von Dr. S
„Das ist nicht dein Ernst, Sirius.“
Der zottelige schwarze Hund senkte seinen Kopf und schaute aus großen Augen nach oben, fiepte leise. Sirius wusste, dass niemand mit einem Herzen bei seinem Hundeblick hart bleiben konnte.
Harry rieb sich über die Stirn. Für sein Alter zeichnete sich die Sorge dort bereits zu deutlich ab. Seit er ihn in den Flammen und in Person am ersten September das letzte Mal gesehen hatte, war er blasser und wieder dünner geworden. Molly Weasley hätte ihn mit selbstgekochtem Essen vollgestopft. Sirius konnte nicht kochen, aber er konnte für seinen Patensohn da sein.
Er hatte Harry eine Eule geschickt, dass er sich nach dem Unterricht bei Hagrids Hütte einfinden sollte. Er hatte sich dahinter in seiner Animagusgestalt ins Kürbisfeld gelegt und die Sonnenstrahlen genossen, die es zwischen den dicken, grauen Wolken hindurchschafften; selbst das war eine kleine Seltenheit in den Wänden vom Grimmauld Place. Regen lag in der Luft. Die letzten Tage waren stürmisch und verregnet. Der erbarmungslose Herbstwind, der die letzten bunten Blätter von den löchrigen Baumkronen des Verbotenen Waldes riss, konnte ihm die frische Luft aber nicht kaputt machen. Im Grimmauld Place schien es immer kalt zu sein.
Genau hier zwischen den großen, orangenen Kürbissen hatte Harry ihn auch fast sofort entdeckt.
„Wir sollten das nicht hier besprechen“, zischte Hermine. Sie und Ron ließen Harry natürlich keinen Weg alleine gehen, auch wenn Harry sich eingepfercht zwischen seinen besten Freunden nicht sehr wohl zu fühlen schien. „Wenn irgendwer dich hier draußen sieht…“
„Denkt der wahrscheinlich, das ist Fang“, sagte Ron schulterzuckend.
„Oh, bitte. Nur ein Idiot würde ihn für Fang halten, Ron.“
Ron schnaubte empört auf. „Ich hab ihn vom Weiten für Fang gehalten. Hältst du mich also für einen Idioten?“
„Pff, du willst dich unbedingt persönlich angegriffen fühlen, ja?“
„Nein. Neben deinem vollgestopften Gehirn sind wir natürlich alle Idioten. Das ist eine Tatsache.“
Harry sah aus, als würde er gleich explodieren, während Ron und Hermine sich über seinen Kopf kabbelten. Er biss die Zähne deutlich aufeinander und atmete scharf aus. „Hermine hat Recht“, sagte er und zog so einen Schlussstrich unter die Diskussion seiner Freunde. „Hier laufen keine sehr vertrauenswürdigen Menschen herum.“ Sein Blick wanderte über die Ländereien, wo sich wegen des schlechten Wetters kaum Schüler aufhielten. „Was hast du dir bloß gedacht, Sirius?“
Hermine hakte sich bei Harry ein und drehte ihn bestimmt in Richtung der Hütte. „Am besten gehen wir rein.“
Der Gedanke unnötig viel Zeit im Inneren von irgendeinem Gebäude zu verbringen missfiel Sirius. Er setzte seinen Hundeblick auf, aber Hermine verzog nicht einmal die Wimper. Anscheinend hatte sie weniger Herz als Draco Malfoy.
Sirius fiepte und zog den Schwanz geschlagen ein. Er trottete hinter Harry und Hermine her, die ihm die Tür öffneten. Ron blieb hinter ihm, wie ein Wachmann, der ihn abfangen sollte, wenn er versuchte auszubüchsen.
