von Dr. S
Das neue Jahr lieĂ nicht mehr lange auf sich warten. Es war bereits stockfinster auf den LĂ€ndereien von Hogwarts, aber hoch oben am Nachthimmel lieĂen tausend helle Punkte die schneelose Landschaft nicht ganz so trist und matschig wirken. Trotzdem steckte James Sirius Potter sehr spĂŒrbare drei Zoll tief im Schlamm und keine romantische AtmosphĂ€re konnte das nasskalte GefĂŒhl in seinen Schuhen irgendwie angenehmer machen.
Aber kaum zwanzig Meter entfernt sah er bereits fahle Lichter am Seeufer brennen, und jetzt, wo er sein Ziel fast erreicht hatte, wĂŒrde er nicht wegen nasser Schuhe und einem schlammverkrusten Umhangsaum wieder umkehren.
James suchte sich eine Gruppe BĂ€ume in einiger Entfernung zum Seeufer. Er sorgte sich nicht darum, dass man ihn entdecken könnte, vor allem weil âmanâ nur ein einziger SchĂŒler war, aber sicher war sicher und hinter den meterdicken StĂ€mmen fĂŒhlte er sich definitiv sicherer als auf offenem GelĂ€nde.
Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und da er im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder nicht die SehstĂ€rke eines Maulwurfs hatte, konnte er die Umrisse der Gestalt am Ufer schnell genauer ausmachen. Das weiĂblonde Haar war unverkennbar und gerade im silbrigen Licht der Sterne ein wahrer Blickfang.
James biss sich auf die Unterlippe, wĂ€hrend er Scorpius Malfoy am Ufer beobachtete. Er bereitete ein Feuerwerk vor, so wie die anderen anwesenden VertrauensschĂŒler heute, darunter natĂŒrlich auch Jamesâ Verwandtschaft. Eigentlich sollte es eine Ăberraschung fĂŒr die in Hogwarts gebliebenen SchĂŒler werden, aber James saĂ nun einmal direkt an einer manchmal sehr undichten Quelle. Es lohnte sich eben doch, wenn man mit dem Schulsprecher verwandt warâŠ
Aber wie er jetzt Profit daraus schlagen konnte, darĂŒber hatte James noch nicht lange nachgedacht. Es reichte ihm eigentlich schon, Scorpius aus der Ferne zu betrachten. Das war auch das Sicherste fĂŒr sein Ego und Scorpiusâ Gesundheit, denn meistens endeten Jamesâ AnnĂ€herungsversuche in einer absoluten Katastrophe.
Er sollte aufpassen, dass der Baum, an den er sich klammerte, nicht plötzlich einfach umfiel und Scorpius zerschmetterte. James lieĂ sicherheitshalber los und fasste sich stattdessen ein Herz. Der Schlamm in seinen Schuhen sollte nicht umsonst sein friedliches Leben am Erdboden aufgegeben haben. James wĂŒrde jetzt da rĂŒber gehen und seine wahrscheinlich letzte Chance in diesem Jahr ausnutzen.
Mit einem RĂ€uspern trat er aus dem Schutz der BĂ€ume hervor und setzte sein seiner Meinung nach schönstes LĂ€cheln auf. Scorpius drehte sich nur nicht zu ihm um, war wohl einfach zu weit entfernt, um ein lĂ€ppisches RĂ€uspern zu hören. Davon durfte er sich jetzt nur nicht einschĂŒchtern lassen.
Seine entschlossenen Schritte wurden von schmatzenden GerĂ€uschen untermalt, und entweder waren die es oder sein erneutes RĂ€uspern, was Scorpius schlieĂlich in seine Richtung schauen lieĂ. Er grinste.
âPotterâŠâ Scorpius rammte ein langes, nach unten hinten spitz zu laufendes Rohr in den Boden. âDu weiĂt, dass du um diese Uhrzeit nichts mehr drauĂen zu suchen hast, oder?â
âBestraf mich doch, VertrauensschĂŒler.â James wollte sich lĂ€ssig auf einem der nebeneinander aufgereihten Rohre aufstĂŒtzen, bedachte dabei aber nicht, dass sein Gewicht das Rohr weiter in den Boden pressen wĂŒrde. Er sackte ein und stolperte alles andere als elegant nach hinten.
