von käfer
Maggie und Lyzette haben ausnahmsweise ein bisschen Zeit. Und die nutzen sie - na, wozu wohl?
Maggie und Lyzette
Der April des Jahres 2074 war total verregnet. So blieben die Hogwarts-Schüler lieber im Schloss; Bibliothek und Gemeinschaftsräume waren bevölkert wie schon lange nicht mehr.
Maggie und Lyzette verbrachten viel Zeit in ihrem Zimmer, sie machten ihre Hausaufgaben lieber in Ruhe dort statt im lärmigen Gemeinschaftsraum. Im Schloss kannten sie sich gut aus, sie wussten mehr Abkürzungen und Geheimgänge als mancher Siebtklässler. Nur den Zugang zum Dachboden hatten sie noch nicht gefunden und trotz aller Bemühungen waren sie dem Geist des alten Schulleiters nicht wieder begegnet. Maggie hatte ein paar Mal das Gefühl gehabt, dass er in der Nähe war, aber gezeigt hatte er sich nicht.
Es passierte selten, dass die beiden nicht zusammen unterwegs waren; man sprach schon von den „siamesischen Zwillingen“. Der neue Tränkelehrer, Professor Wilde, hatte einen Freiwilligen gesucht, um die Vorräte zu ordnen. Maggie war an jenem Samstag gerade mit der Arbeit fertig geworden. Grübelnd lief sie durch die Gänge; Wilde hatte so eigenartige Fragen über ihre Herkunft gestellt. Und er hatte sie immer wieder von der Seite angesehen, mit genau dem gleichen Blick, mit dem auch die Direktorin sie zuweilen bedachte. Es wurde höchste Zeit, dass sie ihren Stammbaum weiter verfolgte. Vielleicht hatte Tante Sylvie noch Unterlagen auf ihrem Dachboden? Sie wohnte in dem Haus, in dem schon ihre Großeltern gewohnt hatten, wer weiß?
Als Maggie die Tür öffnete, tönte ihr Musik entgegen. Gitarren- und Klavierklänge, Orchester, eine helle, klare Frauenstimme. Wie angewurzelt blieb Maggie stehen und lauschte. Die Musik füllte den ganzen Raum und wirkte unglaublich beruhigend. Lautlos schloss Maggie die Tür. Lyzette stand an der Staffelei und malte eine von ihren lichtdurchfluteten Fantasielandschaften. Sie nahm nichts von ihrer Umgebung wahr.
Lautlos machte Maggie es sich auf dem Bett bequem, nahm ihr Nähzeug und stickte weiter hauchdünne Silberfäden auf eine schwarze Baumwollbluse.
Erst als mit einem kleinen Knacksen die Musik ausging, kam wieder Bewegung in die beiden Mädchen. Maggie rappelte sich hoch und fragte: „Was war das?“
Lyzette hielt eine altmodische CD-Hülle hoch. „Enya“, sagte sie, „Das stammt vom Anfang des Jahrhunderts und hat meiner Großmutter gehört.“
„Hast du noch mehr davon?“, fragte Maggie, „Das war irgendwie schön – so beruhigend.“
Lächelnd zeigte Lyzette auf ein Köfferchen. „Das hat Oma mir geschenkt, als ich in den Osterferien beim Aufräumen darüber gestolpert bin. Wenn ich diese Musik höre, malt der Pinsel von alleine.“
Maggie betrachtete die CDs. „Das reicht für viele verregnete Nachmittage“, stellte sie fest.
„Stimmt“, lächelte Lyzette. „Du kannst dich gern bedienen. Hier geht der Player auf, CD reinlegen, Klappe zu, und hier musst du drücken. Alles andere ist Zauberei.“ Sie stellte Player und CDs auf das gemeinsame Regal. Dabei stieß sie an ein Buch mit grauem Einband. „Was ist das denn?“
„Ach du Schreck, das haben wir ganz vergessen!“
Es war „Der Schein trog – ein Leben zwischen Gut und Böse“, das Buch, das Harry Potter und Hermine Weasley geschrieben hatten.
Lyzette blätterte. „Die Biographie des Severus Snape“, las sie den Untertitel vor.
„Severus Snape? Der Name ist mir doch schon mal untergekommen“, sagte Maggie nachdenklich.
