von Dr. S
Selten in seinem Leben hatte Sirius sich so vor den Kopf gestoßen gefühlt, wie nach Dracos Abgang. Er hatte ihm Zeit lassen wollen, damit er sich nicht bedrängt fühlte und komplett dicht machte, aber nach ein paar Tagen ohne einen einzigen Blick in seine Richtung, zerrte es an seinen Nerven.
Dass er etwas falsch gemacht hatte, war gar nicht zu bestreiten. Sirius hatte einen miesen Tag gehabt und sich zu Dingen verleiten lassen, die in jederlei Hinsicht nicht richtig waren – er brauchte nicht einmal einen Remus, um sich das ins Gedächtnis zu rufen.
„Du siehst aus, als hättest du irgendetwas angestellt“, sagte Remus, nachdem sein bohrender Blick Sirius bis auf die letzte Zelle untersucht hatte.
Sie saßen an einem Tisch in den Drei Besen. Um sie herum wimmelte es von aufgeregten Schülern. Es war das letzte Hogsmeade-Wochenende vor den Ferien und das erste im Schnee. George Weasley hatte Unrecht behalten, dass die Schüler im Krieg nicht in das kleine Dorf wandern durften, und Fred ärgerte sich jetzt sicherlich schwarz. An jeder zweiten Ecke traf man Auroren, die sichergingen, dass niemandem etwas passieren würde. Sirius war oben beim Schloss in Tonks gelaufen, die ziemlich schnell das Weite gesucht hatte, als er erwähnt hatte, mit wem er sich treffen wollte.
„Müssen wir ernsthaft über mich reden? Ich versauere in einem langweiligen Lehrerjob. Mein Leben ist erbärmlich.“ Sirius wollte sein Glas mit Bourbon – Rosmerta war heute nicht ganz bei sich – leeren, aber Remus nahm es ihm weg. „Was? Sind wir jetzt zwölf?“
„Du brauchst das nicht. Es geht dir gut.“
„Hast du mir gerade zugehört?“
Remus trank den letzten Schluck aus Sirius‘ Glas. Sein Gesicht verzog sich leicht und er schüttelte sich. Sirius schmunzelte darüber.
„Siehst du.“ Remus zeigte mit dem Finger auf ihn, als wäre Lächeln verboten. „Du grinst viel zu leicht. Wenn du wirklich deprimiert bist, kriegt man deine Mundwinkel keinen Millimeter nach oben. Dir geht’s also gut. Du hast etwas angestellt, das bestimmt saudämlich war, dir aber Spaß gemacht hat.“
„Sind wir jetzt fünfzehn und du musst mich darüber belehren, was für ein schlimmer Junge ich bin?“
„Das klappt sowieso nicht.“ Remus schob das Butterbier, das Sirius keines Blickes gewürdigt hatte, direkt unter seine Nase. Sirius schob es wieder zurück.
„Wenn du mir was ausgeben willst, dann einen vernünftigen Drink.“
Remus hob eine Hand an seine Stirn und massierte sich alles andere als subtil die Schläfe. „Sei ein gutes Vorbild, Sirius. Ich würde alles für deinen Job geben.“
Nur, um Remus einen Gefallen zu tun, trank Sirius von dem Butterbier und wischte sich sicherheitshalber über den Mund. Remus wärmte sich lächelnd die Hände an seiner heißen Schokolade – und Sirius hatte genau gesehen, dass er sich einen Schuss Alkohol hineingegossen hatte.
„Apropos gutes Vorbild. Ich wollte dich etwas fragen, Moony. Du hast doch… Moony?“
Remus ließ sich heute sehr leicht ablenken. Gerade von einem Giggeln am Nachbartisch. Ein paar Siebtklässlerinnen aus Gryffindor warfen ihnen seit sie hereingekommen waren viel zu lange Blicke zu. Sirius hatte die Hoffnung aufgegeben, dass die Mädchen Remus erkannt hatten und sich freuten ihn zu sehen.
„Du bist beliebt wie eh und je, Tatze“, stellte Remus schmunzelnd fest.
