von jörg ratgeb
Wieder einmal zogen Wälder und Seen am Fenster vorbei. Harry Potter war wieder auf dem Weg nach Hogwarts. Auf dem Weg zu seinem alten Zuhause.
Natürlich fühlte er sich mittlerweile auch außerhalb der Gemäuer aufgenommen und akzeptiert. Immerhin war er es gewesen, der Lord Voldemort besiegt hatte. Er hatte Ginny Weasley geheiratet, nun natürlich Ginny Potter. Und er hatte mit seiner Frau ein Haus in einem Londoner Vorort gekauft.
Man könnte meinen, Harry Potter führte ein vollends glückliches Leben. Doch so war es nicht...
Vor zwei Wochen war er suspendiert worden. Er war Auror auf Urlaub. Er hatte seinen Chef angebettelt, den Job behalten zu dürfen, doch dieser hatte ihm zu wissen gegeben, "vorerst nicht!". Eine andere Aurorengruppe hatte mehrere alte Schulkameraden Harrys eingebuchtet.
Diese Auroren waren in der Hierarchie nach oben geklettert, er, Harry Potter, wegen mehrerer außerdienstlichen Raufereien in Gesellschaft Ron Weasleys deutlich gefallen.
Und so hatte er für vorerst zwei Monate keinen Job mehr.
Verdammte Scheiße, dachte er und starrte trübsinnig aus dem Fenster des Hogwarts-Express. Es wurde schon langsam dunkel. Bis der Zug in Hogsmeade halten würde, war es nicht mehr lange.
Und jetzt musste er auch noch Ginny von dieser verfluchten Feier abholen. Lehrerabschlussfeier, hatte sie zu ihm gesagt. Harry fragte sich, seit wann es diesen Schwachsinn überhaupt gab.
Der momentane Schulleiter von Hogwarts, Seamus Finnigan, besaß zwar Harrys Respekt aufgrund der alten Freundschaft, doch für die Idee einer Lehrerabschlussfeier hasste Harry ihn abgrundtief.
Harry war es sowieso ein Rätsel, warum Ginny wollte, dass er sie abholte. Sie könnte doch genauso gut mit Seamus und Neville Longbottom nach Hause fahren.
"Dann sind wir nicht so lang getrennt voneinander", hatte Ginny gesagt und ihn liebevoll angesehen.
"Okay, einverstanden.", hatte Harry ihr geantwortet.
Indes stellte er danach sowieso fest, dass er nichts besseres zu tun hatte. Immerhin konnte er sich bei dieser Möglichkeit wieder seine alte Schule anschauen.
Plötzlich wurde der Zug langsamer. Harry hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.
Er stand auf, überprüfte, ob er seinen Zauberstab im Umhang hatte, und trat auf den Gang des Zuges. Natürlich war er alleine. Der Zug war von London hierher gefahren, um die Lehrer abzuholen und bei dieser Gelegenheit hatte er sich hineingesetzt.
Der Zug blieb stehen und Harry sprang auf den Bahnsteig. Endlich war er mal wieder hier. Insgeheim gefiel ihm Seamus' Idee einer Abschlussfeier mittlerweile schon besser. Er ging den Bahnsteig entlang und auf die Pforte zu, die den einzigen Weg zum Schloss versperrte.
Ein Zauberer stand dort und hielt Wache. Immerhin für Sicherheit war noch gesorgt.
Der Zauberer nickte Harry zu und ließ ihn passieren. Offenbar hatte Ginny ihn schon angekündigt.
Harrys Schritte wurden allmählich langsamer. Er war müde von der Anreise, obwohl er nur im Zug gesessen hatte.
Ich bin ja auch seit zwei Wochen nicht im Training, redete er sich ein und stieg die Stufen zum Schlossportal hinauf.
Das Tor war verschlossen.
Na toll, dachte Harry und klopfte mehrmals an.
Nach etwas mehr als einer Minute öffnete sich das Tor und eine rothaarige Frau stand vor ihm.
"Harry!", rief Ginny glücklich aus und umarmte ihn.
Nach einem kurzen Begrüßungskuss durfte er eintreten.
"Ginny, ich bin müde. Kann ich mich kurz irgendwo frischmachen?", fragte Harry und betete still, dass er nicht zuerst der Feier einen Besuch abstatten musste.
"Natürlich. Aber vorher musst du kurz Seamus und Neville 'Hallo' sagen."
Harrys Laune wurde noch schlechter, aber er ließ es sich nicht anmerken.
Zusammen gingen die beiden in die Große Halle.
Harrys Blick schweifte über die langen Haustische hinauf zu der verzauberten Decke. Erinnerungen kamen in ihm hoch an seine alte Schulzeit. Er musste sich eingestehen, dass er Ginny beneidete. Sie konnte hier alljährlich wohnen und Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichten.
Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, Seamus um eine Stelle als Lehrer zu bitten. Dann war er auch nicht so lange von Ginny getrennt. Doch er verwarf ihn ziemlich schnell wieder. Er liebte doch seinen Job als Auror. Und er freute sich schon wieder auf den Tag, an dem er diesen wieder aufnehmen durfte.