Sie grübelten beide, aber bei Lyzette machte es zuerst „klick“. „Im Wer-ist-wer!“, rief sie. „Dort wird der Name in Verbindung mit Albus Dumbledore erwähnt, wir haben nachgeschlagen, erinnerst du dich?“
Maggie schlug sich die flache Hand an die Stirn. „Na klar! Wir haben so danach gesucht und jetzt lassen wir das einfach hier liegen, nicht zu fassen! - Am besten, wir lesen es uns gegenseitig vor, jeder ein Kapitel oder so. Dann sind wir immer gleich weit.“
Sie machten es sich auf ihren Betten bequem, Lyzette begann mit dem Vorwort. „Dies ist die Biographie eines ungewöhnlichen Mannes, eines Mannes, der ein völlig anderer zu sein schien als er tatsächlich war…“
Die Autoren hatten Severus Snape selbst befragt, Bücher gewälzt, mit Zeitzeugen gesprochen und einiges selbst miterlebt.
An jenem Samstag kamen Maggie und Lyzette noch bis zur Einschulung. Severus Snape war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen; der Vater hatte seine Arbeit verloren und fand keine neue. Die Eltern stritten sich oft; wahrscheinlich kam der Vater nicht damit zurecht, dass seine Frau eine Hexe war und vor allem schien er nicht zu verstehen, dass der Magie Grenzen gesetzt waren.
Am Sonntag lasen sie dann die von Bitterkeit geprägten Berichte über die Grundschulzeit. Severus war der Kleinste, Schwächste, Ärmste in der Klasse gewesen, das perfekte Opfer für Hänseleien. Auf Schulausflüge konnte er nicht mit, weil den Eltern das Geld fehlte, er trug gebrauchte Kleidung, sein Schulranzen stammte noch vom Vater.
Von der Mutter schaute er sich Zaubereien ab und probierte sie heimlich mit ihrem Zauberstab aus; wenn der Vater dahinterkam, setzte es Schläge für Severus und seine Mutter.
Während der folgenden Woche hatten sie nicht viel Zeit zum Lesen. Ein paar ausführliche Ausarbeitungen zur Geschichte Hogwarts und zur Entwicklung der Verwandlungslehre waren der Grund dafür. Dabei stieß Maggie in der Bibliothek auf eine Aufstellung der Hogwarts-Lehrer der letzten hundertfünfzig Jahre. Gemeinsam studierten sie die Liste ganz genau. Die meisten Namen hatten ein Sternchen, was bedeutete, dass die Leute schon als Schüler hier gewesen waren. Besonders interessiert waren die Mädchen an den Lehrern, die um die Jahrhundertwende unterrichtet hatten oder als Schüler hier waren.
„Die sind ja alle schon tot“, stellte Lyzette knurrend fest.
„Ja, aber guck mal hier, die Namen! – Minerva McGonagall – ob Paddy McGonagall ihr Enkel ist?“
„Vielleicht der Urenkel, er ist noch ziemlich jung.“
„Hast Recht“, seufzte Maggie. „Aber hier: Pomona Sprout – Peter Sprout könnte ihr Enkel sein, die Geburtsdaten passen.“
„Guck an, es gab schon mal einen Lupin; für ein Jahr hat er Verteidigung unterrichtet. Ob das der Schwiegerpapa von Lydia Lupin ist?“
Maggie antwortete nicht, sie notierte Namen und Geburtsdaten.
„Weißt du, was mir auffällt?“, fragte Lyzette, nachdem Maggie die letzte Zahl geschrieben hatte.
„Nein, was denn?“
„Verteidigung gegen die dunklen Künste wurde so ab 1960 herum jedes Jahr von jemand anderem unterrichtet. Erst 2003 kam dann für 10 Jahre Bill Weasley.“
„Du hast Recht. Das ist merkwürdig. Und es war praktisch die ganze Zeit, in der Albus Dumbledore Schulleiter war.“
Maggie schrieb etwas in ein kleines Heft. „Wir müssen unbedingt den Geist noch mal suchen. Ich habe schon so viele Fragen aufgeschrieben, die ich ihm stellen will und täglich werden es mehr.“
„Puh“, machte Lyzette. „Ein gewisser Neville Longbottom hat hier vor Jack Longbottom Kräuterkunde unterrichtet. Den Daten nach könnten sie Vater und Sohn sein. Und Neville war zur fraglichen Zeit hier Schüler – Gryffindor.“
Maggie schrieb.
„Hey! Hier ist ja unser Severus Snape! Er hat Zaubertränke unterrichtet und war 1997/98 sogar Schulleiter. Dann war er weg und ist 2011 wiedergekommen, hat bis 2043 unterrichtet.“
„Warte mal“, sagte Maggie, „wer war zu der Zeit als Schüler hier? Vielleicht hilft uns da jemand weiter, kann etwas erzählen oder so.“ Sie reckte den Hals und Lyzette ließ ihre Augen suchend über die Seite wandern. „McGonagall, Sprout, Longbottom, Moonmare“, diktierte sie.
