von Dr. S
Einen Moment lang hatte Louis Angst. Die Schwärze um ihn herum war so allumfassend und nahm beständig an Substanz zu, sodass die Luft aus seinen Lungen gedrückt wurde. Aber die Angst selbst nie wieder einen Funken Licht zu sehen, war nicht so groß, wie die Furcht, dass James dasselbe passiert sein könnte, und dass dann niemand mehr da sein würde, um Scorpius zu helfen. Genau das jagte Louis eine unerträgliche Angst ein, die ihn die Augen vor der Finsternis verschließen ließ.
Einen Moment lang hatte er noch das Gefühl zu fallen, dann wurde er wohl endgültig verschluckt. Aber wenn der Tod sich so anfühlte, dann brachte er nichts von all der Erlösung, die er sich immer vorgestellt hatte. Da war nur noch mehr Angst.
Und dann der vertraute Tanz rötlicher Lichtpunkte vor seinen geschlossenen Augen. Licht. Von irgendwoher schien also Licht zu kommen und Louis erwartete fast das Ende des berühmten Tunnels zu erblicken, als er die Lider langsam aufschlug.
Aber da war nirgendwo ein Tunnel. Er schaute direkt aus einem Fenster, die Ellenbogen auf einem Schreibtisch verknotet, den er anscheinend als Kissen benutzt hatte. Louis schaute voller Verwirrung aus dem Fenster, und irgendwie kam die Umgebung ihn bekannt vor, aber dann konnte er die weiten Wiesen und Flecken mit gepflegten Blumenbeeten doch nicht einordnen.
Sein Blick wanderte über den Schreibtisch und hätte er nicht aus dem Fenster geschaut, dann hätte er geglaubt in seinem Zimmer in Shell Cottage zu sein. Der Schreibtisch selbst gehörte ihm definitiv nicht, weil er viel zu teuer aussah und kein wackeliges Stuhlbein hatte, das immer versuchte abzuhauen, seit er einmal den falschen Zauber darauf angewandt hatte. Aber die Sachen waren seine.
Seine Schulbücher mit seinen Notizen und der einzige Unterschied war, dass sie noch nicht aus dem Leim gingen. Er entdeckte sogar den letzten Aufsatz, den er für Verteidigung gegen die dunklen Künste geschrieben hatte. Dieselbe Schrift, derselbe Wortlaut und dasselbe Ohnegleichen, aber auch mit seinen Sachen war das hier definitiv nicht sein Zimmer.
Louis drehte den Kopf langsam nach rechts und starrte voller Ehrfurcht auf die Wand neben dem Schreibtisch, an der sich mehrere Bücherregale reihten. Das schöne war nur, dass seine Sachen sich hier nicht in ein einziges in der Ecke quetschen mussten, sondern ordentlich aufgereiht nebeneinander standen und ab und an sogar noch Platz für irgendeinen blödsinnigen Dekokram ließen.
Louis stand wie hypnotisiert auf und schritt hastig auf die Regale zu, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin Paradies“, murmelte er und ließ den Finger über die ledernen Einbände seiner geliebten achtzehnbändigen Reihe der Zauberergeschichte fahren.
„Schön, dass du das anscheinend doch zu schätzen weißt.“ Die kalte Stimme von hinten ließ Louis erstarren. Das hier musste das Paradies sein. Oder doch das komplette Gegenteil, weil er das Paradies nicht verdient hatte. Aber tot war er auf jeden Fall, sonst würde er diese Stimme nicht hören können.
„Draco?“ Sein Herz schlug hart und dumpf gegen seine Brust, als Louis sich langsam umdrehte. Das Zimmer war riesig und er musste sich beherrschen die Augen auf den Mann, der es hastig durchschritt, zu richten, anstatt sich umzuschauen.
Draco sah zwar überhaupt nicht nach Wiedersehensfreude aus, aber Louis überwand sein Erstaunen schnell und warf sich dem anderen Mann um den Hals, riss ihn so fast auf den Boden. Es fühlte sich so echt an, dass es schwer war sich wirklich an den Gedanken zu gewöhnen, tot zu sein.