"Harry! Schön dich wiederzusehen!", sagte Seamus laut und riss ihn aus seinen Gedanken.
Der Schulleiter von Hogwarts kam auf ihn zu.
Als Harry vor knapp drei Jahren im Tagespropheten gelesen hatte, dass Seamus Finnigan zum Schulleiter seiner alten Schule ernannt worden war, hatte er zuerst einmal laut gelacht. Irgendwie konnte sich Harry niemand anderes vorstellen, der für diesen Job ungeeigneter war; mit Ausnahme vielleicht von Neville Longbottom, der hier an Hogwarts das Amt des Lehrers für Kräuterkunde übernommen hatte, und Ron Weasley.
Aber Seamus hatte sich in diesen drei Jahren als guter Schulleiter erwiesen. Auch Harry hatte von seinen gewachsenen Führungsqualitäten gehört, vor allem natürlich durch Ginny.
"Hi Seamus!", antwortete Harry und schüttelte Seamus die Hand.
Seamus schaute sich um, sah dann wieder zu Harry und grinste ihn an.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich Schulleiter von Hogwarts werden würde.", sagte er.
"Wenn ich ehrlich bin,", entgegnete Harry, "ich auch nicht!"
Er, Seamus und Ginny brachen in Gelächter aus.
"Aber es macht Spaß", meinte Seamus und zwinkerte Harry zu. "Endlich versteh ich, warum Dumbledore immer so gut drauf war."
Vom Lehrertisch am Kopfende der Halle drang Gejohle an Harrys Ohr. Offenbar hatte ein ziemlich kleiner Lehrer, den Harry nicht kannte, einen sehr guten Witz zum besten gegeben.
"Ich will euch bei eurer Feier nicht stören.", sagte Harry bestimmt.
"Tust du nicht!", sagte Seamus.
"Ich hab dir doch gesagt, dass du willkommen bist.", meinte Ginny und lächelte süffisant.
"Aber-", wollte Harry dazwischenwerfen, doch er wurde unterbrochen.
"Jetzt stell dich nicht so an, Harry. Du wärst doch bestimmt nicht so früh hier aufgekreuzt, wenn du nicht hier sein wölltest!"
Es war Neville. Er war vom Lehrertisch aufgestanden und hatte sich zu ihnen gesellt, ohne dass Harry es bemerkt hatte.
"Hi Neville!", lachte Harry schon fast entnervt auf. "Ich will mich ja auch nur kurz irgendwo frischmachen. Und dann werde ich schon wieder kommen!"
"Aber beeil dich... Die Hauselfen zaubern demnächst wieder ein großartiges Mahl auf den Tisch!", sagte Seamus und ging wieder in Richtung des Lehrertisches davon.
"Ich bring dich kurz in mein Büro. Da kannst du dich auch kurz hinlegen, wenn du willst.", erklärte Ginny und nahm Harry bei der Hand.
"Aber beeilt euch!", rief Neville ihnen nach, bevor auch er wieder zu den Feiernden hinzustieß.
Ginny führte Harry durch einige Gänge bis zu ihrem Lehrerzimmer. Harry stellte fest, dass er noch jeden Winkel des Schlosses kannte und er genoss es, hier zu sein.
"Kommt Hagrid eigentlich nicht zu der Feier? Ich hab ihn nicht gesehen...", stellte Harry fest.
Ginny öffnete die Tür ihres Lehrerzimmers und trat ein.
"Doch... er wollte aber noch irgendwas in seinem Kürbisacker anpflanzen, glaube ich.", antwortete Ginny.
Harry folgte seiner Frau in das Zimmer und stellte überrascht fest, dass er dieses Zimmer nicht kannte. Zumindest nicht dessen Einrichtung.
Allerdings erkannte er ohne Frage Ginnys Stil.
das Zimmer war mit vielen Blumen vollgestellt, die Luft roch nach Ginnys Parfüm und an der Wand hingen mehrere Bilder von Harry und ihr.
"Leg dich hin und wasch dich kurz. In zwanzig Minuten erwarte ich dich in der Großen Halle. Bis dahin wird auch Hagrid dazugestoßen sein."
Mit diesen Worten ging sie aus dem Zimmer und schloss die Tür.
Harry legte sich auf Ginnys Bett und atmete tief durch.
Kurze Zeit später setzte er sich wieder auf, zog seine Schuhe und Socken aus, um seinen Füßen etwas Frischluft zu gönnen, und stand dann vollends auf. Er wusch sich kurz am Waschbecken das Gesicht und ließ sich dann wieder in einen Sessel fallen.
Ganz schön bequem haben sie es aber hier, die Lehrer, dachte er und streckte sich. Mit einem Blick auf seine Uhr, die er zu seinem siebzehnten Geburtstag von Molly Weasley geschenkt bekommen hatte, stellte er bestürzt fest, dass Ginnys zwanzig Minuten bereits vorbei waren.
Was solls!, sagte er sich, Sie werden schon noch kurz warten können...
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