Scorpius verdrehte die Augen und richtete das Rohr wieder. âEs sind Ferien. Das halbe Dutzend SchĂŒler darf zur Abwechslung mal machen, was es will.â
James steckte vorsichtshalber die HÀnde in die Hosentaschen. Seine Finger waren eiskalt. Er hÀtte Handschuhe mitnehmen sollen, so wie Scorpius. Das Wetter war einfach nur widerlich und so bis in jede Zell fröstelnd wollte bei ihm nicht wirklich romantische AtmosphÀre aufkommen. Vielleicht sollte er bis nÀchstes Jahr warten, um Scorpius mal wieder erfolglos anzugraben.
âAlso⊠was willst du hier, Potter?â Dann schenkte Scorpius ihm dieses bezaubernde LĂ€cheln und James wurde so kribbelig warm am ganzen Körper, dass er das Angraben lieber ĂŒberspringen und Scorpius gleich an sich pressen wollte. âWenn du deinen Cousin suchst, der ist am Ufer beim Bootshaus. Macht sich ganz schönen Stress, der Gute. Wahrscheinlich nimmt er das mit dem Schulsprecher-Posten ein wenig ernst, wenn er dafĂŒr sogar die Ferien hier verbringt. Leistest du ihm Gesellschaft?â
Im Grunde war er hier, weil er wusste, dass Scorpius die Ferien in Hogwarts verbringen wĂŒrde. Und im Grunde waren die paar seiner Cousins und Cousinen auch nur hiergeblieben, um ihm Gesellschaft zu leisten â und so unwissentlich seine traute Zweisamkeit mit einem einsamen, sich nach NĂ€he sehnenden Scorpius Malfoy zerstörten. Es hĂ€tte so perfekt werden könnenâŠ
âNa ja⊠Ich hatte eigentlich bloĂ keine Lust auf so eine Familienfeierâ, redete James sich heraus. âDas ist immer ein riesen Chaos bei unserer groĂen Familie.â
Scorpius seufzte eine Spur zu sehnsĂŒchtig, als dass James sich bei den nĂ€chsten Worten nicht schlecht fĂŒhlen wĂŒrde. âIch stell mir das ganz schön vor, mal mit mehr Leuten als einer Handvoll Weihnachten zu feiern. Meine Familie ist alles andere als groĂ â geschweige denn dazu im Stande Chaos aufkommen zu lassen.â
James gab ein Ă€hnlich sehnsĂŒchtiges Seufzen von sich, wĂ€hrend er sich nickend so ein geregeltes Weihnachtsfest vorstellte â nicht, dass er wirklich scharf darauf war steif und stumm am Esstisch das perfekteste Essen der Welt zu verspeisen, aber Scorpius wĂŒrde dort sein, und er wĂŒrde so eine kleine Auswahl an GesprĂ€chspartnern haben, dass er unweigerlich mit James sprechen mĂŒsste.
âJaahâŠâ James scharrte mit dem FuĂ ĂŒber den Boden, zog eine tiefe Spur in das schlammige Ufer hinein. âWeihnachten in Hogwarts hat aber auch was⊠Man kriegt zum Beispiel auch immer ein paar Geschenke von denen man nicht weiĂ, wo sie herkommen, und ââ
âAlso, ich bin einfach nur froh, dass Weihnachten vorbei istâ, unterbrach Scorpius ihn, bevor James ihn subtil fragen konnte, ob er denn ein Geschenk ohne Absender erhalten hatte â das Geschenk war in diesem Fall eine scheiĂteure Uhr und der anonyme Absender James, der sich mittlerweile fĂŒr diese vorher so brillant erscheinende Idee verfluchte.
