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Fanfiction

Mud and Blood - Drei Seiten

von Dr. S

Zitternd, wie am kältesten Tag im Jahr, saß Lily auf dem Balkon. Rechts und links hockten steinerne Wasserspeier auf dem Geländer und hatten ihr den Rücken zugedreht, starrten wachsam hinaus auf die finsteren Ländereien und behielten die beleuchteten Fenster in den Schlosstürmen im Blick. Ein eisiger Wind schlug ihr entgegen und brachte James‘ Umhang zum Flattern, als würde er ihn wegreißen wollen. Lily hielt ihn fester und nahm sich mit angezogenen Knien selbst in den Arm.

Sie hatte gedacht, die Luft würde ihr gut tun. Ihre Lungen fühlten sich wie mit dicken Seilen eingeschnürt an. Jeder Atemzug schmerzte bis in ihre Brust und presste hohe, aber leise Schluchzer aus ihrer Kehle. Die Tränen standen in ihren Augenwinkeln.

Genau hier, auf diesem Balkon, hatte sie vor gar nicht so langer Zeit Regulus und Sirius reden gehört. Sie erinnerte sich genau, wie Regulus den Vorschlag gemacht hatte, dass sie seine Eltern doch bei einem Essen davon überzeugen könnte, dass sie nicht so schlecht war. Schon damals ein naiver Vorschlag, aber wie naiv, war ihr erst jetzt klar geworden. Wahrscheinlich genauso brutal, wie Regulus selbst.

Lily rieb mit dem Handrücken über ihre Augen. Hier draußen hatte sie nichts, das sie davon ablenken konnte, über alles nachzudenken, was im Krankenflügel passiert war. Auch wenn es so viel und unbezwingbar wie ein monströser Berg in der Ferne schien.

Regulus‘ Eltern hassten sie wirklich. So sehr, dass sie anfangen würden ihren eigenen Sohn zu hassen. So sehr, dass alleine der Gedanke seinem Vater aufs Herz schlug.

Sowas hatte sie nicht gewollt. Sie hatte nie einen Keil zwischen Regulus und seine Eltern treiben wollen, auch wenn sie wenig auf seine Mutter oder seinen Vater geben konnte. Und am wenigsten hatte sie Mr. Black solche Schmerzen gewünscht. Sie hatte sein aschfahles Gesicht vor Augen, als würde er wieder vor ihr stehen und sich kaum auf den Beinen halten können; die trüben Augen, die desorientiert nach Halt suchten, der Schweiß, der über seine angegrauten Schläfen rann. Regulus hatte ausgesprochen, worüber sie nicht nachdenken wollte. „Siehst du nicht, was wir getan haben?“ Sie hörte seine Stimme wieder und wieder diese Worte aussprechen.

Lily presste sich die Hände gegen die Ohren. Die Stimme ließ sich nicht ausschließen, sondern hallte wie ein Echo in ihrem Kopf nach. Sie hatte Regulus nie so mit ihr sprechen hören. Es machte ihr Angst. Sie zitterte nicht wegen der Kälte oder dem Wind, der unter ihre Roben wollte, sondern aus Angst.

Er konnte ihr das nicht übelnehmen. Das konnte er nicht…

Lily kämpfte blinzelnd gegen die Tränen an, aber immer wieder bahnte eine sich ihren Weg aus ihren Augen und rollte über ihre Wange, wurde sofort vom Wind in ihre Haare getrieben.

Sie hasste es hier zu sitzen, aber es war besser, als sich oben in ihrem Schlafsaal zu verkriechen, der so viel weiter weg war. Der Gedanke, dass sie Regulus ausgerechnet jetzt alleine ließ, trieb nur mehr Tränen in ihre Augen. Sie wollte bei ihm sein. Sie sollte bei ihm sein. Nicht nur, falls er sich in den Kopf setzte, dass sie für den Zustand seines Vaters verantwortlich waren.

Natürlich war er besorgt um seinen Vater und deswegen hatte er diese Dinge gesagt. Sie glaubte ihm lieber, was er davor gesagt hatte. Der Kontrast war so groß, dass es in ihrer Erinnerung unwirklich und verfälscht schien. Wie der Schwarze See, der auch bei strahlendem Sonnenschein undurchdringbar dunkel wirkte.

Aber er hatte es gesagt, und sie war sich nie sicherer gewesen, was er für sie empfand. Wären sie nicht umringt von hasserfüllten und unerwünschten Blicken gewesen, hätte sie ihm genau dort gesagt, dass sie ihn liebte. Weil sie genau das tat. Es war ihr nie klarer gewesen, als ausgerechnet jetzt, wo sie alleine und mit tränenverhangenem Blick hier saß.

Sie dachte an das Mal auf Regulus‘ Arm und nichts änderte sich. Vielleicht hatte sie ohne Erklärungen gehen müssen und hing in einer beängstigenden Schwebe, aber es war ihr egal. Sie hatte jedes Wort zu Regulus ernst gemeint. Noch einmal würde sie ihn mit seinen Problemen nicht alleine lassen.

Die Tränen fielen auf ihren Handrücken. Sie wischte nicht schnell genug gegen sie an, um sie zu stoppen. Ihre Finger und Wangen blieben feucht zurück und der Wind attackierte sie gnadenlos, tauchte sie in eine unbarmherzige Kälte.

Das Mal auf Regulus‘ Arm. Er hatte es vor ihr versteckt und sie hatte es ihn verstecken lassen. Sie hatte ihm mit ihrer Angst nachzufragen so viel Kummer bereitet.

Lily schluchzte leise auf, als sie Schritte hörte. Sie presste sich eine Hand gegen den Mund und lauschte angestrengt auf die Geräusche von einem Paar Füße, das näherkam. Ihre andere Hand wanderte in die Umhangtasche auf der Suche nach ihrem Zauberstab – dann ertastete sie etwas rundes, kühles. Sie zog einen goldenen Schnatz heraus und drehte ihn verwirrt in der Hand. Seine Flügel waren in dem goldenen Ball versteckt. Er regte sich nicht und unternahm keinen Versuch ihr zu entkommen. Sie hatte vergessen, dass sie James‘ Umhang immer noch trug.

Lily steckte den Schnatz wieder ein und wühlte sich unter James‘ Umhang zu ihrem eigenen, ertastete dort ihren Zauberstab. Sie zog ihn nicht, war aber bereit dazu.

