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Fanfiction

Schattenland - Teil III: ...und dann die Leere

von solvej

@steinchen: Oh, ich hab die dunkle Befürchtung, dass sich eher noch mehr Fragen auftun, als dass sie beantwortet werden. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.

@Petz: Seltsam... ja, das kommt wohl hin. Ich finde es spannend, wenn die Dinge einmal nicht nach einem althergebrachten Schema ablaufen. :)

@Lil: Heh, das war der poetischste Kommentar den ich bisher bekommen hab! Danke, Liebes! :-*



____________________________




Teil III: ...und dann die Leere


Ein Stück verkohltes Holz in der Hand saß Harry im Schlafzimmer und malte Tabellen an die Wand. Das verblichene Blatt Papier mit den seltsamen Zeichen lag neben ihm und mit verbissener Konzentration zählte und kategorisierte er. Von Anfang an hatte Sirius ihm gesagt, dass es vergebene Mühe wäre, und dass Harry sich damit abfinden sollte, was es war – wertlose Kritzeleien. Aber Harry wäre nicht Harry, wenn er sich nicht trotzdem stur an die Arbeit gemacht hätte, um ein Rätsel zu lösen, welches es vielleicht gar nicht gab. Während er wieder und wieder zählte und Striche in seinen Tabellen malte, dachte er an Hermine, für die es wahrscheinlich ein leichtes gewesen wäre, den Code – so es ihn denn gab – zu knacken. Und an Ron, der so oft ohne es zu merken die besten Lösungsanstöße gegeben hatte. Wie es ihnen wohl ging. Ob sie lebten?

„Darf ich dich einen Moment stören?“ Alice war, ohne dass er es gemerkt hätte, direkt hinter ihn getreten, so dass Harry leicht zusammenzuckte, als sie ihre leise gesprochenen Worte an ihn richtete.

Harry nickte verwirrt.

Mit der Andeutung eines Lächelns ließ Alice sich neben ihm auf dem Boden nieder und lehnte sich vorsichtig, um Harrys Aufzeichnungen nicht zu verwischen, gegen die Wand. Es dauerte noch eine Weile, bis sie anfing zu sprechen und in dieser langgezogenen Atempause beobachtete Harry sie vorsichtig aus den Augenwinkeln. Wie alt mochte sie gewesen sein, als sie hier her kam? Vielleicht 26, höchstens 28. Ihr Körper war, wie jeder andere hier, seitdem nicht gealtert, aber ihr Geist war müde wie der einer alten Frau. Die kurzen, dunkelblonden Haare wirkten strohig und fielen ihr wirr ins Gesicht und unter ihren Augen lagen tiefe Schatten.

Schließlich setzte sie an: „Weißt du, als das Mädchen hier war –“, für einen Moment blieb ihr rastloser Blick an der Matratze in der anderen Zimmerecke hängen, wo Harry, und wahrscheinlich auch Alice selbst, das Kind zum letzten Mal gesehen hatte. Als Harry nach der Begegnung mit Draco zurückgekehrt war, hatte die Kleine nur noch als flüchtige Erinnerung existiert, derer er sich bei genauerer Überlegung kaum noch entsinnen konnte. War sie nun blond gewesen oder dunkelhaarig? Und wie war doch gleich ihr Name?

„Kinder bleiben nie lang“, hatte Frank auf Harrys Frage hin knapp geantwortet und auf alle weiteren Erkundigungen bezüglich des Wohin und des Wie nur noch mit Achselzucken reagiert. Kurz darauf war Sirius von seinem Kontrollgang zurückgekehrt und Frank nutzte die Gelegenheit, seinerseits zu verschwinden. Nun war Sirius unterwegs um brauchbaren Unrat für ein paar Ausbesserungsarbeiten am Haus zu sammeln und Harry und Alice waren allein zurückgeblieben.

„Als das Mädchen hier war“, nahm Alice den Faden wieder auf, „musste ich die ganze Zeit wieder an –“ Sie stockte. „Er war noch so klein, als wir... fortgingen.“ Sie sah Harry aus tiefen, blassblauen Augen an. Er hatte Tränen erwartet, die nicht kamen. „Frank will nicht darüber sprechen. Nach ihm fragen. Er findet das wider die Natur.“ Alice zog die Stirn in Falten. „Aber wenn du mich fragst, ist das hier wider die Natur. Lasst die Toten ruhen, heißt es doch. Nennst du das etwa Ruhe? Andererseits sind wir ja nicht einmal richtig tot“, sagte sie mit zitternder Stimme und jetzt nahm Harry aus den Augenwinkeln wahr, wie ihr stumme Tränen über die Wangen liefen. „Nicht einmal das...“, flüsterte sie.

