zu lassen, nickte sie nur und drehte sich zu Abraxas um.
„Das war wirklich beeindruckend, Mr. Riddle, Miss Dumbledore!“, kam es da lobend von Professor Merrythought, „Wahrlich, so ein schönes Duell habe ich in Hogwarts noch nie gesehen. Zehn Punkte für Slytherin! Und Sie hatten ganz Recht, Mr. Riddle, unsere neue Schülerin scheint wirklich von ganz außergewöhnlichem Talent zu sein. Sie werden ein gutes Paar abgeben dieses Jahr!“
Schaudernd griff Hermine nach dem Arm ihres blonden Freundes und hakte sich unter. Sie hatte es nicht geschafft, Riddle zu besiegen. Schon jetzt war sie ihm nicht gewachsen. Und zu allem Überfluss würde sie nun noch mehr Zeit mit ihm verbringen müssen. Fürsorglich hob Abraxas Hermines Tasche vom Boden, um sie für seine neue Freundin zu tragen.
Der kalte, kalkulierende Blick, mit dem Tom Riddle Hermine beim Verlassen des Klassenraumes bedachte, entging beiden.
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