Ein Schatten schob sich neben ihr aus dem Durchgang. Lily schaute hoch und direkt in Severus‘ schwarze Augen. Er hielt ihr ein zerknülltes Taschentuch hin, in dessen Falten einige Krümel hingen. Sie wusste, dass es nicht benutzt war, auch wenn es so aussah, nahm es aber nicht. Lily würde nie wieder etwas von Severus annehmen, nicht einmal Trost.

„Ich dachte, du würdest an Blacks Seite wachen und sein Aua wegpusten“, sagte er grimmig und streckte ihr das Taschentuch weiter entgegen.

Lily wandte sich ab und wischte die Tränen mit James‘ Ärmel von ihren Wangen. „Er hat sich schwer verletzt, Severus. Das ist nicht lustig.“

„Jeder hat sich prima darüber amüsiert, als ich vom Besen gefallen bin“, presste Severus hervor, „aber wenn Black fällt, ist es natürlich ein Drama. Weinst du, weil sein hübsches Gesicht sich verabschiedet hat? Das ist auch das Einzige, was sich an ihm ertragen lässt.“

„Severus, halt den Mund“, platzte es aus Lily heraus.

Severus senkte die Hand mit dem Taschentuch. Er wirkte erst geschockt, dann schaute er etwas betreten zur Seite.

„Bist du nur hier, um herablassend zu sein?“, fragte Lily.

„Es gefällt mir nicht, wenn du weinst. Das passt nicht zu dir“, sagte Severus und ließ das wie einen Vorwurf klingen.

Lily schluckte gegen das Kratzen in ihrer Stimme an. „Was hast du hier gemacht?“

„Ich war in der Nähe und –“

„Ich weiß, wo deine Patrouille verläuft, Severus. Ich habe sie dir aufgetragen“, sagte Lily und schaute ihn forschend an. „Bist du mir gefolgt?“

Severus presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, ein eindeutiges Geständnis. Er ließ sich Zeit mit seiner Rechtfertigung, aber Lily ließ ihn auch nicht mit tränenden Augen aus dem Blick.

„Ich hab gehört, dass du im Krankenflügel bist“, sagte er widerwillig. „Ich wollte sichergehen, ob es wegen dir ist oder weil Black sich bemuttern lassen muss. Du bist nicht seine Mummy, weißt du?“

„Du wolltest sichergehen? Und ich dachte, Mulciber hätte dir seine Erlebnisse noch heiß serviert“, sagte Lily kühl und beobachtete, wie Severus‘ Augen sich leicht weiteten. „Professor McGonagall hat mir erzählt, dass sie euch zusammen in der Großen Halle gesehen hat. Er hat dir sofort erzählt, was er sich erlaubt hat, und du hast ihn trotzdem gedeckt.“

Severus verdrehte die Augen. „Du klingst, als wäre das eine riesige Verschwörung. Es war ein Spaß, Lily. Du nimmst ihn zu ernst.“

Lily schoss hoch und baute sich vor Severus auf, die Hand fest um ihren Zauberstab gekrallt. Ihre bandagierte Hand schmerzte leicht unter der Anstrengung. „Du findest amüsant, was er getan hat, ja? Ich kann dir versichern, dass es das nicht war. Er hat mir wehgetan, Severus, mit deinem bescheuerten Fluch. Er hat mich unter den Imperius-Fluch gestellt –“

„Ich wusste, dass das bei dir nichts bringen würde, Lily. Du hast einen starken Willen. So stur, wie du bist, ist das offensichtlich.“

Lily stolperte schon über den Anfang dieser Worte. Wie in Trance wich sie einen Schritt zurück, fing sich wieder und machte zwei Schritte auf Severus zu. Er zuckte zurück, als sie in seine unmittelbare Nähe vordrang.

„Du wusstest, dass es nichts bringen würde?“, zischte sie. „Du wusstest, was er vorhatte?“

Severus drehte den Kopf zur Seite, behielt sie aber aus dem Augenwinkel im Blick.

Lily holte aus und schlug ihm gegen die Brust. „Du Bastard hast gewusst, was er vorhatte. Und du hast ihn gelassen?“ Die Tränen verklärten ihr erneut die Sicht, diesmal aber brennend vor Wut. „Was, wenn es nicht gut ausgegangen wäre? Was hat er vorgehabt? Sag es mir.“

„Lily –“

„Sag es mir!“ Sie hieb ihm erneut gegen die Brust und stieß ihn von sich weg. Severus stolperte zurück in den düsteren Teil des Durchgangs. Dort schien er sich wohler zu fühlen, richtete sich zu seiner vollen Größe aus. Er war gewachsen, seit sie sich das letzte Mal so gegenüber gestanden hatten, und dass er sonst mit hängenden Schultern fünf Zentimeter kleiner wirkte, fiel umso mehr auf.

„Ich hätte ihn nichts tun lassen, dass dich verletzt“, gab Severus zurück. „Ist es das, was du hören willst?“

„Er hat mich verletzt, Severus. Er hat mich beleidigt und verflucht. Er hatte seine dreckigen Hände auf mir. Denkst du, das kann ich so leicht vergessen?“

„Vielleicht solltest du dich nicht wie eine kleine Schlampe aufführen, wenn du nicht angefasst werden willst.“

Lily holte aus, aber Severus packte ihr Handgelenk, bevor sie ihn ohrfeigen konnte. Er riss sie an sich heran.

„Wage es nicht, mich noch einmal zu schlagen“, zischte er. Seine Fingernägel pressten genau in ihre Bandage und kratzten den Schmerz von Mulcibers Fluch wieder heraus. „Ich weiß, wo du deine Hände gehabt hast – oder bei wem. Kontakt würde ich lieber vermeiden.“

„Du weißt gar nichts, Severus.“

„Ich weiß, dass er dich nicht verdient hat. Der Gedanke, wie er dich anfasst, macht mich krank“, spuckte Severus bitter aus. In seinen dunklen Augen brannte ein Feuer geschürt von Hass und… Hunger. „Ein widerlicher, versnobter Schnösel mit perfekt manikürten Händen, der nichts in dir sieht, außer ein Accessoire für seine rebellische Phase. Jemand wie der versteht doch nicht, wie clever du bist. Wie witzig. Wie perfekt.“ Severus‘ Finger waren bis in die Knöchel verkrampft, als er sie an Lilys Wange hob und wenige Millimeter von ihrer Haut verharrte. „Nicht so wie ich.“

Lily ließ ihn nicht aus den Augen, blinzelte nicht einmal, weil sie sich sicher war, dass nur ihr harter Blick ihn auf Abstand hielt. Ihre Hand zitterte in seinem viel zu festem Griff. „Du tust mir weh“, sagte sie, aber Severus schien sie nicht zu hören.

