von käfer
Schauen wir ein bisschen der Schulleiterin über die Schulter...
Lydia Lupin
Die Direktorin sass in ihrem Büro und las eine eben eingegangene Bewerbung. Der Familienname des Bewerbers weckte unangenehme Erinnerungen. Eine gewisse Dolores Umbridge war Schulinspektorin gewesen, als Lydia ihre ersten Unterrichtsstunden gegeben hatte. Und irgendwie hatte sie Lydia immer so komisch angesehen und merkwürdige Bemerkungen über Wesen gemacht, die aussähen wie Menschen, aber keine waren. Und sie hatte Lydia stets schlechter beurteilt als andere Lehramtskandidaten. Lydia hatte die ganze Sache Ted erzählt und der hatte gewusst, warum: „Sie hat meinen Vater gekannt und gehasst, weil er ein Werwolf war. Wahrscheinlich denkt sie, du bist seine Tochter oder so.“ Harry und Ginny Potter, Hermine und Ron Weasley hatten allerhand über diese Frau zu erzählen gewusst, aber Gutes war nicht dabei gewesen.
Jetzt bewarb sich ein Tony Umbridge als Lehrer für Höhere Magie oder Zaubertränke. Die Zeugnisse waren erstklassig, der Lebenslauf „sauber“, die Referenzen vorzüglich. Aber alles war zu erstklassig, zu sauber, zu vorzüglich, als dass sie den Mann ohne Tiefenprüfung einstellen konnte.
Lydia brauchte dringend neue Lehrer. Griselda Moonmare wollte in Rente gehen, aber es gab keinen Ersatz für sie. Wer machte sich heutzutage noch die Mühe, Träume zu deuten und Horoskope von Hand zu erstellen, wo es doch längst Computerprogramme dafür gab?
Wie lange sie Mildred Dean noch bei der Stange halten konnte, wusste Lydia nicht. Früher oder später würde Mildred nach Deutschland zurückkehren, das hatte sie mehr als nur einmal deutlich gesagt.
Und Anthony Fudge würde Lydia lieber heute als morgen entlassen. Der war so was von unzuverlässig und auch kein guter Lehrer. Die Beschwerden häuften sich schon lange, zwei Abmahnungen hatten nur eine befristete Besserung gebracht.
Das Spickoskop schlug an. Lydia tippte mit dem Zauberstab auf das Foto ihrer jüngsten Tochter, das Gesicht verschwand, statt dessen war zu sehen, das Joshua Taylor, ein Erstklässler, vor der Tür stand. Ein schneller Blick zum Stundenplan bestätigte, dass Taylor jetzt eigentlich im Zaubertränke-Unterricht zu sitzen hatte. Moment mal, Fudge war doch nicht beim Frühstück gewesen! Was war da schon wieder los? Lydia betätigte mit dem Fuß den Türöffner. Sie wusste, was kam und zog die Akte von Fudge hervor. Ihr entnahm sie ein Blatt, das nur lose eingelegt war. Hier hatte sie alle Verfehlungen dieses Schuljahres notiert, peinlich genau mit Datum, Uhrzeit und Zeugen. Dies war nun das sechste Mal, dass Fudge morgens zu spät kam. Die Liste seiner verbalen Entgleisungen im Lehrerzimmer war genauso lang wie die der Beschwerden von Schülern und Eltern. Und am Samstag war Fudge sturzbetrunken durch die Schule getorkelt. Zum Glück war es nur Ted gewesen, der ihn getroffen hatte, und kein anderer Lehrer oder Schüler.
Taylor stand vor ihrem Schreibtisch. „Direktorin, ich möchte Ihnen mitteilen, dass Professor Fudge nicht erschienen ist.“
„Gehen Sie hinunter und bitten Sie die Klasse, sich ruhig zu verhalten. Ich werde in ein paar Minuten nachkommen und die Vertretung übernehmen.“
Taylor nickte und verschwand mit enttäuschtem Gesicht. Er hatte sicher auf „Ausfall“ gehofft, aber Lydia hatte strenge Auflagen vom Ministerium. Seufzend machte sie ihre Aktennotiz, steckte die Mappe weg und ging ins Lehrerzimmer. Ted hatte heute zeitig Dienstschluss, eigentlich hatten sie einen ruhigen Nachmittag zu zweit verbringen wollen. Daraus wurde nun nichts. Vielen Dank, Professor Fudge!
Im Lehrerzimmer traf Lydia auf ihren Stellvertreter. „Terence, richte dich bitte für heute, 14 Uhr auf ein längeres Gespräch über Personalfragen ein.“
Houseman zog die rechte Augenbraue hoch. „Lass mich raten – Fudge ist nicht erschienen.“
„Korrekt.“ Lydia nahm das Klassenbuch, sah hinein, was drankommen müsste. Mühsam ihren Ärger unterdrückend, marschierte sie in den Vorbereitungsraum im Keller. Die Regale für die erste Klasse waren leer, ebenso die Borde an den Tischen. Ihr Ärger auf Fudge wuchs.
