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Fanfiction

Ancient History I - Der Verbotene Wald - Exkursion mit Madam Sprout

von Kiosk

16. Exkursion mit Madam Sprout


Personen:
Elicius Eliassen: Elfjähriger Sohn von Vigdis Eliassen und der Bruder von Emilia. Ein eher ruhiger, zurückhaltender Slytherin. Kam vor seiner Einschulung in Hogwarts kurzzeitig bei den Rathburn unter.

Emilia Eliassen: Zwölfjährige Tochter von Vigdis Eliassen. Eine Slytherin. Sie ist stets aufmerksam und besitzt ein eher verschlagendes Wesen. Kam vor ihrer Einschulung in Hogwarts kurzzeitig bei den Rathburns unter.

Garm McKinstry: Ein jugendlicher Unruhestifter aus Slytherin. Er scheint in Imperia verliebt zu sein. Er und seine drei besten Freunde - Erebus Nott, Veikko Johnson und Prester Perkins - bilden die so genannte Toilettenmafia.

Humphrey Belcher: Ulysses` Klassenkamerad. Ein liebenswürdiger Ravenclaw

Imperia Malfoy: Die ältere Schwester von Lucius. Eine Slytherin und Vertrauensschülerin. Sie wirkt kühl und distanziert und fällt im ersten Moment stets durch ihre Schönheit auf

Madam Burgunder: Sie unterrichtet den Benimmunterricht für die Mädchen. Trotz ihres miesen Charakters scheinen ihr die Männer zu Füßen zu liegen

Plumbeus Bott: Der Sohn des Bohnenerfinders Bertie. Er fällt besonders durch seine Langsamkeit und Zerstreutheit auf. Ein Hufflepuff

Professor Jarovit: Ein entfernt menschlicher Mann. In Russland jagte er unter anderem Wewölfe, Vampire und Schwarzmagier. In Hogwarts unterrichtet er Verteidigung gegen die Dunklen Künste

Rubeta und Arachne Cox: Zwei elfjährige Zwillingsschwestern mit großem Herz füt exotische Tiere. Rubeta ist eine Ravenclaw-Schülerin, Arachne eine Slytherin

Ulysses Rathburn: Elfjähriger Sohn von Bethesda. Verwöhntes Einzelkind. Ein Ravenclaw. Stellt sich gegenüber Emilia und Elicius auf stur.

Victoria Knight: Eine Erstklässlerin aus Ravenclaw. Sie ist stets munter und aufgeweckt. Ihr Haustier ist ein stinkender, aber handzahmer Vielfraßrüde namens Rudolph.

William Barkley: Ein Erstklässler aus Ravenclaw. Wie Ulysses stammt auch er aus Hogsmeade, wo er zusammen mit seiner etwas verschrobenen Mutter ein Haus am Rand des Dorfes bewohnt. Er ist ungewöhnlich still und unabhängig

Bisherige Handlung:
Vigdis Eliassen scheint spurlos verschwunden, doch die Sorgen erweisen sich als unbegründet. Oftmals nimmt die Squib aus Norwegen, überlastet vom Alltag, Reißaus und flüchtet zu ihrem Liebhaber nach England. Ihre beiden Kinder, Emilia (12) und Elicius (11) werden derweil bei den Rathburns, einer Zaubererfamilie aus Hogsmeade untergebracht und sollen in Hogwarts eingeschult werden. Für Emilia ohnehin die letzte Chance: Aus dem Norwegischen Zauberinternat hat man sie verbannt.
Zusammen mit Ulysses Rathburn, dem ebenfalls elfjährigen Sohn der Familie, werden die Geschwister in Hogwarts eingeschult.
Ulysses macht dort Bekanntschaft mit Imperia Malfoy. Die schöne Jugendliche scheint ein Herz aus Eis zu besitzen. Ebenso auffällig benimmt sie auch die so genannte „Toilettenmafia“, eine vierköpfigen Gruppe Slytherins, die jüngeren Schülern gekonnt das Geld abknüpfen.
Imperia scheint jedoch das größere Problem: Als sie sich bewusst wird, dass sich Ulysses Hals über Kopf in sie verliebt hat, nutzt sie es aus und lässt ihn für sich arbeiten. Sie überzeugt ihn, aus dem Arzneimittelschrank der Schule zwei Tränke zu stehlen. Ein Kuss soll seine Mühen entlohnen …

XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
September 1961

Keine zwei Wochen hatte Emilia bisher in Hogwarts überstanden, ohne dass sich ein gewaltiger Frust in ihr aufgebaut hatte. Ihr magisches Können war nicht nur beschämend, sondern geradezu eine Katastrophe und allmählich musste sich Emilia eingestehen, dass sie dem Unterricht schlichtweg nicht folgen konnte.
Am Montag, während einer Doppelstunde Verwandlungen mit Professor McGonagall, war es ihre Aufgabe gewesen, einen Kohlestift in einen Regenwurm und wieder zurück zu einem Kohlestift zu verwandeln, woraufhin Emilias größter Erfolg darin bestanden hatte, statt eines Wurmes eine furchtbar verkrüppelte Lakritzstange mit penetrantem Eigengeruch herbeizuzaubern.
Und auch danach, während der nächsten Unterrichtseinheit, war es ihr kaum besser ergangen: Der praktische Alltagszauber, der darauf abzielte, ein altes Kleidungsstück zu entmotten, hatte seitens Emilia nicht nur dazu geführt, dass der Mantel in Flammen aufgegangen war, nein, darüber hinaus waren ihrer Tischnachbarin Sybill Trelawney überall Eiterpickel im Gesicht gesprossen, nachdem sich Emilias Zauberstab spontan selbstständig gemacht zu haben schien.
Und nun, am Dienstagmorgen und nach all der Schande, fühlte sich Emilia elendig und unmotiviert und am liebsten wäre sie dem Kräuterkundeunterricht einfach ferngeblieben.
Zum Glück tat sie es nicht, denn ansonsten hätte sie sicherlich nicht von Madam Sprouts allmonatlicher Exkursion in den Wald erfahren.
„Wie ihr sicher alle wisst“, richtete Madam Sprout das Wort an die Klasse, „leite ich dann und wann eine kleine Wanderung. Ziel ist es, in den Wäldern heimische Zauberkräuter und - pflanzen in ihrem natürlichen Habitat zu erforschen und bei Gelegenheit ein paar Keimlinge und Samen mitzunehmen. Die Exkursion ist freiwillig.“
Die meisten der Zweitklässler nickten bloß, ehe sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandten. Offenbar hatten sie von dem Thema längst genug, doch für Emilia war es Neuland. Noch nie hatte sie eine Führung durch einen Wald mitgemacht, doch im Allgemeinen waren ihr Wälder mehr als vertraut. Besonders in Norwegen war sie oft alleine losgezogen und war durch die Natur gestreift, wann immer sie es zu Hause bei ihrer Mutter und bei ihren Alltagspflichten nicht mehr ausgehalten hatte. Ihre Sorgen hatten stets die Angewohnheit gehabt, sofort zu verfliegen, sobald Emilia sich durch karge Ebenen oder dichte Haine gekämpft hatte, sich dazu gezwungen hatte, Hügel und kleine Berge zu erklimmen, oder bis zur völligen Erschöpfung langen, einsamen Küstenabschnitten gefolgt war.
Und weil Hogwarts zur Zeit für sie schier unerträglich war, kam ihr die Abwechslung gerade recht. „Madam Sprout!“, sagte sie und hob die Hand.
Die dralle, kleine Lehrerin kam mit ihrem üblichen, unglaublich herzlichen Lächeln zu ihr. „Ms. Eliassen? Was gibt es?“
„Ich würde gerne bei dieser … ähm … Exkursion mitmachen.“
„Oh, das freut mich! Am besten tragen Sie sich gleich in die Liste am Schwarzen Brett ein, wenn Sie ins Schloss zurückkehren. Die Exkursion beginnt heute um vier Uhr, wir treffen uns am Eingangsportal. Vergessen Sie nicht, warme Kleidung anzuziehen und nehmen Sie sich am besten eine Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken mit. Ich bin sicher, das wird ein fabelhafter Ausflug und ich bin froh, dass Sie ebenfalls mitkommen!“