„Was… soll das denn?“ Draco tätschelte ihm relativ unbeholfen den Rücken, machte aber keine Anstalten ihn wegzudrücken, so wie Louis es von ihm erwartet hätte.
„Ich freu mich einfach dich zu sehen“, sagte Louis und ließ mit einem Lächeln von Draco ab, der ihn anstarrte, als hätte er den Verstand verloren. „Du siehst gut aus.“ Das tat er wirklich. Draco schien gesünder, seine Hautfarbe nicht mehr diese Leichenblässe, und auch wenn da ein paar mehr Lachfältchen um seine Augen waren wirkte er irgendwie jünger. Louis fragte sich, ob er vielleicht auch noch besser aussehen konnte, da er jetzt ja tot war.
„Danke“, sagte Draco extrem steif und musterte Louis mit gerunzelter Stirn. „Hast du Fieber?“ Er streckte die Hand aus, aber Louis wich zurück.
„Fieber? Sowas sollte eigentlich nicht erlaubt sein…“ Louis versuchte noch einmal den Kopf zur Seite zu drehen, aber Draco presste ihm kurzerhand den Handrücken gegen die Stirn. Tatsächlich war seine Haut ungewöhnlich kühl gegen Louis‘. „Kann man hier krank werden?“
„Scheint alles in Ordnung zu sein.“ Draco ignorierte ihn einfach und schüttelte seine Hand aus. Seine bloße Hand. Keine Handschuhe, die er sonst ununterbrochen getragen zu haben schien. Mit einem Seufzen verschränkte er die Arme vor der Brust. „Louis, wenn du versuchst dich zu drücken, dann erwarte ich eigentlich, dass du das besser hinbekommt. Taffy hat dir vor einer halben Stunden gesagt, dass du runterkommen sollst.“
Jetzt starrte Louis Draco an, als hätte der den Verstand verloren. Vielleicht wusste er ja nicht, dass sie tot waren. Dann musste er ihm das irgendwie deutlich machen.
„Dein Vater müsste jeden Augenblick kommen. Ich möchte, dass du jetzt sofort –“
„Papa ist auch tot?!“, platzte es aus Louis heraus und jetzt verlor Draco tatsächlich das bisschen Farbe in seinem Gesicht. Einen Moment lang blieb es still. Dann lachte Draco auf.
„Okay, Schluss mit den Spielchen“, sagte Draco kopfschüttelnd, aber amüsiert. „Du ziehst dir jetzt bitte etwas Vernünftiges an und dann kommst du runter.“ Er machte eine verscheuchende Bewegung in Louis‘ Richtung und drehte sich um, verließ das Zimmer, während Louis zu verstehen versuchte.
Er verstand nicht. Und das gefiel ihm absolut nicht.
Louis schaute an sich herunter. Er trug eine extrem hässliche, karierte Pyjamahose und sonst nichts. Aber er konnte auch einen Kartoffelsack tragen und sah immer noch gut aus. Nur dem Ambiente des Zimmers nach schien er keinen Kartoffelsack nötig zu haben. Das große Bett mit den vielen Decken und Kissen erinnerte ihn verdächtig an…
„Scorpius‘ Zimmer?“ Es sah jedenfalls vom Schnitt her genauso aus. Da war ebenfalls eine Tür zu einem Badezimmer und er vermutete stark, dass die gegenüberliegende Wand eine Sammlung an Kartoffelsäcken zum Überziehen versteckte.
Louis drehte sich auf der Suche nach seinem Zauberstab zurück zum Schreibtisch. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er ein kleineres Buch scheinbar ebenfalls als Kopfkissen benutzt hatte. Ein sehr bekanntes Büchlein. Eines, das in dieselbe Leere wie er gefallen war. Louis starrte gebannt auf das Tagebuch mit dem Loch im schwarzen Einband.
War das hier hinter dem Nichts? Aber was war das hier dann? Und hatte er eine Chance hier wieder wegzukommen?
Louis berührte das Tagebuch nicht und griff seinen Zauberstab, der direkt daneben lag. Mit einem Schnips öffnete er den Kleiderschrank und versuchte sich von der Fülle ebenfalls sehr teuer aussehender Klamotten nicht beeindrucken zu lassen. Er schnappte sich eine einfache Jeans und ein weißes Hemd und verließ schließlich ohne Umhang das Zimmer.