Harry wusste nicht, was er darauf hätte antworten können, oder ob er sie vielleicht umarmen sollte oder eine tröstende Hand auf ihre Schulter legen. Aber bevor er sich entscheiden konnte, atmete Alice tief durch und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Entschuldige“, sagte sie mit bemüht fester Stimme und sah Harry kurz von der Seite an. „Eigentlich wollte ich nur fragen... Sirus sagte damals, ihr seid in die selbe Klasse gegangen.“

Harry nickte. Und dann begann er zu erzählen, stockend zunächst, aber mit der Zeit wurde es einfacher. Er berichtete von Anfang an, von dem Moment in dem er Neville kennen gelernt hatte, als er im Hogwarts Express nach seiner Kröte gesucht hatte, über die Jahre die sie gemeinsam gewohnt, gelernt, Freude und Angst ausgestanden hatten. Über die Höhen und Tiefen, wobei er die Tiefen, insbesondere Snapes Unterricht, eher ausließ. Ohne es zu merken versank er selbst in der Erinnerung und Alice sog jedes seiner Worte in sich auf wie ein Schwamm.

Harry wusste nicht, wie lange er gesprochen hatte, aber als plötzlich das laute Geräusch der sich öffnenden Eingangstür ertönte, fuhren beide zusammen, wie aus einem Traum gerissen. Einen Moment später hörten sie metallisches Scheppern und Sirius daraufhin leise fluchen.

„Eines noch“, flüsterte Alice hastig, indem sie sich bereits wieder erhob, sich dabei aber fast verschwörerisch zu ihm herunterbeugte, „weißt du ob er... ob er...“ Sie sah Harry aus großen, durchdringenden Augen an, in der Hoffnung, den Satz nicht zuende führen zu müssen.

So gut er konnte versuchte Harry zu lächeln, was ihm trotz aller Anstrengungen nicht so Recht gelang. „Als ich hier her kam“, sagte er und erinnerte sich in einem kurzen Aufblitzen an das letzte, was er von Neville gesehen hatte – wie er einem Todesser ein „Avada Kedavra“ in der Rücken gejagt hatte – und schob das unerträgliche Bild schnell beiseite, „lebte er.“

„Danke“, flüsterte Alice voll Erleichterung und beeilte sich, Sirius in der Diele mit der aufgelesenen Habe zu helfen. Harry blieb schweigend in Überlegungen verstrickt zurück. Das, wozu Menschen in Extremsituationen werden konnten, war nicht immer das, was man sich erhoffte, oder auch nur erwartete. Und zum wiederholten Male drifteten seine Gedanken an dieser Stelle zu Draco, der vielleicht ein anderer war als zu Lebzeiten, vielleicht aber auch nicht, denn was wusste Harry schon von ihm. Jener Draco, den er hier erlebt hatte, war möglicherweise einfach das Produkt dessen, was übrig blieb, wenn man althergebrachte Feindschaften, Häuser, Stolz und Familienfehden wegstrich. Es war zu spät für alle Vorurteile.

Mit einem gewissen Gefühl der Verstörung begann Harry sich zu fragen, was es war, das von ihm mit seinem Tod abgefallen war. Er hatte sich immer für relativ unvoreingenommen gehalten, frei von allen Eitelkeiten, aber rückblickend war er sich dessen nicht mehr sicher. Seine sturen Ansichten, die oft an Verbohrtheit gegrenzt hatten, die strikte Vorstellung von Gut und Böse, die keine Grauzone akzeptieren wollte. Vielleicht war das hier seine auferlegte Strafe, in einer Welt nur aus Grautönen existieren zu müssen.

Wenn er an Draco dachte, war da kaum Verwunderung über das, was passiert war, höchstens die Frage, warum es nicht früher geschehen war. Es war die nackte Gier, jemanden zu berühren, weil es eine Andeutung von Leben verhieß. Natürlich war es nichts als eine Farce, denn alles hier war bloß eine schlechte Kopie des Originals, ein unterbelichtetes Abbild. Tote Bäume anstelle von grünem Gedeihen, Staub und Asche statt fruchtbarer Erde, Herzen, die schlugen, aber kein Blut mehr durch die Adern pumpten. Ein Kuss bedeutete keine Zuneigung, sondern Egoismus, weil man einen Moment der Illusion verfallen konnte, alles hätte eine Bedeutung. Harry wollte mehr.

Sein Leben lang war er einem Ziel hinterher gejagt, keine Minute war vergangen, in der er nicht darauf hingedrängt hatte, bewusst oder nicht, den dunklen Lord zu besiegen, seinen Fall zu bestimmen, seine eigene kleine Welt und vielleicht auch die von ein paar anderen damit zu retten. Aber in dem Moment, in dem sich seine selbsterschaffene Prophezeihung erfüllt hatte, war er hier gelandet. Ohne Aufgabe. Ohne Antrieb. Ohne Sinn.

Aber er würde, dachte Harry verbissen, das nicht akzeptieren. Nicht so wie Frank oder Alice, oder sogar Sirius, er würde suchen und verdammt noch mal einen Weg aus dieser Einöde finden. Dieses Blatt Papier, das jetzt zerknittert in seiner Faust verborgen lag, mit seinen geheimnisvollen Zeichen war ein Hinweis, dessen war er sich sicher, und er würde ihn entschlüsseln.