XXXXXXX

Indem Emilia ihrem Bruder eine saftige Ohrfeige androhte, bewegte sie Elicius schließlich dazu, ebenfalls an der Exkursion teilzunehmen. Wie immer spielte er daraufhin den Beleidigten und beschwerte sich darüber, dass ein Ausflug ihn davon abhalten würde, die Hausaufgaben für den nächsten Tag rechtzeitig fertig zu stellen.
„Stell dich nicht so an“, schnarrte sie kalt, während sie die Treppen zur Eingangshalle emporstiegen, „du bist keine zwei Wochen hier, Elicius, da kannst du unmöglich schon so viel zu tun haben.“
„Was du nicht sagst“, murmelte er. „Als hättest du so viel Ahnung vom Leben eines Erstklässlers, Schwänzerin.“
Emilia blieb stehen und wandte sich zu Elicius um, der eingeschüchtert einen Schritt zurücktrat und sich in schnellen Worten entschuldigte: „Ich hab`s nicht so gemeint! Ist mir so rausgerutscht!“
„Das will ich hoffen. Denn das nächste Mal hängst du kopfüber vom Astronomieturm, das schwöre ich dir.“
Zugegeben, Emilia liebte ihren Bruder über alles, und sie wusste auch, dass er sie liebte, doch das hielt keinen von beiden von täglichen Zankereien ab. Sie waren - mit nicht einmal einem Jahr Altersunterschied - in eine problematische Familiensituation hineingeboren worden, die sie vielleicht etwas derber und dickfelliger gemacht hatte, als es für Kinder gut gewesen wäre. Dementsprechend heftig konnten ihre Streitigkeiten ausfallen, vor allem wenn sie sich gestresst fühlten. Emilia konnte sich noch sehr gut an eine Szene vor gut einem viertel Jahr erinnern, als sie Elicius mit dem Kopf voran in eine Glastür gestoßen hatte, was zur Folge gehabt hatte, dass ihre Nachbarin, eine ehemalige Arzthelferin, die dabei entstandenen Schnittverletzungen versorgen musste.
Doch lange würde sich Elicius nicht mehr von ihr herumschupsen lassen oder jedes ihrer Wort befolgen. Zwar mochte sie immer die Erstgeborene sein, doch das hinderte Elicius nicht daran, ihr im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf zu wachsen. Schon jetzt war er ein wenig größer als sie und bedeutend stärker, und Emilia freute sich ganz und gar nicht auf den Tag, an dem ihre Ohrfeigen endgültig wirkungslos bleiben würden.
Als sie und Elicius die Eingangshalle erreichten, sahen sie sich gut zwanzig weiteren Schülern gegenüber, die allesamt schwer bepackte Schultaschen voller Proviant mit sich trugen und sich in wärmende, größtenteils Regen abweisende Kleidung kuschelig verpackt hatten. Inmitten der Schülergruppe stand Madam Sprout, die gerade damit beschäftigt war, einem triefnasigen Erstklässler die Vorzüge einer Alraunenbehandlung zu erklären.
Neben ihr stand Professor Kesselbrand, ein verwittert aussehender, älterer Professor, der ganz offensichtlich unter chronischer Müdigkeit litt, denn seine schweren Augenlider schienen vom ständigen Gähnen bereits völlig mit Tränen verklebt zu sein.
Unter den Schülern, die Emilia bekannt waren, befanden sich auch Victoria Knight und William Barkley. Victoria war in Begleitung ihres hässlichen Vielfraßrüden, den sie fest an einer Leine hielt, während Rudolph aus lauter Frust darüber einen besonders unangenehmen Gestank abzusondern schien. Der stinkende Marder war wohl auch die Erklärung, warum Victoria und William sich weiter abseits von der übrigen Gruppe aufhielten, denn entweder hatten sie sich aus Rücksicht vor den anderen auf eigenen Willen zurückgezogen, oder die anderen Schüler waren vor lauter Ekel von ihnen abgerückt. Was auch immer es war, Victorias Gemüt schien ungetrübt und während sie sich gutgelaunt mit ihrem Freund William unterhielt, kraulte sie Rudolph den Nacken.
„Oh, ich bin so gespannt, wie sich unser Kräuterkundeprojekt entwickeln wird!“, sagte sie gerade zu William. „Wenn wir erfolgreich züchten, wird Madam Sprout begeistert sein, so viel ist sicher. Das bedeutet Bestnoten für uns alle!“
Offenbar angelockt von dem Gesprächsthema trat Elicius auf die beiden Ravenclaws zu. Emilia behielt Sicherheitsabstand zu dem Vielfraß - ihre Erfahrungen mit wilden Vielfraßen waren schließlich ausnahmslos schlechter Natur -, blieb jedoch in Hörweite zu ihrem Bruder.
„Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt“, begann Elicius an Victoria und William gewandt und fischte einen Zettel aus seiner Schulrobe, den er Victoria überreichte. „Darauf stehen sämtliche Düngerarten, die für einen Blausäurenessel-Schattenhüpfkraut-Hybriden eignen. Außerdem habe ich noch ein paar allgemeine Hinweise notiert. Zum Beispiel sollte man beim Züchten dieser Pflanze darauf achten, dass sie keinen Kontakt mit falscher Erde bekommt. Die einzige Erde, in der sie wächst, ist Erde, die man zwischen den Wurzeln alter Buchen und Kastanien findet.“
„Unglaublich, wie viel Arbeit du dir dabei gemacht hast, Elicius!“, rief Victoria überrascht aus, während sie seine Notizen überflog. „Dank deiner Mühe sind wir schon ein ganzes Stück schlauer. Ein Glück. Ich hätte zum Beispiel nicht geahnt, dass man spezielle Erde braucht, um die Pflanze zu züchten.“
„In unserem Schulbuch hat man auch keine genaueren Information darüber gefunden“, sagte William und warf Elicius dabei einen flüchtigen Blick zu, bevor er langsam fragte: „Aber zum Glück hat Mr. Eliassen sich scheinbar die Mühe gemacht, ein wenig Zeit in der Bibliothek zu verbringen, oder?“
„Um Gottes Willen, musst du jeden Gleichaltrigen beim Nachnamen ansprechen?“ Victoria hatte eine mürrische, beinahe genervte Mine aufgesetzt. Dennoch begegnete William ihr mit seiner üblichen, so überlegen anmutenden Ruhe.
„Ich spreche dich nicht beim Nachnamen an, Victoria.“