Er brauchte eine Weile um sich zu orientieren. Den Weg von Scorpius‘ Zimmer aus in die Eingangshalle hätte er sofort gefunden, aber das hier lag scheinbar ganz woanders. Glücklicherweise lief er einem Hauselfen in die Arme, der ihn tatsächlich mit „Master Louis“ anredete und in die Eingangshalle führte.
Vor den Eingangstüren ging Draco nervös auf und ab, knetete entweder seine Hände oder strich sich die Roben unnötig glatt. Auf der marmornen Treppe wartete die nächste Überraschung auf Louis.
„Nicci?“ Er musste den Namen seiner Schwester so leise gesagt haben, dass sie ihn nicht gehört hatte, denn sie drehte sich nicht um. Äußerst deprimiert wirkend saß sie auf der Treppe und trug diese grässlich schwarzen Sachen, die Louis so gehasst und gar nicht vermisst hatte. Als Louis die Stufen herunterschritt schaute Dominique ausdruckslos über die Schulter und wandte sich wieder ab um zwischen den Stäben des Geländers durchzuschauen.
Also, das hier war definitiv nicht das Paradies, wenn seine Schwester wieder depressiv Löcher in die Luft starrte.
„Draco?“ Louis wusste nicht, ob er sich diesem Nervenbündel an der Tür wirklich nähern sollte, aber er wusste sich nicht anders zu helfen. „Kannst du mir mal sagen, was –“
„Ich würde das an deiner Stelle lieber lassen.“
Louis war unglaublich froh diese Stimme zu hören, aber andererseits… wollte er sie hier hören? Zögerlich drehte er sich um und schaute in den Salon. Gegen den Türrahmen gelehnt schenkte Scorpius ihm ein kleines Winken und bedeutete ihm dann näherzukommen. Und Louis folgte sofort, weil Scorpius einfach genau aussah wie Scorpius.
Sein niedliches Lächeln, die großen grauen Augen und sogar seine Kleidung schien exakt dieselbe zu sein. Von der Haarspitze bis zum Zeh war das hier sein Scorpius und Louis hatte große Probleme ihm nicht sofort um den Hals zu fallen, aber so wie Draco ihn angesehen hatte, ließ er das wohl lieber bleiben.
„Was ist denn los mit ihm?“, fragte Louis vorsichtig, als er sich zu Scorpius gesellt hatte und mit ihm zusammen Draco beobachtete.
Scorpius schaute ihn trotzdem skeptisch an. „Hast du vergessen, dass Bill heute aus Kairo wiederkommt? Vater ist nervös.“ So wie Scorpius ihm zuzwinkerte bezweifelte Louis doch wieder, dass das sein kleines Dummerchen war. „Wie ein frischverliebtes Schulmädchen. Zu goldig, nicht wahr?“
„Ähm…“ Louis konnte ja schlecht fragen, was bei Merlins meterlangem Bart hier los war, ohne wieder verrückt angesehen zu werden, aber wie sollte er das dann herausfinden? „Jaah, zu goldig. Ich meine… wie lange haben sie sich nicht gesehen?“
Scorpius gluckste vergnügt, die Augen auf seinen Vater gerichtet. „Na ja, drei Monate ist schon hart für sie. Erst muss Vater nach New York für einen Monat und dann dieser Fall in Ägypten… Ich bin nur froh, dass sie nicht so einen Aufstand machen, wenn wir nach Hogwarts gehen.“
Louis nickte einfach mal, als Scorpius mit den Augen rollte. „Gut… Dominique ist ja auch noch da.“
Scorpius lachte erneut auf, verwandelte das aber in ein Räuspern, als Louis keine wirkliche Reaktion darauf zeigte – konnte er ja auch nicht, wenn er nicht wusste, ob er etwas wirklich lustiges gesagt hatte oder ausgelacht wurde. „Jaah, es würde mich auch freuen, den ganzen Tag mit einem depressiven Wrack zu verbringen, das entweder davon redet, wie scheiße alles ist, oder auf die nächstbeste Gelegenheit wartet sich die Pulsadern aufzuschlitzen.“ Er grinste Louis an, fast so, als hätten sie sich einmal zusammen darüber amüsiert, aber niemals würde er so über seine Schwester reden, also schenkte er Scorpius einen bösen Blick. Und anstatt rot zu werden und sich hastig zu entschuldigen, verdrehte Scorpius erneut die Augen.
