von käfer
Maggie und Lyzette beteiligen sich an einer Diskussion im "Tagespropheten" - mit Folgen, vor allem für Maggie...
Maggie und Lyzette
Eines Tages packte Maggie „Der Schein trog“ in ihre Schultasche. Sie wollte Professor Fairbanks das Buch zeigen, aber vorher stand noch Kräuterkunde auf dem Stundenplan. Jack Longbottom war wieder einmal sehr schlecht gelaunt. Während die Schüler Schlafbohnen ernteten, stapfte er durch die Reihen und schimpfte halblaut vor sich hin. „… Unfug… Schlafbohnen an Muggelstämmige zu geben… nicht einschätzen, womit sie da hantieren… sollte verboten werden…“ Maggie und Lyzette wechselten besorgte Blicke. Sie schauten immer wieder zu Evelyn Sandford, die bleich und mit zitternden Fingern an einem Bohnenbusch herumfingerte. Zu Beginn der Stunde hatte Longbottom Evelyn examiniert und dabei die Fragen so schnell hintereinander gestellt, dass Evelyn keine Zeit hatte zum Antworten. Das Ergebnis war wieder eine „Sechs“ gewesen („Natürlich. Was sollte man sonst von jemand wie Ihnen erwarten.“) Evelyn befürchtete nun, dass ihre überehrgeizige Mutter dafür sorgte, dass Longbottom ihr Nachhilfe gab; die Mutter hatte derartiges im letzten Brief angedeutet.
„Hamilton, du arbeitest wieder viel zu langsam. Zehn Punkte Abzug!“
Lyzette schnappte nach Luft; Maggie begann, Longbottom anzufunkeln. Als der Lehrer ihr den Rücken zudrehte, schrieb Maggie ein paar Worte in ihr Notizbuch. Doch als sie dieses am Ende der Stunde wegpacken wollte, bekam Longbottom etwas mit. Er sprang herbei, packte Maggies Tasche und kippte sie aus. Maggie schaffte es gerade noch, das Notizbuch im Umhang verschwinden zu lassen. Longbottom wühlte in ihren Sachen, warf Stifte und Lineal zu Boden, knickte Blätter. Dabei fiel ihm das graue Buch in die Hände. Er schaute auf den Titel, blätterte kurz, sein Gesicht verzerrte sich. „Schund! Gehört verboten!“, schrie er und schleuderte das Buch weg. Maggie presste die Lippen aufeinander und funkelte Longbottom an. Der zog sich schnell und mit irritiertem Blick zurück, so dass Maggie glaubte, Lyzette habe wieder ihre besonderen Fähigkeiten eingesetzt. Aber die Freundin wartete außerhalb des Gewächshauses.
Drei oder vier Tage später entdeckte Lyzette im Tagespropheten einen Artikel, in dem sich jemand dagegen aussprach, muggelstämmige Kinder ohne Prüfung von Herkunft und Wissen an Zaubererschulen aufzunehmen. Der Schreiber warnte davor, dass auf diese Art viel zu viel magisches Wissen unter die Muggel geriet und die Geheimhaltung der Zaubererschaft in Frage gestellt wurde. Außerdem behauptete er, dass Muggelstämmige auf Grund fehlenden häuslichen Vorbilds immer schlechtere Zauberer waren als Kinder aus Zaubererfamilien, die von klein auf mit Magie zu tun hatten. Unterschrieben war das Pamphlet mit „J.L.“
„Das klingt nach Longbottom“, sagte Maggie, nachdem sie zu Ende gelesen hatte.
„Die Initialen passen“, ergänzte Lyzette, „wer weiß.“
Quasi als Antwort auf dieses Pamphlet erschien zwei Tage später ein Aufsatz des bekannten Journalisten und Soziologen Arthur Potter mit der Überschrift „Ist das Geheimhaltungsgesetz noch notwendig?“ Der Autor bezog sich auf Zahlenmaterial der letzten zwanzig Jahre und wies nach, dass sowohl die Zahl der muggel- stämmigen Zauberer als auch die Anzahl der gemischten Lebensgemeinschaften stetig zunahm – und damit auch die Zahl derer, die zwangsläufig von der Existenz der Zauberer erfahren mussten. Im Gegensatz dazu nahm die Zahl der reinblütigen Zauberer immer mehr ab; viele der als absolut reinblütig geltenden Familien bekamen überhaupt keine oder nur geistig behinderte Kinder, was Potter auf jahrhundertelang geübte Inzucht zurückführte.