„Na schön, ich bin die große Ausnahme. Vielleicht habe ich Glück und du nennst mich in den nächsten Jahren irgendwann sogar `Vicky´. Vermutlich aber erst, wenn wir verheiratet sind oder so.“ Die Unschuld, mit der Victoria davon sprach, verblüffte nicht nur Emilia. Elicius tarnte sein leises Kichern mit einem gespielten Hustenanfall und auf Williams hohen Wangenknochen hatten sich tatsächlich seichte, rötliche Flecken gebildet.
Doch ehe Victoria die Gelegenheit dazu bekam, ihnen weitere Details ihres weit im Voraus geplanten Familienlebens preiszugeben, verkündete Madam Sprout ihren Aufbruch und wies die Schüler an, Zweier- und Dreiherreihen zu bilden. Emilia und Elicius rückten zusammen; zwar kicherte Elicius dabei noch immer, aber das war immerhin nicht so störend wie das wilde Gebrumme des Vielfraßrüden Rudolph, der den bevorstehenden Waldspaziergang regelrecht mit Freude zu erwarteten schien. Die kleine Victoria musste stark gegen das Gezerre ihres Haustieres ankämpfen und hielt die Leine mit beiden Händen fest. Professor Kesselbrand warf ihr einen strengen Blick zu. „Sie wissen, dass Hogwarts nur dann zustimmt, ein gefährliches Tier aufzunehmen, wenn der Schüler beweisen kann, dass er damit umzugehen weiß.“
„Oh, ich weiß sehr wohl mit Rudolph umzugehen, Sir!“, antwortete Victoria mit ihrer typischer Unbefangenheit. „Außerdem ist er nicht gefährlich. Er ist nur etwas kräftiger gebaut als ich und nutzt das aus, wenn er an der Leine läuft, trotzdem ist er absolut zahm.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ein so junge Schülerin wie Sie es sind, genügend Kräfte aufbringen kann, um einen ausgewachsenen Vielfraß im Notfall in Schach zu halten.“
„Dafür bin ich ja da, Sir!“, sprang William helfend ein und griff zusätzlich nach der Leine, so dass sie mit vereinten Kräften dafür sorgten, dass Rudolphs vehementes Gezerre erfolglos blieb.
Zwar schien Professor Kesselbrand mit dieser Lösung nicht besonders zufrieden, doch er wandte sich ab, ohne Victoria ein weiteres Mal mit den Gesetzen und Vorschriften Hogwarts` zu traktieren. Emilia hätte es besser gefunden, wenn man Victoria dazu gezwungen hätte, ihr Haustier im Elternhaus unterzubringen, anstatt es in den Schulkorridoren frei herumlaufen zu lassen. Vielfraße waren Geschöpfe, mit denen Emilia nie auf einen Nenner kommen würde und die kleine Narbe an ihrem Unterschenkel, dort, wo sich ein wildlebender Artgenosse Rudolphs einst verbissen hatte, bestätigte dies.
Während die mehr als zwanzigköpfige Exkursionsgruppe das Schulgebäude verließ, sah sich Emilia unter ihnen um, denn aus irgendeinem Grund hatte sie erwartet, dass Ulysses ebenfalls an dem Waldausflug teilnehmen würde, doch sie konnte sein pausbackiges Gesicht nirgendwo entdecken.
Der Himmel stand hoch über ihnen, als sie über die Wiesen in Richtung Wald marschierten, und obwohl es recht kühl an diesem Tag war, wurden viele von ihnen von einer heiteren und sommerlichen Stimmung erfasst. Der finstere Nadelwald lag vor ihnen und füllte einen großen Teil ihres Horizontes aus, wie ein schwarzes Band, das man über die Landschaft gespannt hatte, doch Emilia war zu beschwingt, um sich über diese unheimliche Dunkelheit, die zwischen den fernen Bäumen wie Nebel zu schweben schien, Gedanken zu machen. Von Madam Sprout und Professor Kesselbrand flankiert, hätte sich wohl selbst der ängstlichste Mensch der Welt noch in Sicherheit wiegen können.
Sprout verschwendete keine Minute: immer wieder ließ sie die Schüler anhalten, um ihnen etwas über diese und jenen Pflanzen zu erzählen, die am Rand des verwachsenen Trampelpfades gediehen. Noch bevor sie ihr Ziel überhaupt erreicht hatten, schwirrte Emilia der Kopf, so viele neue Informationen über Kräuter, Blumen und Pilze drängten sich in ihrem Gehirn zusammen. Doch auch Professor Kesselbrand war keineswegs untätig, schließlich wusste er eine Menge über die Tierspuren zu berichten, auf die sie während ihres Weges immer wieder stießen.
Als sie den Waldrand endlich erreichten, rief Madam Sprout sie ein weiteres Mal zusammen, um dafür zu sorgen, dass sie die wichtigsten Verhaltensregeln noch einmal verinnerlichten. „Wie ihr sicherlich wisst“, begann sie, „ist dieser Forst um einiges älter noch als Hogwarts selbst und ebenso lange wird dieser Ort von den verschiedensten Lebewesen bewohnt, von denen die einen dem Menschen wohlgesinnt und andere wiederum bösartig sind. Eine handvoll alter Pfade ziehen sich durch den Wald und ich möchte nicht einen Schüler sehen, der diese Pfade verlässt. In der Vergangenheit gab es bereits einige Personen, die auf die eine oder andere Weise hier verschwunden sind. Und -“
Eine Hand war plötzlich in die Höhe geschossen und Emilia erkannte zwischen den übrigen Schülern das sich meldende Mädchen. Es war ein knochiges und ungelenk wirkendes Geschöpf mit dem typischen Gesicht eines Kindes, das stets für Unruhe und Ärger sorgte. Emilia war sich schlagartig bewusst, wie unsympathisch ihr das Mädchen war.
„Ich sehe, Ms. Rutherford möchte eine Frage stellen“, stellte Madam Sprout fest.
„Wie viele Personen sind hier genau verschwunden, Madam?“ Das Mädchen, Rutherford, schien sich große Mühe geben zu müssen, um überhaupt so etwas wie Höflichkeit in ihre quäkende Stimme einfließen zu lassen und ebenso viel Mühe kostete sie es offensichtlich, den Ausdruck von begierigem Interesse in ihrem Gesicht zu verbergen.
„Nun, das ist schwer zu sagen, Ms. Rutherford. Hogwarts Geschichte ist lang und schon viele kleine und große Ereignisse sind im Dunkeln der Vergangenheit untergegangen. Es mögen vielleicht ein Dutzend Personen gewesen sein. Vielleicht auch mehr, vielleicht auch weniger.“