„Nicht gut drauf heute, Louis?“ Scorpius musterte ihn mit einem verschmitzten Lächeln, das sein Gesicht unglaubliche Ähnlichkeit zu seinem Vater haben ließ und dafür überhaupt keine mehr zu dem Jungen, den Louis so liebgewonnen hatte. „Anstrengende Nacht gehabt?“ Der Blick aus den grauen Augen wurde so anzüglich, dass Louis sich gezwungen sah wegzuschauen, bevor er sich in irgendetwas hineinritt, aus dem er hier sicherlich nicht so einfach wieder herauskommen würde.
„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Wenigstens musste er dabei nicht lügen.
Scorpius stieß sich von dem Türrahmen ab und lehnte sich stattdessen gegen Louis‘ Seite, legte ihm eine Hand auf den Rücken, um sich zu seinem Ohr zu ziehen. Er war immer noch gut einen Kopf kleiner als Louis, aber das hier war nicht sein Scorpius. Was immer das hier für eine merkwürdige Halluzination war, sie hätte ihm mit seinem Dummerchen besser gefallen.
„Du musst mir demnächst mal erzählen, wie weit du bist“, wisperte Scorpius rau in Louis‘ Ohr und ließ von ihm ab, begegnete dem fragenden Blick mit diesem fremden Lächeln. Louis konnte die Bewegungen der Hand auf seinem Rücken deuten. Nur weil ihm hier alles fremd war, verließ ihn nicht gleich seine Menschenkenntnis. Scorpius mochte ihn, fand ihn zumindest attraktiv, so wie er die Finger über seine Wirbelsäule nach unten fahren ließ. Louis fragte sich, was Scorpius wohl mit seinen Fingern getan hätte, wenn sie nicht unterbrochen worden wären.
„Verflucht, Louis!“ Draco rauschte zu ihm und schnappte sich den losen Hemdsaum. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dir etwas Vernünftiges anziehen? Findest du diesen Muggelaufzug vernünftig? Kannst du dir nicht wenigstens das Hemd in die Hose stecken?“
„Sorry…“ Louis machte sich unter Dracos ärgerlichem Blick und Scorpius‘ Schmunzeln daran sein Hemd in die Hose zu stopfen. „Wie lange müssen wir denn noch warten?“
„Wenn du deinen Vater nicht vermisst hast, dann kannst du dich auch gleich betrinken, verbotene Zaubertränke in dich hineinschütten und eine Orgie feiern gehen“, ratterte Draco eiskalt herunter und wirbelte herum, schritt erhobenen Hauptes auf die Tür zu.
Louis hob eine Augenbraue.
Scorpius kicherte und dabei klang er ganz wie der alte Scorpius. „Scheint, dass er das neulich mitgekriegt hat.“
Louis schaute zu Scorpius. „Zwischen uns?“
Diesmal nur schmunzelnd schüttelte Scorpius den Kopf und setzte sich in Bewegung, als Geräusch hinter der Tür erklungen. „Das hättest du wohl gerne, Brüderchen.“
Nachdenklich legte Louis die Stirn in Falten. Brüderchen… und sie lebten scheinbar unter einem Dach, also schien hier irgendetwas vollkommen anders abgelaufen zu sein. Einen Moment lang hegte er den Verdacht, einfach in ein Alternativuniversum gerutscht zu sein, in dem Draco nie gestorben war, aber das würde erstens nicht passen und zweitens schien ihm das doch sehr absurd. Das würde ja heißen, Scorpius hätte jahrelang Müll in ein Alternativuniversum geworfen und nicht wie angenommen in ein Nichts.
