von Dr. S
Der erste Morgen seit Wochen, der nicht von Gewitterwolken verschluckt wurde. Die regenfreie Luft strömte in beide Lungenflügel und stieß den Staub der Stadt heraus. Draco atmete tief ein und aus. Hogwarts hatte durchaus seine positiven Züge, und das war vor allem die frische Luft des schottischen Hochlands.
Sirius drängte sich von hinten an ihn heran. Zusammen beobachteten sie den dichten Nebel, der über den Schwarzen See und den Verbotenen Wald zog. Die verwundenen Zweige schüttelten goldbraune Blätter ab.
Draco kehrte dem Wald den Rücken zu, nur weil Sirius ihn sicher in den Armen hielt. „Du willst da planlos reinrennen. Wegen Lupin. Ernsthaft?“
„Planlos ist ein wenig übertrieben. Ich kenne diesen Wald wie meine Westentasche.“
„Lupin auch.“
„Remus ist verletzt. Ich hab genug Vollmonde mit ihm hinter mir, um zu wissen, dass er auch ohne durchbohrten Oberschenkel nicht weit kommt.“ Sirius schirmte Dracos Gesicht gegen den zunehmenden Wind ab. Er brachte die verworrenen Haarsträhnen wieder in ihre eigentliche Form. „Es ist nur der Verbotene Wald.“
„Voller Lethifold-artiger Monster, die Einhörner auslutschen“, murmelte Draco.
Sirius runzelte die Stirn. „Sowas wär mir neu…“
Draco winkte ab. Eine wohlgehütete Erinnerung zwischen Potter, Fang und ihm, die nur in den Alpträumen seines elfjährigen Ichs etwas zu suchen hatte. Die Beklemmungen beim Gedanken an den Verbotenen Wald blieben. Er wollte dort nicht reingehen, und noch weniger wollte er, dass Sirius dort hineinging. Draco schob die Hände unter Sirius‘ Pullover, wo es warm und geschützt vom Wind war, und drückte sich gegen ihn.
„Geh da nicht rein“, brachte er fest und befehlend heraus.
Sirius lachte nur. „Weißt du, wenn man mir Dinge verbieten will, steigert das ihre Anziehungskraft ins Grenzenlose.“ Er streichelte weiter durch Dracos Haar, aufgewirbelt von mächtigen Windböen. „Du könntest mitkommen und auf mich aufpassen…“
Draco würde. Für Sirius würde er diesem Lethifold-artigen Monster seine Laterne an den Kopf werfen, bevor er davon rannte.
„Aber ich hab Harry schon gefragt“, fügte Sirius hinzu, erklärte damit auch sein Getuschel mit Potter bei dem unangenehm stillen Frühstück in einer leeren Großen Halle. „Ich dachte… es wäre die Gelegenheit mit ihm unter vier Augen über uns zu reden.“
„Jaah…“ Draco brauchte einen Moment, um Sirius zu folgen. „Nachdem wir alle letzte Nacht fast zerfleischt wurden, ist es definitiv der passende Moment, um ihm einen Herzinfarkt zu verpassen.“
„Nein“, sagte Sirius genauso langgezogen, wie Draco. Er lächelte ihn an. „Es ist der passende Moment, um keine Geheimnisse mehr zu haben. Egal, was für ein süßes du bist…“ Er beugte sich vor und presste einen Kuss auf Dracos fest verschlossene Lippen. Verwirrt zog er sich wieder zurück. „Hältst du das wirklich für eine schlechte Idee?“
Draco wich schulterzuckend Sirius‘ Blick aus. Er hatte den Hang hinauf zum Schloss im Auge. Jeden Moment würde Potter den Pfad herunterkommen und sie auseinanderreißen. Anders konnte er sich diese Situation nicht vorstellen, auch wenn er sie noch so oft in seinem Kopf durchspielte.
Sirius fasste ihn am Kinn und zog seinen Kopf sanft herum. Auf seine tiefgrauen Augen legte sich ein Nebel aus Sorge.