Hart biss er sich auf die Lippe um die Andeutung von Blut zu schmecken. Sie war noch immer nicht richtig verheilt und würde es, dessen wurde er sich langsam bewusst, auch nie tun. Das Stückchen Kohle lag noch am Boden und er fuhr fort, die Zeichen zu zählen und Striche an die Wand zu malen. Er kategorisierte und improvisierte, versuchte es mit System und mit purem Zufall, aber Stunden vergingen ohne einen Fortschritt. Schließlich spürte er dumpfes Pochen in seiner linken Schläfe und sein Körper ächzte protestierend, wenn er sich neuerlich tief über den zerknitterten Zettel bückte, um nach einem anderen Ansatz zu suchen. Immer wenn Harry die Augen schloss, flimmerten die Zeichen weißlich knisternd hinter seinen geschlossenen Lidern.

Mit einem frustrierten Schnauben pfefferte er die Kohle gegen die Wand und ließ sich schwer auf die Matratze fallen. Er verbarg das Gesicht in den Händen und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Nur auf was?

Ein Knarren der morschen Dielen ließ ihn aufsehen und er erblickte Frank, der mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte und die vollgekritzelte Wand ihm gegenüber mit gerunzelter Stirn musterte. „Was soll das?“

„Was soll was?“, fragte Harry gereizt.

„Was machst du dir damit vor, Junge?“, knurrte Frank.

„Es muss eine Lösung geben!“, sagte Harry stur und stand auf, wie zum Trotz oder zur Verteidigung.

Frank schnaubte. „Du suchst eine Lösung und kennst nicht mal das Problem!“

„Ist das jetzt mehr eine philosophische Frage oder eine praktische?“, gab Harry bissig zurück und für den Bruchteil einer Sekunde flimmerten seine Gedanken zu Malfoy, der genau soetwas gesagt haben könnte.

„Komm auf den Boden!“, sagte Frank scharf und schlug mit der Faust gegen das Holz des Türrahmens. „Jeder Neue treibt solche Spielchen und versucht einen Ausweg zu finden, aber es gibt keinen, kapiert? Deinetwegen wär’s mir ja egal, aber Alice lässt sich jedes Mal von diesem Irrsinn anstecken und wird immer wieder enttäuscht.“ Er machte eine Pause und starrte Harry aus wütend verengten Augen an. Die Drohung, die in diesem Blick lag, sprach er nicht laut aus, aber das war auch nicht nötig. Harry verstand, dass er alles zu tun bereit war, um Alice von jenem fern zu halten, was ihr seiner Meinung nach nicht gut tun würde. Kurz: Harry fernzuhalten. Und das war allerdings ein Problem, denn dieses Haus, dieses „Zuhause“, war so ziemlich das einzig Sichere, das Harry in dieser Welt hatte.

Nun, das und Malfoy.

„Also, ich geh mal spazieren“, sagte Harry in aufgesetzt lockerem Ton. „Darf ich?“, murmelte er, indem er sich an Frank vorbeidrängte, der immer noch wie versteinert in der Tür stand.

Als Harry vor das Haus trat, wusste er zunächst nicht so recht, in welche Richtung er sich wenden sollte, aber schließlich führten ihn seine Schritte fast automatisch in die dunklen Abgründe der Stadt. Dort, wo Draco sich zuhause fühlte. Ohne sein genaues Ziel zu kennen, ließ Harry sich durch die Ruinenstadt treiben und wartete darauf, von Draco gefunden zu werden. Um nur irgendeine Relation zur Dauer seiner Suche zu behalten, zählte er zunächst seine Schritte, verlor aber schon nach kurzer Zeit den Faden als er stolperte und in einen Graben fiel, der aus unerfindlichem Grund quer über die Straße verlief. Harry fluchte lautstark und kletterte ungeschickt wieder hinaus, das Loch war nur hüfttief und er hatte sich beim Sturz nicht verletzt. Als er sich jedoch wieder aufrichtete und vergebens versuchte, den gröbsten Schmutz von seiner Hose zu klopfen, nahm er aus den Augenwinkeln eine kurze Bewegung wahr und fuhr herum. In dem Haus direkt neben dem Graben wich eine Gestalt hastig von einem Fenster im oberen Stockwerk zurück.

„Hey!“, schrie Harry.

Nichts regte sich mehr. Harry stellte sich vor, wie die Gestalt sich mit dem Rücken gegen die Wand presste, wo sie von unten nicht mehr gesehen werden konnte. Flach atmend und zitternd wartete sie auf einen Angreifer, vor dem die Verteidigungsanlage nicht geschützt hatte.

„Komm raus!“, rief Harry laut. „Ich weiß, dass du da bist!“

Oder jene schemenhafte Gestalt war gar nicht allein in diesem Haus und alarmierte gerade die anderen – allesamt zwei Meter große Hünen mit Oberarmen so dick wie Baumstämme und Eisenhämmern als Fäusten. Und die Grube diente nicht zum Schutz, sondern als Falle. Nur zu welchem Zweck? Niemand hatte etwas, das zu stehlen sich lohnte.

