von Muggelchen
Das fröhliche Geträller von fünf verschiedenen Vogelarten riss ihn aus seinem wohlverdienten Schlaf. Besonders ein Exemplar schlug derart hohe Töne an, dass sie dem Morgenmuffel fast den Verstand raubten. Die improvisierten Kompositionen der gefiederten Gesellen begleiteten diesen Morgen; allerdings schon ab vier Uhr in der Früh. Mit den ersten Sonnenstrahlen waren Amsel, Meise, Fink und Star – die fünfte Gattung war ihm unbekannt – erwacht, um dem Tag freundlich, vor allem aber aus voller Kehle entgegenzusingen:
„Guten Morgen, ihr Leute.
Wie geht es euch heute, was bringt uns der Tag?
Guten Morgen, ihr Leute.
Viel Spaß und viel Freude, was jeder so mag.“
Vogelgezwitscher erfreute seit jeher die Menschheit, nicht aber Severus Snape.
Griesgrämig wie eh und je schwang er sich aus seinem Bett und öffnete das Fenster, um den Baum anzubrüllen, in dessen dichter Krone sich die kleinen Startenöre aus gutem Grund versteckt hielten.
„Ihr verdammten Viecher! Könnt ihr nicht zwei Bäume weiter Krach machen?“
Aus dem Hintergrund hörte er eine weibliche Stimme. „Was ist denn nur los, Severus? Warum machst du so einen Lärm?“
„Ich mache Lärm?“, fragte er erbost zurück. „Diese verfluchten Vögel …“
„Reg dich doch nicht so auf, mein Schatz.“
Die Frau in seinem Bett war Hermine Granger, ehemals Weasley, aber von einem Fanfiction-Autor wieder zur unverheirateten Frau umgeschrieben, die mit Severus Snape in wilder Ehe lebte.
„Heute ist doch dein Geburtstag.“ Keck zwinkerte sie ihm zu.
Mit einer Riesenwut im Bauch giftete er zurück: „Mein Geburtstag? Warum wird es denn schon ab vier Uhr morgens hell? Und warum tragen die Bäume ihr Laubkleid?“
„Weil ich den Tag für dich schön gestalten wollte.“ Ihr Lächeln war plötzlich nicht mehr so sicher wie zuvor. „Ich hab es so geschrieben.“
„Ich habe im Januar Geburtstag! Da ist es kalt. Die Vögel verpis…“, er überdachte seine Wortwahl, „fliegen nach Süden und es sollte Schnee liegen. Das da draußen“, er deutete mit ausgestrecktem Finger auf das Fenster, „ist ein Sommertag. Ich hasse den Sommer.“
Mit diesen Worten verließ Severus nur im Nachthemd bekleidet vollkommen aufgebracht das Schlafzimmer und verkrümelte sich in die Küche. In einem Schränkchen fand er neben den vielen Teesorten, mit denen Hermine das Mobiliar als Eigentum zu kennzeichnen wagte, auch seine weit nach hinten geschobene Dose mit dem Kaffeepulver. Das hatte er jetzt dringend nötig. Drei Tassen Kaffee und der Tag konnte beginnen.
Während er darauf wartete, dass das Wasser durchgelaufen war, fragte er sich, wie er nur in dieses Szenario hineinschlittern konnte. Sicher, Hermine war jung und auch nicht sonderlich hässlich, nebenbei bemerkt auch nicht besonders hübsch, weil man sich in dieser Fanfiction bezüglich des Aussehens gern an den Canon hielt, aber sie war klug und vor allem willig. Sie schloss gern Kompromisse, damit jeder seine Vorlieben in das gemeinsame Leben schriftlich einfließen lassen konnte. Beide ergänzten sie sich bestens, aber heute hatte sie den Bogen überspannt. Wer war schon so dreist, dachte er missgestimmt, die Winterzeit gegen die Sommerzeit auszutauschen? Plus dreiundzwanzig Grad Celsius im Schatten waren für einen Januarmorgen in Schottland mehr als nur unrealistisch.
Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster ihres gemeinsamen Sommerhauses, welches mit der kitschigen Vogeltränke im Garten und den verträumten Rosenbüschen ihrer weiblichen Fantasie und Feder entsprungen war, nach draußen und bemerkte, dass die Bäume ihre Blätter auf magische Weise verloren. Nach wenigen Sekunden waren sie kahl, die Rosenbüsche erfroren. Der Himmel verdunkelte sich, Wolken quollen auf. Fasziniert von diesem Naturschauspiel ging er hinüber zum Fenster, um einen besseren Überblick zu bekommen. Es wurde stockdunkel und es begann zu schneien. Hermine musste gerade eben die heutige Szene umgeschrieben haben, um ihn milde zu stimmen.
