von Dr. S
Regen hing in den dicken, grauen Wolken, die sich über den Ländereien auftürmten. Das schummerige Licht in der Bibliothek reichte nicht aus, um ohne schmerzende Augen mehr als einen Absatz zu lesen. Sirius blickte so lange aus dem Fenster, bis alles in ein gleichmäßiges Grau verschwamm. Seine schwache Reflektion in der Glasscheibe musste Tränen aus ersten Regentropfen erdulden.
Er zog sich eine flackernde Lampe heran, gähnte, blätterte um und las weiter über die skurrilsten Verwandlungen mittelalterlicher Zauberer, die zu langweilig waren, um wirklich als skurril durchzugehen. Gerade las er über Thaddeus Thurkell, der all seine sieben Squib-Söhne in Igel verwandelt hatte, als er aus seiner sorgfältig aufgebauten Konzentration gerissen wurde.
Lily Evans plumpste in den Sitz gegenüber von ihm. „Da stimmt doch irgendwas nicht. Sirius Black ganz allein in der Bibliothek?“
„Jetzt nicht mehr so alleine“, meinte Sirius zwinkernd. Er schob die Kerze aus dem Weg und faltete die Hände auf seinem Buch. „Was verschafft mir die Ehre?“
„Nichts“, winkte Lily ab. „Ich hab dich hier sitzen sehen. Dachte, ich sag mal hallo.“
Es brauchte schon mehr, um ihn davon zu überzeugen. Das einzige, was sie beide verband, war James. Sicherlich vermisste Lily ihn und dachte, über seinen besten Freund würde sie ihn finden. Ein Gedanke, der Sirius bittere Krämpfe in seinem Magen bekämpfen ließ. Er zwang sich zu grinsen.
So, wie er sich den ganzen Tag gezwungen hatte zu grinsen.
„Hallo“, sagte er, als würde er jeden Buchstaben genießen. „James hat Quidditch-Training.“
Lily nickte. „Ich weiß. Was… ist mit Remus und Peter?“
„Sind oben im Gemeinschaftsraum und helfen sich bei den Hausaufgaben.“ Als er gegangen war, hatte Remus sich die Haare gerauft, weil Peter seine eigenen Ohren auf Mary Macdonalds Katze gehext hatte – man sollte das für ein Kinderspiel halten, wo er sich einmal im Monat in eine Ratte verwandelte. Lustig war es allemal gewesen, und Sirius hatte Remus‘ verdächtigende Blicke auf sich gezogen, weil er keinen Lacher über die Lippen bekommen hatte.
„Ah…“ Lily warf einen Blick auf das Buch vor Sirius. „Arbeitest du an dem Aufsatz für Verwandlungen?“
Sirius klappte das Buch zu. „Unter Umwegen.“ Er stand auf, um es zurückstellen. Komplizierte Wörter lenkten ihn auch nicht ab. Nicht einmal das Stück Schokolade, das die ganze Zaubertrank-Stunde über in Snapes Haaren klebte, hatte dafür ausgereicht. Anscheinend brauchte er mindestens vierundzwanzig Stunden um sich wieder zu fangen.
Lily schob sich vor die Lücke im Regal. „Wir könnten zusammenarbeiten, was meinst du?“
„Oh, Lily…“ Sirius streckte sich um sie herum und drängte sich dabei so dicht gegen sie, dass er den stockenden Atem in ihrer Brust spüren konnte. Er grinste auf Lily herunter. „Man könnte fast denken, dass du meine Nähe suchst.“ Schwungvoll schob er das Buch in die zugehörige Lücke und gab Lily ihren Raum zum Atmen zurück.
Er schlenderte um das Bücherregal herum in der Hoffnung, dass er sich nicht weiter bemühen müsste. James‘ kleiner Ausrutscher sollte ihn nicht weiter beschäftigen. Es war auch sein Ausrutscher gewesen, ja, aber das war es auch schon. Ein Ausrutscher. Er sollte das alles abhaken und weitermachen wie immer. Aber er konnte nicht. In ihm brodelte Eifersucht. Und das war gar nicht gut.
Inzwischen schlug ein leichter Regen gegen die Fenster. Lily glitt hinter der anderen Seite des Bücherregals in Sirius‘ Weg. Sie lehnte sich gegen das schwere Holz und versperrte den Weg. „Einfach abzuhauen, während ich mit dir rede, ist nicht sehr nett.“
Sirius warf ihr ein Schmunzeln zu. „Du hast es sicher schon gehört: Ich bin kein netter Kerl.“
„Oh, ja. Gedämpft durch Kopfkissen und Tränen zwar…“ Lily unterbrach sich selbst mit einem Kopfschütteln. „Du hast sicher deine Vorzüge.“
Sirius wandte sich Lily zu und beugte sich ein Stück zu ihr herunter. Er atmete den blumigen Duft von Shampoo und einem Hauch Parfüm ein. Bei ihrem unschuldigen Blick grinste er nur noch verschmitzter. „Ich bin mir sicher von denen hast du auch schon gehört.“
Lily stieß gegen seine Brust, schüttelte aber nicht schnell genug den Kopf, dass ihr Lächeln verfliegen würde. Ein hübsches Lächeln. Man konnte James keine Vorwürfe machen.