Aber es war längst zu spät und Harrys Neugier war geweckt. Vielleicht war es ja auch Draco, der hier wohnte und es wäre interessant zu erfahren, unter welchen Umständen er hauste. Obwohl er nichts hatte, um sich zu verteidigen und sein Eindringen nur schwer rechtfertigen würde können, hatte Harry längst einen Entschluss gefasst. Er presste sich an die Hauswand und tastete sich langsam Richtung Eingang. Es war ein kleiner Torbogen, der direkt in einen finsteren Flur führe, in den kein Licht mehr drang. Als er den Innenraum betrat, hielt er voll Spannung den Atem an, während er sich Zentimeter für Zentimeter tiefer in die lichtleeren Eingeweide des Hauses schob. Es war unmöglich irgendeine Kontur auszumachen, außer dem hellen Bogen des Eingangs, der sich nur wenige Meter hinter ihm erhob. Aber alles Licht, das eigentlich hätte hindurchfallen müssen, schien auf magische Weise vom Haus aufgesogen zu werden. Über seinem Kopf ertönte ein leises Knarren und Harry erstarrte in seiner Bewegung. Erneut hielt er den Atem an und wagte sich sekundenlang nicht mehr zu bewegen. Es war so leise gewesen, dass es auch einfach von den morschen Holzbalken hätte stammen können, die in der Dunkelheit langsam vor sich hin zerfielen. Harry jedoch wusste, dass dort oben jemand war, und dieser jemand bewegte sich. Auf ihn zu? Und um was mit ihm anzustellen? Langsam kam er sich in seinem Vorhaben töricht vor, denn was wollte er auch schon damit erreichen. So langsam und so behutsam wie möglich wandte er sich wieder dem Eingang zu – doch ihm entfuhr unwillkürlich ein Laut des Erschreckens. Vor dem hellen Bogen hob sich deutlich eine Gestalt ab, die ihm den Weg nach draußen versperrte. Mehrere dumpf dröhnende Herzschläge lang erstarrten Harrys Gedanken. Dann sprach der Schatten in der Tür.

„Potter, du Idiot, hast du noch nie gehört, dass es unhöflich ist, unangemeldet bei fremden Leuten reinzuplatzen?“ Malfoy schnaubte abfällig. Er wandte sich ab und trat wieder auf die Straße, und kaum dass ihn das Licht berührte, wurde aus dem bedrohlichen Schatten wieder der magere Siebzehnjährige mit den dunklen Ringen unter den Augen.

Ein wenig peinlich berührt folgte Harry ihm und fragte nach einem Moment des Zögerns: „Wie hast du mich gefunden?“

Draco verdrehte die Augen. „Weil du rumgebrüllt hast, als hätte man dir ein Bein abgehackt. Das war keine große Kunst.“

„Und weißt du, wer hier wohnt?“ Harry musterte ihn von der Seite und folgte ihm langsam, als Draco davonschlenderte.

„Keine Ahnung und es geht mich auch nichts an. Dich wahrscheinlich auch nicht.“

„Immerhin bin ich in die Grube gefallen“, rechtfertigte sich Harry.

Dracos Mundwinkel zuckte beinahe amüsiert. „Darauf solltest du nicht auch noch stolz sein.“

Beunruhigt stellte Harry fest, dass ihn Dracos Amusement nicht einmal aufregte. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Einmal, als Draco auf etwas ausrutschte, das rot und glitschig war und von dem Harry lieber nicht wissen wollte, was es war, packte er ihn unwillkürlich am Arm, um ihn vor einem Sturz zu bewahren. Beide schienen mitten in der Bewegung zu erstarren und ihre Blicke blieben momentelang aneinander hängen. Dracos Ausdruck war undeutbar, hart und neugierig zugleich. Harry schüttelte den Kopf und der Augenblick war vorüber, gleichzeitig zuckten sie auseinander, als hätten sie sich verbrannt.

Die Wege lichteten sich langsam und sie gelangten an den Stadtrand, auf jener Seite, wo Harry noch nie gewesen war. Schließlich war vor ihnen nur noch weite, graue Ebene, hin und wieder ein Felsen oder ein Büschel vertrockneten Grases. Draco setzte sich auf eine niedrige Mauer, die das letzte Haus vor der Ödnis einfasste und starrte ins Leere. Nach kurzem Zögern ließ Harry sich neben ihm nieder und folgte seinem Blick. Sehr lange war da nichts und irgendwo weit hinten nahm Harry schemenhaft die Konturen des brennenden Waldes wahr.

„Wenn man hindurchgeht, kommt man dort“, er wies mit der Hand irgendwo nach hinten, „wieder heraus. Als würde man im Kreis gehen“, sagte Draco schließlich.

„Davon hab’ ich gehört. Hast du es ausprobiert?“

Draco lachte schnaubend auf. „Nein. Aber ich wette, dich juckt es geradezu, oder?“

„Hm“, machte Harry unbestimmt. Der namenlose Schrecken, der im Ödland lauerte, verunsicherte ihn. Andererseits, kam ihm der Gedanke, könnte es doch sein, dass diese Wesen etwas bewachten. Und dieses Etwas war vielleicht im Wald. Er sprach seine Gedanken aus und Draco musterte ihn daraufhin zweifelnd. „Aber willst du denn nicht weg von hier?“, fragte Harry drängend. „Was, wenn das der Weg ist?“

„Ich bin schon so lange hier...“, murmelte Draco vage.

