von käfer
... und hier nun der ganze Rest der Minerva-Geschichte!
Minerva übte von nun an jede Nacht eine Stunde lang, sich als Katze im Schloss zu bewegen. Dabei machte sie recht merkwürdige Entdeckungen.
Horace Slughorn tanzte in einem leeren Klassenzimmer Walzer mit Esmeralda Fudge, der Wahrsagelehrerin, und fummelte ihr dabei unter dem Umhang herum.
Einmal folgte Minerva Rubeus Hagrid in eine alte Besenkammer. Dort befand sich eine Truhe, in die der junge Halbriese hineingriff. Er holte eine Riesenspinne hervor, mit der er redete und die er streichelte und fütterte. Eine Acromantula! Minerva sträubten sich die Nackenhaare, und sie gab Fersengeld.
In einer anderen Nacht war sie gerade im zweiten Stock unterwegs, als sie sah, wie Tom Riddle aus der dortigen Mädchentoilette herauskam. Minerva schüttelte den Kopf. Was trieb den Slytherin nachts in eine Mädchentoilette? Bestimmt nicht das dringende Bedürfnis nach Erleichterung, denn die Jungentoilette befand sich nur ein paar Schritte weiter…
Eine Nacht später beobachtete sie Riddle, wie er sich mit diebischer Schadenfreude im Gesicht an Hagrids Truhe zu schaffen machte. Der von allen so hoch gelobte Waisenknabe hatte noch eine sehr dunkle Seite! An sich war das kein Wunder, er war schließlich ein Slytherin.
Minerva beschloss, dass Patrick McGonagall der einzige sein sollte, mit dem sie ihr Geheimnis teilte. Sie suchte seine Nähe und fragte ihn, ob er am Samstag mit ihr nach Hogsmeade gehen würde.
Patrick sah sie finster an. „Ach, auf einmal? Hast wohl keinen Besseren gefunden?“ Und er ließ sie stehen.
Minerva gab es einen Stich. Hatte Patrick etwa eine andere Freundin? Nun, das würde sie herausfinden. Sie wusste, wo sich die Katzenklappe in den Hufflepuff-Wohnturm befand. Wenn Patrick eine neue Freundin hatte, dann…
Mitten in der Bewegung hielt Minerva inne. Vor sich sah sie im blankpolierten Marmorsockel einer Statue ihr eigenes Spiegelbild: eine Katze mit erhobener Vorderpfote. Wenn Patrick sich eine neue Freundin gesucht hatte, war sie selber schuld. Sie hatte ihm monatelang die kalte Schulter gezeigt, hatte keine Zeit für ihn gehabt, sich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Natürlich musste sie klären, wie die Dinge zwischen ihnen standen, aber nicht, indem sie ihm nachspionierte!
Entschlossen machte Minerva kehrt und wäre bald in Olive Hornby hineingerannt, die die Tür zu jener Toilette öffnete, aus der neulich Riddle herausgekommen war.
Olive stieß einen markerschütternden Schrei aus. Minerva lief hinzu. Am Boden der Toilette lag Myrte. Starr, mit vor Schreck geweiteten Augen. Tot.
Schon eilten die ersten Lehrer herbei. Mit wild pochendem Herzen rannte Minerva davon.
Als Folge des tödlichen Zwischenfalls wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Kein Schüler durfte mehr ohne Begleitung eines Lehrers seinen Fuß aus den jeweiligen Wohnbereichen setzen. Die Bibliothek wurde geschlossen, Hofpausen und Spaziergänge im Freien verboten.
Minerva hatte keine Gelegenheit mehr, mit Patrick zu reden. Wenn sie ihm von weitem zuwinkte, tat er so, als würde er sie nicht bemerken. Zugehexte Briefchen blieben unbeantwortet. Patrick wollte nichts mehr von ihr wissen, das stand wohl fest. Minerva fragte sich, ob der Preis für ihre Bemühungen, ein Animagus zu werden, nicht doch zu hoch war. Sie hatte ihre große Liebe verloren und fühlte sich schrecklich einsam.
Im Moment wagte sie auch nicht, als Katze verwandelt herauszuschleichen; niemand wusste, wer oder was Myrte getötet hatte und jeder rechnete mit neuen Angriffen.
Die Stimmung unter den Schülern war gedrückt. Gerüchte kamen auf, dass die Schule geschlossen werden sollte.