âĂh, ja⊠Neues Jahr, neues GlĂŒck. ĂhmâŠâ James deutete auf die Reihe von Rohren am Ufer. âBrauchst du Hilfe?â
Scorpius hob skeptisch die Augenbrauen. âIch geb dir fĂŒnf Galleonen, wenn du dich gleich wieder verziehst.â
James konnte seine Verwunderung ĂŒber diese plötzliche Abfuhr nicht verbergen und schĂŒttelte verwirrt den Kopf. âWas? Wieso denn? Ich wollte nur nett sein.â
âJa, sicherâ, sagte Scorpius nickend. âDu hast doch irgendwas vor, Potter. Irgendetwas, das wieder alle auĂer mir zum Schreien komisch finden.â
James lieĂ die Schultern leicht hĂ€ngen und wich Scorpiusâ bohrendem Blick aus. Es stimmte schon, dass seine Versuche Scorpius zu beeindrucken meistens ins Gegenteil umschlugen und nur alle anderen davon beeindruckt waren, wie gut er Scorpius zum Demiguise machen konnte. Aber er plante sowas nicht, vor allem nicht so, wie sein Cousin Fred. Wenn man einen Vater hatte, der einen Scherzartikelladen besaĂ, dann lag das wohl irgendwie in den Genen.
âIch wollt wirklich nur helfen. Oder siehst du hier irgendwen, der dich auslachen könnte?â
Scorpius schaute sich um, als mĂŒsse er sich da wirklich noch einmal vergewissern. Im Schein der magischen Lichter, die um sie herumschwebten, wirkte sein blasses Gesicht aber amĂŒsiert. Er lĂ€chelte James auch wieder an und winkte ihn dann zu sich.
âWenn du unbedingt willst, dann kannst du die ZĂŒndschnĂŒre miteinander verknoten. Pass auf, dass sie dieselbe LĂ€nge haben, damit alles gleichzeitig losgeht.â Scorpius holte ein KnĂ€uel SchnĂŒre aus seiner Tasche und lieĂ sie in Jamesâ HĂ€nde fallen, ohne seine Finger auch nur kurz zu streifen. Bei Scorpiusâ Handschuhen hĂ€tte James sowieso nichts von dem ersehnten Prickeln gespĂŒrt, von dem Scorpius scheinbar nicht einmal etwas wusste.
James machte sich daran die SchnĂŒre auseinander zu fummeln. Sie waren so fest miteinander verknotet, dass er schon fast zu glauben begann, dass Scorpius ihn damit Ă€rgern wollte. Allerdings wollte er wohl nur nicht seine Handschuhe abnehmen, um diese nervtötende Arbeit selbst zu erledigen. Jamesâ Finger zitterten und liefen rot vor KĂ€lte an.
âWas machst du denn da?â, fragte Scorpius, als James den Schnursalat wie wild zu schĂŒtteln begann. Lachend labte Scorpius sich an Jamesâ sichtbarer Frustration und lieĂ sich nach einer halben Ewigkeit und einem bettelnden Blick von James schlieĂlich dazu herunter, ihm zu helfen. âGib mal herâŠâ
James lieĂ sich nur zu gerne die SchnĂŒre wegnehmen und konnte nicht anders, als selbst zu grinsen, weil Scorpius es ebenfalls nicht auf der Stelle hinbekam.
âJetzt grins nicht so und hilf mirâ, grummelte Scorpius.
Mit triumphierendem Gesichtsausdruck streckte James die Hand aus, als er das Ende oder den Anfang der Schnur entdeckte. Er zog daran und hielt die Schnur fest, wÀhrend Scorpius das Durcheinander darum herum ordnete.
âWas hĂ€ttest du jetzt nur ohne mich gemachtâ, murmelte James, wĂ€hrend er von Scorpius weg in Richtung des Schlosses sah. Als Scorpius daraufhin leise schnaubte, sah James ihn schmunzelnd wieder an.
âDeine HĂ€nde mĂŒssen schon aus Eis seinâ, wollte Scorpius ablenken. âWieso trĂ€gst du keine Handschuhe?â
âBrauch ich nichtâ, sagte James. âIch bin ein Kerl.â
âNein, du bist ein Idiot. HierâŠâ
James rechnete zuerst damit, dass Scorpius ihm die ZĂŒndschnur geben wĂŒrde, aber stattdessen landete ein Handschuh in Jamesâ offener HandflĂ€che. Schwarzes Leder, das konnte nie im Leben warm sein. James schaute Scorpius fragend an und warf dabei einen zufĂ€lligen Blick auf das jetzt entblöĂte Handgelenk. Unter dem Ărmel von Scorpiusâ Mantel blitzte eine Jamesâ wohlbekannte Uhr auf. Er grinste zufrieden.