„Hat man ihre Leichen wieder gefunden?“
Madam Sprout schien es langsam unangenehm zu werden, die obskuren Fragen des Mädchens zu beantworten und murmelte daher ein ausweichendes „Ich weiß es nicht“.
Mit großer Sicherheit war Rutherfords zweifelhafter Wissenshunger noch nicht gestillt, doch Professor Kesselbrand verhinderte weitere Fragen, indem er sie alle darin erinnerte, dass noch ein weiter Weg zu gehen war und er keineswegs vorhatte, bis zum späten Abend durch einen finsteren Wald zu marschieren.
„Stellt euch bitte wieder in Zweier- oder Dreierreihen auf“, befahl er im schroffen Ton. „Wie Madam Sprout bereits erwähnte, ist es euch absolut untersagt, den Pfad zu verlassen, den wir nun gleich betreten werden. Auf geht`s!“
Dicht gedrängt trat die Gruppe zwischen jene Bäume hindurch, die den Rand des Waldes markierten, bis sie in fünfzehn oder zwanzig Metern Entfernung und umgeben von dichtem Dornengestrüpp endlich auf den Trampelpfad stießen, von dem die Professoren erzählt hatten. Es war ein schmaler, von Laub bedeckter Weg, der sich durch das Unterholz schlängelte und stellenweise so überwuchert war, dass Emilia dankbar war, eine engmaschige Strumpfhose zu tragen, als sie sich durch die Dornenränke kämpfte. Knorrige, oftmals windschiefe Bäume säumten den Pfad und ihre Wipfel vereinten sich zu einem undurchdringlichen Gewirr aus Zweigen, Ästen, Laub, Nadeln und Efeu, dass das Sonnenlicht davon abhielt, allzu viel Licht auf diese unbekannte Waldwelt zu werfen. Ebenso spärlich vorhanden wie das Tageslicht schienen die Geräusche zu sein; der Wald schien jeden Laut verschluckt zu haben, so dass ein dumpfes Schweigen auf der Umgebung lastete und sich auf Emilias Ohren legte.
„Ein eigenartiger Ort, findest du nicht?“, fragte sie Elicius, der neben ihr schritt und mit seinen langen Beinen weit weniger Probleme hatte, über die Dornenzweige hinweg zu steigen. „Er ist anders als die Wälder die wir kennen.“
Emilia antwortete nicht und sie hätte auch kaum eine Gelegenheit dazu gehabt, denn in diesem Moment stoppte Madam Sprout und deutete mit leidenschaftlicher Begeisterung auf etwas, das am Wegesrand wuchs: Es war eine Ansammlung kleiner, knallgelber Pilze, die so unübersehbar aus dem finsteren Unterholz hervorlugten, als würden sie leuchten.
„Wer von euch kann mir sagen, was das hier ist?“, fragte Madam Sprout voller Übermut die Schüler.
Sofort schoss Victorias Arm empor und noch ehe Sprout dazu kam, sie aufzurufen, krakeelte Victoria: „Das sind Funkelwaldmänner! Die schmecken richtig lecker, wenn man sie bei Vollmond pflückt!“
„Das ist richtig, Ms. Knight“, lächelte Madam Sprout. „Funkelwaldmänner sind in der Lage, Sonnen- und Mondlicht zu speichern, was dazu führt, dass sie im Dunkeln leuchten und so Insekten anlocken. Je nachdem wann man diese Pilze pflückt, entwickeln sie ein anderes Aroma.“
Während Madam Sprout weiterhin über diese sonderbaren Pilze berichtete, nutzte Emilia die Gelegenheit sich umzusehen. Obwohl sie bisher keine zehn Minuten gewandert waren, gab es hinter ihnen keine Spur mehr vom nahen Waldrand zu entdecken, weder Licht, dass zwischen die Bäumen hindurch fiel, noch irgendwelche anderen Hinweise. Genauso gut hätten sie sich bereits seit Stunden in diesem unwegsamen Dickicht bewegen können und Emilia ahnte, dass sie bald dazu gezwungen sein würden, ihre Zauberstäbe herauszuholen, um damit den weiteren Weg etwas zu erhellen.
Sie sollte Recht behalten. Bereits kurz nachdem sich die Gruppe wieder in Bewegung gesetzt hatte, schien der Wald es darauf auszulegen, sie in einem Reich der Finsternis wandeln zu lassen. Phasenweise hatte Emilia das Gefühl, man hätte ihr einen Sack über den Kopf gestülpt, so wenig sah und hörte sie von der Umgebung, durch die sie schritt, und falls doch einmal ein wenig von dem trüben Sonnenlicht zu Boden fiel, war es schwer abzuschätzen, in welcher Entfernung dieser Flecken Sonne lag. Um sie herum herrschte die reine Unwirklichkeit.
Schließlich - nachdem er selbst über ein am Boden liegendes Hindernis gestolpert war - hatte Professor Kesselbrand Erbarmen und wies sie alle an, die Zauberstäbe zu zücken und einen Lumos-Zauber zu sprechen. Nicht wenige der Exkursionsteilnehmer waren Erstklässler und viele von ihnen taten sich noch schwer mit dem Zauber, weshalb Emilia um so erleichterter war, dass sie - als Zweitklässlerin - keine allzu großen Schwierigkeiten damit hatte, die Spitze ihres Stabes zum Leuchten zu bringen. Ein fahler, gespenstischer Glanz legte sich um die Umgebung und Elicius, der neben ihr stand, wirkte in dem Licht merkwürdig fremd auf sie. Fast, als hätte man ihren Bruder durch die bläuliche Leiche eines Jungen ersetzt, der erfroren war.
Als er bemerkte, dass er angestarrt wurde, wandte Elicius seinen Kopf fragend zu ihr. „Hast du auch dieses merkwürdige Gefühl, Emilia?“, erkundigte er sich leise.
„Ich weiß was du meinst“, sagte sie. „Aber das bildest du dir nur ein. Gut, der Wald ist finster und sicherlich verhext, aber mehr ist es nicht.“
Elicius wiegte seinen Kopf zuerst in eine und dann in die andere Richtung, wie er es öfters tat, wenn sein Verstand damit beschäftigt war, wichtige Worte zu formulieren. Schließlich flüsterte er ihr ernst zu: „Erinnerst du dich noch, als wir vor ein paar Jahren öfters auf dem Hof von dem alten Muggel Mr. Nickerson waren und in seinem Heuschuppen gespielt haben?“