Da rief der Schulleiter eines Nachmittags alle in die Große Halle. Zum großen Jubel der Hogwarts-Bewohner verkündete er, dass der Verantwortliche für die Überfälle gefasst und von der Schule verwiesen worden war. Rubeus Hagrid habe ein Monster in die Schule geschmuggelt, welchem die Angriffe zuzuschreiben gewesen seien. Dass Hagrid gestellt wurde, sei Tom Riddle zu verdanken, der dafür die Medaille für Besondere Verdienste um die Schule erhielt. Die verschärften Sicherheitsvorkehrungen seien mit sofortiger Wirkung aufgehoben.
Tosender Applaus brauste durch die Halle; alle schrien durcheinander. Riddle versank in einer Traube von Slytherins, die ihren Helden feierten.
Minerva freute sich natürlich, dass der Spuk vorbei war, aber sie konnte nicht in den allgemeinen Jubel einstimmen. Eine noch nicht einmal halbwüchsige Acromantula sollte Myrte getötet haben? Hagrid war ein kauziger Sonderling, der Gefallen an monströsen Kreaturen hatte, das stimmte; aber im Grunde genommen war er gutmütig und konnte keiner Fliege etwas zu Leide tun. Minerva konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Hagrid seine Acromantula auf eine Mitschülerin gehetzt hatte. So etwas passte einfach nicht zu ihm.
Im nächsten Moment sprang Minerva auf und raste in die Bibliothek. Mister Prince hatte noch nicht wieder aufgeschlossen, also spurtete Minerva über den Geheimgang durch die Verbotene Abteilung und hielt wenig später ein dickes Buch über Spinnen in der Hand.
Eine Acromantula tötete ihr Opfer durch einen Biss, wobei nur ausgewachsene Exemplare in der Lage waren, mit ihren Zähnen Kleidung zu durchdringen. Das Gift lähmte das Opfer innerhalb von zwei bis drei Minuten. Kenntlich waren Acroman- tula-Opfer – sofern man sie überhaupt fand, die Spinnen pflegten ihre Beute komplett und sehr schnell zu verspeisen – an orange verfärbter Haut und blutunterlaufenen, geschwollenen Augen. Das alles hatte auf Myrte nicht zugetroffen. Myrtes Haut war bleich gewesen und die Augen weit aufgerissen. Hagrid war unschuldig verurteilt worden! Doch was sollte Minerva tun? Den tatsächlichen Angreifer konnte sie nicht präsentieren, also würde man ihr nicht glauben. Außerdem war zu befürchten, dass man ihr Geheimnis entdecken und sie vielleicht von der Schule werfen könnte; genügend Regeln gebrochen hatte sie in den letzten Wochen.
Schließlich schrieb sie mit verstellter Schrift einen Brief an Professor Dumbledore:
„…Hagrid ist nicht Schuld an den Überfällen. Sein „Monster“ war eine halbwüchsige Acromantula; Myrte wurde aber nicht durch Acromantula-Gift getötet.
Jemand, der die Spinne und das tote Mädchen gesehen hat.“
In den darauffolgenden Tagen spürte Minerva immer wieder Dumbledores Blicke auf sich ruhen. Hatte er erraten, von wem der anonyme Brief stammte?
Nur: unternommen wurde nichts; Hagrid durfte nicht an die Schule zurückkehren. Minerva war von ihrem Lieblingslehrer schwer enttäuscht. Eine Enttäuschung mehr, die sie verkraften musste. Nicht nur Patrick hatte sich völlig von ihr abgewandt, auch Amanda und Frances wollten nichts mehr von Minerva wissen und hatten sich andere Freundinnen gesucht. Minervas ganzes Leben schien nur noch aus Enttäuschungen und Misserfolgen zu bestehen, seit sie ein Animagus war. Es bedrückte sie, dass sie ihren Erfolg mit niemandem teilen konnte, aber sie hielt es nach wie vor für besser, wenn niemand von der Katze in ihr wusste.
Solange sie mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen war, hatte sie sich nur noch ungenügend um das sonstige Lernen gekümmert; die Folge waren mehr schlechte Noten als sie bis zum Schuljahresende ausgleichen konnte. Minerva ahnte, was sie daheim zu erwarten hatte, wenn ihr Vater die Zeugnisse sah. Ernest Mulciber verlangte von seinen Töchtern stets Höchstleistungen und erwartete von Minerva eine Art Ausgleich dafür, dass Arabella ein Squib war und nicht auf die Zauberschule gehen konnte. Minerva glaubte nicht, dass der Vater ihre Fähigkeit, sich in eine Katze zu verwandeln, als Ausgleich für das schlechte Zeugnis akzeptieren würde. Blieb ihr nur noch, vor den ZAG-Prüfungen alles Versäumte nachzuholen und möglichst alles fehlerfrei zu absolvieren.