âWir teilen. Die eine Hand brauchst du sowieso, umâŠâ Scorpius verstummte, als James sein Handgelenk griff. âĂhmâŠâ
âHĂŒbsche UhrâŠâ James drehte Scorpiusâ Handgelenk leicht. Die silberne Uhr passte wunderbar und stand Scorpius auch noch ausgezeichnet. Er hatte gewusst, dass das ein gutes Geschenk war. Und hatte er erwĂ€hnt, dass sie scheiĂteuer gewesen war?
âEin Weihnachtsgeschenkâ, sagte Scorpius und klang dabei ungewohnt leise. James schaute ihm ins Gesicht und erkannte dort deutlich den Versuch ein LĂ€cheln zurĂŒckzuhalten. Es sah unglaublich sĂŒĂ aus, wie Scorpius sich auf die Innenseiten seiner Wangen biss und den hohen Wangenknochen so noch mehr Kontur verlieh. Ein rosa Schimmer betonte sie noch dazu, und James hoffte wirklich, dass nicht die KĂ€lte der Grund dafĂŒr war.
âSieht scheiĂteuer ausâ, sagte James, und als Scorpiusâ Blick von Sekunde zu Sekunde erwartungsvoller wurde, lieĂ er ihn schlieĂlich los. Scorpius wirkte fĂŒr einen Moment fast enttĂ€uscht, wandte sich dann aber schnell der ZĂŒndschnur zu.
âJaah⊠Nimm du die Seite, ich komm von der anderen und wir treffen uns in der Mitte, okay?â Scorpius riss ihm die HĂ€lfte der Schnur ab. âUnd achte darauf, dass alle gleich lang sind. Wir knoten sie am Ende zusammen.â
James nickte und wollte sich gerade zum ersten Rohr vorbeugen, als Scorpius sich noch einmal zu ihm umdrehte.
âWeiĂt du, ichâŠâ Scorpius stoppte, als James ihn ansah. Einen Moment lang wirkte er hin- und hergerissen, dann lĂ€chelte er. âDanke fĂŒr deine Hilfe. Das war schrecklich langweilig so ganz alleine.â
James lĂ€chelte zurĂŒck und wurde dieses LĂ€cheln auch dann nicht los, als er sich an die widerliche Fummelarbeit machte, die ZĂŒndschnĂŒre an die Rohre zu bekommen. Es wurde sogar immer breiter, endete in einem fast schmerzhaften Grinsen.
Eigentlich war das hier alles andere als katastrophal. Er war in Scorpiusâ NĂ€he, konnte mit ihm reden und er durfte seinen Handschuh tragen â der innen mit dem weichsten Fell der Welt gefĂŒttert war und auĂerdem angewĂ€rmt von Scorpiusâ HĂ€nden. Das musste ein gutes Zeichen sein.
âJames⊠Psst, James!â, zischten die BĂŒsche ihm zu, als James am Ende der Rohre angekommen war. Verwirrt blickt er in die schwarzen Umrisse und scheuchte das magische Licht nĂ€her an sie heran, erleuchtete so eine menschliche Gestalt, die in den BĂŒschen kauerte.
âFred?â James schaute hastig ĂŒber die Schulter und vergewisserte sich, dass Scorpius auĂer Hörweite war. Dann wandte er sich seinem Cousin zu, der inzwischen nicht nur ein breites Grinsen prĂ€sentierte, sondern auch eine riesige Bombe mit drei aufgedruckten Ws.
âGeil, was?â Freds Stimme war vor Aufregung mehrere Oktaven nach oben gerutscht und er kicherte wie ein gieriger Kobold, als er seine Bombe an sich drĂŒckte.
âWillst du uns alle in die Luft jagen?â, wisperte James.
Fred zuckte die Achseln, immer noch grinsend. âKeine Ahnung. Ich habâs Dad geklaut. Isân Prototyp. Big Bang 3000. Boah, das wird so obergeil. Packâs da rein!â Er hielt James die Bombe hin und nickte in Richtung der Rohre, wartete dann am ganzen Körper angespannt ab.