„Ich kenne dich so viel besser. Seit wir Kinder waren. Ich kenne jede kleine Unsicherheit wegen deinem Blut, deiner Magie, alles Wichtige. Du weinst nicht. Black macht dich schwach. Ich würde wieder und wieder zusehen, wie er vom Besen stürzt, wenn du dafür wieder du wirst.“

Lily bekam endgültig keine Luft mehr und würgte ein Wort hervor: „Was?“

„Ich habe immer…“ Severus atmete schwer. Er kam näher. Viel zu nah. Beugte sich bis an ihre Lippen. „…immer…“

„Du hast zugesehen, wie er gefallen ist? Du warst im Stadion?“ Lily riss sich mit einem Ruck los, der so überraschend für Severus kam, dass er ihr die Bandage von der Hand zog. „Wieso, Severus? Was hast du getan?“

Sie kannte die Antwort, bevor Severus sich überhaupt wieder zu fangen schien. Er stützte sich auf dem Hinterteil des Wasserspeiers ab und schaute sie perplex an. Der Blick passte nicht zu ihm. Er sah aus, als würde er sich jeden Moment über das Geländer werfen.

„Du hast Regulus‘ Besen verhext“, sprach Lily aus, was Severus nicht zugeben musste. „Du hast im Stadion gesessen, wo du ihn im Auge hattest, und ihn verflucht. Deinetwegen ist er in die Peitschende Weide geflogen. Er hätte –“

„Draufgehen können?“ Severus‘ Lippen kräuselten sich in ein verbittertes Lächeln. „Das wäre doch erheiternd gewesen. Wenn Sirius Black sich solche Späße erlaubt, applaudieren ihm alle.“

„Ich applaudiere niemandem, der so leichtsinnig das Leben eines anderen Menschen aufs Spiel setzt“, fuhr Lily ihn ärgerlich an. „Du hättest ihn umbringen können, Severus, und es tut dir nicht einmal leid.“

Severus zuckte mit den Schultern. „Nächstes Mal klappt es besser.“

Lily riss ihren Zauberstab hervor – Severus reagierte sofort und zückte seinen eigenen. Ihre Stäbe schlugen gegeneinander wie Schwerter.

„Denkst du ernsthaft, du könntest mich in einem Duell schlagen?“, fragte Severus scharf.

„Ich hätte keine Angst es zu versuchen“, gab Lily zurück. Alles an ihr zitterte vor Wut, außer ihrer Stimme, die bedrohlich ruhig blieb.

„Sicher. Black braucht seine Ersatz-Mummy, die ihn beschützt“, säuselte Severus. „Was willst du tun? Mir fliegen beibringen?“

Lily hatte selten eine von Severus‘ Ideen so verlockend gefunden. Ihre Wut lief knisternd auf ihren Zauberstab über und weckte alle möglichen Flüche in ihrem Kopf. Sie dachte daran, wie Regulus regungslos im Krankenflügel gelegen hatte, wie er sich auch mit wieder geheilten Knochen kaum aufrecht hatte halten können. Und es war Severus‘ Schuld. Nicht Regulus‘, nicht ihre, nicht die von irgendjemand anderem als Severus.

Er würde dafür zahlen. Sie würde nicht zulassen, dass er damit durchkam und es als einen dummen Scherz abtat.

Lily senkte ihren Zauberstab. „Es ist nicht meine Entscheidung, was mit dir passiert, Snape. Das überlasse ich Regulus und Professor Dumbledore, nachdem ich ihnen davon erzählt habe.“

Zu ihrer Verwunderung behielt Severus sein bitteres Lächeln auf. „Du denkst, dass ich so dämlich bin dir irgendeine Entscheidung zu überlassen? Ich war nicht im Stadion, Lily. Ich war mit Mulciber und Wilkes in unserem Schlafsaal. Sie werden es jedem bestätigen.“

Lily musste sich zwingen ihren Zauberstab wegzustecken und nicht doch Severus‘ Nase so groß zu hexen, wie seine Lügen sie wachsen lassen sollten. „Du hältst dich für unbesiegbar, ja?“

Severus reckte das Kinn. „Es muss viel passieren, damit ein Schlammblut mich besiegen könnte.“

Lily atmete ein letztes Mal tief die eiskalte Luft ein. Es hatte so viele Momente gegeben, in denen sie ihren Freund Sev vermisst hatte. Sie hätte gleich wissen müssen, dass er nie existiert hatte.

„Versuch du mit dir zu leben, weil ich es nicht könnte“, sagte sie, bevor sie sich umdrehte und ging.

So schnell sie konnte, ohne zu rennen, lief sie in den Korridor und bahnte sich ihren Weg zurück zum Krankenflügel. Zischende Worte verfolgten sie, aber sie musste sich kaum Mühe geben sie zu ignorieren. Severus hatte ihr alles gesagt, was sie wissen musste, um nie wieder etwas aus seinem Mund hören zu wollen.

Die Türen des Krankenflügels fand sie geschlossen vor. Lily musste sich kurz sammeln. Regulus‘ letzte Worte klangen noch immer in ihrem Kopf nach, aber gerade sollte das keine Rolle spielen.

Lily schob die Türen vorsichtig auf und lugte hinein. Dunkelheit begrüßte sie. Nur ein silbriger Schimmer Mondlicht schaffte es durch die dicke Wolkendecke und hohen Fenster in den Krankenflügel, umriss die Betten in grauen Schemen. Nicht einmal aus Madam Pomfreys Büro kam noch Licht. Und ehrlich gesagt war Lily das lieber.

Sie schlüpfte durch den schmalen Türspalt in den Krankenflügel und suchte Regulus‘ Bett. Einen schrecklichen Moment lang schob sich der Gedanke in ihren Kopf, dass seine Eltern ihre Drohung wahrgemacht hatte. Dass sie ihn mitgenommen hatten.