„Eigentlich wäre heute die Gemälde-Reinigungslösung nach Chansman herzustellen, aber wie ich soeben feststellen musste, hat Professor Fudge nichts vorbereitet. – Die Tränkehelfer bitte zu mir.“
Joshua Taylor und Bill Maxwell standen auf. Aha, nur Jungs. Lydia öffnete die Vorratsschränke. Was sie da erblickte, ließ sie beinahe in Ohnmacht fallen. „Unordnung“ war noch stark untertrieben. Wenn das Severus sehen würde! Mit Aufrufezaubern versuchte Lydia, die benötigten Zutaten zusammen zu bekommen. Am Ende konnte sie gerade die Hälfte der Tabletts bestücken und es war fraglich, ob alle Zutaten reichen würden. Das machte die Kündigung perfekt!
Nichts Gutes ahnend, ging Lydia in den Vorratsraum. „Fristlose Entlassung!“, murmelte sie vor sich hin, als sie die beinahe leeren Regale sah.
Wütend versiegelte Lydia Büro, Vorbereitungs- und Vorratsräume, teilte die Klasse in Arbeitsgruppen ein und ließ die Schüler brauen. Dann rief sie sich Hogwarts-Briefpapier, unlöschbare Dokumententinte und Feder herbei und schrieb die Kündigung für Fudge sowie je eine Information an die Leiterin der Abteilung Magische Bildung, Fleur Krum und den Leiter der Abteilung Inneres, Albus Severus Potter.
Nachdem das erledigt war, fühlte sie sich erleichtert und wandte sich wieder der Klasse zu. Maggie Duncan und Lyzette Hamilton sowie Rosy Flint und Anne Petersson arbeiteten als Zweiergruppen. Heute hatte Lydia nicht mehr die Nerven, das zu ändern. Als sie die vier beobachtete, wurde klar, warum sie sich getrennt hatten. Rosy und Anne arbeiteten nachlässig, unkonzentriert und schwatzten, während Maggie und Lyzette voll bei der Sache waren. Vor allem Maggie erregte Lydias Aufmerksamkeit. Bestimmte Bewegungen, die Art, wie die Zutaten geordnet waren, das kam ihr alles so bekannt vor. Unzählige Male hatte sie Severus am Kessel arbeiten gesehen; er war ihr Lehrmeister gewesen. Maggie fasste das Silbermesser genauso an wie damals Severus, es war der gleiche ruhige, prüfende Blick in den Kessel… War es möglich?
Nach der Stunde klopfte Lydia an die Tür von Fudges Wohnung. Sie hörte Geräusche, aber er öffnete nicht. Also schickte sie ein Memo durch den Kamin.
Als Fudge endlich auftauchte und sich in Lydias Büro meldete, war es fast Mittag und Albus Severus Potter und ein Auror erwarteten ihn bereits. Sich die roten, verquollenen Augen reibend, sah Fudge von einem zum anderen. „Anthony Fudge, warum sind Sie heute nicht zur Arbeit erschienen?“, fragte Lydia scharf.
„Ich hab´s verschlafen, Entschuldigung.“
„Was wäre heute morgen in der ersten Klasse dran gewesen?“
Fudge dachte nach, aber es war ihm anzusehen, dass er nicht in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen. „Gemälde-Reinigungs-Lösung nach Chansman?“, murmelte er schließlich.
Lydia stand auf. „Was ist mit den Tränken und Zutaten im Vorratsraum geschehen?“
Mit aufgerissenen Augen starrte Fudge sie an. „W-w-woher wissen Sie…? Ich wollte alles wieder auffüllen, ehrlich.“
„Anthony Fudge, Sie sind fristlos entlassen! Hier ist die schriftliche Kündigung. Sie haben eine Stunde, um ihre Wohnung zu räumen. Ich erteile Ihnen unbefristetes Hausverbot für Hogwarts.“
Fudge stand wie versteinert.
Potter gab dem Auroren ein Zeichen. „Anthony Fudge, gegen Sie liegt eine Anzeige vor wegen Diebstahls von und Schwarzhandel mit magischen Utensilien. Sie sind verhaftet!“
Fudge händigte Potter seinen Zauberstab aus und ließ sich widerstandslos abführen.
Ein paar Wochen später teilte Albus Severus Lydia in einem vertraulichen Gespräch mit, dass Fudge tief in kriminelle Machenschaften verwickelt war. Angefangen hatte alles damit, dass seine Frau zur Universitätsprofessorin berufen wurde und er als einfacher mittelmäßiger Lehrer ihr nicht mehr bieten konnte, was sie von ihm erwartete. Das hatte einerseits seine Frauenfeindlichkeit begründet und seinem Selbstbewusstsein geschadet, andererseits hatte es ihn dazu getrieben, mehr Geld zu beschaffen – er war zum Dieb und Hehler geworden…
Die eine Sorge war Lydia nun los, hatte dafür aber schlagartig eine neue dazu bekommen. Tränkemeister mit Pädagogikausbildung waren so schwer zu finden wie die Nadel im Heuhaufen. Schweren Herzens übernahm Lydia die Zaubertränke, bis ein neuer Lehrer gefunden war und verteilte dafür Verteidigung auf mehrere Lehrer.
