von Dr. S
Der Friedhof von Godric’s Hollow lag unter Schneemassen begraben. James hatte tiefe Furchen hinterlassen, als er zwischen den Marmorsteinen entlanggewandert war. Er hatte das Holz einer einsamen Bank vom Schnee befreit und sich dort hingesetzt. Der Wind wehte einen Hauch Déjà-Vu in sein Gesicht.
Gerade erst im letzten Sommer hatte er hier von Schuldgefühlen geplagt gesessen und sich gewünscht, er könnte alles wieder in Ordnung bringen, was er zwischen Regulus und ihm kaputt gemacht hatte, aber dieses Mal schien er gar nicht richtig Schuld zu haben. Ganz plötzlich war da ein Haufen Schwierigkeiten gegen den sein Misthaufen gar nicht mehr so groß aussah.
Fast eine Woche lang hatte er versucht Regulus zu erreichen – ohne Erfolg. Das Flohnetzwerk spielte irgendwie verrückt und seine Eulen kamen ohne Brief, dafür mit fetten Ratten nach Hause, und James musste sich sogar die Witze darüber verkneifen, dass das Peter sein könnte, weil Sirius allein bei toten Ratten ganz bleich wurde.
Er hatte sich seine Ferien wirklich ganz anders vorgestellt.
„Hey, James!“ Sirius‘ Stimme schallte von der Straße zu ihm herüber. James sah auf und entdeckte seine Mutter, die Sirius dazu gezwungen hatte, ihr mit den Einkäufen zu helfen. Merkwürdigerweise schien er das sogar ganz gerne zu machen. James war fast eifersüchtig auf seine Mutter, die es mit Einkaufen, einer warmen Decke und Milch und Keksen schaffte, dass Sirius sich besser fühlte.
Jetzt sagte sie ihm gerade ganze deutlich: „Geh nur.“ Und Sirius schüttelte wie ein verknallter Teenager den Kopf und klammerte sich an seine Einkaufstüte fest, bis Dorea Potter ihm wieder ins Gedächtnis rief, dass sie eine Hexe war und ihre Tüten, egal wie schwer sie waren, ganz alleine nach Hause bekam.
Sirius blieb also keine andere Wahl, als sich unter James‘ skeptischem Blick neben ihn zu setzen.
„Warum sitzt du denn hier?“, fragte er. Der Friedhof war ihm offensichtlich unangenehm.
„Wenn man deprimiert auf einem Friedhof herumhockt, dann kommt normalerweise niemand auf die Idee, man würde reden wollen“, sagte James.
Sirius schien das nachvollziehen zu können, nickte erst und stupste James dann doch mit dem Ellenbogen an. „Es hat schon wieder nicht funktioniert, oder?“
„Das Flohnetzwerk ist aufgrund der Feiertage überlastet. Heute ist immerhin Sylvester.“ James musste sich von Sirius dämlich angrinsen lassen – er war schon auf dem Wege zu seinem alten Grinsen. „Du hast mein Herzfeuerwerk gefunden, oder?“
„Du darfst es nicht unterm Bett verstecken“, verteidigte Sirius sich, aber James war gar nicht in der Stimmung sanft sauer auf Sirius zu sein. Das war ihm zu anstrengend. „Hältst du es wirklich für so abwegig, dass mein Vater den Kamin blockiert hat? Er ist da ein wenig merkwürdig.“
„Dann hätte Regulus mir Bescheid gesagt.“ James fing sich einen Blick, der ihm wohl diesmal nur stumm deutlich machen sollte, wie naiv er war. Sirius hatte ihm das schon ins Gesicht gesagt und wollte sich anscheinend nicht wiederholen. Oder er hatte eingesehen, dass James Recht hatte.