Dann schälte sich auf einem Bett seine Gestalt aus der Dunkelheit. Er lag unter der Decke und hatte ihr den Rücken zugedreht. Lily schlich sich an seine Seite. Sie streckte die Hand aus, zögerte aber seine Schulter zu berühren. Er zitterte. Sie sah deutlich, wie das Zittern in heftigen Schüben durch seinen Körper ging. Für einen Moment glaubte sie, dass sie ein leises Schluchzen hörte.

„Regulus?“

Es erstarb sofort und sie hörte nur noch den Wind heulen.

Einen abschätzenden Blick zu Madam Pomfreys Büro später setzte sie sich auf seine Bettkante, fasste ihn aber nicht an.

„Regulus?“, fragte sie leise. „Bist du wach?“

Ein schwerer Atemzug hob seine Schultern an. „Ja“, kam seine Antwort genauso leise zurück.

Lily schluckte. Sie hatte nicht einmal angefangen darüber nachzudenken, wie es sich anfühlen würde wieder in seiner Nähe zu sein. Tatsache war, dass kein Wort ihre schmerzende Kehle verlassen wollte. Sie atmete tief ein und zittrig aus. Ihre Worte kamen schnell und stolperten fast übereinander:

„Ich weiß, du willst mich wahrscheinlich nicht sehen, aber ich muss dir was sagen, und ich muss es jetzt loswerden.“

Als Regulus sich weder regte, noch Einsprüche hatte, erzählte Lily ihm von ihrer Begegnung mit Severus. Sie ließ aus, warum sie dort draußen gesessen hatte, und hoffte, dass es Regulus nicht auffiel. Es ging nicht um ihre Tränen oder ihren Kummer, sondern um den Mist, den Severus gebaut hatte.

Der Wind heulte auf und presste mit aller Kraft gegen die Fenster, als würde er das Glas aus seinem Rahmen drücken wollen. Als Lily zum Ende kam, kehrte die Stille zurück in den Krankenflügel. Einen Moment glaubte sie, dass Regulus eingeschlafen war, oder dass er mit sich selbst ausmachte, wie er jetzt vorgehen wollte.

Lily wollte gerade aufstehen und gehen, als die Bettdecke raschelnd zur Seite geschoben wurde. Eine Hand legte sich auf ihre Hüfte, hielt sie an Ort und Stelle fest, als wüsste ihr Besitzer, dass sie hatte gehen wollen. Regulus setzte sich hinter ihr auf und rutschte an sie heran, drückte sich gegen ihren Rücken. Er stützte das Kinn auf ihrer Schulter auf, seine Wange presste sich gegen ihr Ohr.

„Hat er dir wehgetan?“, fragte er leise.

Lily legte ihre Hand auf Regulus‘, die sich auf ihrer Hüfte verkrallte. Sie schüttelte den Kopf.

Von hinten strich Regulus ihr durch die Haare. Ihr fiel erst jetzt auf, dass der Wind sie durcheinander und zerzaust zurückgelassen hatte, und sie wünschte, dass sie sie wenigstens vorher mit den Fingern in Ordnung gebracht hätte. Regulus schien sich daran nicht zu stören, vielleicht spornte es ihn sogar noch mehr an. Seine Finger strichen sanft durch ihre langen Haaren, mit dem perfekten Druck um ihren pochenden Schädel zu beruhigen. Lily lehnte sich, ohne dass sie eine Wahl hatte, gegen seine Schulter.

„Hat er dich geküsst?“, fragte Regulus.

Lily drehte den Kopf herum. Sie konnte Regulus‘ Gesicht dank der Nähe auch in der Dunkelheit erkennen. Er sah erschöpft aus, aber die Umrisse seines Profils wurden scharf vom Mondlicht umrissen, sodass er finsterer wirkte.

„Nein“, sagte sie ein wenig verwirrt.

Regulus‘ Augen fanden ihre. Lily ahnte, dass das nicht der Moment für einen Spaß war, und sie war sich nicht ganz sicher warum.

„Regulus, er hat dir wehgetan. Daran solltest du denken“, sagte sie immer noch leise, falls Madam Pomfrey noch nicht schlafen gegangen war. „Weil ich ihn dafür gerne über das Geländer geworfen hätte.“

„Also hat er mit Mulciber zusammengearbeitet? Snape hat Mulciber gedeckt, und Mulciber ihn. Wilkes ist das Alibi von allen beiden. Da steckt mehr Planung hinter, als ich ihnen zugetraut hätte“, murmelte Regulus. „Ich kann nicht glauben, dass Snape überhaupt zulassen würde, dass jemand dir wehtut.“

„Dann hast du dich wohl getäuscht“, sagte Lily.

Regulus‘ Kopf sackte ohne Vorwarnung herunter. Er presste die Stirn fest gegen ihre Schulter und schlang die Arme enger um sie. Das erste Mal heute Abend war die Verschnürung in ihrer Brust nicht einengend, auch wenn sie ihr den Atem raubte.

„Du bist eiskalt“, murmelte Regulus.

Lily drehte sich in seinen Armen um, soweit sie eben konnte, und flüchtete sich in seine Umarmung. Sie legte die Arme um seinen Oberkörper, hielt sich an seinem Rücken fest und merkte dadurch erst, dass er bis in den letzten Muskel verkrampft war. Normalerweise war Regulus es, der kühle Hände und noch mehr hatte, aber gerade war er wie ihr eigenes Stück glühende Kohle.

Lily war nicht aufgefallen, wie kalt ihr war, bis Regulus‘ Wärme auf sie überging. Sie schmiegte sich enger gegen ihn und strich durch das zerwühlte Haar in seinem Nacken. Inzwischen trug er seinen Pyjama, der die Bandage und jeden Kratzer versteckte. Und seinen linken Arm.

Trotz allem, was passiert war, was Regulus ihr gesagt hatte, schien es so einfach jetzt zusammenzubrechen und alles herauszuweinen. Sie biss all das wortwörtlich zurück. Severus hatte sie nicht umsonst schwach genannt.

Sie spürte Regulus‘ Hand auf ihrer Schulter. Er schob den Stoff von James‘ Umhang zur Seite.

„Davon wird mir nicht unbedingt wärmer werden“, sagte sie.