Arthur Potter forderte am Schluss zur Diskussion und Meinungsäußerung auf; der „Tagesprophet“ versprach, mehrmals in der Woche Zuschriften zu veröffentlichen.
Als erstes wurde in dieser Rubrik „ohne jegliche Kürzung und Stellungnahme“ ein Brief von J.L. abgedruckt. J.L. sprach sich vehement dafür aus, das Geheim- haltungsgesetz eher zu verschärfen und muggelstämmigen Kindern keinen Zugang zu den Zaubererschulen zu gewähren; man sollte den betroffenen Familien gar nicht erst mitteilen, dass ihr Kind magisch begabt ist. J.L. forderte, die unsinnige Diskussion einzustellen und sich lieber dem Wesentlichen – der Reinhaltung der Magie – zu widmen. Dann führte er noch einige Beispiel an, wozu muggelfreund- liches Verhalten in der Vergangenheit geführt habe, unter anderem erwähnte er einen als muggelfreundlich bekannten Schulleiter, der von einem seiner Schützlinge ermordet worden war.
Kaum hatte sie diesen Aufsatz gelesen, sprang Maggie in die Bibliothek, recherchierte ein Weilchen und schrieb dann ihrerseits einen Brief an den Tagespropheten. Dabei zitierte sie aus „Der Schein trog“ und stellte die Mordgeschichte richtig. Danach schilderte sie noch, wie sie vor Beginn ihrer magischen Ausbildung mit den magischen Ausbrüchen und ihren Folgen zu kämpfen hatte.
Voller Spannung warteten Maggie und Lyzette darauf, dass Maggies Brief veröffentlicht wurde, aber als es soweit war, mussten sie feststellen, dass man ihn gekürzt und den Abschnitt über Dumbledores Tod herausgestrichen hatte. Schon in der nächsten Pause saßen Maggie und Lyzette wieder da und schrieben je einen Brief an den Chefredakteur des Tagespropheten und an Arthur Potter.
Der Chefredakteur antwortete, indem er der nächsten Diskussionsseite voranstellte, dass sich die Redaktion das Recht vorbehalte, Zuschriften zu kürzen oder gar nicht erst zu drucken, vor allem dann, wenn die Briefe nicht zum Thema gehörenden oder unter die Gürtellinie gehenden Inhalt hätten.
Arthur Potter antwortete persönlich; er schrieb, dass er Maggie gern treffen und kennenlernen würde.
Aber auch Jack Longbottom reagierte auf die Veröffentlichungen: er beschimpfte Evelyn, Lyzette und besonders Maggie noch mehr als bisher. „Da gibt es dumme kleine Mädchen“, sagte er, den Blick auf Maggie gerichtet, „die meinen, besser als erwachsene, gebildete Männer zu wissen, weshalb jemand gestorben ist und die auch noch unverfroren genug sind, dies in die Zeitung setzen zu wollen… Als wenn es heutzutage noch wichtig wäre, was vor fast achtzig Jahren passiert ist…“
„Die Wahrheit IST wichtig!“, rief Maggie und sprang auf. „In dem Aufsatz von J.L. stand es völlig falsch. Dumbledores Tod hatte gar nichts damit zu tun, dass er muggelfreundlich eingestellt war. Es sollte nur so aussehen, als hätte Severus Snape ihn getötet, damit der helfen konnte, diesen schwarzen Magier Voldemort zu besiegen. Sie hätten ´Der Schein trog´ mal richtig lesen sollen statt das Buch als Schund abzutun!“ Maggie hatte sich in Rage geredet, der Rest der Klasse saß mucksmäuschenstill da und wartete auf die Reaktion von Professor Longbottom. Der wirkte einen Moment lang unsicher. Seine Augen flackerten, die Mundwinkel zuckten. Aber schnell hatte er sich wieder in der Gewalt und sagte halblaut und überdeutlich: „Hundert Punkte Abzug! Verlassen Sie sofort meinen Unterricht!“
„Wie Sie wollen“, sagte Maggie kalt, packte ihre Sachen mit einem einzigen Zauberstabschlenker zusammen und verließ das Klassenzimmer, um sofort zu Professor Fairbanks zu gehen und sich zu beschweren.