„Hey, Weasley!“, rief eine gelangweilte Stimme vom Hang. Sirius schaute über die Schulter und entdeckte Draco Malfoy in einer Gruppe gorillaartiger Jungs auf dem Weg zum Stadion. Selbst auf die Entfernung konnte er sein herablassendes Grinsen erkennen. „Trainierst du den Köter darauf die Bälle für dich zu fangen? Beim Spiel macht er sicher eine bessere Figur als du.“ Draco ruderte ungeschickt mit den Armen und griff in die Luft, als wäre ein Quaffel direkt über seinen Kopf geflogen. Seine Freunde lachten lauthals los und Rons Ohren wurden knallrot.
Sirius knurrte leise. Der kleine Malfoy war also doch ein arrogantes Arschloch, wie es im Buche stand. Ein bisschen Tierliebe täuschte ihn nicht darüber hinweg.
„Halt die Klappe, Malfoy!“ Harry kam zurück und eilte an Rons Seite, packte ihn am Arm. „Oder reiß es auf, wenn du zur Abwechslung mal was fängst!“
Draco verging als Einzigem komplett das Lachen.
„Komm, Ron. Hör nicht auf ihn“, murmelte Harry und zog Ron hinter sich her. Sirius folgte rücklings und beobachtete, wie Draco einen besonders dämlich aussehenden Jungen von sich schubste, als der es wagte zu lachen, und in Richtung Quidditch-Stadion davon stapfte. Der Rest trottete grölend hinterher.
Sirius drehte sich um und schob die Tür mit dem Oberkörper ins Schloss. Beim Aufstehen verwandelte er sich zurück. Er wischte sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht. „Also… worüber konnten wir nicht draußen reden?“
Harry und Hermine schauten ihn an, während Ron auf einen der überdimensionalen Stühle kletterte.
„Das ist verrückt“, sagte Harry.
„Du kannst nicht einfach hierhergekommen“, unterstützte Hermine ihn. „Das halbe Ministerium ist dir auf der Spur. Du bist der meistgesuchte Mann des Landes.“
„Eine fragwürdige Ehre. Man sollte meinen, das Ministerium würde sich mehr um Voldemort scheren“, sagte Sirius, aber sein Scherz stieß auf taube Ohren.
„Was, wenn dich jemand erkannt hat? Malfoy, zum Beispiel. Er weiß, wie deine Animagusgestalt aussieht. Er hat dich schon auf dem Bahnsteig neundreiviertel gesehen“, fuhr Hermine einfach fort.
Sirius konnte darüber nur die Augen verdrehen. „Mach dir darüber keine Sorgen. Das ist nicht das erste Mal, dass ich mich nach Hogwarts schleiche, Hermine.“
„Aber das erste Mal, dass du es unter der Nase des Ministeriums tust“, sagte Harry.
Sirius wog den Kopf in der Andeutung eines Schüttelns hin und her. „Dementoren und Sicherheitstrolle gehören genaugenommen auch zum Ministerium, also…“
„Umbridge ist Fudges Schoßhündchen. Wenn sie irgendetwas Verdächtiges sieht, landest du im Handumdrehen wieder in Askaban. Oder noch schlimmer.“
Die Sorge in Harrys Stimme rührte Sirius und ärgerte ihn gleichermaßen. Er war seit fast drei Jahren auf der Flucht. Man sollte meinen, er hätte sich den Ruf verdient, dass er sich angeblich in Rauch verwandeln konnte.
„Weiß Dumbledore, dass du hier bist?“, fragte Hermine.
„Dumbledore weiß mehr, als gut für ihn ist“, sagte Sirius, grinste aber wieder alleine. „Wenn du wissen willst, ob ich ihn um Erlaubnis gefragt habe: Nein. Früher oder später wird er schon merken, dass niemand die Kohlen für ein Treffen des Ordens schürt.“ Darin steckte ein wenig zu viel Frustration für die niemand in diesem Raum etwas konnte. Er versuchte das mit einem breiteren Grinsen zu überspielen.