„Außer Longbottom können wir alle fragen.“ Maggies Gesicht glühte vor Eifer, ein seltener Anblick bei ihr.
Lyzette machte eine abwehrende Handbewegung. „Erst sollten wir mehr wissen, ehe wir den Leuten auf die Nerven gehen.“
„Schon gut. Du hast mal wieder Recht.“ Maggie wurde plötzlich nachdenklich. „Lass mich bitte noch mal den Eintrag von Snape lesen.“
Lyzette schob ihr das Heft zu. Maggie las, blätterte nach vorn, las dort, blätterte wieder nach hinten und sah Lyzette mit großen Augen an. „Das ist merkwürdig“, sagte sie langsam. „Im Wer-ist-wer stand doch, Albus Dumbledore ließ sich von Severus Snape töten oder so ähnlich. Das war 1997. Im Schuljahr 97/98 war Snape aber Schulleiter, vorher hat er ein Jahr Verteidigung unterrichtet. Dann erst verschwand er in der Versenkung. Irgendetwas stimmt hier nicht.“
„Das ist wirklich komisch. Ob da ein Druckfehler ist?“
„Das kriegen wir heraus“, sagte Maggie mit Bestimmtheit. „Wer hat eigentlich von 1996 bis 2011 Zaubertränke unterrichtet?“
Lyzette sah nach. „Ein gewisser Horace Slughorn. Nur ein paar Jahre jünger als Albus Dumbledore, war wohl schon im Ruhestand, er hatte 17 Jahre Pause gemacht.“
„Das wird ja immer merkwürdiger.“
„Da haben wir eine ganze Menge Namen zum Nachschlagen im Wer-ist-wer, weißt du das?“
„Wir können auch an den Computer gehen.“ Schon war Maggie aufgesprungen und hockte vor dem Terminal, ehe die Fünftklässlerin, die wohl genau dasselbe vorhatte, heran war. Maggie tippte, Lyzette suchte unterdessen das Wer-ist-wer heraus.
Als nach einer Stunde Madam Hastings das Ende der Öffnungszeit verkündete, waren beide furchtbar enttäuscht. Über Severus Snape standen nur ein paar wenige Sätze im Wer-ist-wer, im Computer war gar nichts gespeichert. Zu allen anderen Personen von ihrer Liste hatten sie lediglich nichtssagende Eintragungen gefunden.
Lyzette schob eine Enya-CD in den Player und begann mit Skizzen für ein neues Bild, Maggie stickte. So bauten sie ihren Ärger ab und waren am anderen Morgen entspannt und ausgeruht. Ihr Aufsatz über die letzten hundert Jahre magischer Ausbildung in Hogwarts war schon ziemlich lang, obwohl bis zur Abgabe noch drei Wochen Zeit waren.
Weil es am Wochenende immer noch regnete, beschlossen die beiden, weiter in der Biographie von Severus Snape zu lesen. Sie hatten die Vorhänge zugezogen, abgesehen von Lyzettes Zauberstab, der das Buch beleuchtete, sorgten nur drei Schwimmkerzen in einer Glasschale für etwas Licht.
Lyzette war dran mit lesen, sie waren bei Snapes erster Zaubertrankstunde angekommen. Die Autoren hatten wörtlich zitiert, was Snape ihnen darüber erzählt hatte. „…sortierte die Zutaten und stellte sie in der Reihenfolge vor mich hin, in der ich sie brauchen würde… Legte die Hände auf den Rand des Kessels. In dem Moment passierte etwas Merkwürdiges. Ich habe nur noch die Zutaten, den Kessel und das Rezept gesehen und nichts gehört als ein Rauschen.“
Lyzette unterbrach. „War das nicht bei dir genauso?“
Maggie nickte. „Lies weiter!“
Lyzette blätterte um und stieß einen Schrei aus. „Maggie – guck mal das Bild an! Snape sieht aus wie du!“
„Was?“ Maggie sprang auf, riss Lyzette das Buch aus der Hand, schüttelte den Kopf. Schließlich nahm sie einen kleinen Spiegel, schaute sich an, schaute das bild an und bekam große Augen. Dann sah sie Lyzette an. „Du hast Recht. Ob…, ob der mein Vorfahre ist?“
„Das kriegen wir raus, wir müssen nur noch mal ins Ministerium.“
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