Sirius seufzte. „Ich weiß, was das soll. Du musst allerdings nicht mit mir auskommen, um mit James zusammen zu sein. Uns gibt’s nicht nur im Doppelpack zu kaufen.“
„Ich glaube du unterschätzt, wie wichtig du für ihn bist.“
Sirius hätte nicht gedacht, dass er sich noch mehr wie ein geprügelter Hund fühlen könnte. Wichtig. Nicht wichtig genug, um eine halbe Stunde zu warten… Er atmete tief durch.
Und suchte das Bücherregal weiter ab. Er ging direkt neben Lily in die Hocke und durchsuchte die unterste Reihe. Einige Lederbände hatten Dellen, als wäre ein Fuß in ihnen gelandet. Katastrophen durch Käfer-Knöpfe hatte so viele Dellen und Ecken, als hätte jemand darauf getanzt. Ein schwer zu lesender Titel verbarg sich hinter Lilys Bein. Sirius fasste sie an der Wade und schob sie ein Stück zur Seite.
Lily räusperte sich. „Ich denke, dass es nicht schadet, wenn wir uns bemühen miteinander auszukommen“, sagte sie.
Sirius schaute hoch, die Hand immer noch auf Lilys Bein, nur von einer dünnen Strumpfhose von ihrer Haut getrennt. „Lily, solange du James glücklich machst, kommen wir phantastisch miteinander aus.“ Er stand auf, ohne Ausbeute an Büchern und ein bisschen enttäuscht, dass Lily keinen Millimeter von ihm zurückwich. Ein bisschen provozieren durfte er sie. „Wenn du deine kostbare Zeit dann lieber mit mir als mit deinem Freund verbringen willst, bitte sehr.“ Sirius ließ die Augenbrauen hüpfen und fing sich noch einen Klaps gegen den Brustkorb. Da hatte er allerdings schon schlimmeres erlebt.
„Auch auf die Gefahr hin, dass das in deinen Ohren falsch klingt: James hat Quidditch-Training. Ich bin also frei.“
„Woah…“ Sirius machte einen Schritt nach hinten. „Das hört sich in der Tat falsch an.“ Und allen Spaß beiseite, er hatte keine Lust mit Lily Evans zu reden. Nicht jetzt, nicht heute, vielleicht morgen auch noch nicht. Er hatte noch nicht einmal wirklich mit James gesprochen. Gestern hatte er sich ins Bett gelegt und nicht reagiert, als James zwischen seinen Vorhängen durchgeschaut hatte. Er war jetzt alleine in der Bibliothek, um wieder auf die richtige Spur zu kommen. Und Lily ließ ihn nicht.
„Frei zum Reden“, sagte Lily. „Ein paar Minuten wirst du doch wohl haben.“
Lust dagegen nicht. Sirius hob entschuldigend die Schulter. „Die Bibliothek ist kein geeigneter Ort für tiefgründige Gespräche.“
„Dann gehen wir woanders hin.“ Lily schien sich wirklich zu bemühen mit ihm zu interagieren. Sie tat es für James, und das konnte Sirius ihr nicht übelnehmen. Er hatte sowieso kein Recht ihr etwas übelzunehmen.
Seufzend strich er sein Haar aus der Stirn. „Lily, das ist alles nicht nötig. Binde James einfach nicht mehr auf die Nase, dass ich ein schlechter Einfluss sei, und das Problem ist gelöst.“
Jetzt wurde Lily rot. „Er hat’s dir erzählt.“ Sie wich seinem Blick aus und murmelte: „Natürlich hat er…“
„Genau genommen…“ Sirius ließ den Zwei-Wege-Spiegel lieber aus. So groß Lilys Affinität für James‘ Geheimnisse zu sein schien, das war eins zwischen ihnen und er wollte es nicht gerade jetzt teilen. „Mein Bruder hat’s mir gesagt. Er hat euch hier plaudern hören.“
Lily wurde das alles immer unangenehmer. „Ich meinte nicht, dass du… Ich…“ Sie blickte sehr plötzlich hoch zu Sirius. „Dein Bruder?“
Sirius nickte. Er hob die Hand auf Schulterhöhe. „Ungefähr so groß. Grimmige Schnute. Vertrauensschüler, also solltest du –“
„Ich weiß, wer dein Bruder ist. Ich dachte nur, dass ihr euch nicht besonders gut versteht.“ Lily seufzte. „Es tut mir wirklich leid. Ich –“
„Lily.“ Sirius winkte ab und lächelte. „Mach dir keinen Kopf. Ich bin der Letzte, der dir und James irgendwie im Wege stehen würde.“
Lily lächelte zurück, merklich erleichtert. „Dann lass uns das hier versuchen, Sirius. Wir finden bestimmt etwas, das wir gemeinsam haben.“
„James“, sagte Sirius. Die einzige richtige Antwort.
Lily lachte darüber. „Was magst du denn an James?“ Eine lockerleichte, kaum ernst gemeinte Frage.
„Was kann man an James nicht mögen?“, fragte Sirius genauso gelassen zurück.
Lily schaute ihn an, eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen, und nickte.
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