„Schülerschwärmereien“, winkte Sirius ungeduldig ab. „Das hat nichts zu bedeuten. Du warst in unserem sechsten Schuljahr auch in die neue Lehrerin verknallt – bis sich rausgestellt hat, dass sie professionell Jagd auf Werwölfe gemacht hat.“
Unter dem Tisch verpasste Remus ihm einen Tritt, oberhalb blieb er ganz gelassen. „Lass das nur nicht aus dem Ruder laufen.“
Sirius fühlte sich verbal getreten. Er hatte es aus dem Ruder laufen lassen und konnte sich nicht einmal richtig dafür schämen. Draco war auch ein anderes Thema. Was immer er für Sirius empfand, eine Schülerschwärmerei war es nicht – hoffentlich. Sirius wollte nicht wieder darüber grübeln.
„Also…“ Sirius versuchte sich ganz vorsichtig vorzuwagen, ohne Remus am Ende zu verraten, was er Dummes angestellt hatte. Von dem Vortrag würden ihm die Ohren heftiger klingeln, als von dem Mädchengekicher am Tisch nebenan. „Du hast Harry in der Dritten unterrichtet, oder? Dann war Draco Malfoy auch in deinem Kurs.“
„Schon wieder der Todesser-Kram?“
„Nicht so laut“, zischte Sirius und schaute sich um. Er blieb an einer Person am Tresen hängen. Harry bestellte gerade zwei Butterbier. Sirius entdeckte an einem Tisch in der Nähe Hermine, aber nicht Ron. Er wusste nicht, was da vor sich ging. Harry hatte genauso lange wie Draco kein Wort mit ihm gewechselt. Sirius zwang sich Remus anzusehen. „Ich weiß, dass er einer ist. Ob du mir jetzt glauben willst oder nicht ändert da auch nichts dran.“
„Wenn es so wäre, dann gäbe es nichts, was ausgerechnet du ändern könntest“, sagte Remus. „Draco Malfoy ist ein selbstverliebter, arroganter Ba… Junge.“
Sirius war erstaunt Remus so reden zu hören. Remus selbst war es unangenehm schlecht über einen ehemaligen Schüler zu sprechen.
„Er ist intelligent“, fügte er deswegen hinzu um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. „Mit ein bisschen Hilfe entfaltet er ein großes Talent. Snape hilft ihm meiner Meinung nach ein bisschen zu sehr.“
Sirius ahnte, wo Remus‘ leichte Antipathien herkamen. „Hat er rausgefunden, dass du ein pelziges Problem hast und dich erpresst ihm bessere Noten zu geben?“
„Snape hat hart dran gearbeitet mich auffliegen zu lassen. Würde mich nicht überraschen, wenn sein Lieblingsschüler ein paar Hinweise mehr gekriegt hat. Ich hab es lieber vermieden ihn irgendwie zu provozieren.“ Remus pustete die Dampfwolke von seiner Schokolade weg. „Aber ich glaube, tief in seinem Innersten ist Draco nicht verdorben genug für einen Todesser. Ohne Beweise solltest du ihn also nicht beschuldigen.“
„Wen beschuldigen?“ Harry hatte sich an sie herangeschlichen, als Sirius gerade in Gedanken gewesen war. Mit zwei Gläsern Butterbier in den Händen lächelte Harry auf Sirius herunter. „Hi.“
„Harry! Setz dich doch.“ Remus rutschte auf seiner Sitzbank einen Platz weiter.
Harry stellte seine Gläser ab und winkte Hermine zu, die immer noch alleine an einem Tisch saß. Ron und sie stritten sich bekanntlich ja häufiger und nach ein paar Wochen war alles wieder gut. Da Harry offensichtlich gerade einen Versöhnungsversuch unternahm, erfuhr Sirius wahrscheinlich bald mehr über diese Sache.
„Wie geht’s so?“, fragte Harry Remus, der nickte aber nur und schaute lächelnd zu Sirius. Der Wink hätte mit einem Zaunpfahl nicht auffälliger sein können.
„Äh, Harry.“ Sirius fiel es nicht einmal schwer aufrichtig zu lächeln. Er war nicht sauer auf Harry, und hoffte, dass Harry nicht mehr sauer auf ihn war. „Du kannst mir nicht zufällig noch einmal die Karte borgen?“
Harry legte den Kopf schief. „Ich dachte, du hast sie.“
„Ich dachte, du hast sie dir wiedergeholt. Sie war nicht mehr in meinem Büro.“ Sirius hatte den Satz kaum ausgesprochen, da wurde ihm klar, dass nicht Harry sich in sein Büro geschlichen und die Karte genommen hatte. Draco musste sie eingesteckt haben. Und merkwürdigerweise empfand Sirius deswegen nicht die Spur von Wut.