Kurz vor Beginn der Prüfungen wurde sie von Dumbledore nach dem Unterricht zurückgehalten. „Wenn einer einmal der Sündenbock ist“, sagte der Professor so, als würde er Selbstgespräche führen, „wenn einer einmal der Sündenbock ist, dann bleibt er es. Eine Stimme gegen hundert zählt nicht.“ Nun wandte er sich Minerva zu. „Sie sollten sich ins Animagus-Register eintragen lassen, Miss Mulciber. Oder wollen Sie demnächst in Askaban landen?“
Vor sich hin summend ging der Lehrer hinaus und ließ eine völlig verdatterte Minerva Mulciber zurück. Woher wusste Dumbledore…?
Erst viel, viel später, als Minerva längst Dumbledores Stellvertreterin war und Slytherins Monster wieder aus seiner Kammer kroch, erfuhr sie, dass Dumbledore ihre Bemühungen, zum Animagus zu werden, von Anfang an verfolgt hatte. Sie hatte sich verraten, als sie nach dem Spruch zum Bücherfinden gefragt hatte…
Und was Hagrid und seine Riesenspinne betraf – Dumbledore hatte damals als Einziger Hagrid geglaubt und ihn verteidigt. Er hatte Tom Riddle misstraut, war aber mit diesem Misstrauen allein auf weiter Flur gewesen, hatte keinerlei Beweise für seine Schuld finden können und war somit machtlos gewesen. Dass er dennoch Recht gehabt hatte, stellte sich viel später heraus, zu spät für Hagrid.
Minerva musste dringend mit Patrick reden. Sie fühlte sich einsamer denn je und schuldig. Vor allem schuldig. Sie schrieb sie ihm einen langen Brief, gestand, dass sie viele Fehler gemacht habe und bat um ein Treffen.
Minerva sah, dass Patrick den Brief las, aber er ließ mit keiner Regung erkennen, was er dachte.
Als Treffpunkt hatte Minerva einen Platz am Rande des Verbotenen Waldes gewählt, wo sie mit Sicherheit ungestört waren. Auf vier leisen Pfoten schlich sie hin. Ihr Herz machte einen Hüpfer, als sie sah, dass Patrick vor ihr gekommen war. Sein trauriges Gesicht bedrückte sie. Sie strich um seine Beine, so wie Katzen es gern taten, wenn sie gestreichelt werden wollten.
Patrick seufzte. „Na, Mieze! Willst wohl schmusen?“ Er streichelte Minerva den Kopf und sie versuchte, zu schnurren.
„Kannst du mir sagen, Mieze, was mit Minerva los ist? Erst lässt sie mich hoffen, dann versetzt sie mich monatelang, jetzt will sie auf einmal mit mir reden, aber anscheinend kommt sie nun doch wieder nicht. Was soll ich nur machen?“
„Mich anhören.“ Minerva verwandelte sich und sah einem total sprachlosen Patrick McGonagall in die Augen. Dann versuchte sie, ihm zu erklären, was sie in den vergangenen Monaten getan hatte, und warum sie nicht mit ihm hatte sprechen wollen.
Patrick schüttelte ein ums andere Mal den Kopf. „Du hättest mir ruhig sagen können, was du vorhast. Ich kam mir die ganze Zeit so verlassen vor, richtig verraten und verkauft.“
„Bitte, verzeih mir!“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
Der Hogwarts-Express fuhr in London ein und hielt an Gleis Neundreiviertel. Fröhlich schwatzend, sich voneinander verabschiedend und Versprechen zum Briefeschreiben austauschend, verließen die Zauberschüler den Zug. Minerva entdeckte ihre Eltern und wollte gerade auf sie zulaufen, als hinter ihr eine Stimme rief: „Warte!“
Verlegen drehte Minerva sich um und sah Patrick an. Plötzlich umarmte und küsste er sie. Sie klammerte sich an ihn und erwiderte den Kuss. Dass die anderen johlten und ihre Eltern die Szene beobachteten, störte Minerva nicht. Es war der erste Kuss seit jenem Abend im Verbotenen Wald und er bedeutete, dass Patrick ihr verziehen hatte.
Zwei Jahre später, beim letzten Tanz auf dem Abschlussball, fragte Patrick leise: „Minerva, kleine Katze, willst du meine Frau werden?“
Ohne jedes Zögern antwortete sie: „Ja, ich will.“
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