Das Knarren der Tür schreckte Louis aus seinen Gedanken. Er erwartete seinen Vater zu sehen, aber der Mann, der den Kopf durch die Tür steckte und erwartungsvoll grinste, hatte kaum Ähnlichkeit mit dem Bill Weasley, den Louis kannte. Braungebrannt, sodass kaum noch Sommersprossen zu sehen waren, und muskelbepackt wirkte er rund zehn Jahre jünger, und er hatte sowieso dank der Narben in seinem Gesicht und der feuerroten Haare nie besonders alt ausgesehen, aber dass jetzt ein langer Pferdeschwanz über die Schulter seines Vaters hing verstörte Louis doch ziemlich. Für ihn sah das fast wie Harrys Midlife-Crisis aus.
„Na?“ Bill ließ eine Tasche auf den Boden fallen und streckte die Arme aus, weil Scorpius wenigstens noch sein Schmusebedürfnis behalten hatte. Freudestrahlend warf er sich gegen den Mann, den Louis in seinem ganzen Leben selten so glücklich gesehen hatte. Bills blaue Augen funkelten und glitzerten, besonders, als er den Blick auf Draco richtete, während er Scorpius‘ Kopf tätschelte. An seinem Ringfinger glitzerte pures Gold und als Draco die Hand hob, um zu winken, bemerkte Louis dort das gleiche Glitzern.
Oh, nein… Er war im Happy End gelandet. Und es gefiel ihm gar nicht…
„Da hat mich zumindest einer vermisst, was?“, sagte Bill zu Scorpius, der heftig nickte. „Ich hab dir dein Geburtstagsgeschenk aus Ägypten mitgebracht. Wollt ich dir persönlich geben. Nachher, okay?“
Scorpius nickte wieder und machte Platz, damit Bill Dominique in den Arm nehmen konnte, die sich wie ein Inferius an ihm herangeschlichen hatte und die Umarmung auch nicht erwiderte. Bill streichelte ihr über die Wange und flüsterte etwas, das Louis nicht verstand.
Während ein Hauself mit Bills Reisetasche davonwuselte, bekam Draco endlich die Aufmerksamkeit, auf die er die ganze Zeit innerlich gewartet hatte. Bill schlang ihm den Arm um die Hüfte und zog ihn erst einmal in einen kurzen Kuss, murmelte dann grinsend sein „Hab dich vermisst“, bevor er noch einen Kuss gegen lächelnde Lippen drückte.
Louis entschied sich einfach mal einen Schritt auf diese fast perfekte Idylle zuzugehen. Bill wandte sich auch ihm lächelnd zu, hielt aber Dracos Hand fest umklammert und zog Louis nur mit einem Arm kurz an sich.
„Du siehst auch jedes Mal besser aus, wenn wir uns wiedersehen“, sagte er stolz. Scorpius schien sich das Grinsen verkneifen zu wollen, aber nicht mal Dominique schaffte das wirklich, als Louis rosa anlief.
„Das hat er von seiner Mutter, William. Wäre ich nicht allzu stolz drauf“, raunte Draco, aber da war keine Spur Eifersucht in seiner Stimme, was Louis doch arg erstaunte.
„Autsch…“ Bill kniff die Augen zusammen. „Seitenhieb. Und dabei bin ich grad fünf Minuten wieder hier.“
„Mich hat dein Sohn heute übrigens enthusiastischer begrüßt“, fügte Draco hinzu.