„Severus?“, hörte er hinter sich. In ihrer Stimme schwang hörbar Unsicherheit mit. Vielleicht war es an der Zeit, diesen Mehrteiler mit ihr zu einem Ende zu bringen – nur wusste er nicht, ob es ein Happy-End werden sollte. „Severus“, schnurrte sie diesmal – und er fragte sich ernsthaft, ob es nicht ein anderes Verb als schnurren getan hätte, um Hermines devote Annäherung zu beschreiben, aber er verlor kein Wort darüber. „Ich wollte dir doch nur ein Geschenk machen.“
Noch immer missgelaunt von dem unangenehmen Erwachen durch die lästigen Vögel zeterte er: „Wenn du mir unbedingt ein Geschenk machen willst, dann schraub die Altersfreigabe von dieser Geschichte hoch auf 18 Jahre. Ich habe die Nase voll, nur weil hier 16-jährige mitlesen, dass unser Sex immer dann endet, wenn es gerade spannend wird. Weißt du, wie unbefriedigend das für mich als Mann ist?“
Empört riss Hermine ihre Augen weit auf. „Aber dann würde ja jeder lesen können, was wir miteinander treiben!“
„Nicht nur was, sondern auch wie. Das ist doch gerade der Sinn des Ganzen! Ich will das volle Programm auskosten und nicht mehr nur mit Blümchensex abgespeist werden, wo es heißt …“ Er verstellte die Stimme, sprach jetzt tiefer und hoch erotisch: „Severus keuchte erregt, als sie seine Brust mit Küssen bedeckte und immer tiefer glitt, über den flachen Bauch und die knochigen Hüften. Sie hatte das Ziel genau vor Augen.“ Erzürnt schnaufte er über die eigenen Worte. „Dann kommt abrupt ein Szenenwechsel – was nebenbei erwähnt einem Coitus interruptus gleichkommt – und wir machen plötzlich bei Harry und Draco weiter. Das will ich nicht mehr! Ich will das Ziel nicht mehr nur vor Augen haben, sondern die Andeutungen auch erleben und ich bin mir sicher“, mit erhobenem Finger punktierte er jedes Wort in der Luft, „dass mir mindestens neunzig Prozent aller Leser zustimmen würden!“
„Aber …“
„Sex sells! Damit bekommen wir auch viel mehr Leser“, versuchte er, ihr seinen Vorschlag schmackhaft zu machen, „und sicherlich den einen oder anderen Kommentar zusätzlich.“
Echauffiert widersprach sie. „Ich will mein Leben mit dir aber nicht vor jedermann offenlegen.“
„Wen interessiert denn, was du willst?“ Er hob die Arme in einer fragenden Geste. „Du bist doch sowieso nur ein fiktiver Charakter. Mir dir kann jeder machen was er möchte.“
„Na hör mal“, wies sie ihn grimmig zurecht, „das Gleiche kann ich dann wohl auch von dir sagen. Ich finde, dass jeder Charakter seine Rechte hat, aber auch seine Pflichten. Diese Pflichten wären zum Beispiel, dass wir ein Vorbild für die Kinder und Jugendlichen sind, die zu uns aufblicken. Das wäre nicht mehr der Fall, würden wir beide hemmungslos die Hüllen fallen lassen und wie wilde Tiere in der Brunft übereinander herfallen.“ Severus bekam plötzlich so ein interessiertes Glitzern in den Augen, aber das ignorierte sie gekonnt. „Und zu den Rechten: Ich habe das Recht darauf, nicht immer nur als fiktiver Charakter bezeichnet zu werden. Dazu habe ich viel zu viel Eigenleben. Ich fühle mich nicht als erdachte Person und will deswegen auch nicht als solche behandelt werden. Ich fühle, ich denke, ich existiere!“ Sie holte kurz Luft. „Ich lebe und möchte auch endlich, dass andere Menschen mir Respekt entgegenbringen. Ich bin doch kein totes Ding, das jeder mal benutzen darf, wie es ihm gerade passt!“
Nach ihrem Monolog blinzelte er einige Male verdutzt.