âNein.â James schĂŒttelte vehement den Kopf. âDu störst, Fred. Ich ââ
âKomm schon, James. Schau dir das Baby doch mal an!â Fred fing an die Bombe ungeduldig zu schĂŒtteln, also blieb James gar keine andere Wahl, als sie ihm aus den HĂ€nden zu reiĂen. Er wollte nur nicht riskieren, dass Fred sie aus Versehen in die Luft jagte, aber er wĂŒrde auch nicht unterstĂŒtzen, dass er es absichtlich tat.
âIch hab gewusst, dass duâs auch willst.â Fred gestikulierte enthusiastisch in Richtung der Rohre. âTuâs schon! Stopfâs einfach rein. Das passt schon.â
âIchâŠâ James wollte widersprechen, wollte wirklich nichts riskieren, aber die GerĂ€usche von Schritten hinter ihm zwangen ihn zum Handeln. Er drĂŒckte Fred die Bombe wieder in die HĂ€nde, bekam sie aber gleich wieder zurĂŒckgeworfen und versteckte sie blitzschnell im nĂ€chstbesten Rohr. Mit absoluter Unschuldsmiene stellte er sich vor das UnglĂŒcksrohr und versuchte es so vor Scorpiusâ Blick zu schĂŒtzen.
âIch hab dich reden gehörtâŠâ Scorpius kam auf ihn zu und schaute sich mit misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen um, aber Fred schien er nicht zu entdecken. James hoffte wirklich, dass Fred sich gerade tief in den eisigen Schlamm drĂŒckte. Das hĂ€tte er verdient.
âHab nur gesummtâ, behauptete James und gab Scorpius eine kurze Probe seines nicht vorhandenen Talents, bekam dafĂŒr ein LĂ€cheln geschenkt.
Scorpius stupste ihm gegen die Brust. âDu kannst ja richtig niedlich sein, Potter.â
âSagte der Junge mit den geröteten Wangen.â James gab den Stupser zurĂŒck, sehr darauf bedacht nicht zu viel Kraft hineinzulegen, aber auch nicht auffĂ€llig sanft mit Scorpius umzugehen.
âEs ist kaltâ, rechtfertige Scorpius sich und holte aus, um erneut gegen Jamesâ Brust zu stoĂen, aber er bremste ab, als James seine Hand vorher zu fassen bekam. Es war die ohne Handschuh und sie war eiskalt.
âDeine Hand stimmt da definitiv zu.â James rieb sanft ĂŒber die kalte Hand und versuchte so wenigstens wieder etwas WĂ€rme hineinzubringen. Als das nicht funktionierte, hob er Scorpiusâ Finger an seine Lippen und hauchte vorsichtig gegen die eisige HandflĂ€che.
Scorpius biss sich auf die Unterlippe, konnte sein LĂ€cheln diesmal aber nicht unterdrĂŒcken. James wollte allerdings gar kein LĂ€cheln mit dieser Geste auslösen. Schnell zog er Scorpiusâ Hand wieder herunter, lieĂ sie aber nicht los.
âMa-Manchmal hilft dasâ, versuchte James sich aus dieser Blamage zu retten.
Scorpius machte einen Schritt auf James zu â den einzigen, den er machen konnte, ohne James zu berĂŒhren. âProbierâs doch nochmal.â
James schluckte hart. Eigentlich wollte er kein Hindernis zwischen Scorpiusâ Lippen und seine bringen, aber er konnte Scorpius keinen Wunsch abschlagen. DafĂŒr fiel es ihm allerding merkwĂŒrdig schwer Scorpiusâ Hand wieder hochzuziehen.
âNicht dortâ, raunte Scorpius und umklammerte seinerseits Jamesâ Finger. Fast könnte man diese VerschrĂ€nkung ihrer Finger als HĂ€ndchen halten bezeichnen. Mit Scorpiusâ Lippen so dicht bei seinen wollte James allerdings nicht zu viele Gedanken an HĂ€ndchen halten verschwenden.
James lehnte sich zu den leicht geöffneten Lippen vor und konnte schwören, dass er sie schon spĂŒrte, als ein schreckliches Piepen alles zerstörte. WĂ€hrend James wie ein verschrecktes Kaninchen ein Satz nach hinten machte, blieb Scorpius ganz ruhig und schaute auf seine Uhr. Er drĂŒckte auf einen Knopf und das Piepen erstarb.