„Gibst du jetzt auf?“
„Was?“ James schnaubte empört auf. „Wieso sollte ich? Weil wir uns ein paar Tage nicht gesehen haben, heißt das nicht, dass wir Schluss gemacht haben. Spätestens in Hogwarts wird alles wieder gut. Für uns“, fügte er hastig hinzu, weil für Sirius in Hogwarts leider nicht alles sofort wieder gut werden würde. Das Schloss belebte nun mal keine toten Onkel wieder.
„Wenn er Regulus jetzt aber nicht nach Hogwarts lässt…“
„Was?“ James verstand diesmal wirklich nicht, was Sirius meinte.
„Jetzt stell dich doch nicht blöd“, sagte Sirius kopfschüttelnd. „Ich weiß, du willst mich schonen und diesen ganzen Scheiß, aber du hast mir genug erzählt, damit ich mir zusammenreimen kann, dass ihr ganz schön flott auf Messers Schneide herumtanzt. Mein alter Herr wird sich nicht die letzte Hoffnung auf die Weiterführung seines geliebten Stammbaums nehmen lassen. Wenn du jetzt aufgibst –“
„Ich gebe nicht auf! Wie kommst du auf den Scheiß?“
„Du sitzt auf einem verfluchten – wortwörtlich, übrigens – Friedhof und bläst Trübsal, anstatt James-mäßig auf deinem Besen nach London zu fliegen und durch Regulus‘ Fenster zu brettern, ihn zu packen und dann wieder hierher in den Sonnenuntergang zu fliegen.“ Sirius holte tief Luft, nachdem er geendet hatte. Seine Lungen hatte er während dieses Redeschwalls vernachlässigt.
„Das wäre ’ne gute Idee“, sagte James, „aber ich hab ehrlich gesagt Angst, dass dein Vater mich umbringt… und dann auch noch Regulus.“
„Du hast Angst, dass Regulus das nicht will“, stellte Sirius fest. „Dieses ich-muss-Schluss-machen-Ding setzt dir ganz schön zu. Find ich gut. Du leidest nicht genug in dieser Beziehung.“ Sirius duckte sich instinktiv unter James‘ Schlag hinweg. „Reg dich ab… Du hast nichts falsch gemacht, zur Abwechslung.“
James reichte es nicht das zu hören. Er hatte so viel falsch gemacht, dass einmal das Richtige zu tun nicht ausreichte.
„Hast du jetzt ernsthaft Angst nochmal das Richtige zu tun?“, fragte Sirius.
„Eher davor, dass es dann doch wieder falsch ist“, gab James zu. „Woher soll ich denn wissen, ob Regulus meiner Meinung ist? Er ist so… so widerlich loyal gegenüber seiner Familie. Wenn er mir was bedeutet, sollte ich ihn dann nicht so glücklich werden lassen, wie er es will?“
Sirius starrte ihn entsetzt an. „Du hast sie nicht mehr alle“, hauchte er. „Niemand kann bei der Familie glücklich werden.“
„Vielleicht kann Reg es“, sagte James und musste sich dafür von Sirius auf den Hinterkopf schlagen lassen. Seine Reflexe mussten eingefroren sein, wenn er das nicht hatte kommen sehen.
„Regulus liebt dich“, sagte Sirius und ignorierte einfach James‘ Versuch ihn zurückzuschlagen, indem er aufstand. „Du bist eine Konstante, damit er glücklich sein kann. Akzeptier das und geh zu ihm, sonst fang ich wieder damit an, dass du ihn gar nicht wirklich liebst.“
James nickte, einfach damit Sirius beruhigt seiner Wege gehen konnte.
Genau das tat er nicht.