Regulus schob den Ärmel ganz von ihrer Schulter und entblößte den Riss in ihrer Bluse. Seine Finger strichen über ihren Arm und schienen die Gänsehaut nur zu verschlimmern. Vielleicht würde ihr davon doch wärmer werden…

Lily schluckte und schaute zu ihm hoch. Seine Augen hingen an dem Riss fest und seine Finger fuhren weiter über ihre Haut. Er schien ganz weit weg, und dann so viel näher, als er sie wieder ansah. Seine Hand blieb warm auf ihrem Arm liegen. Die Wärme wanderte von dort bis in ihre Brust, die sich unter jedem Atemzug schneller hob und senkte und gegen Regulus presste. Ihr war nicht mehr kalt. Ihr war heiß.

„Gib mir eine Sekunde“, flüsterte Regulus und lehnte sich nach hinten, griff nach dem Zauberstab auf seinem Nachttisch. Lily runzelte fragend die Stirn, aber Regulus hatte nicht vor ihr zu antworten. Er zog den Ärmel ihrer Bluse an die abgerissene Naht und richtete die Zauberstabspitze darauf. Schneller als mit jeder Nähmaschine zogen die gerissenen Fäden sich wieder zusammen und hielten ihren Ärmel an Ort und Stelle fest. Es war keine perfekte Naht, aber sie hielt.

„Ich bin nicht gut darin, Dinge zu flicken, aber das wollte ich eigentlich schon vorhin machen.“ Regulus‘ Blick driftete zu James‘ Schulsprecherabzeichen und blieb dort hängen, als würde er dem Feind gegenüber stehen.

„Dann bin ich ja jetzt gewappnet, um wieder zu gehen“, sagte Lily.

Regulus senkte den Blick, dann presste er sich eine Hand gegen die Augen. „Es tut mir leid. Es tut mir leid, Lily. Ich war…“

„Wie geht es deinem Vater?“, fragte Lily leise.

Regulus fuhr sich durch die Haare, die sofort wieder vor seine Stirn fielen. Er schüttelte den Kopf. „Nicht so gut. Sie sind gerade erst gegangen. Er soll sich zu Hause ausruhen. Wahrscheinlich hätten sie mich mitgenommen, wenn das alles nicht passiert wäre. Professor Dumbledore hat sie irgendwie überzeugt mich hier zu lassen.“

„Das heißt, er wird wieder?“, fragte Lily.

„Er sollte gar nicht erst Probleme haben“, sagte Regulus und schaute aus dem Fenster, wo der heulende Wind nach Aufmerksamkeit schrie. „Er ist noch nicht einmal fünfzig.“

Lily griff nach seiner Hand, die er in seinem Schoß zusammengeballt hatte. „Ich weiß, dass das vielleicht kein großer Trost ist, aber es ist nicht deine Schuld, Regulus.“

„Nicht?“ Regulus schien sehr fasziniert von einer Feder, die vom Wind auf die Fensterbank getrieben worden war und in einer Kerbe im Holz festhing. „Mein Vater hatte schon lange Probleme mit seinem Herzen. Als Sirius nicht mehr zurückgekommen ist, hat er eine Woche im St. Mungos verbracht. Ich hätte wissen müssen, dass ich ihn damit überfordere.“

„Tu dir das nicht an, Regulus. Wir können nichts dafür, dass es so ausgeartet ist.“

Regulus schirmte erneut sein Gesicht ab, und gerade weil er sich sonst schon so viel Mühe gab sich nicht lesen zu lassen, behagte ihr das gar nicht. „Kann ich das riskieren?“

Lily runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“

„Ich kann es nicht riskieren“, sagte Regulus. „Ich bin kein Gryffindor, der sich Hals über Kopf da reinstürzen kann. Wenn nur das Risiko besteht, dass meine Entscheidungen dazu beitragen, dass der Zustand meines Vaters sich verschlechtert, kann ich es nicht eingehen. Oder?“

Lily streckte die Hand nach ihm aus, aber kaum berührte sie seine Wange, um ihn zu sich zu ziehen, drehte Regulus sich weiter von ihr weg. Er schüttelte abwehrend den Kopf.

„Lass mich, bitte…“

„Sieh mich wenigstens an“, bat sie.

„Ich kann nicht“, presste Regulus hervor. Seine Stimme quälte sich über jede Silbe. Hinter seiner Hand konnte sie sehen, wie seine Kiefer sich schmerzhaft anspannten. „Wenn ich dich ansehe, dann kommt mir das alles so unwichtig vor. Als könnten wir das alles ganz leicht hinbiegen. Dann komm ich mir wie ein riesiger Idiot und das hier wie eine Lappalie vor, aber das ist keine. Es ist wichtig.“ Er ließ den Kopf hängen, als würde eine unsichtbare Hand ihn herunterdrücken. „Es ist meine Familie, Lily.“

Lily atmete gegen die Verschnürung an, die sich erneut um ihre Lungen legte. „Dafür, dass du dir solche Gedanken um sie machst, nehmen sie nicht sehr viel Rücksicht auf dich, Regulus.“

„Mein Vater hat das nicht vorgetäuscht, damit ich bei ihnen bleibe.“

„Bist du dir da sicher?“

Regulus versteifte sich und für einen Moment schien er nicht einmal zu atmen.

Lily bereute ihren kühlen Ton, trotzdem behielt sie ihn bei. Sie legte ihre Hand auf Regulus‘ linken Arm. „Du schuldest mir noch eine Erklärung.“

„Tu ich das?“, fragte Regulus und die Kälte glitt zurück in seine Stimme. „Vielleicht solltest du lieber denken, dass ich genauso ein verlogener, manipulativer Bastard bin, wie anscheinend mein Vater.“

„Aber ich weiß, dass du das nicht bist“, sagte Lily. „Du bist verwirrt, panisch… Ich verstehe sogar, dass du ein schlechtes Gewissen hast, aber ich bin doch hier. Ich lass nicht zu, dass es zu schwer wird und dich niederreißt.“

Lily rutschte an seine Seite, wo es so wunderbar warm war. Sie rieb sanft über die verkrampften Muskeln in seinem Rücken, beugte sich über seine Schulter und küsste ihn auf die Wange. Regulus nahm die Hand endlich von seinem Gesicht. Er drehte sich zu ihr und strich dabei mit der Nase über ihren Kiefer. Auf dem Weg zu ihrem Mund streiften seine Lippen ihre Wange und sie fragte sich, ob er dort die Überreste ihrer Tränen schmecken konnte.