Ungläubig schüttelte Harry den Kopf. Nach einer Weile fragte er: „Was ist mit deinem Arm passiert?“

„Arm?“, gab Draco mit beiläufig gehobener Augenbraue zurück, so als wäre ihm entgangen, dass er eine klaffende Wunde im Unterarm hatte, die er nur sehr notdürftig unter seinem Hemd verbarg. Als er merkte, wie Harry ihn mit zusammengekniffenen Augen anstarrte, zuckte er wegwerfend mit den Achseln. „Eine Erinnerung an ein anderes Leben. Vorbei ist vorbei“, sagte er in sehr abschließendem Ton.

Eben wollte Harry zu einer Erwiderung ansetzen, als er plötzlich Dracos kühle Hand auf seiner spürte, die er auf der Mauer abgestützt hatte. Überrascht sah er auf und fand Dracos entschlossenen Blick auf sich gerichtet, ehe er seine andere Hand in Harrys Nacken legte und ihn küsste. Harry schloss die Augen. Dracos Lippen schienen ihm weicher als zuvor, aber vielleicht lag das daran, dass sie sich diesmal nicht zugleich prügelten. Als er Dracos Zunge spürte, durchfuhr ihn ein angenehmer Schauer. Ohne nachzudenken schob er seine Hand unter Dracos Shirt und zog ihn näher an sich heran. Aus Dracos Kehle löste sich ein wohliger Laut, den Harry gierig mit seinen Lippen auffing. Langsam bewegte sich Dracos Hand Harrys Oberschenkel hinauf und blieb schließlich zwischen seinen Beinen liegen, wo Harrys Erektion direkt unter seinen Fingern lag. Vorsichtig begann er, sie durch den dünnen Stoff der Hose zu reiben und als Harry aufstöhnte, öffnete er mit spitzen Fingern die Knöpfe und umschloss Harrys harten Schwanz mit der Hand. Draco sah ihn nicht an, seine Lippen lagen an seinem Hals und Harry hatte den Kopf in den Nacken sinken lassen, während sich Dracos Hand immer schneller auf und ab bewegte. Sein Atem ging flach und stoßweise und seine Finger hatten sich inzwischen in Dracos Schulter verkrampft, wo er ihm die Nägel ins Fleisch bohrte, so dass sie kleine, dunkelrote Abdrücke auf der Haut hinterließen.

Er kam mit einem halb unterdrückten Stöhnen über Dracos Hand. Mit dem Orgasmus war ihm, als würde plötzlich ein schwerer Vorhang vor seinen Augen weggerissen und vom Augenblick der größten Lust stürzte er haltlos weiter in die aufwallende Panik. Mühsam schnappte er nach Luft, sein Körper war wie erstarrt, angesichts der Tatsache, dass er tot war und eben einen Orgasmus dank Draco Malfoy erlebt hatte, dass er an diesem Ort auf unbestimmte Zeit fest saß und dass es nichts gab, einfach nichts, was er dagegen hätte tun können.

„Ich... ich...“, stammelte er. „Nicht...“ Sein Körper schien immer noch wie gelähmt und reagierte nur zaghaft auf Harrys Befehl aufzuspringen und Draco von sich zu stoßen.

Draco erstickte den Versuch im Keim. Er zog Harry noch fester an sich heran und begann mit beruhigender Stimme Worte zu flüstern, die Harry nicht verstand – vielleicht erklärte er ihm etwas, vielleicht waren es auch nur zufällig zusammengewürfelte Ausdrücke, die man eben so sagt, hinter denen aber keinerlei Bedeutung steckt. Aber wie dem auch sein mochte, tatsächlich spürte Harry, wie er ruhiger wurde und die Anspannung und Panik langsam von ihm abfielen, wie Kleidungsstücke, die man bis zum Zerfall getragen hatte.

Schließlich murmelte er „Ist okay“ gegen Dracos Schulter. Er spürte, wie Draco leicht nickte und sich dann von ihm löste.

„Und du wirst jetzt nicht hysterisch davonlaufen, ehe du deine Hose wieder zugemacht hast, ja?“

„Witzig“, knurrte Harry und knöpfte sie mit zitternden Händen zu.

Draco grinste, wurde dann aber mit einem Schlag wieder ernst. „Tu mir einen Gefallen, ja?“

„Ooh, klar, jetzt kommt’s. Erst die sexuellen Gefälligkeiten, dann die Gegenleistung dafür, oder wie?“

„Tun wir mal so, als hättest du einfach ‚Ja, sicher’ gesagt, anstatt einen blöden Witz zu machen,“ sagte Draco pikiert. „Ich will, dass du es mir sagst, bevor du in den Wald gehst, okay?“

Harry hob die Augenbrauen. „Weshalb? Willst du etwa mitkommen?“

„Ja“, antwortete Draco.