Jedes weitere Wort wäre verschwendete Zeit gewesen, denn Emilia wusste sofort, was Elicius ihr damit sagen wollte. Damals hatten Elicius, ihre Mutter und sie wieder einmal kurzzeitig in England gelebt, weil ihr Vater ihnen eine kleine, halbzerfallene Hütte zur Verfügung gestellt hatte, die er in der Vergangenheit als Ferienhaus genutzt hatte. Der einstige Prunk des Hauses war jedoch längst Geschichte gewesen, so abgesplittert wie der Putz und so zersprungen wie seine Fenster - dennoch hatte Vigdis Eliassen es nur allzu gerne bezogen, wohl in der Hoffnung, bei dieser Gelegenheit den Vater ihrer Kinder von nun an öfters zu sehen zu können. Emilia und Elicius hatten sich nicht viel darum geschert und statt ihre Zeit in dem alten Haus totzuschlagen und abzuwarten, ob die Beziehung ihrer Eltern wieder neuen Schwung bekam, hatten sie sich meist draußen die Zeit vertrieben. Es war eine ländliche Gegend im Süden Englands gewesen, kaum besiedelt und rückständig und der einzige Nachbar in erreichbarer Nähe war der alte, grässliche Mr. Nickerson, der einen hübschen Bauernhof besaß. Oftmals, wenn Mr. Nickerson ausgegangen war, um sich im Dorf die Zeit bei ein paar Bieren zu vertreiben, hatten sich Emilia und Elicius zu seinem Hof geschlichen, um dort zu spielen. Doch desto besser sie den Ort kennen gelernt hatten, umso mehr hatte sie das Gefühl beschlichen, dass etwas mit Mr. Nickerson und seinem Stück Land nicht zu stimmen schien. So schön der Hof äußerlich auch gewesen sein mochte, Emilia hatte sich oft dabei erwischt, sich dennoch unwohl und irgendwie belastet zu fühlen, teilweise sogar fast verängstigt. Die Art von Angst, die sie in ihrem Leben oft gespürt hatte, wenn sie völlig alleine durch tintenschwarzes und ihr unbekanntes Gewässer geschwommen war, oder die Art von Angst, die scharrende, fingerähnliche Zweige verursachen können, wenn sie des Nachts an den Fensterscheiben kratzen und ein Kind aus dem Schlaf schrecken ließen.
Und die Angst vor Mr. Nickersons Hof war begründet gewesen: Kurz bevor Vigdis Eliassen, Elicius und Emilia zurück nach Norwegen gekehrt waren, hatten sie dabei zugesehen, wie Mr. Nickerson von der Muggelpolizei verhaftet und abgeführt worden war. Man hatte in seinem Garten die verscharrte Leiche seiner Ehefrau entdeckt.
„Ich weiß nicht, ob es so klug ist, den Wald und Mr. Nickersons Hof miteinander zu vergleichen“, wies Emilia ihren Bruder zurecht. „Dieser Wald … nun … er ist so finster, dass es kein Wunder ist, wenn man dabei ein schlechtes Gefühl bekommt. Nickersons Hof war schön und grün und voller dicker Tiere und wenn man an einem solchen Ort ein schlechtes Gefühl bekommt, kann es eigentlich nur begründet sein.“
„Vielleicht hast du Recht, Emilia. Aber denk mal daran, was Madam Sprout gesagt hat: Dass hier schon mehr als genug Menschen verschwunden sind. Ich glaube kaum, dass sie sich einfach verlaufen haben und dann verhungert sind.“
Emilia schnaubte halb belustigt, halb verärgert. „Denk am Besten gar nicht mehr darüber nach. Du machst dir nur selbst Panik.“ Dennoch. Irgendwie hatte er ihren geheimen Gedanken ausgesprochen: Durch das allgegenwärtige Schweigen des Waldes hindurch konnte man es deutlich spüren, diese Art von lauernder Präsenz, die hinter jedem Baum, jedem Farn und jedem Stein zu liegen schien.
Wo es wartete.
Wo es atmete.
Und wo es vielleicht sogar suchend umherstreifte.
Diejenigen Schüler, die das Schlusslicht der Gruppe bildeten, schrieen auf einmal auf und Emilia wurde augenblicklich aus ihren finsteren Gedanken gerissen. Die Ravenclaw Rubeta Cox, die hinter ihr gelaufen war, stob aufgeschreckt vorwärts und prallte dabei gegen Emilias Rücken. Beide Mädchen taumelten gen Boden, doch Elicius griff sie gerade rechtzeitig bei den Schultern.
„Was war das?!“, kreischte jemand.
„Da war irgendwas hinter uns!“
„Es hat geknurrt!“
„Ruhig Kinder!“, mischte sich Professor Kesselbrands raue Stimme unter das verängstigte Flüstern und die vereinzelten Aufschreie. Er war ganz am Ende der Gruppe gegangen, wohl um Trödler davor zu bewahren, den Anschluss an die übrigen Exkursionsteilnehmer zu verlieren. Er war auch der einzige, dem die Angst nicht ins Gesicht geschrieben war. Im Gegenteil: Die Furcht der Schüler schien ihn zu amüsieren.
Der Grund für die Gelassenheit des Professors hockte gut erkennbar und mit blitzenden Augen im Unterholz. Es war ein kleines Geschöpf mit wild gesträubtem Fell und einem Löwenschwanz, der unentwegt hin und herzuckte, wie der Schwanz einer aufgeregten Katze. Nebenbei hatte das Wesen ohnehin sehr viel Ähnlichkeit mit einer Katze und hätte es die Schüler nicht ausgerechnet während einer bedrückenden Waldwanderung im Halbdunkeln aufgeschreckt, hätte es wohl keine Person auf Erden je in Angst und Schrecken versetzen können.
„Hier haben wir es lediglich mit einem wildlebenden Exemplar eines Kniesels zu tun“, erklärte Professor Kesselbrand und richtete dabei das Licht seines Zauberstabes auf das Tier. Der Kniesel fauchte.
„Es ist wahrscheinlich noch recht jung, denke ich“, fügte der Professor bei genauerer Betrachtung hinzu. „Seine Mutter dürfte irgendwo in der Nähe sein.“
„Können Kniesel denn in diesem Wald überleben?“, wollte Victoria Knight wissen. „Schließlich soll es hier Werwölfe und so geben.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, Ms. Knight. Kniesel haben untrügerische Instinkte und wie alle Katzenartigen sind sie äußerst anpassungsfähig. Sie dürften weit besser in diesem Wald zurechtkommen, als manch anderes Geschöpf.“