„Hör zu…“ Sirius schaute sich auf dem Friedhof um, blieb aber an keinem Stein lange hängen. Er setzte sich schließlich wieder neben James, rutschte diesmal viel näher an ihn heran, als wäre ihm nicht nur äußerlich kalt. „Ich muss sowieso nochmal nach London in Onkel Alphards Wohnung. Lass uns doch heute gehen. Dann kannst du bei Regulus vorbeischauen.“
„Wenn du nicht alleine gehen willst, dann komm ich natürlich mit, aber…“
„Nichts aber, James.“ Sirius stieß eine gewaltige Atemwolke aus, als James ihn wohl ziemlich frustrierte. „Seit wann bist du denn so ein Angsthase?“
„Mann, lass du dir mal sagen, dass es besser wäre mit dir Schluss zu machen!“ James schrie die letzten Worte richtig und musste sich deswegen von Sirius anstarren lassen, als hätte er den Verstand verloren. Beleidigt und gleichzeitig verlegen verschränkte James die Arme vor der Brust.
Sirius tätschelte etwas zurückhaltend James‘ Schulter. Irgendwie tröstete ihn diese Geste ganz und gar nicht. James drehte schutzsuchend den Kopf von Sirius weg, wurde so zwar den mitleidigen Blick aber nicht die schwere Hand auf seiner Schulter los.
Er konnte Sirius nicht sagen, dass er Angst davor hatte, Regulus könnte ihn verlassen wollen. Wie stand er dann denn da? Sich als Angsthase bezeichnen zu lassen war schon brutal genug. Er wollte nicht Sirius‘ Blick sehen, wenn er hier gleich wie ein Baby zu heulen anfing.
„Es tut mir leid“, sagte Sirius.
James sah ihn jetzt doch wieder an, konnte aber nicht sagen, wofür Sirius sich gerade entschuldigt hatte. Er hatte im Grunde nichts Falsches gesagt und sich auch nicht im Ton vergriffen. James wollte wegen ein bisschen Liebeskummer nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Nicht von seinem besten Freund.
„Die ganze Zeit hab ich dir nie geglaubt, dass du es ehrlich mit Regulus meinst. Ich hab immer drauf gewartet, dass ihr endlich Schluss macht und über diese… Phase hinwegkommt, aber Regulus wollte dich nie aufgeben und du konntest das auch nicht… Ich hätte euch besser unterstützen sollen.“
James ließ das Lächeln zu, das nicht aufhörte an seinem Mund zu zerren.
„Vielleicht… war ich ein klein wenig eifersüchtig. Aber nur so viel.“ Sirius hielt Daumen und Zeigefinger kaum einen Zentimeter auseinander. „Ich mein, ich bin siebzehn und war nie verliebt. Regulus war… keine Ahnung wie alt, als er angefangen hat dich anzustarren, als wärst du das achte Weltwunder. Wieso kriegt er sowas und ich nicht?“
„Irgendwann –“
„Ja, natürlich“, unterbrach Sirius James sofort. „Onkel Alphard hat sich auch immer eingeredet, dass er bald jemanden findet. Und jetzt ist er tot und der Einzige, den es interessiert, ist sein Neffe. Ich will nicht mit neunundvierzig sterben und der Einzige, der um mich trauert, ist irgendein Kind.“
„Nett, dass du denkst, ich würde nicht traurig sein“, sagte James leicht beleidigt. Sirius‘ deprimierte Miene hellte sich tatsächlich dank eines Augenrollens wieder auf. James wollte Sirius auf die Schulter klopfen, erinnerte sich dann aber daran, wie wenig er das eben gewollt hatte. Er ließ es bleiben. Sirius war endlich auf dem Weg ihm ein bisschen von dem mitzuteilen, was der Tod seines Onkels in ihm ausgelöst hatte. Das wollte er jetzt nicht kaputt machen.
Dann landete doch ein ungeplanter Schulterklopfer auf Sirius‘ Schulter. „Vielleicht erwartest du einfach zu viel. Die Mädchen laufen dir hinterher, Tatze. Wenn jemand nicht einsam sterben wird, dann du.“
Sirius sah nicht aus, als würde ihn das aufheitern. Er ließ den Kopf hängen.
„Dein Onkel war bestimmt auch mal verliebt“, sagte James. „Vielleicht war es nur unglücklich und… ähm…“
Sirius‘ Kopf sackte noch ein wenig tiefer.