âIch muss mich um die ZĂŒndschnĂŒre kĂŒmmern. Sonst gibt es heute nur ein halbes Feuerwerk.â Scorpius schaute James an, und als wĂ€re es nicht schlimm genug, dass Jamesâ Weihnachtsgeschenk seine letzte Chance dieses Jahr vernichtet hatte, musste Scorpius sich jetzt auch noch mit der Zunge ĂŒber die Lippen fahren, brachte so einen verfĂŒhrerischen Glanz auf das unerreichbare, sicherlich wunderbar weiche Fleisch.
âIch helf dirâ, bot James in der Hoffnung an, dass er so bis zum Moment des Feuerwerks hier bei Scorpius bleiben könnte. Um Mitternacht gab es dann definitiv einen Neujahrskuss fĂŒr ihn. Und besser wĂŒrde ein neues Jahr nicht beginnen können.
Grinsend fĂŒhrte James die SchnĂŒre in die Mitte, wo Scorpius schon die ersten zusammenband. Er nahm die von James hinzu und legte die Enden als einen groĂen, verzwirbelten Wurm aufs Ufer. Die HĂ€nde in die Manteltaschen steckend richtete er sich auf und begann von den Fersen auf die Zehenspitzen und zurĂŒck zu wippen. James warf ihm ab und zu einen verstohlenen Seitenblick zu. Scorpius bemerkte das irgendwann und erwiderte es dann, lĂ€chelte, wenn er Jamesâ Blick begegnete.
James atmete tief durch und machte den todesmutigen Versuch nach Scorpiusâ Hand zu greifen, obwohl nur sein Handgelenk â beziehungsweise die silberne Uhr â zu sehen war. Als Scorpius die BerĂŒhrung spĂŒrte, zog er die Hand aus der Tasche, und fĂŒr einen Moment dachte James, dass er jetzt wirklich Scorpiusâ Hand halten durfte, aber Scorpius entzog sie ihm und schaute auf seine Uhr.
âGut, dann jagen wir das Zeug mal in die Luft, nicht?â Scorpius zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf die verzwirbelte ZĂŒndschnur. James nickte, tanzte innerlich vor Aufregung und konnte es kaum noch bis Mitternacht abwarten.
âIncendioâ, murmelte Scorpius und entzĂŒndete so die ZĂŒndschnur. James beobachtete ungeduldig, wie sie Funken sprĂŒhend abbrannte, sich dann in viele kleinere SchnĂŒre unterteilte und Anlauf auf die Rohre nahm.
âPotter?â Scorpius lenkte ihn allein durch eine zaghafte BerĂŒhrung an seinem Arm vollstĂ€ndig von den Funken ab. âIch⊠Die Uhr⊠die hast du mir doch geschenkt, oder? So wie das Taschenmesser zum Geburtstag und dieses singende Schokoladen-Ei zu Ostern⊠nicht wahr?â
Jamesâ Wangen wurden so heiĂ wie die Funken, die die ZĂŒndschnĂŒre auffraĂen. âĂh⊠Ich⊠Also, ich⊠Vielleicht.â
Scorpius lĂ€chelte und griff Jamesâ Hand, die ohne Handschuh. Seine BerĂŒhrung war wie ein Feuer, das Jamesâ Haut Funken versprĂŒhen lieĂ. Er zog James nĂ€her und leicht herunter zu seinen Lippen, warf dabei einen auffĂ€lligen Seitenblick auf seine Uhr. James tat es ihm gleich, wandte den Blick aber nicht mehr ab. Die Sekunden bis Mitternacht in denen er Scorpiusâ Atem immer wĂ€rmer auf seinen Lippen spĂŒrte, waren die qualvollsten seines Lebens.
Dann schlug es Mitternacht. Das Feuerwerk ging pĂŒnktlich los und James wisperte âFrohes Neuesâ gegen Scorpiusâ Lippen, nur damit er kurz darauf mit so einer Wucht vorwĂ€rts geschleudert werden konnte, dass es einfach nur wehtun musste.