Harry verbarg das Gesicht hinter einer Hand und drehte sich weg. Sein Handrücken schien merkwürdig geschwollen. Sirius hatte mit einer euphorischeren Begrüßung gerechnet, vor allem, wenn er daran dachte, dass James ihm schon längst um den Hals gefallen wäre und seine Idee gelobt hätte.
„Dein Vater hätte sich gefreut“, sagte Sirius kühl.
Harry schaute ihn über die Schulter an und zog seinen Ärmel weit über die Hand, als er Sirius‘ Blick bemerkte. „Ich bin froh dich zu sehen, Sirius. Aber ich dachte, wir haben geklärt, dass das zu gefährlich ist, als du nach Hogsmeade kommen wolltest. Hogwarts ist nicht sicherer.“
„Oh, bitte“, winkte Sirius ab. „Es ist nicht so, als würde ich hier neben euch herlaufen, wie wir es in Hogsmeade hätten tun können. Nicht einmal als Hund. Ich bleibe hier drin, solange Hagrid nicht da ist. Und wenn ich mal draußen bin, wird sich niemand wundern. Ihr macht euch unnötig Sorgen. Auch wegen Malfoy. Er hat mich nicht erkannt, sondern für einen süßen, knuffigen Hund gehalten, mit dem man bei so einem Wetter Ball spielen will. Im Zug wollte er euch sicher nur reinlegen.“
Vielleicht war es die übertriebene Beschreibung, aber Harrys Ausdruck wurde weicher. Er zupfte weiter am Saum seines Ärmels herum.
„Malfoy ist nicht unbedingt der Hellste“, sagte Ron. Er meldete sich das erste Mal zu Wort, seit Draco Malfoys Kommentar ihm die Verlegenheit in die Ohren getrieben hatte. Offenbar nagte die Anspielung auf sein fehlendes Quidditch-Talent sehr an ihm. „Na ja, bis auf sein Haar.“
Hermine verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist nicht besser als er, wenn du ihn wegen seiner Haarfarbe diskriminierst.“
„Ich diskriminier ihn nicht wegen seiner Haare, sondern wegen seiner Art. Oder haben seine Haare dich so sehr geblendet, dass du vergessen hast, was für ein Arsch er ist?“, gab Ron zurück.
Hermine errötete leicht und öffnete den Mund, um sich empört zu rechtfertigen, aber Ron ignorierte sie einfach.
„Was ist mit Hagrid?“, wollte er wissen. „Stört es ihn nicht, dass du dich in seinem Haus einnistest? Wo ist er überhaupt? Wir haben ihn das ganze Schuljahr noch nicht gesehen.“
„Er ist auf einer Mission für den Orden“, sagte Sirius sachlich. Alle bekamen Missionen und Aufträge oder irgendetwas, um sich nützlich zu machen. „Er wird nichts dagegen haben, und ich präferiere ein warmes Bett gegenüber einer feuchten Höhle oben in den Bergen.“
Ron grinste ihn an und fing sich dafür einen strafenden Blick von Hermine. Sie schien noch wütender auf ihn zu sein, als sie sowieso immer war.
„Wieso?“, fragte Harry. Er stand beim Fenster und schaute durch einen Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen hinaus, als erwarte er jeden Moment Rita Kimmkorn persönlich auf Sirius‘ Spur zu ertappen. Vielleicht schaute er Sirius auch nicht an, weil er ihm nicht ins Gesicht sagen wollte, für wie bescheuert er seine Idee hielt.
„Das Flohnetzwerk können wir seit unserem letzten Intermezzo schlecht weiter verwenden, nicht wahr? Umbridges Pranke hat mir selbst über die Entfernung fast die Frisur ruiniert.“ Sirius grinste, aber Harry schaute ihn nicht an. Ron erlaubte sich ein Schmunzeln, das ihm nach einem weiteren Blick von Hermine auch wieder verging.