Lily überbrückte die letzten Millimeter zu seinen Lippen, aber Regulus drehte sich im letzten Moment weg.

„Ich will dich nicht nochmal zum Weinen bringen“, raunte Regulus.

Lily wich zurück. Regulus schaute ihr nicht in die Augen, sondern schräg an ihr vorbei in die Dunkelheit, die sein Gesicht so gut verhüllte. Sie konnte nicht einmal erahnen, was in ihm vorging – vielleicht weil er es selbst nicht ganz wusste.

„Du machst mir Angst“, sagte sie leise, aber warnend. „Machst du gerade Schluss mit mir?“

„Nein! Nein… Nein, ich… Ich weiß nicht“, sagte Regulus und versteckte sein Gesicht erneut hinter einer Hand, die er fest gegen seine Stirn presste. „Vielleicht wäre das besser für uns beide.“

Lily rückte weg von ihm. Ihre Lungen schienen so fest zusammengeschnürt, dass keine Luft mehr in sie passte und ihr Herz eingequetscht dazwischen keinen Schlag mehr tun konnte.

„Besser für uns?“, presste sie mit kratziger Stimme hervor. „Du brichst mir das Herz und hältst das für das Beste?“

Regulus machte eine plötzliche Bewegung, als würde er ihre Hand greifen wollen, hielt aber kurz vorher inne. Lily schaute auf ihre Hand und bemerkte das erste Mal wirklich die lose Bandage, die von ihr herunterhing. Diptam klebte auf der Kerbe in ihrem Handrücken, die von Mulcibers Fluch übriggeblieben war. Sie ahnte, was bei diesem Anblick in Regulus‘ Kopf vorging. Dass das nicht passiert wäre, wenn sie zusammen nicht so vielen Leuten ein Dorn im Auge wären.

Lily zog ihre Hand weg. „Vorhin erst hast du all diese Dinge gesagt…“

„Ich hab sie gemeint“, sagte Regulus.

Lily konnte nicht daran denken, ohne eine Mischung aus Wut und Schmerz in ihren Augen brennen zu spüren. „Schön, dass du deine Meinung so schnell ändern kannst. Ich habe Monate darauf gewartet, dass du mich nicht mehr wie eine dreckige Socke versteckst, und ich habe gerne gewartet, weil ich weiß, dass das nicht leicht für dich ist. Aber für mich ist es auch nicht leicht. Jetzt hast du dich endlich entschieden und nach ein paar Minuten sieht alles wieder anders aus? Wie lange soll ich diesmal warten, bis du mit dir selbst ausmachst, was das Beste für uns ist?“

Regulus schaute sie an, als hätte ihn ein Klatscher am Hinterkopf getroffen. Ein Hagel aus Wut und Schmerz und Angst prasselte auf ihn ein, und Lily wusste nicht einmal, was sie davon wirklich meinte.

„Deine Eltern sind verachtenswerte, verbitterte Menschen und sie haben keinen Sohn wie dich verdient. Wenn du solche Menschen über mich stellst, wenn du das nur in Betracht ziehst, hast du deine Entscheidung vielleicht schon getroffen.“

„Nein, ich…“ Regulus schüttelte hilflos den Kopf. „Ich muss nachdenken. Ich…“

Lily stand ruckartig auf und drehte ihm den Rücken zu, bevor die ersten Tränen fielen.

„Lily, warte.“

Lily drehte sich um. Sie reckte das Kinn, auch wenn die Tränen über ihre Wangen rollten. Regulus schien wie geohrfeigt.

Anscheinend waren sie zu laut geworden. Die Tür von Madam Pomfreys Büro flog auf. Die Heilerin stürmte in ihrem Morgenmantel heraus.

„Mr. Black, wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass Sie liegenbleiben sollen.“

Lily nutzte den Moment und lief aus dem Krankenflügel.

„Lily, warte doch“, rief Regulus ihr nach. „Warte, bitte. Lassen Sie mich los, Madam Pomfrey, ich will nur – Lily.“

Sie schlug die Tür hinter sich zu. Der Knall breitete sich in alle Richtungen aus und füllte die dunklen Korridore. Lily lief so schnell sie konnte weiter, als sie auch durch die Türen das Rumpeln näherkommen hörte. Sie rannte weiter und erreichte vollkommen verheddert in ihre und James‘ Roben die Große Treppe. Das Wirrwarr aus Stoff hielt sie nicht auf. Erst drei Stockwerke später verlangsamte sie notgedrungen ihre Schritte. Ihre Seiten stachen und ihre Lunge brannte, aber sie bekam nur schnappend Luft. Lily schleppte sich langsamer weiter bis in den siebten Stock.

Sie konnte nicht abwarten sich in ihrem Bett zu verkriechen. Das hätte sie schon vor Stunden tun sollen.

Vor dem Portrait der Fetten Dame blieb sie stehen und murmelte das Passwort. Aber es kam keine Antwort. Lily blickte auf und schaute in ein leeres Bild. Die Fette Dame war nicht da.

Lily stand wie angewurzelt da, ratlos, was sie jetzt tun sollte. Zuerst klopfte sie gegen den Rahmen, das Bild, und dann gegen die Mauer daneben, aber nichts tat sich. Sie trat gegen die Wand, so hart, dass ein beißender Schmerz durch ihre Zehen ging. Die Tränen stauten sich in ihren Augen. Sie quollen förmlich über und sie konnte nichts mehr dagegen tun.

Lily rutschte mit dem Rücken an der Wand auf den Boden und verbarg das Gesicht in den Händen. Dieser Tag war zu schlimm, um vorbeizugehen. Bei ihrem Glück kam gleich auch noch Mr. Filch vorbei und drückte ihr eine saftige Strafarbeit auf.

Die Tränen tropften auf ihre Handflächen. Innerhalb weniger Stunden glitt alles durch ihre Finger wie Sand. Sie würde hundert Strafarbeiten gerne erledigen, damit ihr wenigstens Regulus blieb.