„Aber sie sind doch sicher viel kleiner als andere Raubtiere.“ Victoria schien sich ernsthafte Sorgen um das nicht einmal katzengroße Geschöpf mit dem getigerten Fell zu machen. Ihr Vielfraß Rudolph, den sie noch immer zusammen mit William an der Leine hielt, schien das wenig zu interessieren. Er beäugte den jungen Kniesel mit garstigem Blick.
„Größe, Ms. Knight, ist nicht immer ein Vorteil“, beruhigte Kesselbrand sie. „Im Gegenteil. Wahrscheinlich sorgt es in diesem Wald für bessere Überlebenschancen, wenn man in der Lage ist, schnell einen Stamm hinaufzuklettern oder sich im Unterholz oder zwischen den Baumwurzeln verstecken kann. Nun sollten wir uns jedoch besser abwenden, Kinder. Mit Knieselmüttern ist nicht zu spaßen.“
Wie es ihnen geraten wurde, wandten sie sich langsam ab - alle außer Victoria Knight. Emilia beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sie ihrem Freund William Rudolphs Leine mit den Worten „Halt mal eben kurz“ in die Hand drückte. Von Professor Kesselbrand ungesehen, huschte sie in geduckter Haltung zu dem jungen Kniesel und hockte sich in einem Meter Entfernung auf den Erdboden, wohl in der Absicht, das junge Tier streicheln zu wollen.
Emilia blieb stehen und wandte sich zu Victoria um, denn sie ahnte, dass es eine dumme Idee sein würde, ein Wildtier streicheln zu wollen, dessen Mutter sich wahrscheinlich noch in nächster Nähe aufhielt.
Auch William Barkley teilte offenbar diese Meinung. Den aufgeregten Vielfraß fest im Griff, war auch er stehen geblieben. „Victoria, lass das!“, zischte er. „Du bringst dich nur in Schwierigkeiten.“
Victoria jedoch hörte nicht auf ihn und Emilia bezweifelte, dass sie im Angesicht dieses niedlichen Pelztieres überhaupt noch auf irgendwen gehört hätte. Die Verlockung, über dieses so weich aussehende Fell des Jungtieres zu streichen, schien einfach viel zu groß für ein kleines Mädchen. Sie streckte ihre Hand aus und ihre Finger nährten sich langsam dem Kniesel, welches - nun offenbar ebenfalls neugierig geworden - die Gelegenheit ergriff, das Fauchen einstellte und kurz an der Haut der Schülerin schnupperte.
„Ich habe mal gelesen, dass Kniesel einen Menschen immer durchschauen können“, meldete sich Elicius leise flüsternd zu Wort, der wie Emilia stehen geblieben war, „Kniesel brauchen nur einen Blick, um festzustellen, ob ihnen ein Mensch böses will oder nicht. In diesem Fall scheint der Kniesel zu wissen, dass Victoria es gut mit ihm meint.“
Daraufhin schnaubte William unbeeindruckt: „Natürlich ist sie ihm wohlgesinnt“, sagte er und hielt dabei wie zum Beweis die Leine hoch, an der der nun knurrende und geifernde Vielfraß angebunden war. „Niemand außer einem wahren Tierfreund würde sich sonst einen Vielfraß ins Haus holen.“
„Da hast du allerdings recht“, murmelte Emilia düster, den argwöhnischen Blick auf Rudolph gerichtet, der mit seinen langen Krallen unruhig und ganz offensichtlich eifersüchtig im Waldboden scharrte.
Inzwischen hatten Professor Kesselbrand und Madam Sprout bemerkt, dass einige ihrer Schützlinge der übrigen Gruppe nicht weiter gefolgt waren. „Hey, ihr dort!“, rief ihnen Kesselbrand zu. Obwohl er keine fünfzehn Meter von Emilia entfernt war, konnte sie inmitten des Dickichts kaum mehr von ihm erkennen, als das gleißende Licht seines Zauberstabes und ein paar Schemen.
„Ms. Knight, was tun Sie dort? Streicheln Sie etwa doch den Kniesel?“
Augenblicklich sprang Victoria auf, klopfte sich Erde und Laub von den Knien und antwortete mit strahlendem Lächeln. „Oh nein, Sir! Ich war gerade dabei, mir die Schuhe zuzubinden!“
Entweder Professor Kesselbrand ahnte, dass Victoria überhaupt keine Schuhe zum Binden trug, oder er war von Natur aus misstrauisch, denn schon stapfte er durch das Unterholz auf sie zu. Als er sich vor dem Mädchen aufbaute, wirkte Victoria trotz ihrer wilden und struppigen Mähne in seinem Schatten kaum größer als der Kniesel, den sie so eben noch gestreichelt hatte.
„Unerhört, Ms. Knight!“, bellte er. „Ich nahm an, Professor Sprout und Ich hätten euch genug über die Gefahren des Waldes aufgeklärt. Wie kommt es, dass Sie und Ihre drei Freunde dennoch zurückfallen?!“ Und er langte vorwärts und griff das Mädchen bestimmet am Oberarm.
Was dann geschah, sollte entscheidend für das Schicksal vieler sein. Gut, es mochte nicht direkt an der wütenden Knieselmutter liegen, die in diesem Moment aus dem Gebüsch sprang, um ihr Junges zu verteidigen und sich mit ausgefahrenen Krallen und blitzenden Fängen auf Professor Kesselbrand stürzte - nein, es war nicht die Schuld dieses Wildtieres, dass Emilias Leben und das Leben so mancher ihrer Mitmenschen in diesem Moment aus der Bahn werfen sollte.
Doch in der Tat löste der tapfere Angriff der Knieselmutter eine Verkettung von Ereignissen und falschen Entscheidungen aus, die Emilias Dasein in größeren und kleineren Belangen bis an ihr Lebensende beeinflussen würden.
In diesem ersten, schrecklichen Moment, als das Geschöpf wutentbrannt anstürmte, war es zuallererst nämlich einzig Professor Kesselbrands Schicksal, das hier schlagartig eine Wendung vollzog. Wie ein getigerter Blitz sprang der Kniesel auf ihn zu, verbiss sich in Professor Kesselbrands Hand und verschwand fast im gleichen Moment wieder, diesmal mitsamt des Jungtieres.
Professor Kesselbrand schrie auf. Es war kein Schrei, der von Schock oder Entsetzen zeugte, sondern der laute Schrei eines Menschen, der zu versuchen schien, sich seine grauenhaften Schmerzen aus dem Leib zu brüllen.
Zu Recht.
Blut floss in Strömen aus seiner Hand.
Und dort, wo einst de kleine, linke Finger gesessen hatte, war ihm nicht mehr als ein blutiger, knochiger Stummel geblieben.