„Hey.“ Sirius folgte Harry ans Fenster und außer Hörweite der beiden – Hermine lenkte Ron leise fauchend ab, damit sie einen Moment für sich hatten. „Mir wird nichts passieren, und ich zwinge dich auch nicht mich jeden Tag besuchen zu kommen. Aber wenn etwas ist, will ich davon erfahren und auch etwas tun können. Und wenn du keine Eulen schicken kannst, muss ich eben in Wurfweite sein. Schmeiß Pig aus dem Fenster.“
Harry verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Es geht mir gut, Sirius. Meinetwegen musst du das nicht tun.“
„Es geht dir gut?“ Sirius streckte die Hand erwartend aus. „Zeig mir deinen Handrücken.“
„Was? Wieso?“ Harry wollte einen Schritt zurückweichen, also packte Sirius seinen Ärmel. Er schob ihn hoch und entblößte die geschwollenen Schrammen auf Harrys Handrücken. Sie schienen Buchstaben zu formen. Ich soll keine Lügen erzählen. Die ganze Zeit versuchte er das schon unter seinem Ärmel zu verstecken.
„Ich nehme an, das hast du deiner neuen Lieblingslehrerin zu verdanken?“, sagte Sirius mit aufeinander gepressten Kiefern.
Harry schaute auf den Boden, als müsse er sich dafür schämen, und zog seine Hand aus Sirius‘ Griff.
„Wieso hast du nichts gesagt?“, fragte Sirius. „Wenigstens zu Dumbledore?“
„Dumbledore hat Wichtigeres zu tun, als sich um meine Probleme zu kümmern“, sagte Harry mürrisch.
„Dann geh ich es ihm sagen.“ Sirius drehte sich zur Tür und wollte sie aufreißen, als Harry ihn an beiden Armen packte und zurückhielt.
„Du kannst so nicht rausgehen, Sirius! Du bist noch ein Mensch!“ Harrys verletzte Hand vergrub sich in seinem Hemd. Die eingeritzten Worte kühlten Sirius‘ Gemüt nicht ab. Über den Kamin hatte er nie bemerkt, wie sehr sein Patensohn litt, und Harry war es von klein auf gewöhnt so von Erwachsenen untergebuttert zu werden. Es lag nicht in seiner Natur sich über diese Ungerechtigkeit aufzuregen.
Ein Junge wie er sollte andere Dinge im Kopf haben. Quidditch und Mädchen, vielleicht noch die ZAG-Prüfungen. Verleumdungen und Voldemort sollte er nicht alleine durchstehen müssen.
Ein Grund mehr hierzubleiben.
Sirius schlug den offenen Türspalt wieder zu. „Ich bleibe, Harry. Und wenn nur, um dir zu zeigen, was besser dafür ist als Murtlap-Essenz.“
Harry schien sich gegen das Zucken in seiner Mundwinkel zu sträuben, verlor den Kampf aber. „Das wäre toll. Brennt wie Sau.“
Sirius wuschelte ihm durch die sowieso schon wirren Haare. „Ich kann Umbridge auch den Grimm vormachen, wenn –“
Harry schüttelte den Kopf. „Tu mir den einen Gefallen und halt dich von ihr fern.“
Wie groß dieser Gefallen war, schien Harry nicht einmal zu erahnen. Sirius wollte diese widerliche Hexe am liebsten in die Peitschende Weide locken.
„Wenn du Umbridge nicht auf die Nerven gehen darfst“, sagte Ron, „beiß doch Draco Malfoy in den Hintern.“
„Ron!“, empörte Hermine sich.
Sirius gluckste. „Ich seh, was ich tun kann.“
„Sirius!“
Er nahm sich ein Beispiel an Ron und ignorierte ihre Empörung. „Und jetzt will ich alles über eure kleine Widerstandsgruppe hören, okay?“
Harrys Gesicht hellte sich endlich vollständig auf.
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