von käfer
Bei den Snapes fliegen die Fetzen...
Zitternd vor Angst hockte Severus im großen Schrank auf dem Flur. Weiter war er nicht gekommen, als die Mutter nach dem Abendessen gesagt hatte: „Es wäre besser, du würdest heute nicht weggehen. Wir müssen darüber reden, wie wir die Schulsachen für Severus bezahlen“ und der Vater losgebrüllt hatte: „Der Bengel frisst mir noch die Haare vom Kopf!“ Dabei hatte er ihn mit einem so furchtbaren Blick angesehen, dass Severus große Angst bekam und sich nur noch ganz schnell verstecken wollte. Jetzt hockte er im Schrank und der Vater stand davor und stritt sich mit der Mutter.
„… musstest ja unbedingt letzte Woche eine neue Bluse kaufen!“
„NEUE Bluse? Wenn du richtig hingeschaut hättest, wüsstest du, dass ich die Bluse aus dem zusammengenäht habe, was von meinem alten Sommerkleid noch brauchbar war. Ich habe schon zwei Jahre lang nichts neues mehr gekauft, nicht mal Strümpfe!“
„Musst eben sparsamer mit dem Geld umgehen!“
„Wenn du mal genauer ins Haushaltsbuch sehen würdest, würde dir auffallen, dass über die Jahre alles teurer geworden ist und gleichzeitig gibst du mir immer weniger Geld.“
„Ich kann doch nichts dafür, dass ich so wenig verdiene!“
„Kannst du sehr wohl! Bräuchtest bloß regelmäßig zur Arbeit zu gehen!“
„Spi-spionierst du mir etwa nach?“
„Es wäre besser, ich täte es! Am Dienstag habe ich zufällig deinen Chef getroffen und er hat mich gefragt, wann du wieder zur Arbeit kommst.“
„Ach, dir habe ich das also zu verdanken?! Du hirnloses, hinterhältiges Miststück!“
„Du bist doch jeden Morgen gegangen wie zur Arbeit, hast sogar von Überstunden gefaselt! Belogen hast du mich, du mieser Kerl! Treibst dich draußen rum, und ich weiß nicht, wovon ich Severus das Schulzeug bezahlen soll!“
„Die Notfallkasse bleibt jedenfalls zu!“
„Dann können wir eben in den nächsten zwei Monaten nichts für das Auto zurücklegen.“
Severus horchte auf. Die Eltern sparten für ein Auto? Das wäre toll! Dann könnte die Mutter vielleicht zum Einkaufen fahren und Severus musste nicht mehr mitgehen und die Beutel schleppen und das Gespött der anderen Kinder ertragen. Und vielleicht fuhr der Vater einmal mit ihm in die Kreisstadt in das Filmtheater, von dem alle redeten…
„KOMMT GAR NICHT IN FRAGE!“, brüllte der Vater. „Da kommen wir ja nie zum Auto!!!“
„Warum brüllst du so? Ich bin nicht schwerhörig. – Im Übrigen glaube ich nicht, dass es uns jemals gelingt, genug Geld für ein AUTO zusammenzukratzen. Und selbst wenn wir es schaffen und so eine alte Rostlaube kaufen könnten – der Unterhalt kostet auch viel Geld, Benzin und Ersatzteile und so. Den Führerschein hat keiner von uns und das kostet noch mal extra. Außerdem: Wofür brauchen wir überhaupt ein Auto? Wir kommen mit dem Bus zurecht.“
„Wenn ich ein Auto hätte, könnte ich in die Stadt zum Arbeiten fahren und mehr verdienen.“
„Das glaubst du doch selber nicht! In der Stadt sind schon so viel Arbeitslose, da findet ein Ungelernter wie du erst recht nichts. – Und jetzt guck dir endlich die Liste an!“
„Gib her!“ – „So viel! Das ist doch Wahnsinn! Ich bin mit zwei Heften und einem Bleistift ausgekommen!“
„Deshalb hast du´s auch nur zum Hilfsarbeiter gebracht statt was Ordentliches zu lernen!“
„Du hast mich ja ge-“
„Als du deine Lehre abgebrochen hast, haben wir uns noch gar nicht gekannt. Hör endlich auf, mir die Schuld für deine Dummheit und Faulheit zu geben!“
„Halt die Klappe und lass mich lesen! - Also, den Ranzen kriegt er von mir. Den hole ich gleich morgen von meinem Bruder.“
„Stopp! Morgen gehst du zur Arbeit, damit das klar ist! Wir brauchen jeden Penny und dein Chef schmeißt dich raus, wenn du noch eine Fehlschicht einlegst!“