„Na, wurdest du auch ausgesperrt?“

Sie schaute auf. Direkt vor ihr auf dem Treppenabsatz stand James, ein halbes Grinsen auf den Lippen, das sofort einknickte. Er hatte seine Karte in der Hand und faltete sie zusammen, steckte sie in seine Hosentasche. Sein musternder Blick ging bis unter Lilys Haut.

„Alles okay bei dir?“, fragte er.

Lily blinzelte gegen ihren verklärten Blick an, aber sofort füllten neue Tränen ihren Blick. Sie schüttelte den Kopf und vergrub schluchzend das Gesicht in den Händen.

„Oh, hey…“ James kam hastig näher und ließ sich neben ihr auf den Boden fallen. „Auch für den Fall, dass das nach heute eine bescheuerte Frage ist: Was ist passiert?“

Lily schüttelte den Kopf. Sie konnte und wollte es nicht aussprechen.

James legte eine Hand auf ihre Schulter und rieb tröstend gegen das Zittern in ihren Muskeln an. Sie spürte seinen Blick auf ihr. „Die Fette Dame lungert betrunken bei ihrer Freundin Violet rum. Ich hab versucht sie zu wecken, aber irgendwie hat mein magisches Stimmlein sie zum Singen angestiftet. Ein bisschen spät für Weihnachtslieder, aber na ja…“

Lily hörte seine Stimme wie aus weiter Ferne und keines seiner Worte konnte ihre Tränen trocknen.

„Ein Weilchen sitzen wir hier wohl noch fest.“ James seufzte melodramatisch und anscheinend wartete er auf eine Reaktion. Als er keine bekam, nahm er die Hand von Lilys Schulter und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Aus dem Augenwinkel konnte sie seinen mitleidigen Blick sehen und presste ihre Hände dichter gegen ihr Gesicht. Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Die Tränen brachen aus ihr heraus, wie aus einem zu lange gestauten Damm.

„Es ist nicht schlimm zu weinen, weißt du?“, sagte James beiläufig. „Ab und zu muss man alles mal rauslassen. Passiert mir auch gelegentlich. Dann ist es ganz praktisch eine Schulter zu haben, an die man sich lehnen kann. Sirius sagt, ich hätte ihm seine immer vollgerotzt – das bleibt aber unter uns.“

Lily hob den Kopf leicht und schaute ihn an. James hatte ein Lächeln für sie parat, das zu einem Grinsen wurde, als sie ihn ansah. Er riss die Augen überrascht auf.

„Hey, was haben wir denn da?“ James griff hinter ihr Ohr und zog die geschlossene Faust wieder hervor, wie ein billiger Muggel-Magier. Er präsentierte sie Lily erst und öffnete sie dann. Ein Taschentuch lag auf seiner Handfläche. James beugte sich vor und pustete den Stoff hauchzart an. Die Falten wölbten sich unter seinem Atem, formten Schwingen wie von einem Vogel und im nächsten Moment hob das Taschentuch ab. Es war ein kleiner Vogel und flatterte Lily direkt entgegen. Sie wich zurück, duckte sich darunter und schaute dem Taschentuch-Vogel nach, als er einen Bogen um ihren Kopf flog.

Lilys Mundwinkel zuckten.

„Oh, sieht so aus, als müsstest du dir dein Taschentuch wieder einfangen“, sagte James.

Lily verdrehte die tränenden Augen in seine Richtungen.

„Außer natürlich, du kennst jemanden, der neben seinen Jäger-Qualitäten auch einen ausgezeichneten Sucher abgegeben hätte.“ James schnappte das Taschentuch aus der Luft, ohne überhaupt hinzusehen. Er gab es Lily diesmal ohne Mätzchen und auch wenn sie es vorher nicht getan hätte, nahm sie es jetzt an.

„Danke“, sagte sie krächzend und erschrak über ihre eigene Stimme. Sich zu räuspern ließ ihre Kehle nur noch mehr schmerzen. Sie trocknete lieblos ihre Tränen, wobei James sie nicht aus den Augen ließ. Lily schaute ihn vorsichtig von der Seite an. „Was machst du noch hier draußen?“

James zuckte mit den Schultern. „Ich war… spazieren. Mein Kopf war ziemlich voll und die Leute sagen, rumlaufen würde dagegen helfen. Unter uns, es macht es nur schlimmer. Man hat zu viel Ruhe um nachzudenken.“

Lily tupfte neue Tränen aus ihren Augenwinkeln. Sie wünschte, James könnte sie auch diesmal so einfach wie sonst ablenken. „Wegen Sirius?“

James hatte bis eben erfolgreich mitgespielt und so getan, als würde er sich nicht für den Grund ihrer Tränen interessieren, aber jetzt schien er ungerne in eine Richtung zu gehen, wo es um ihn ging. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort und vielleicht gab er ihr nur eine, weil er sie ablenken wollte.

„Er ist ein bisschen verstimmt in letzter Zeit. Ich glaube fast, dass er sauer auf mich ist…“

„Du glaubst?“, gab Lily zurück.

„Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe.“

„James, du bist vielleicht ein wenig unsensibel, aber doch nicht dumm“, sagte Lily. „Vielleicht solltest du aufhören ständig mit mir zu flirten.“

„Sollte das nicht eher Regulus‘ Problem sein und nicht Sirius‘?“, erwiderte James amüsiert.

Ein Stechen in ihrer Brust ließ Lily erneut zum Taschentuch greifen. „Wahrscheinlich sollte ich dir das jetzt nicht sagen, aber um ehrlich zu sein, hab ich genug von Geheimnissen. Und wenn jemand davon erfahren sollte, dann du.“

James runzelte die Stirn. „Lily, ich will dich nicht enttäuschen, aber ich kenne schon Sirius‘ dunkelste Geheimnisse.“

„Auch, dass er einen Unbrechbaren Schwur geleistet hat, nie wieder seiner Familie den Rücken zuzukehren?“

James‘ Mundwinkel sackten in die entgegengesetzte Richtung, als hätten sie das erste Mal das Geheimnis der Schwerkraft entdeckt. Lily erzählte ihm Sirius‘ Geheimnis, auch seine Gründe dafür, zumindest soweit sie sie kannte, und James hörte ihr so still, wie sie ihn selten erlebt hatte, zu. Sie konnte das schlechte Gewissen wie ein Gewitter auf seinem Gesicht aufziehen sehen. Es riss sein Lächeln mit sich und vertrieb es sogar aus seinen Augen. Sie kannte den finsteren Blick, hatte ihn noch zu frisch im Gedächtnis, als sie eben Regulus kaum in die Augen hatte sehen können.