In der Pause fielen die Slytherins – mit Ausnahme von Lyzette – geschlossen über Maggie her. „Kannst du dich denn gar nicht beherrschen?“, tobte Bill Maxwell, „du blöde Kuh!“
Maggie funkelte Bill wütend an. „Konntest du dich beherrschen, als dieser Steve Abernathy dich letztes Schuljahr dauernd provoziert hat? Mit einem Stein in der Faust bis du auf ihn losgegangen… Es gab fünfzig Punkte Abzug, erinnerst du dich?“
Bill klappte die Kinnlade herunter.
Maggie wandte sich an die anderen. „Tut mir Leid für Slytherin, dass Longbottom so gemein ist und gleich hundert Punkte abzieht. Aber ich kann es nicht ertragen, wenn einer öffentlich Lügen verbreiten darf und die Wahrheit unterdrückt wird. Mein Vorfahre war kein gemeiner Mörder!“
„Wen meinst du?“, fragte Rosy Flint naiv. „Wer war dein Vorfahre?“
Maggie antwortete: „Ich stamme von einem gewissen Severus Snape ab. Der war hier mal Lehrer für Zaubertränke. Damals gab es einen Schwarzen Magier, der sich selber Lord Voldemort nannte. Mein Vorfahre hat gegen ihn gekämpft und dabei zum Schein seinen Chef getötet. Aber der war schon todkrank, und… Ach, am besten ihr lest mal ´Der Schein trog´, das ist die Biographie von Snape. Steht in der Bibliothek.“
Eine Stimme schnarrte hinter der Gruppe: „Dieses Buch ist ziemlicher Schwachsinn. Ihr solltet die Nasen lieber in eure Lehrbücher stecken.“
Maggie wirbelte herum und holte tief Luft, besann sich aber und beschränkte sich darauf, Longbottom anzufunkeln.
Später sagte Lyzette zu Maggie: „Wenn wir einen Beweis gebraucht hätten, dass „J.L.“ unser ´Lieblingslehrer´ ist, hätten wir ihn heute gehabt. Es sah ganz so aus, als würde Longbottom deinen Brief an den Tagespropheten genau kennen. Wer weiß, vielleicht arbeitet er heimlich dort mit und bestimmt, was gedruckt wird und was nicht.“
Maggie brummte zustimmend.
Die Diskussion um den Punktabzug wurde am Nachmittag im Gemeinschaftsraum der Slytherins fortgesetzt. Punktabzüge in dieser Größenordnung hatten stets eine Hausversammlung zur Folge, die vom ältesten Vertrauensschüler geleitet wurde. In diesem Jahr war das Hercules Flint, ein Cousin von Rosy.
Da Jack Longbottom bei den Slytherins allgemein unbeliebt war, obwohl sie auf Abstammung und Reinblütigkeit stolz waren und er Reinblüter bevorzugte, hatte Maggie die Sympathien ausnahmsweise auf ihrer Seite. Hercules bat sie, zu berichten, wie es zum Abzug von hundert Punkten kam.
Maggie hatte die Ausschnitte aus dem „Tagespropheten“, das Konzept ihres Briefes und das graue Buch dabei. Obwohl sie versuchte, sich kurz zu fassen, sprach sie mehr als fünf Minuten lang und erklärte die Hintergründe. „Es klingt merkwürdig, aber ich fühle mich diesem Vorfahren, den in meiner Familie niemand gekannt hat, so verbunden, als wäre er mein Vater. Da konnte ich einfach nicht anders, ich musste Longbottom sagen, was ich gesagt habe.“
Minutenlang herrschte Schweigen im Gemeinschaftsraum.