„Halt den Mund! Was ich mache, geht dich nichts an!“
„Doch, vor allem, wenn es um unser Überleben geht! Und jetzt lies endlich!!!“
„Turnschuhe? Wieso braucht der Bengel Turnschuhe?“
„Für den Schulsport in der Turnhalle. Da kann Severus schlecht barfuß laufen.“
„Die gibt´s doch bestimmt auch billiger! Du musst nicht immer das teuerste kaufen!“
„Das sind die billigsten Dinger, die ich in der ganzen Umgebung finden konnte.“
„Bist du wieder stundenlang für teuer Geld mit dem Bus durch die Gegend gefahren? Und dann jammerst du rum, dass die Kohle nicht reicht!“
„Wie du wissen solltest, habe ich andere Möglichkeiten. Zum Glück für die Haushaltskasse. Hättest du eine Muggelfrau, wären wir längst verhungert.“
„Pffff!“
„Füller? Warum braucht er einen Füller? Du gibst ihm deinen. Deine zwei Briefe im Jahr kannst du auch nachmittags schreiben.“
„Was ich habe, ist kein Füller für einen Schulanfänger. Meinen kann Severus gar nicht in seiner kleinen Hand halten.“
„Quatsch!“
„Einen Füller müssen wir ihm kaufen, es geht nicht ohne!“
„Willst du Fibel und Rechenbuch allen Ernstes neu kaufen? Jaulst rum, dass du keine Strümpfe hast, aber verschleuderst mein gutes Geld für Bücher! Hier im Dorf gibt´s so viele Leute mit größeren Kindern, frag doch erst mal die, ehe du losrennst und kaufst! Weiber! Haben alle die Kaufsucht! Also…“
Es wurde still. Severus im Schrank zitterte immer mehr. Eine Träne stahl sich aus dem Augenwinkel und schlich über die Wange. Vermutlich war er der einzige in der Klasse, der bei der Einschulung gar nichts Neues hatte. Selbst die Highfields hatten genug Geld, um Patrick einen neuen Füller kaufen zu können. Patrick besaß schon alles für die Schule, ganz stolz hatte er es Severus gestern gezeigt. Aber Patricks Vater arbeitete auch an einer Maschine und verdiente mehr.
Gerade als Severus aus dem Schrank krabbeln wollte, brüllte der Vater: „So wird es gemacht! Und damit basta!!!“
Die Antwort der Mutter konnte Severus nicht verstehen, dafür hörte er laut und deutlich, wie der Vater rief: „Du bräuchtest bloß dein Dingsda zu benutzen und schon wäre genug Geld da!“
„Ich hab´ dir schon tausend Mal gesagt, dass man Geld und Essen nicht einfach so herhexen kann!“
„Papperlapapp!“
Rasch versteckte sich Severus hinter Mutters langem Mantel und hielt die Luft an, als er Schritte hörte. Der Vater riss die Schranktür auf, zerrte seine Jacke heraus, knallte die Tür wieder zu und ging aus dem Haus. Diesmal schmiss er die Tür so zu, dass alles wackelte und klirrte.
Severus wartete noch lange, ehe er sich hervortraute. Auf Zehenspitzen ging er in sein Zimmer, kroch ins Bett und zog sich die Decke über die Ohren.
Am nächsten Morgen weckte die Mutter ihn sehr zeitig, ließ ihn Jacke und Schuhe anziehen und nahm ihn bei der Hand. „Komm, wir machen einen Spaziergang“, sagte sie und Severus hörte, dass sie fröhlich klingen wollte. Es entging ihm nicht, dass sie in ein paar Schritten Abstand dem Vater folgten, der zur Fabrik ging. Von Zeit zu Zeit drehte er sich um und warf böse Blicke auf Severus und die Mutter. Etwas abseits warteten sie, bis die Fabriksirene tutete und das Tor zuging. Dann gingen sie heim und frühstückten, aber viel gab es nicht, nur ein bisschen dünnen Haferschleim ohne Zucker.
Abends kam der Vater immer sehr spät heim. Wenn die Eltern überhaupt miteinander redeten, dann nur im Streitton. Severus versuchte, sich unsichtbar zu machen, denn der Vater sah ihn immer so an, als wollte er ihn verprügeln und manchmal, wenn die Mutter nicht in der Nähe war, schlug er wirklich zu.
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