Hinter ihm explodierte etwas mit einer schier gewaltigen Kraft und verbreitete dabei so einen hellen Schein, dass die Nacht fĂŒr einen Wimpernschlag lang hell wie der Tag war.
James prallte gegen Scorpius, riss ihn mit sich auf den Boden und wurde trotz des weichen Falls noch ĂŒber und ĂŒber mit Schlamm bespritzt. Dank der roten Punkte, die vor seinen Augen tanzten, konnte er Scorpiusâ sicherlich entsetzten Gesichtsausdruck nicht sehen.
Ăber ihnen knallte noch immer das Feuerwerk, loderte blau, rot und gelb zwischen den silbernen Sternen auf. Es hĂ€tte vielleicht noch romantisch werden können, wenn nicht plötzlich dieses hohe Lachen den letzten Funken AtmosphĂ€re vernichtet hĂ€tte.
âHabt ihr das gesehen? Hast du das gesehen, James?! Ich hab voll reingesehen und das hat sich sowas von gelohnt! Hab ich dir nicht gesagt, dass das obergeil wird?â
James sah ĂŒber die Schulter, wo Fred aus den BĂŒschen gekommen war und jetzt herumhĂŒpfte wie ein Frosch ohne Gleichgewichtssinn.
âPotter.â Scorpius packte ihn am Kragen, zwang ihn sich wieder herumzudrehen. âDu hast mich angelogen.â
âIch â Nein! Ich⊠wollte nur ââ
âEin Jahr voller Blamagen und DemĂŒtigungen mit einem groĂen Knall zu Ende gehen lassen?â Scorpiusâ Gesicht war wirklich ĂŒber und ĂŒber mit Schlamm bespritzt, aber im wechselnden Farbenmeer des Feuerwerks wirkte es nun merklich sanfter. Noch dazu schob er die HĂ€nde von Jamesâ Kragen zu seinen Wangen, umfasste sein Gesicht und zog es zu sich. âWieso ruinierst du immer jeden schönen Moment?â
James zuckte ratlos mit den Schultern.
Scorpius lieĂ frustriert den Kopf auf den Boden â und den kalten, kalten Schlamm â sinken. âIch glaub, ich bilde mir immer nur ein, du wĂŒrdest mich mögen.â
âNein, nein, nein!â Hastig schĂŒttelte James den Kopf. âIch⊠Bitte, ich versprech, dass es dieses Jahr anders wird.â
âIch hoffe es sehr, weil ich dein ambivalentes Verhalten nĂ€mlich nicht mehr lĂ€nger aushalte.â Scorpius befeuchtete sich die Lippen und atmete schwer aus. âAlso?â
James rang nach weiteren entschuldigenden Worten, entschied sich dann aber fĂŒr etwas, das man wohl kaum â oder in seinem Fall zumindest weniger â missverstehen konnte. Er presste seine Lippen auf Scorpiusâ Mund, kĂŒsste ihn hart und fest, mit einer atemraubenden Verzweiflung, die sich so lange aufgebaut hatte, dass das kontrĂ€re GlĂŒcksgefĂŒhl, als Scorpius seinen Kuss erwiderte, ihm wie reine Phantasie vorkam.
Scorpiusâ Lippen waren weicher, als er sie sich vorgestellt hatte, er schmeckte tausendmal besser, und seine Zunge allein war wie ein Feuerwerk in seinem Mund. James hĂ€tte ewig so weitermachen können. Ihm war heiĂ trotz KĂ€lte und Schlamm, aber im Gegensatz zu Scorpius hatte er ja auch das komfortabelste Kissen auf der Welt.
âH-Hey?!â Freds Stimme war es, die sie sich eher widerwillig voneinander lösen lieĂ. James warf einen erneuten Blick ĂŒber die Schulter, und Scorpius tat es ihm gleich. âKann mir irgendjemand sagen, wie lange man danach nichts mehr sehen kann?â
Scorpius gluckste, und James konnte auch nicht anders, als ĂŒber Freds vorrĂŒbergehende Blindheit zu schmunzeln. James half Scorpius hoch und lieĂ seine Hand auch nicht mehr los, als sie Fred einsammelten, der erst einmal mit voller Wucht gegen einen Baum rannte.
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