***


„Ich komme mit“, sagte Harry, und es war keine Frage sondern eine bloße Feststellung. Er hatte mit Widersprüchen gerechnet, gewöhnt aus jener trostlosen Zeit im Grimmauld Place, in der ihm jede Teilnahme an wie-auch-immer-gearteter Ordens- beziehungsweise in seinen Augen Helden-Aktivität untersagt geblieben war. Jedoch beschränkten sich die Reaktionen auf seine Mitteilung auf einen leicht kritischen, wie ihm schien, Seitenblick von Alice und ein angedeutetes, ernstes Nicken von Sirius. Frank starrte aus dem Fenster und schien ihn nicht einmal zu hören. Was ihn anging machte Harry sich inzwischen ernsthafte Sorgen. Sein Zustand schwankte einzig zwischen etwas, das entweder vollkommene Lethargie oder verbissenes Schweigen sein konnte, und gelegentlichen Wutausbrüchen, meistens gegenüber Alice, und dann für gewöhnlich, wenn sie sich in Gefahr begeben hatte. Obwohl Harry nicht wusste, wie es vor seiner Ankunft gewesen war, konnte er sich doch nicht vorstellen, dass gerade sie eine Veränderung in Franks Handeln bewirkt hätte. Er stellte sich vor, dass dieses Verhalten sich schon seit geraumer Zeit immer weiter verschlimmert hatte und Harry fragte sich unwillkürlich, was passieren würde, wenn es seinen Zenit erreicht hätte.

Natürlich litt auch Sirius an teilweise unberechenbaren Stimmungsschwankungen, aber ohne dass Harry es hätte erklären können, wusste er einfach, dass sie lange nicht so schwerwiegend waren wie Franks. Außerdem hatte es sicher auch etwas mit der Länge der hier verbrachten Nicht-Zeit zu tun. Nur Alice schien davon seltsam unberührt. Sicher, sie litt. Nicht nur unter den Launen ihres Mannes, sondern auch der Untätigkeit, zu der sie verdammt war, unfähig ihm zu helfen, ihm seine Lage zu erleichtern. Ihre Stärke, schien es, entsprang teilweise aus ihrer eigenen Notwendigkeit. Dafür bewunderte Harry sie.

„Also“, sagte Sirius, als sollte darauf noch etwas folgen, aber er öffnete nur den Mund und schloss ihn wieder. Dann stand er auf.

Harry nickte und folgte ihm mit einem raschen Blick auf die Zurückbleibenden nach draußen.

Vor dem Haus blieb Sirius einen Moment stehen, während Harry sich damit abmühte, die Türe wieder an ihren Platz zu stellen, und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die strähnigen Haare. „Wir haben eigentlich keinen festen Plan. Meistens einmal um die Stadt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Alles können wir nicht abdecken. Es gab manchmal andere, die geholfen haben, aber...“

Seine Stimme driftete ab und Harry wusste, dass er besser nicht nachfragte. Sie folgten dem Harry inzwischen vertrauten Weg zu dem Platz mit dem Betonklotz und dann einer immer weiter werdenden Straße, die schließlich unmerklich in offenes Ruinenland überging. Darin glaubte Harry den Weg zu erkennen, der ihn zum ersten Mal in die Stadt gebracht hatte, jedoch konnte er nicht sicher sein, weil einerseits durch die Erschöpfung seine Sinne getrübt gewesen waren und er andererseits aus durch Staub und Tränen verschmierten Augen kaum mehr gesehen hatte.

Einige Zeit lang hielt Sirius gerade auf den Horizont aus verkohlten Baumleichen zu, den er den Brennenden Wald genannt hatte. Ob er tatsächlich einmal gebrannt hatte? Die Stadt, oder von hier aus betrachtet wieder bloß eine Anhäufung von Mauerwerk und Schutt ohne jede Systematik, gerade noch in Sichtweite, wandte er sich nach rechts und begann in sie in weitem Bogen zu umrunden.

An der Landschaft änderte sich wenig. Felsen, Betontrümmer, ab und an eine Anhäufung trockenen Gestrüpps, nirgendwo ein Anzeichen von Bewegung. Während Sirius seinen Blick ständig schweifen ließ und konzentriert auf die kleinste Veränderung in der Luft achtete, trottete Harry in Gedanken versunken einige Schritte hinter ihm her. Immer wieder versuchte er sich zusammenzureißen und aufmerksam und wachsam zu sein – eine Hilfe eben, wie er es sich vorgestellt hatte – aber schon nach kurzem musste er feststellen, dass er im Geiste längst wieder abgedriftet war. Es war nicht allein Draco, der sich so hartnäckig in seinem Kopf breit gemacht hatte, auch Frank und Alice beanspruchten seine Gedanken und nicht zuletzt jene Wesen, denen sie hier gleichzeitig zu entkommen und Opfer zu entreißen suchten.

Er hatte nicht gemerkt, dass Sirius plötzlich inne gehalten und sich umgedreht hatte, und wäre fast mit ihm zusammengestoßen, weil er während des Gehens nur die aufwirbelnde Asche zu seinen Füßen beobachtet hatte.