„Du hast die Karte verloren“, stellte Remus vorwurfsvoll fest.
„Oh, Moony.“ Sirius verdrehte die Augen. „Die Karte kann man nicht verlieren. Sie sucht sich jemanden, der sie gebrauchen kann.“
„Das klang ganz anders, als… er sie damals verloren hat“, murmelte Remus. Sirius‘ scharfer Blick ließ ihn verstummen und an seiner heißen Schokolade nippen.
Harry versprühte Fragezeichen und wollte gerade den Mund aufmachen, als Hermine endlich zu ihnen getrottet war. Sie ließ ihre Frustration über Ron an dem Tisch aus und schlug ihr dickes Buch auf den Tisch. Sirius‘ Butterbier schwappte über. Jetzt neben Hermine sitzen zu müssen behagte Sirius nicht wirklich.
Er stand auf. „Ich hab noch was zu erledigen. Macht’s gut.“
Hermine schnaubte etwas, das nicht sehr freundlich klang und plumpste auf Sirius‘ freien Platz.
„Warte mal.“ Harry lief ihm nach, und Sirius beneidete Remus nicht darum mit Hermine allein gelassen zu werden – andererseits konnte er so sein Helferbedürfnis ausleben.
Sirius wartete auf Harry und trat mit ihm zusammen ins Freie. Es war bitterkalt. Der Schnee auf den Straßen Hogsmeades hatte die Konsistenz von Zuckerwatte und versuchte auch so auszusehen. In kleinen Häubchen bedeckte er die spitzen Dächer und Straßenlaternen.
„Was ist denn mit Hermine los?“, fragte Sirius, als Harry noch mit sich rang, wie oder ob er überhaupt mit Sirius sprechen sollte.
„Ron hat jetzt eine Freundin“, sagte Harry, als wäre das eine besonders schlimme Krankheit – vielleicht auch nur diese spezielle Freundin. „Sie sind in diesem schrecklich rosafarbenen Café. Nicht, dass sie viel von ihrer restlichen Umgebung mitbekommen würden.“
Sirius gluckste darüber, und Harrys verkrampftes Gesicht lockerte sich endlich. Im Vorbeigehen warfen sie einen Blick durch die Fenster der Drei Besen. Hermine und Remus hatten sich gesucht und gefunden um ihre Probleme zu diskutieren – oder zumindest das Buch, das Hermine lieber als Ron umarmte.
„Sirius?“, versuchte Harry es ganz vorsichtig. Der eisige Wind hatte seine Wangen rot gefärbt und zusammen mit dem bettelnden Blick der großen grünen Augen wurde Sirius in wenigen Sekunden weichgeklopft. „Ich wollte mich –“
„Schon gut“, sagte Sirius abwinkend. „Ich bring dir jetzt deine Karte wieder.“
Harry zupfte sich die Ärmel seiner Jacke über die frierenden Hände. „Sie gehört eigentlich dir, also…“
„Du kriegst sie wieder“, versprach Sirius. „Dein Vater hätte das auch gerne gesehen.“
Harry lächelte schief. „Dann… kann ich morgen zum Tee kommen? Und wir reden?“
Sirius würde diese Worte gerne aus einem anderen Mund hören. „Natürlich. Aber jetzt solltest du dich um Hermine kümmern, denke ich.“ Sirius gab Harry einen Schubs in die entgegengesetzte Richtung und schämte sich fast ein bisschen dafür. Harry sollte das Wichtigste in seinem Leben sein. Jetzt schickte er ihn weg, um einem selbstverliebten, arroganten Bastard nachzulaufen, um Remus zu zitieren.
Solange Harry das aber nicht wusste, war es in Ordnung. Er brachte diesmal ein richtiges Lächeln zustande, bevor er sich mit einem Winken verabschiedete.
Sirius visierte das Schloss an. In der Ferne blitzten die grauen Mauern hinter verschneiten Baumwipfeln auf. Es sah so widerlich idyllisch aus, als wären die Türme in dieselbe Zuckerwattemaschiene wie Hogsmeade getaucht worden. Leider wartete im Schloss keine klebrig süße Watte auf ihn.
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