„Er hätte mir davon erzählt“, sagte er schließlich.

„Vielleicht hat er gedacht, du wärst sauer auf ihn“, sagte Lily. „Weil er dich im Stich gelassen hat um zu seiner verhassten Familie zurückzukehren.“

James blickte merkwürdig schuldbewusst drein.

„Er braucht dich, James. Ich hätte dir das nicht gesagt, wenn ich mir keine Sorgen um ihn machen würde. Anscheinend kann jeder ab und zu eine Schulter zum Anlehnen gebrauchen“, sagte sie mit einem schiefen Lächeln.

„Ich kann nicht glauben, dass er mir nichts gesagt hat. Er ist mein bester Freund.“

„Er liebt dich“, sagte Lily. Es fühlte sich nicht an, als würde sie durchs Eis brechen, wie sie immer befürchtet hatte.

James antwortete nicht, aber man musste auch nicht die offensichtliche Antwort darauf geben, was eins plus eins war.

„Wovor hast du Angst, James?“, fragte Lily.

James schaute sie an und auch diesmal schien die Antwort schmerzhaft offensichtlich. Und das fühlte sich an, als würde sie durchs Eis brechen und vom eiskalten Wasser wachgerüttelt werden. Lily schaute weg und tupfte mit James‘ Taschentuch ihre Wimpern trocken. Als sie zurückschaute, sah James sie immer noch an.

„Ich hab gesehen, wie du ihn anschaust. Regulus“, sagte James heiser. „Wie er dich ansieht. Ich hab’s schon vorher gesehen, ja, aber vorhin im Krankenflügel war es wie ein Schlag. Mich wirst du nie so ansehen, oder?“

Lily schluckte, aber der Kloß in ihrem Hals blieb unüberwindbar fest. In einer hilflosen Geste nahm sie sich den Umhang von den Schultern und wollte ihn James zurückgeben. „Danke, übrigens.“

James fing ihre Hände ab und führte sie in ihren Schoß, dann legte er ihr den Umhang wieder um die Schultern, wo seine Wärme bitter nötig war. Er zog ihre langen Haare unter dem Stoff hervor und ließ sie in einem dunkelroten Fächer auf ihren Rücken gleiten. Seine Hände blieben in ihrem Nacken liegen.

„Ich frage mich immer wieder, was wohl aus uns geworden wäre, wenn ich nicht so ein arroganter Widerling gewesen wäre“, sagte James. „Ich dachte, wenn du mich ein wenig besser kennenlernst, würdest du sehen, dass ich nicht immer so bin. Und ich glaube, dass das funktioniert hat. Aber dann kam Black und… ich frage mich die ganze Zeit, was passiert wäre, wenn ich dich vorher um ein Date gebeten hätte. Noch einmal. Wenn ich dich zu Slughorns Party eingeladen hätte. Wären wir jetzt… mehr?“

Der Kloß in ihrer Kehle wurde zu einem richtigen Knoten und schien zu drohen sie zu ersticken. James‘ Hände, die auf ihren Hals fuhren, machten es nicht besser. Ihr Puls raste dort, wo seine Finger auf ihre Halsschlagader drückten.

„Außer dir, käme mir jeder wie die zweite Wahl vor, und das kann ich doch nicht tun. Ich bereue die ganze Zeit, dass ich nicht weiß, was aus uns geworden wäre. Fragst du dich das nie?“

Lily tat das Einzige, was sie in diesem Fall tun konnte. Sie bekam kaum ein Wort heraus, so schmerzhaft zog ihre Brust sich unter ihrem heftigen Puls zusammen. Also schüttelte sie den Kopf.

Es war die Wahrheit. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht, was aus James und ihr hätte werden können. Da waren merkwürdige Gefühle, die manchmal aufblitzten, wie elektrisierendes Sommergewitter, aber sie hatte nie darüber nachgedacht oder gar bereut, dass sie ihm keine Chance gegeben hatte.

James‘ Gesichtsausdruck brach ihr das Herz. Sie hatte nie gesehen, dass er so fragil und verletzbar schien. In seinen Augen glitzerte alles außer seinem ansteckenden Lachen und dass er sie genau jetzt versuchte anzugrinsen, machte es noch schlimmer.

Lily schnappte mit einem schmerzhaften Schluchzer nach Luft. „Ich liebe ihn“, presste sie hervor. „Es tut mir leid, James. Ich liebe Regulus und ich glaube, ich habe ihn gerade verloren…“ Sie schluchzte erneut auf, konnte es nicht einmal mehr unterdrücken, und verbarg das Gesicht in den Händen.

Sie hatte Regulus verloren. Sie hatte ihn alleine mit seinen gefährlichen Gedanken gelassen. Und obendrauf hatte sie James als Freund verloren. Sie konnte sich nie wieder sagen, dass er nur Späße machte.

Lily weinte bitterlich in ihre Hände, die die demütigenden Geräusche nicht dämpfen konnte. Für diesen Moment schien die ganze Welt komplett schwarz zu sein.

„Ist schon gut“, hörte sie James sagen. Seine Arme legten sich um ihren Körper und zogen sie gegen seinen. Er strich über ihren Rücken und ihr Haar. Lily fand seine Schulter und weinte sich dort aus, wie sie es schon seit Stunden hatte tun wollen. Und es fühlte sich wie Stunden an, die sie so in seinen Armen lag.

Als sie wieder aufschaute, nur noch leise schniefend, schien die Welt ein wenig Farbe zurückgewonnen zu haben. James lächelte ihr entgegen. Er hatte sein Taschentuch in der Hand und wischte die Tränenspuren von Lilys Wangen.

„Sogar du rotzt mir die Schulter voll“, murmelte er und zwinkerte.

Lily musste glucksen und das schien den Knoten in ihrer Kehle endgültig zu sprengen.

James wischte ihr zufrieden die letzten Tränen mit dem Daumen von der Wange. Lily lächelte ihn dankbar an und seine Berührung wurde sanfter, sein Blick weicher. Dann beugte er sich vor und küsste sie.

Lily blinzelte. James‘ Brille schob sich hart gegen ihre Nase. Und für einen Moment gab sie den Kuss zurück.


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