Es war Vielfraß Rudolph, der am Schnellsten von allen reagierte. Völlig desinteressiert an dem Hier und Jetzt, hatte er seine Marderäuglein auf die Stelle gerichtet, wo die beiden Kniesel verschwunden waren, und weil er nun mal zu einer Gattung äußerst gewitzter Raubtiere gehörte, nutzte er es natürlich schamlos aus, dass William für einen Moment abgelenkt war. Wie alle anderen hatte William den Blick auf den verletzten Professor neben sich gerichtet und schien sich dabei der Leine, die er noch immer in der Hand hielt, nicht mehr ganz bewusst. Rudolph schien das zu ahnen und er brauchte kaum Kraftaufwand, um sich von dem Jungen loszureißen und - den Knieseln hinterher - in das Gebüsch zu huschen.
„Professor Kesselbrand!“ Madam Sprout kam auf ihren kurzen, stämmigen Beinen und voller Eile durch das Dickicht gewankt, den Rest der Schüler dicht hinter sich. Als sie die Verletzung ihres Kollegen sah, zückte sie sofort ein geblümtes Taschentuch aus ihrer Robe und drückte es auf das, was von Professor Kesselbrands kleinem Finger übrig geblieben war.
„Um Himmels Willen, was ist denn nur geschehen?!“, rief sie gellend.
„Die Knieselmutter hat mich angegriffen, verdammt!“, fluchte er und schien kurz davor, die Frau einfach wegzustoßen, die mit aller Kraft versuchte, die Blutung zu stillen, indem sie das Taschentuch auf den Stummel presste.
Victoria, die von Kesselbrand inzwischen losgelassen worden war, litt unter anderen Sorgen. Völlig blass im Gesicht verlor sie keine Zeit, ihrem Haustier hinterherzuhetzen und war bereits verschwunden, ehe William sie packen und zurückhalten konnte.
„Wo will sie hin?!“, erschrak Elicius. „Sie wird doch wohl nicht -?!“
„Doch, will sie!“, entgegnete William aufgebracht. Auch er war blass geworden und seine sonst so unbewegte Miene war aufgewühlt und kaum mehr wieder zu erkennen. In all seiner Sorge und trotz seiner Blässe sah er plötzlich nicht mehr wie eine reglose Schaufensterpuppe aus, sondern wirkte so lebendig wie jeder andere elfjährige Junge auch. „Rudolph ist weggelaufen und sie ist ihm hinterher!“
„Der Vielfraß ist weg?!“ Auf einmal ertönte hinter ihnen eine wohlbekannte, leicht quakende Stimme. Emilia, Elicius und William wandten sich um und entdeckten Rubeta und Arachne Cox hinter sich. Die Zwillingsschwestern wirkten aufgeschreckt und hielten sich gegenseitig die Hand fast umklammert.
„Rudolph ist weg?“, wiederholte Rubeta ihre Frage.
Emilia nickte. „Der ist den Knieseln hinterhergelaufen“, sagte sie und ertappte sich dabei, dass ihre Stimme trotz all des Chaos und der Dunkelheit um sie herum noch immer vollkommen gleichmütig klang. Hätte sie an einem strahlenden Sommertag einem Eisverkäufer ihre Bestellung genannt, ihre Stimme hätte wahrscheinlich genauso geklungen.
Ruhig.
Gelassen.
Gänzlich emotionslos.
„Ich werde ihr folgen!“, rief William. „Sie kann noch nicht weit sein. Und wahrscheinlich sind wir wieder da, ehe die Professoren bemerken, dass wir überhaupt weg waren.“
„Wir kommen mit!“, bestimmte Rubeta sogleich und nickte Arachne zu, die jedoch gehemmt wirkte.
„Ich weiß nicht, Rubeta“, murmelte sie. „Muss das sein? Du hast doch gehört, was in diesem Wald schon so alles passiert ist.“
„Vicky hat ihr Haustier in dem Wald verloren. Und du weißt, was wir uns geschworen haben, Arachne! Wir helfen jedem Tier und jedem Tierfreund!“
„Aber das hier ist was anderes …“
„Stell dir vor, dein Haustier wäre verschwunden, Arachne!“
Rubetas Überzeugungsversuche hätten sich wahrscheinlich noch eine Weile hingezogen, hätte Elicius ihr nicht mit einmal das Wort abgeschnitten.
„Lass deine Schwester hier, wenn sie nicht möchte“, sagte er bestimmt. „Rubeta, du kommst mit William und mir. Zusammen werden wir Victoria und ihren Vielfraß schon finden.“ Dann wandte er sich mit fragendem Ausdruck im Gesicht an Emilia.
„Was ist mit dir? Du kommst doch sicherlich mit, oder?“
„Vergiss es“, antwortete sie ohne zu zögern und bedeutend härter, als sie es beabsichtigt hatte. „Ich laufe keinem entflohenen Vielfraß hinterher.“
Elicius schien wie vor den Kopf geschlagen. „Was redest du da?“, fragte er. „Du wirst uns nicht helfen?!“
Unbekümmert zuckte sie mit den Schultern. Nach Emilias Meinung würden Tier- und Tierhalterin irgendwann von alleine auftauchen und daher empfand sie eine Suchaktion - die dazu auch noch von den Professoren hart bestraft werden würde - als völlig unnötige Zeitverschwendung.
„Emil“, Elicius fasste sie an den Schultern und zischte aus nächster Nähe: „Du enttäuscht mich!“
„Du solltest dich langsam daran gewöhnt haben!“, entgegnete sie. „Es ist albern, Victoria zu helfen. Sie wird alleine klarkommen.“
Emilia war ihr gesamtes Leben lang auf sich gestellt gewesen und hatte bisher dennoch jede Schwierigkeit meistern können. Und sie ging davon aus, dass man von einem Mädchen, das nur wenig jünger war als sie selbst, erwarten konnte, dass sie eigenständig aus einem Wald herausfinden würde. Und falls nicht, dann hatte Victoria immer noch ihren Vielfraß Rudolph zur Hand, der spätestens dann zum Schloss zurücktrotten würde, wenn er Hunger bekam - was sicherlich nicht allzu lange auf sich warten lassen würde.
Also kehrte Emilia, ohne es in irgendeiner Weise böswillig zu meinen, ihrem Bruder den Rücken zu. „Ihr werdet euch eine Menge Ärger einhandeln, wenn ihr erwischt werdet“, erinnerte sie die kleine, dreiköpfige Suchmannschaft noch einmal. „Ich werde mir etwas einfallen lassen, falls Professor Sprout anfängt, sich zu wundern, aber ich kann nichts versprechen. Besser wäre es, wenn ihr euch beeilt.“

Fortsetzung folgt…


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