Draco kämpfte gegen das gleiche Gefühl. „Was, wenn… Wenn er was dagegen hat? Du hast doch gesehen, wie er ausgeflippt ist, als er uns in der Küche erwischt hat. Er ist um mich rumgeschlichen, wie Hairy MacBoon um ein Überbleibsel der MacCliverts.“
Der Vergleich brachte dieses amüsierte Funkeln in Sirius‘ Augen zurück, das dem Grau einen faszinierend silbernen Schimmer verlieh. „Zwischen uns wird sich nichts verändern. Nur zum Positiven, weil du dich nicht mehr morgens aus meinem Bett schleichen musst, wie eine florentinische Kurtisane.“
Draco zog eine Augenbraue hoch. Er krallte alles, was er an Fingernägeln hatte, in Sirius‘ Rücken. „Florentinisch?“
„Der Begriff hat italienische Wurzeln, also hielt ich es…“ Sirius räusperte sich. „Lass uns schnell vergessen, dass ich das gesagt habe.“
Draco schob seine Finger über die Nagelspuren, die er auf Sirius‘ unterem Rücken hinterlassen hatte. Er hob den Kopf, um Sirius seine Warnung ins Ohr zu flüstern: „Erst denken, dann reden. Behalt das im Kopf, bevor du deinem Patensohn erzählst, was du letzte Nacht mit mir gemacht hast.“
„Glaub mir, ich hab mir schon eine Weile überlegt, wie ich das schonend rüberbringe“, sagte Sirius. Er seufzte schwer. „Wenn du wirklich nicht willst, dass ich Harry von uns erzähle, musst du es mir jetzt klar und deutlich sagen.“
In seinem Kopf entstand ein anderes Bild, sehr unrealistisch, pastellfarben und wie von Kreide gezeichnet, und lockte ihn mit der Vorstellung, dass Potter einverstanden sein könnte. Genauso unwahrscheinlich, wie jede Voraussage von Professor Trelawney. Trotzdem…
Draco atmete tief durch. „Solange du dich in die Schusslinie wirfst… meinetwegen.“
Sirius gab ihm dafür einen Kuss, nur ein kurzes Aufeinandertreffen ihrer Lippen. Draco zwang ihn wieder näher, an seinen Mund heran, bis er statt einem warmen Lächeln einen richtigen Kuss bekam. Mit seinen Händen schon auf blanker Haut, hätte er fast dem Drang nachgegeben den störenden Pullover loszuwerden.
„Sicher, dass du nicht lieber bleiben willst?“, fragte Draco gegen Sirius‘ anschmiegsame Lippen. „Ich bin immer noch ganz traumatisiert… und hätte nichts gegen eine Ablenkung…“
Sirius schmunzelte. „Lass uns Harry nicht traumatisieren, indem wir den Waldboden vor seinen Augen Zweck entfremden.“
Draco verdrehte die Augen. „Er lässt sich ganz schön Zeit, unser Auserwählter.“ Umso mehr Zeit aber konnte er an Sirius‘ Schulter gelehnt verbringen. So schien der Herbst weniger matschig und viel goldener, der Nebel eher silbern als grau; er hätte fast angefangen den Moment zu genießen.
Sirius‘ Hand in seinem Nacken, eben noch zärtlich und schützend, zog ihn weg, wie ein kleines Kätzchen. Hinter ihnen brachen mehrere Gestalten aus dem Schlosseingang. Potter eilte voran, schlitterte den schlammigen Abhang herunter mit hektischen Flecken auf den Wangen. Als er Draco erkannte, wirkte er etwas enttäuscht.
„Ich dachte, wir gehen zusammen, Sirius“, sagte er.
„Tun wir auch. Draco bleibt hier.“ Sirius‘ Abschied blieb mager. Er drückte Dracos Schulter sanft und zwinkerte ihm zu. Dann gesellte er sich an Potters Seite, den Wald im Blick und die Gedanken vom Wind schon dorthin getragen. „Wir haben ja genug Unterstützung. Hey, Hagrid.“
Neben dem Halbriesen und seiner monströsen Armbrust gingen Fleur, Bill und Ron fast unter. Ihre Besprechung fiel Gryffindor-typisch schmal aus. Sie teilten sich in Pärchen auf, wobei Hagrid mit einem Pfeifen Fang aus dem Schatten seiner Hütte holte und gen Osten wanderte, Bill und Fleur nach Westen schweiften und Sirius mit Potter im Schlepptau einfach in die Mitte stürzte. Ron folgte ihnen noch ein Stück, dann kehrte er zu Dracos Überraschung mit hängenden Schultern um. Er trat in einen Laubhaufen, sichtlich frustriert, und erwischte einen unschuldigen Igel. Das Tier flog einen halben Meter weit und wuselte mit aufgestellten Stacheln davon.
Ron warf die Hände in die Luft. „Entschuldige!“
Der Igel nahm das offensichtlich nicht an.
„Das arme Tier kann nichts dafür, dass niemand dich haben will, Weasley“, sagte Draco, als Ron seine Richtung einschlug.