„Was läuft da eigentlich zwischen dir und dem kleinen Malfoy?“, fragte Sirius, ohne dass Harry Vorwurf oder Misstrauen aus seinem Tonfall hätte heraushören können. Eigentlich war daraus gar nichts zu entnehmen, nicht einmal wirkliche Neugier.

Harry riss die Augen auf und klappte einmal den Mund auf und wieder zu. Der Hals war ihm plötzlich wie abgeschnürt.

„Oder – nein, ich will es gar nicht wissen“, sagte Sirius indem er sich umdrehte und den Weg wieder aufnahm. Genauso wachsam und konzentriert wie zuvor sprach er weiter, ohne Harry dabei ansehen zu müssen. „Ich sage nur, es ist... üblich. Das ist doch das einzige, was uns geblieben ist. Jeder hier...“ Er brach ab und schüttelte den Kopf.

Immer noch unfähig etwas zu sagen starrte Harry auf Sirius’ Rücken, so dass dieser seinen verständnislosen Blick wie einen zwischen die Schulterblätter gedrückten Zauberstab hätte spüren müssen.

Sirius zögerte, dann setzte er neu an: „Na ja, was glaubst du, was Frank und Alice gerade tun?“

Hörbar schnappte Harry nach Luft. „Du hast mich nur deshalb mitgenommen? Weil Frank kurz vorm Austicken war, oder?“

Von hinten sah Harry, wie Sirius halb ratlos, halb bekennend die Achseln zuckte. „Ich will damit nur sagen – jeder tut es. Scheint auch die einzige Gelegenheit zu sein, zu der sich die Leute hier absichtlich über den Weg laufen. Irgendwie ein Phänomen.“

Endlich fand Harry seine Beherrschung wieder. Zugegeben, es war ein äußerst peinliches Gespräch, von dem er sich gewünscht hatte, es nie führen zu müssen – nein, falsch. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass eine solche Unterhaltung eines Tages von Nöten sein könnte, aber hätte er es gewusst, dann hätte er sich auch gewünscht, dem wäre nicht so. Den Part, der Malfoy betraf, beschloss er einfach zu ignorieren, denn Widerworte hätten Sirius eher vom Gegenteil überzeugt und eher würde der brennende Wald tatsächlich Feuer fangen, als dass Harry sich zu irgendetwas bekannt hätte. Jedenfalls konnte er trotz der mehr als bizarren Situation seine Neugier nicht zurück halten und fragte: „Jeder, das heißt... du auch?“ Heiße Scham stieg bei dem unerhörten Gedanken auf, der sich plötzlich so hartnäckig wie ein Pilz in ihm festgesetzt hatte. Was passierte, wenn Sirius mit Alice allein war?

Sirius warf einen raschen Blick über die Schulter, als würde er in Harrys Ausdruck nach irgendetwas suchen. Dann antwortete er mit einem leichten Zögern in der Stimme, das Harry von ihm noch nicht kannte: „Nein... nein, ich nicht.“

Mit einem leichten Stirnrunzeln setzte Harry schon zu einer weiteren Frage an, hielt dann jedoch inne und schluckte sie hinunter.

Nach einem Moment Stille fuhr Sirius fort: „Es gibt nur eine Person,“ formulierte er unklar, „die ich – spürst du das?“ Plötzlich alarmiert drehte er sich hastig um sich selbst, sein Blick huschte rastlos über die Umgebung.

„Dort!“, rief Harry plötzlich und wies mit ausgestrecktem Arm auf einen verschwommen dunklen Fleck in der Ferne, der sich zu bewegen schien.

„Verdammt“, zischte Sirius durch zusammengebissene Zähne. „Sie haben ihn schon entdeckt. Ich hätte nicht –“ Er brach ab und rannte stattdessen los, auf die verschwommene Gestalt zu, aus deren Richtung auch das Harry inzwischen bekannte und zum Grauen gewordene saugende Gefühl kam. Die Namenlosigkeit seines Ursprungs verstärkte nur das Gefühl der schleichenden Panik, während er hinter seinem Paten her sprintete.

Je näher sie der Gestalt kamen, desto stärker wurde der Sog, und obwohl die rasende Angst in Harrys Kopf pulsierte, machte sich in seinem Körper mehr und mehr die Erleichterung breit, dem gestaltlosen Ziehen nachzugeben, als würde ein bis zum Zerreißen gespanntes Gummiband plötzlich gelockert.

„Sirius,“ keuchte er, „Sirius!“ Harry wusste, er musste ihn zum Anhalten bringen, denn wenn er noch weiter lief, würde er nicht mehr umkehren können, er würde versinken, verschluckt, wie von einem riesigen, schwarzen Rachen, so spielte es sich in Harrys Kopf ab, diffus und schmerzhaft. Aber sein Pate reagierte nicht und rannte weiter. Der harte Rhythmus ihrer Schritte auf dem staubigen Boden.

Inzwischen war die Gestalt genau auszumachen, es war ein Mann mittleren Alters, bleich und verstört. Das Blut rauschte in Harrys Ohren.