Hercules Flint sagte schließlich: „Merkwürdig, dass wir von der Sache mit diesem Voldemort in Geschichte nie etwas gehört haben. Dabei wären zwei Zaubererkriege doch durchaus erwähnenswert, zumal sie allerhand mit Hogwarts zu tun hatten und wir die Geschichte Hogwarts bis ins kleinste Detail durchgenommen haben.“
„Noch nicht einmal Professor Fairbanks konnte uns dazu etwas erzählen“, warf Lyzette ein. „Was wir wissen, haben wir selber herausgefunden beziehungsweise es steht in dem Buch.“
Den Rest des Tages verbrachten die Slytherins damit, Maggie und Lyzette zu lauschen, die abwechselnd aus „Der Schein trog“ vorlesen mussten. Eliza Sticky ergänzte ein paar Fakten, die sie von ihrer Urgroßmutter erfahren hatte.
Das war das erste, aber auch das letzte Mal, dass alle Slytherins etwas gemeinsam taten, was nicht mit dem Unterricht zu tun hatte. Hausversammlungen wie diese gab es lange Zeit nicht mehr. Rosy und ihr Cousin redeten ab diesem Tag nicht mehr miteinander.
Auf dem Weg zum Abendessen fragte jemand Lyzette: „Und von wem stammst du ab?“
Seufzend erwiderte Lyzette: „Wenn ich das wüsste! Keine Ahnung, welcher Reinblüter mal mit einer Muggelfrau aus meiner unbekannten Ahnenreihe fremdgegangen ist…“
Die Aufsatzdiskussion im „Tagespropheten“ wurde fortgesetzt. Es erschienen Beiträge von Ramses Fairbanks und Henry Wilde; beide berichteten von Erfahrungen mit muggelstämmigen Schülern, die keineswegs schlechtere Leistungen zeigten als Kinder aus Zaubererfamilien. Und sie forderten „J.L.“ auf, seinen Namen auszuschreiben.
Aber J.L. dachte nicht daran. Er schrieb wieder einen Brief, der offensichtlich ungekürzt und unzensiert abgedruckt wurde, und forderte dazu auf, eine ganze Reihe von Büchern zu verbieten; auf der Liste befanden sich auch die Biographien von Albus Dumbledore und Severus Snape sowie eine Sonderausgabe des „Klitterer“ vom August 1998 mit dem Titel: „Die letzten Tage des Lord Voldemort“. Unterzeichnet war wiederum nur mit „J.L.“, aber Maggie und Lyzette – und andere – waren sich sicher, dass es sich dabei um Jack Longbottom handelte.
Die Schüler bemerkten, dass zwischen den Lehrern Spannungen herrschten. Der Umgangston der Lehrer untereinander wurde teilweise kälter, rauer, distanzierter. Mitunter flocht der eine oder andere Bemerkungen in den Unterricht, die nur als Kritik an Kollegen aufgefasst werden konnten. Longbottom schimpfte besonders über Wilde, was Maggie und Lyzette mehrmals zu Bemerkungen reizte, die zum Erstaunen aller nicht mit Punktabzügen quittiert wurden.
In einer der nächsten Zaubertränkestunden wertete Professor Wilde die letzten praktischen Arbeiten aus. „Insgesamt habt ihr alle recht gute und größtenteils verwendbare Tränke abgeliefert. Maggie Duncan erhält für erstklassige Arbeit hundert Punkte.“ Wilde machte eine Pause, die Slytherins jubelten laut. Selbst die Gryffindors spendeten Beifall; die Geschichte von der Auseinandersetzung mit Longbottom hatte sich inzwischen in der ganzen Schule herumgesprochen.
„Mit diesen hundert Punkten möchte ich aber auch Miss Duncans Mut zum Widerspruch belohnen. Lass´ dich nicht unterkriegen, Maggie!“
Tosender Beifall.
Übrigens: Arthur Potter ist der Sohn von James Potter und damit ältester Enkelsohn von Harry Potter;
Hercules und Rosy Flint sind Enkel von Marcus Flint, dem uns bekannten Kapitän der Slytherin-Quidditch-Mannschaft
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