„Ich hab mich doch entschuldigt… die Viecher entdeckt man schlechter, als Bowtruckles.“
„Wieso probierst du’s nicht bei deinem Bruder?“, fragte Draco.
Ron steckte die Hände in seine ausgebeulte Hose. Unhöflich wie er war, sprach er mit dem Boden: „Mum hat mir verboten mitzugehen.“
Draco grinste. Er tat sich schwer, sein Lachen zu unterdrücken. So, wie Ron ihn ansah, drohte ihm deswegen das gleiche Schicksal, wie dem Igel.
„Sie ist vollkommen irre“, rief Ron aus. „Sie hilft gerade den Hauselfen das Mittagessen vorzubereiten. Die wissen auch nicht, was sie damit anfangen sollen.“
„Ich bin mir da sehr oft unsicher, also korrigier mich ruhig: Bist du nicht volljährig?“
Ron tat seine Beleidigung ab, als hätte es nie Momente gegeben, in denen ein falsches Wort aus Dracos Malfoys Mund seine Fäuste angestachelt hätte. Er schaute sich um, nach den anderen vielleicht, die schon längst weg waren, und murmelte aus dem Mundwinkel: „Bill wollte sie auch verbieten einen Fuß aus dem Schloss zu setzen. Bei ihm bringt die ‚mein Haus, meine Regeln‘-Karte aber nichts mehr.“
„Unter uns… bei dir auch nicht. Euer krummes Dach ist nur noch Asche“, meinte Draco.
„Musst du gerade sagen“, gab Ron zurück. „Du hast überhaupt kein zu Hause mehr.“
Darauf hatte Draco keine passende Antwort. Er sagte das Einzige, was in so einer Situation angebracht war: „Immer noch besser, als in einem schiefen Schweinestall zu wohnen.“ Er drehte sich um und stieg durch nasses Grass den Abhang herunter. Der Nebel waberte auf ihn zu, verschluckte den Beginn des Waldes und das Ufer des Sees.
„Hey!“ Rons Art sich bei ihm zu entschuldigen war noch bemitleidenswerter, als bei dem Igel. Ein Klaps auf die Schulter, der Draco fast umwarf. „Wieso bist du nicht mit nach Lupin suchen, eh? Sonst kriegt man dich schwerer von Sirius weg, als Elfenweinflecken aus Pullovern.“
Draco wischte sich den Abdruck von Rons Hand von der Schulter. „Ich laufe nicht blindlings in einen Wald voller Werwölfe und was weiß ich noch. Nicht wegen Lupin.“
„Ah, sein Name lässt sich definitiv nicht so ausspucken, wie Potter.“ Ron ahmte Dracos Art diesen verhassten Nachnamen auszusprechen recht gut nach.
Draco schluckte seine Verblüffung über so ein nutzloses Talent herunter. Der Wind wirbelte einen Laubhaufen auf und ihm einige Blätter direkt ins Gesicht. Er wischte barsch eins von der Wange und ohrfeigte sich dabei fast selbst. Ron wagte es ihn auszulachen.
„Oh, halt die Klappe…“ Draco holte aus und schlug Ron gegen den Hinterkopf. Auf den empörten Schmerzensschrei hin präsentierte er das Laubblatt, dass er aus dem roten Durcheinander gefischt hatte. „Du hattest da bloß ein Blatt.“
„Sicher. Hey…“ Ron zupfte ihn am Ärmel und deutete in eine Lücke des Nebels. In der Ferne stachen die Türme des Quidditch-Stadions durch die dichte graue Wand. „Der Ort, an dem du mir ein Ständchen gebracht hast. Sirius hätte das hören sollen. Er wäre voll eifersüchtig geworden.“
„Ah, Erinnerungen… an all die Male, die du versucht hast mich dort umzubringen“, gab Draco zurück.
Ron seufzte irgendwie verträumt. „Mann, mir fehlt Quidditch. Oder überhaupt auf einem Besen zu sitzen. Den ganzen Sommer hatte ich keine Chance… Was ist mir dir?“
Draco zuckte die Achseln.