„Stimmt, tote Personen können nicht so viel quasseln wie du“, kommentierte er trocken, bevor er zu seinem Kaffee hinüberging und sich endlich die erste Tasse einschenkte. „Sieh es doch mal von der positiven Seite, Hermine.“ Mit seinem bedachten Tonfall hoffte er, sie zu beruhigen. „Wenn wir die Geschichte hochsetzen auf 18 Jahre und nicht nur unsere sexuellen Handlungen, sondern auch unsere Körper sehr genau beschrieben werden, dann wäre das für dich doch ein toller Ansporn, mal ein paar Pfunde abzunehmen.“
„WIE BITTE?“
„Ich sagte …“
Er hörte nur noch, wie die Küchentür hinter Hermine zuknallte. Es folgten Schritte, die nach oben zum gemeinsamen Schlafzimmer führten, wo abermals eine Tür knallte. Severus schloss die Augen und seufzte. Für heute Abend hatte er eine fantastische Sexszene ausgetüftelt, nur für sie und ihn. Das konnte er jetzt offenbar vergessen. Gedanklich notierte er, besonders bei Frauen keine Scherze mehr über das Gewicht machen zu dürfen.
Ein schlechtes Gewissen hatte er nicht, als er nach oben ging und an die Tür klopfte. Er war Severus Snape. Seine Stärke war sein Sarkasmus, doch auf den musste er jetzt verzichten, wenn er Hermine beschwichtigen wollte. Seine Schwäche war nun gefragt und die war … Er dachte angestrengt nach. Man musste nicht den letzten Band gelesen haben, um zu wissen, dass er bei dem Thema „Lily“ Rotz und Wasser heulen würde. Solche Informationen bekam man in Online-Lexika und in HP-Foren. Also dachte Severus an Lily und ihr wunderschönes dunkelrotes Haar, an ihr Lächeln und die Freundschaft, die sie ihm geschenkt hatte und – das sollte ihm den Rest geben – an ihren Tod.
Ein winziges Tröpfchen quetschte sich in elender Qual aus dem unteren Tränenpünktchen des rechten Auges. ‚Komm schon, Severus, das kannst du aber besser.‘ Mehr Gedanken an Lily fluteten seinen Geist. Er sah vor seinem inneren Auge, wie sie lachte, wie sie das erste Mal erfuhr, eine Hexe zu sein und wie sie zum Abschlussball Hand in Hand mit Potter …
Zorn breitete sich in ihm aus. Wäre Lily nicht in unzähligen Fanfictions wiedererweckt worden, dann könnte er ihren Tod noch immer betrauern. Stattdessen hüpfte sein rothaariger Engel von einer Rumtreiber-Geschichte in die nächste. Oder sogar von Potters Bett in Blacks – genau wie in der 18er-FF, die er erst letzte Woche zähneknirschend gelesen hatte. Resignierend ging er zurück in die Küche und griff zu altmodischen Mitteln: einer halben Zwiebel, die er sich dicht vor die Augen hielt.
Nicht nur mit tränenden, sondern auch mit brennenden Augen ging er nochmals hinauf. Er klopfte und schniefte dabei absichtlich laut, damit sie auf ihn aufmerksam wurde. Tatsächlich öffnete sie die Tür. Frauen waren so berechenbar, dachte er hämisch. Der Anblick von weinenden Männern erweichte ihr Herz. Immer.
„Hast du dir etwa wieder eine Zwiebel unter die Augen gehalten?“
Verdammt, ertappt. „Ich …“ Eine Lüge wäre falsch. Sie würde das sofort erkennen. „Ja.“
„Na, zumindest bist du ehrlich. Manchmal vielleicht etwas zu ehrlich.“ Sie spielte auf seinen Fauxpas mit dem Gewicht an.
„Das war nur ein Scherz, Hermine.“
„Ein Scherz über mein Aussehen. Und das gerade von dir!“
„Was soll das wieder heißen?“ Provozierend zog sie eine Augenbraue in die Höhe und betrachtete dabei sein Haar. „Die kann ich waschen“, rechtfertigte er sich.
„Warum tust du es denn nicht endlich mal?“
„Und warum kämmst du deine nicht? Musst du immer wie ein geplatztes Sofakissen aussehen?“
Oh Merlin, nein, dachte er, er tat es schon wieder. Seine Vorliebe für beißenden Spott musste er unbedingt im Zaum halten.