Jetzt waren sie so nahe, dass Harry hinter dem Mann die namenlose Verdichtung der Luft sehen konnte, wie an flirrend heißen Sommertagen eine Spiegelung auf dem Asphalt im harten Sonnenlicht, aber hier war weder Sommer, noch Asphalt, noch Sonne. Er wusste, dass sie jetzt nicht mehr umkehren konnten. Es war zu spät, der Sog zu stark, die Falle zugeschnappt. Das Ende. Und was würde jetzt wohl kommen? Harry blieb keine Zeit zum Überlegen, denn wie als würde ein Strick gekappt, oder eher mit peitschendem Knall reißen, fiel der Sog so plötzlich ab, dass Harry stolperte und auf allen Vieren landete. Verwirrt sah er sich nach Sirius um, der ebenfalls schwankend zum Stehen gekommen war und jetzt wie versteinert auf den Fremden starrte. Harry folgte seinem Blick und stilles Entsetzen packte ihn, als er sah, was vorging.

Die Schatten hatten von ihnen abgelassen, weil sie mit einer anderen Beute beschäftigt waren. Was passierte, war so etwa das Gegenteil von dem, was Harry sich mit dem schwarzen, alles verschlingenden Maul vorgestellt hatte. Es war, als würde der Mann in der Luft zerrissen, nicht blutig und in Fetzen, sondern als würde das, was seine Menschlichkeit ausmachte aus seinen Poren gezogen, während er verzweifelt versuchte, sich zusammenzuhalten. Wie durch einen Zerrspiegel verschob sich seine Kontur und wurde schließlich rissig, brüchig, begann sich an den Enden aufzulösen und verband sich mit den Schatten, die plötzlich gestaltlicher wirkten, als noch Augenblicke zuvor. Je mehr der Mann sich auflöste, desto weiter gewannen sie an Kontur, wenn auch immer noch auf solch schemenhafte Weise, dass man glauben könnte, es handle sich um bloße Luftspiegelungen der Menschen, die sie einmal gewesen waren. Starr vor Schreck streifte Harrys Blick das Gesicht des Mannes, das zu einer Grimasse des Entsetzens verzerrt war, die Lippen zu einem stummen Schrei geöffnet, der sie niemals verlassen konnte, weil ihm die Kehle schon entrissen wurde. In seinen Augen spiegelte sich ein Blick, der von unerträglicher Qual sprach. Harry wandte sich ab, voll Scham, aber unfähig, weiter zuzusehen. Weg, nur weg, solange sie abgelenkt sind, war sein einziger Gedanke. „Sirius“, keuchte er mühsam und rappelte sich hoch.

Dieser jedoch reagierte nicht. Sein Blick war wie gebannt auf das Unaussprechliche gerichtet, nicht auf die Stelle, wo der Mann im Begriff war, seine letzte Substanz zu verlieren, und zu einem vom ihnen zu werden, sondern auf eine jener Lichtspiegelungen, die ihn fest umschlossen hatten. Es war ein Mensch, schattenhaft, groß, ausgezehrt, körperlos. Etwas Vertrautes lag in seiner Haltung.

Sie mussten weg, sofort, ehe es zu spät war, denn obwohl die Wesen jetzt satt und träge waren, so spürte Harry doch schon, wie ihre seltsame Anziehungskraft wiederkehrte. Noch schwach und zögernd, aber im selben Maße, wie sie bereits wieder ihre Konturen verloren, wurde sie wieder stärker.

„Sirius!“, wiederholte Harry drängend und packte seinen Paten an der Schulter, der nun endlich reagierte und sich langsam in einer unnatürlich ruckhaften Bewegung zu ihm umwandte. Seine Miene war vollkommen unbewegt.

„Komm!“, schrie Harry ihn an, sich des spannenden Bandes bewusst, das sich bereits wieder um seinen Körper zu legen schien. Schließlich verlor er seine Geduld und packte Sirius am Handgelenk und zerrte ihn hinter sich her. Wie ein Hund an der Leine ließ er sich von Harry führen, rannte, wohin Harry rannte, folgte seinen Schritten, so wie Harry vor gar nicht so langer Zeit ihm gefolgt war. Wieder schien es ihm eine Ewigkeit, bis der Sog der Schatten endlich nachließ und schließlich ganz abfiel. Erst als die Stadt schon in greifbarer Nähe lag, verlangsamte er seine Schritte, Sirius mit ihm, bis er endlich am Rande der Siedlung neben ihm zum Stehen kam.

Die Erleichterung des knappen Entkommens kam wie eine Sintflut über Harry und brach über seinem Kopf zusammen. Er fühlte sich so frei und leicht, dass er sich mit einer unklaren Mischung aus Seufzen und Lachen zu Boden fallen ließ. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er immer noch Sirius’ Handgelenk umklammert hielt. Dessen Gesichtsausdruck war immer noch so leer wie zuvor.

Es war entsetzlich gewesen, was sie mit angesehen hatten. Und was sie in der Nähe dieser Wesen gefühlt hatten. Aber Sirius hatte noch etwas mehr gesehen, das Harrys Augen entgangen war.


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