„Ah, komm schon. Du hast die ganze letzte Saison verpasst… Hey, denkst du auch, was ich denke?“
„Wenn du mir oft genug auf den Kopf schlägst…“
„Wir könnten eine Runde spielen“, sagte Ron. Er strahlte bei dem Gedanken bis über die letzte Sommersprosse. „Ich nehm dich auch nicht zu hart ran.“
„Verzichte.“ Draco verschränkte die Arme vor der Brust, als Ron ihn anstupste. Einen unpassenderen Moment, um an Quidditch zu denken, gab es wohl kaum. Es war nicht einmal vierundzwanzig Stunden her, dass sie Lupins Fangzähnen entwischt waren. Dumbledores Orden war am Ende, genauso wie Weasleys Mutter. Seine Schwester war vermisst, seine Muggel-Freundin mit dem buschigen Haar auch, sein bester Freund hatte ihn ohne Widerstand hier zurückgelassen – gut, irgendwie konnte er verstehen, dass Ron nicht rumsitzen und Tee trinken wollte. Draco blieb trotzdem bei: „Nein.“
Planlos wie ein Gryffindor schritt er am Waldrand entlang. Ron folgte ihm, zwar frustriert, aber gelangweilt genug, dass er Dracos Gesellschaft vorzog.
„Weißt du“, begann Ron nach einer Weile, die Draco seinen Anblick vermieden und angestrengt in den Nebel hinein gestarrt hatte, „wenn du nicht aufhörst so verdammt stolz zu sein, wird das nie was.“
Draco schenkte ihm einen fragenden Blick von oben herab.
Ron zeigte mit nacktem Finger auf ihn. „Genau das. Du willst uns nicht ausstehen können, ja. Wir sind dämliche Gryffindors, schon kapiert. Du bist ein perfider Slytherin, trotzdem bin ich hier.“
„Oh, aber ich dachte wir sind Freunde, Weasleys.“ Draco ließ seinen Sarkasmus den überheblichen Blick aus Rons Gesicht schlagen.
„Ich mein ja nur…“ Ron hob bemüht gleichgültig die Schultern, aber seine Ohren glühten wie Nebellichter. „Wenn du nicht von deinem hohen Ross runterkommst, funktioniert das mit Sirius und dir sicher nicht.“
„Sirius und ich sind nicht…“ Draco unterbrach sich selbst. Nicht, wegen dem was Weasley sagte, Merlin bewahre, sondern weil er an das dachte, was Sirius Potter gerade erzählen wollte. Er könnte auch jemandem alles sagen. Nur hatte er dafür niemanden. Draco musterte Ron kurz überlegend, dann blickte er zurück in den Nebel. Etwas knirschte.
„Hast du das gehört?“, fragte Ron, als ein Knacken morscher Zweige die unheimliche Stille des Nebels durchbrach. Er ging einen Schritt vorwärts, während Draco einen zurück machte.
Knackende Zweige und raschelndes Laub, ein Wall aus Geräuschen, der unaufhaltsam näher kam. Ein Schatten brach aus dem Nebel auf sie zu. Ron packte Draco und stieß ihn zur Seite.
Stöhnend und keuchend stolperte die Gestalt aus dem Nebel. Zerzaust, schmutzig und blutverschmiert. Lupin schaute sich desorientiert um. Er klappte zusammen und fiel ins nasse Gras. Ron war sofort bei ihm.
Draco hielt seinen Zauberstab bereit. Ron schaute ihn entsetzt an, was sich erst auflöste, als Draco eine Decke heraufbeschwörte. Er bedeckte Lupins zitternden Körper, aber Ron musste ihm alleine aufhelfen.
„Alles okay, Professor. Wir bringen Sie hoch ins Schloss“, sagte Ron.
Lupin wirkte perplex. „Schloss?“
„Hogwarts.“ Ron stützte Lupin, der kaum laufen konnte. Er musste ihn fast schleifen. Die Decke wurde von kräftigen Böen heruntergeweht. Draco zupfte sie mit spitzen Fingern zurück über die blanke Schulter.
Lupin starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. „Es…“ Falten vertieften sich auf Lupins Stirn, als ein streunender Gedanke ihn ablenkte. „Da war etwas in den Wäldern. Etwas, das dort nicht hingehört. Etwas Dunkles…“
Draco schnaubte, mehr als genug, um Lupin als verrückt abzustempeln, aber nicht genug, um die knackenden Zweige zu übertönen. Er blickte sich um, schaute tief in den Nebel hinein. Die Schatten mochten Bäume sein, die im Wind wehten. Woher aber sollte er wissen, was dahinter lauerte?
Draco holte den Spiegel aus seiner Hosentasche. „Sirius?“
Ihm blickte ein blasser, blonder Junge entgegen, fast verschluckt vom dichten Nebel.
„Sirius?!“ Er schüttelte den Spiegel aus Verzweiflung, aber nichts tat sich. Rein gar nichts…
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