„Gehen die Beleidigungen jetzt weiter, ja?“, zischte sie eingeschnappt. Er bemerkte, dass ihr Blick auf seine Nase fiel. Nun war er verloren. „Was ist mit dem riesigen Gesichtserker?“, giftete sie ihn an. „Hast du dafür überhaupt eine Baugenehmigung erhalten?“
„Ich finde, jetzt gehst du wirklich zu weit, Hermine.“
„Warum? Das habe ich von dir! Schmeckt dir wohl nicht, mal etwas von der eigenen Medizin zu nehmen?“
„Ich bin eigentlich hergekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, aber wie es aussieht, ist einer von uns beiden nicht dazu in der Lage, eine Differenz auf vernünftiger Ebene zu bereinigen.“ Kühl wandte er sich von ihr ab. „Ich werde besser später wiederkommen.“
„Severus!“ Er hörte ihre Schritte, spürte eine Hand auf seiner Schulter. „Severus, bitte bleib.“ Mit einem Mal war sie wieder sanft. „Können wir nicht wegen dieser 18er-Geschichte einen Kompromiss schließen?“ Jetzt hatte er sie. „Wir könnten Oneshots erarbeiten und die mit einem Passwort versehen. Dann ist mein Gewissen wenigstens beruhigt, dass Kinder das nicht lesen.“
„Oh Hermine, du bist so klug“, war sein irrelevanter Übergang zu einem intensiven Kuss, für den er sie fest an sich drückte.
Severus, noch immer im Nachthemd, spürte Hermines Hände an seinen Schenkeln. Langsam zog sie das Nachthemd hinauf, bis sie seine nackte Haut berühren konnte. Zaghaft und so schamhaft wie eine Jungfrau tastete sie nach seiner Männlichkeit, das Ziel immer fest vor Augen.
~ * ~
Nach einer anstrengenden Nacht lagen sich Harry und Draco in den Armen. Den heutigen Tag wollten sie in Ruhe …
„Halt! Moment mal“, zeterte Severus. „Das ist genau das, was ich vorhin meinte. Wieso wird jetzt schon bei uns abgeblendet? Hermine hat ihn ja noch nicht mal angefasst. Ich will mehr Szenen haben!“
„Severus!“ Allein mit der harschen Nennung seines Namens wies Hermine ihn zurecht. „Du kannst nicht einfach mir nichts, dir nichts in eine andere Szene hüpfen und dir Luft machen.“
„Warum denn nicht? Es heißt doch immer, in Fanfictions sei alles möglich. Ich verlange sexuelle Befriedigung und von mir aus darf dabei auch jeder zusehen!“
„Ich will das aber nicht. Das Thema hatten wir vorhin schon. Ich dachte, dir gefällt der Vorschlag mit den Oneshots?“
„Ich möchte etwas Zusammenhängendes und nicht immer nur einzelne Geschichten.“
„Trotzdem kannst du nicht einfach schalten und walten, wie es dir gerade passt. Komm jetzt zurück und warte auf unsere neue Szene.“
„Ich will doch nur etwas mehr Sex“, wimmerte er. Severus war am Boden zerstört.
Sie rollte mit den Augen. „Herrje, kannst du wirklich immer nur an Sex denken?“
„Ich bin ein Mann!“, war die alles erklärende Antwort. „Hermine, du scheinst nicht zu verstehen. Immer, wenn wir kurz davor sind, es zu tun, wird einfach abgeblendet. Ich habe mittlerweile das Gefühl, mir platzen jeden Moment die Hoden.“
„Wir gehen jetzt zurück und schreiben einen Oneshot. Damit verschaffen wir die wenigstens etwas Erleichterung. Nun komm schon.“
Langsam zog Hermine ihn wieder zurück in ihre Szene, um den Übergang nicht weiter zu stören.
~ * ~
Nach einer anstrengenden Nacht lagen sich Harry und Draco in den Armen. Den heutigen Tag wollten sie in Ruhe …
„Darf ich nochmal stören?“, fragte Severus kleinlaut. Hermine versuchte gar nicht erst ihn aufzuhalten. „Ich wollte nur wissen, warum es unbedingt mathematischen Zeichen sein müssen, mit denen die Szenenübergänge gekennzeichnet werden. Tilde, Sternchen, Tilde“, er schnaufte, „was soll der Blödsinn?“
„Die Tilde“, verbesserte Hermine mit lehrerhafter Stimme, „stellt durchaus ein Satzzeichen dar.“
„Aber lediglich eines, das ein phonetisches Nasal kennzeichnet.“ Bei dem Wort Nasal blickte sie automatisch auf seine Hakennase, was er sich mit zusammengekniffenen Augen verbat.
„Wie soll der Autor denn sonst den Übergang kennzeichnen, Severus?“
„Er könnte ihn mit Worten beschreiben. Das geht in anderen Fanfictions doch auch“, hielt ihr Severus vor Augen. „Aber wenn es hier nicht möglich sein sollte, dann wäre es rein optisch viel schöner, wenn sie wenigstens zentriert wären.“ Er wandte sich an den Autor. „Mittig, Sie verstehen?“
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