Bill verzog das Gesicht. „Und der Zweite folgt sogleich. Ach, wie hab ich das vermisst.“
„Vater war ganz aufgeregt, Bill“, mischte Scorpius sich ein und schien sich wunderbar über den mahnenden Blick seines Vaters zu amüsieren. „Er macht uns seit Tagen ganz kirre, damit dass du wieder nach Hause kommst.“
„Scorpius.“ Mit rosafarbenen Flecken auf den Wangen schüttelte Draco den Kopf und nickte dann in Richtung Salon. „Es ist so schönes Wetter. Ich dachte, dass wir draußen essen könnten.“
„Merkwürdig genug, dass es nicht regnet. Sollten wir ausnutzen“, sagte Bill, während er sich von Draco schon durch das Haus ziehen ließ. Louis beobachtete das mit gemischten Gefühlen. War das hier alles wirklich echt? Vielleicht sollte er einfach mit der Sprache rausrücken, dass er irgendwie nicht der Louis war, für den ihn alle hielten. Aber dann steckte man ihn höchstwahrscheinlich ins Irrenhaus…
„Louis?“ Scorpius berührte ihn am Arm, zaghaft wie eh und je. „Alles in Ordnung? Du bist ganz blass…“
„Jaah… ich…“ Louis zwang sich zu lächeln. „Ich find’s nur erstaunlich, dass die immer noch Händchenhaltend durch die Gegend spazieren. Und diese Blicke… Verliebt wie am ersten Tag.“
Scorpius erwiderte sein Lächeln. „Total romantisch. Sich nach einem halben Jahrhundert noch nicht auf die Nerven zu gehen…“
„Fünfundzwanzig Jahre?“ Louis‘ Skepsis ließ Scorpius nur die Augen verdrehen.
„Ja, die paar Unterbrechungen zähl ich nicht mit. Da kannst du mich noch so oft berichtigen.“ Er umklammerte Louis‘ Handgelenk und zog ihn vorwärts. „Kommst du jetzt endlich?“
Louis ließ sich zwar vorwärts ziehen, aber mit den Gedanken war er nicht bei Scorpius, der munter sinnloses Zeug vor sich hinplapperte. Was immer hier los war schien eigentlich gar nicht so schlecht zu sein. Zumindest für seinen Vater und Draco, und Scorpius schien doch noch er selbst zu sein, einfach mit einer gehörigen Spur mehr Selbstvertrauen.
Und Louis verstand auch, woher die kam, als sie den Salon durchquerten und er dabei einen Blick auf den Kamin werfen konnte. Keine steifen Familienbilder, wie er sie in Erinnerung hatte, sondern zumeist sehr ausgelassene Personen winkten ihm. Im Vorbeigehen konnte er zwar nur einen kurzen Blick auf sie werfen, aber es war unheimlich sich selbst in Situationen zu sehen, die er nie erlebt hatte. Da stand er zum Beispiel in einer Schneelandschaft mit seinen Schwestern, trug dieselbe Wollmütze wie Scorpius und hatte den vielleicht sechsjährigen Jungen fest von hinten umklammert. Wie eine richtige Familie wirkte das.
Eine scheinbar glückliche Familie. Und die Vorstellung wollte Louis zu sehr gefallen. Ein Scorpius, der nicht den Großteil seines Lebens einsam gewesen war und deshalb überhaupt nicht mit sozialen Kontakten umgehen konnte – wie sollte ihm das nicht gefallen? Andererseits konnte er ja nicht einfach so tun, als wäre das immer schon so gewesen. Das hier war nicht sein Leben. Und er sollte so schnell wie möglich wieder verschwinden, bevor jemand anderes das merkte, oder noch schlimmer, bis er sich an das hier gewöhnte.
Auf der Terrasse war derselbe Tisch gedeckt, an dem er neulich noch mit James und Scorpius gegessen hatte. Bill hatte sich wie selbstverständlich am Kopfende platziert und Draco gleich daneben. Am anderen Ende des Tisches hatte Dominique die Beine auf ihren Stuhl gezogen und blickte abwesend auf ihren Teller, beachtete Scorpius gar nicht, der sich an ihr vorbeischob, um sich seinem Vater gegenüber hinzusetzen. Louis setzte sich neben ihn.
„Wo ist Victoire?“, fragte er einfach mal und anscheinend hatte er damit etwas falsch gemacht, weil Draco glatt sein Besteck fallen ließ. „Ich… ähm…“
„Grandios, Louis.“ Draco atmete tief durch und wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen, bevor er sich Bill zuwandte, der stumm vor sich hingrinste. „Es sollte eine Überraschung werden… aber jetzt kannst du dir ja schon denken, dass sie noch vorbeikommt.“
„Louis, du kleines Plappermaul“, schmunzelte Bill, winkte dann aber ab. „Ähm…“ Seine Miene verfinsterte sich leicht und seine Augen flogen kurz zu Dominique. „Kommt sie alleine?“
Draco öffnete den Mund, aber Dominiques Räuspern unterbrach ihn. „Es stört mich nicht“, sagte sie leise und zuckte mit den Schultern. „Sie kann ihn ruhig mitbringen.“
„Ted gehört ja auch zur Familie“, sagte Draco, scheinbar darum bemüht kein Schweigen aufkommen zu lassen, nachdem Dominique gesprochen hatte. „Außerdem ist es nicht zu früh um… nun…“ Er warf ebenfalls einen übervorsichtigen Blick zu Louis‘ Schwester, lächelte schief und schenkte Bill dann einen Blick, den der auch ohne Worte mit einem Nicken beantwortete.