Dazu musste jeder mehr Stunden halten als vorgeschrieben war und die Stundenpläne total umgekrempelt werden. Das wiederum rief die Schulinspektion auf den Plan; Fleur Krum selbst kam nach Hogwarts, um sich davon zu überzeugen, dass das Niveau nicht sank. Der Presse blieb der Rausschmiss eines Professors auch nicht verborgen; erst als ein öffentlicher Prozess gegen Fudge stattfand, beruhigten sich die Gemüter wieder.
Tony Umbridge kam als Ersatz für Fudge nicht in Frage; ein paar Nachfragen hatten ergeben, dass er seine ach so guten Zeugnisse selbst geschrieben hatte. Wenig später teilte er sich eine Zelle mit Anthony Fudge.
Lydia schrieb Briefe an alle Tränkemeister, die sie kannte, aber keiner konnte oder wollte nach Hogwarts. Keiner der Bewerber, die sich vorstellten, erfüllte auch nur die Mindestanforderungen, die an Lehrer einer Schule wie Hogwarts gestellt wurden. Schließlich und endlich stellte Lydia Henry Wilde ein, einen relativ jungen, kleinen, sehr unscheinbaren Mann, der leicht krumm ging, einen Blick hatte wie ein scheues Reh und mit leiser Stimme sprach. Seine Tränke waren so erstklassig wie seine Referenzen zweitklassig. Eingedenk der unguten Erfahrungen mit Fudge sah Lydia ihm genau auf die Finger und hospitierte dann und wann im Unterricht, aber es gab keine Klagen, im Gegenteil. Wilde verstand es, die eher trockene Theorie der Zaubertränke aufzulockern mit Geschichten um und über die jeweiligen Tränke und Zutaten und bis zum Schuljahresende waren die Leistungen der Schüler wieder auf dem Niveau, das von Hogwarts erwartet wurde. Merlin sei Dank!
Eines schönen Tages bat Wilde Lydia um ein Gespräch. „Mir geht es um eine Erstklässlerin aus Slytherin. Diese Maggie Duncan hat zweifellos ein Talent für die Tränkebereitung, wie es ganz selten ist. Ich würde ihr gern Extrastunden geben, so ein Talent darf man nicht ungenutzt lassen!“
Lydia nickte zustimmend. „Sprechen Sie mit Maggie, sie muss es selber wollen.“
„Das werde ich tun. Aber mir ist an dem Mädchen noch etwas aufgefallen.“ Er machte eine Pause, sah verlegen zu Boden, knetete den Saum seines Umhangs. „Ich war selbst hier Schüler. Als ich in die erste Klasse kam, war Severus Snape noch Lehrer und in der zweiten Klasse war ich bei ihm in der Begabtenförderung.“
Lydia lauschte aufmerksam. Hatte Wilde auch etwas bemerkt? Zögernd fuhr er fort: „Professor Snape hat sich damals viel Mühe mit mir gegeben. Ich hatte gerade meinen Vater verloren und war total neben der Spur. Er hat sehr viel mit mir geredet, und ich durfte ihm oft bei Sachen helfen…
Was ich eigentlich sagen will, ist: Diese Maggie Duncan erinnert mich unwahrscheinlich an meinen ersten Tränkelehrer. Sie arbeitet genauso wie er und ich glaube, sie sieht ein bisschen aus wie er. Könnte es sein, dass,… dass sie eine Snape ist?“
Natürlich stammt Maggie von Severus ab! Lydia verbiss sich diesen Satz, es war nur eine Vermutung. Statt dessen sagte sie: „Ich habe Severus Snape sehr gut gekannt. Mir ist die Ähnlichkeit in Aussehen und Arbeitsstil auch aufgefallen. Aber es ist nichts bewiesen. Snape hatte keine Kinder; zumindest sind im Ministerium keine registriert. Und in Maggies Stammbaum tauchen, soweit sie ihn zurückverfolgen kann, keine Zauberer auf.“
Wieder sah Wilde verlegen zu Boden, knetete seinen Umhang, kämpfte mit sich, fragte dann schließlich: „Wie gut kannten Sie Professor Snape?“
„Besser als jede andere noch lebende Person“, sagte Lydia in jenem eiskalten Ton, der ihre Gegenüber für gewöhnlich davon abhielt, weitere Fragen zu stellen. Auch Wilde kapierte. Er nickte und verabschiedete sich, doch Lydia wusste, dass er früher oder später wiederkommen würde. Und Maggie würde bestimmt auch eines Tages Fragen stellen.
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