„Er war bestimmt glücklich verliebt“, versuchte James das wieder geradezubiegen, „und seine Familie war dagegen.“
Sirius sah immer noch nicht zufrieden aus. Er hob sogar eine Augenbraue – seine Black’sche Angewohnheit, die er erfolglos versucht hatte sich abzugewöhnen.
„Willst du sagen, dass es meine Schuld ist?“, fragte er.
James hatte schon wieder keine Ahnung, was Sirius damit meinte. Er schien heute auf dem Schlauch zu stehen.
„Weil ich weggelaufen bin, muss Regulus sich jetzt von der Familie herumschubsen lassen“, erklärte Sirius. „Wenn ich einfach zu Hause geblieben wäre und die Verantwortung nicht auf meinen kleinen Bruder abgewälzt hätte, dann hättet ihr glücklich sein können. Aber nein! Ich musste ja egoistisch sein!“
James tätschelte noch einmal vorsichtig Sirius‘ Schulter. „Du warst nicht egoistisch.“
„Doch, natürlich“, blaffte Sirius ihn in einem Tonfall an, als hätte James versucht ihm zu erzählen, dass Knuddelmuffs aus Eiern schlüpften. „Ich hätte den Familienscheiß ertragen und trotzdem mit dir befreundet sein können. Ich hätte machen können, was mir passt, sobald meine Eltern in der Familiengruft verrotten. Vielleicht hätte ich vorher meine Cousine heiraten müssen, aber das wär auch scheißegal gewesen. So hässlich ist sie nun auch wieder nicht.“
Sirius atmete tief durch. Falls er auf einen Einwand von James wartete, dann würde er keinen bekommen. Immerhin würde der gerade sowieso ignoriert werden.
„Regulus sitzt dagegen jetzt ganz alleine auf einem riesen Haufen Verantwortung, der ihm merkwürdigerweise etwas bedeutet“, fuhr Sirius fort. „Er wird versuchen der perfekte Erbe zu sein, so war er schon immer, James.“
„Warum sagst du mir das?“, wollte James wissen.
Sirius‘ Seufzer verursachte eine weitere sehr dichte Atemwolke. „James, auch wenn er dich liebt – und man sieht auf fünfzig Meter, dass er das tut – er wird sich für diese Verantwortung, für die Familie entscheiden. Für einen Namen, der ihm Sicherheit und Bedeutung gibt.“
James wollte sagen, dass Regulus durchaus auch egoistisch sein konnte, aber Sirius ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich kann zurück“, sagte er leise, als würde er sich nicht trauen diese verdammt bescheuerten Worte auszusprechen.
James tippte sich gegen die Stirn.
„Ich könnte es euch ganz leicht machen“, ließ Sirius nicht locker. „Ihr könntet glücklich werden.“
„Hast du getrunken?“, fragte James ernst. „Oder ist das ein schlechter Scherz? Ich lache nämlich nicht.“
Sirius fühlte sich von diesen Worten tatsächlich angegriffen und schnaubte entrüstet auf. Er wusste wohl nicht, wie dämlich das Gebrabbel aus seinem Mund gerade klang.
„Ich vergess einfach, dass du das gesagt hast“, bot James an.
Sirius wirkte geknickt, als hätte James ihn nicht gerade vor einem Fehler bewahrt den er für den Rest seines Lebens bereuen würde.
„Lass uns nach Hause gehen.“ James schlug beim Aufstehen sanft gegen Sirius‘ Oberarm, stand am Ende aber doch alleine im Schnee.
Sirius hob bloß den Kopf und schaute sich suchend um. Seine nächste Idee war noch ein wenig verrückter. „Hey, ist das da nicht Dumbledores Haus?“
„Äh…“ James nickte. „Wieso?“
Sirius grinste ihn an. „Ich wette Dumbledores Kamin kommt überall hin.“
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