Louis lehnte sich vorsichtig zu Scorpius, der sich Marmelade auf Toast schmierte. „Sind Teddy und Victoire…“
„Na ja, grad mal wieder.“ Scorpius strich mit dem Finger die überflüssige Marmelade von seinem Messer. „Kennst sie doch.“ Graue Augen fixierten sich ungewöhnlich stur auf Louis, als Scorpius sich auf betont unschuldige Weise den Finger in den Mund steckte. Er lächelte, als Louis ihn dabei beobachtete, wie er die Marmelade ableckte. „Ein bisschen durch den Wind bist du aber schon noch, oder? Sie waren doch gestern erst hier.“
„Du hättest mich mal ausreden lassen müssen, Dummerchen“, gab Louis mit einem Grinsen zurück, das Scorpius die Augenbrauen heben ließ. „Wenn hier einer deren Beziehungschaos versteht, dann bin ich das.“
Scorpius‘ Mundwinkel zuckten wieder einmal, gaben Louis kurz das Gefühl daneben gegriffen zu haben, was von der schmalen Hand auf seinem Knie aber wieder wettgemacht wurde. „Du sollst mich doch nicht so nennen“, raunte Scorpius, schien aber ganz und gar nicht abgeneigt. Stattdessen schlich seine Hand sich auf die Innenseite von Louis‘ Oberschenkel und machte es sich dort beängstigend gemütlich, während Scorpius ganz ruhig an seinem Toast knabberte und dabei sah er Louis‘ Scorpius so verflucht ähnlich, dass die Hand einfach nur unwirklich schien.
Das hier konnte alles nicht echt sein.
Louis schüttelte innerlich heftig den Kopf. Das hier war echt. Es war Zauberei. Magie, die ihm Angst machte, weil sie ihn aus seiner vertrauten Umgebung riss, die er blind einschätzen konnte. Er musste hier nicht nur weg, er wollte auch. Er wollte zu seinem kleinen, unschuldigen Scorpius. Und zu James, der doch gerade erst ein bisschen auf ihn zugegangen war. Er wollte das jetzt nicht verlieren. Vor allem nicht für eine depressive Schwester, einen Stiefbruder, der ihn unter dem Tisch befingerte, und… und Draco Malfoy, der sich verlegen lächelnd von Bill Weasley mit Rührei füttern lassen musste.
Louis wandte den Blick auf seinen immer noch leeren Teller. Es war doch schön zu wissen, dass es irgendwo einen Ort gab, an dem sein Vater so glücklich war. Das sollte ihm genügen. Jetzt musste er sich darauf konzentrieren wieder nach Hause zu kommen. An einen Ort, wo er niemals wieder so ein friedliches Familienfrühstück erleben würde, weil nicht nur seine Eltern sich getrennt hatten, sondern seine ganze Familie dank George endlich offen zeigte, dass sie schon längst zerbrochen war.
„Scorpius…“ Louis griff die kleinere Hand und zog sie weg von seinem Schoß. Der Blick, den Scorpius ihm daraufhin zuwarf, war vollkommen ungläubig, als hätte Louis gerade versucht, ihm zu erklären, dass zwei plus zwei drei ergab.
Dominique schaute sie kurz an, fixierte sich bei Scorpius‘ Blick aber schnell auf ihren Teller und schaufelte sich beschäftigt Rührei in den Mund. Zuerst verstand Louis nicht, wieso sie sich von Scorpius so einschüchtern ließ, aber dann schaute er selbst in die aggressiv funkelnden grauen Augen und damit erlosch jeder letzte Funken Hoffnung, das hier wäre doch irgendwo sein Scorpius.
„Ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten“, zischte Scorpius aus dem Mundwinkel.
Louis beobachtete, wie Bill Draco einen Versöhnungskuss gab, nachdem er ihn so lange mit der Gabel Rührei geärgert hatte, bis er schmollte. Dann versperrte Scorpius ihm die Sicht, als er sich aufrichtete.
„Wo wollt ihr denn hin?“, fragte Bill, als Scorpius Louis‘ Arm griff und ihn hochzog. „Ich hab eine ganz spannende Geschichte von einer Mumie.“
„Die läuft ja nicht weg“, sagte Scorpius. Er schob Louis doch relativ grob vorwärts und brachte ihn damit fast zum Stolpern.
„Ja, aber dein Vater zerrt mich wahrscheinlich gleich erstmal ins Schlafzimmer und lässt mich die nächste Woche da nicht mehr raus“, rief Bill ihnen nach, worauf Louis noch Dracos schneidenden Widerspruch hörte und dann auch schon ins Innere des Hauses gezerrt wurde. Was Scorpius auf einmal hatte war ihm nicht ganz klar.
Es war sicherlich nicht gerne gesehen, wenn man seinem Stiefbruder unterm Tisch an die Hose ging, aber genau konnte er das nicht einschätzen. Vorhin hatte es noch gewirkt, als hätte Scorpius kein Interesse an wirklich sexueller Interaktion zwischen ihnen. Ein bisschen spielen, so hatte es auf ihn gewirkt, aber so wie Scorpius ihn jetzt ansah, als er sich im Salon zu ihm herumdrehte, schien er sich da getäuscht zu haben.
Und es gefiel Louis nicht sich zu irren. Er irrte sich hier zu oft, als dass er sich jemals wohlfühlen konnte. Der Wunsch wieder nach Hause zu kommen war bereits jetzt unerträglich groß.
„Was sollte das gerade?“ Scorpius verschränkte die Arme vor der Brust, bohrend zu Louis hochstarrend. Er schnaubte, als Louis mit den Schultern zuckte.
„Dominique hatte ihre Augen sehr genau auf… deiner Hand“, sagte er und hoffte, dass da vielleicht doch noch ein bisschen vom alten Scorpius in diesem hier war, aber der lachte nur spöttisch auf.
„Seit wann stört dich das?“
Louis hoffte, dass er jetzt nichts Falsches sagen würde und drückte sich deswegen sehr wage aus. „Mich nicht.“
Scorpius verengte die Augen leicht. Entweder bezog er die Aussage auf sich oder einen anderen Teil der Familie, aber irgendetwas würde schon passen. Louis fühlte Erleichterung, als Scorpius seine Aussage mit einem Schnauben abtat.
„Du weißt, worauf ich hinaus will“, sagte Scorpius, natürlich ahnungslos, dass Louis nicht einmal genau sagen konnte, wo er gerade war. Im Nichts, irgendwo dahinter, oder vielleicht doch zu Hause und gerade nur aus einem Traum aufgewacht. Wer konnte schon zwischen Traum und Wirklichkeit entscheiden? Louis nicht. Aber er wusste, wo er lieber sein wollte. Bei seinem Scorpius. Bei James. Und das am besten, bevor er hier einem ganz anderen James begegnete – oder noch schlimmer, genau demselben.
„Sorry, Scorpius…“ Louis wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
Scorpius schien das aber zu reichen. „Du mieses Arschloch.“ Die Wortwahl und der hörbare Schmerz in Scorpius‘ Stimme ließen Louis schlucken. „Ich wusste, dass das passieren würde. Aber denk bloß nicht, du würdest jetzt auch nur einen einzigen Kuss von mir bekommen.“ Scorpius tippte sich gegen die Brust. „Das alles hättest du nur bekommen, wenn du ihn genauso gedemütigt hättest, wie er mich – und du feiger Bastard hast komplett versagt.“
Louis schüttelte ratlos den Kopf, als Tränen in Scorpius‘ Augen stiegen. Er wollte ihn ja trösten, vor allem, als er sich in dieser vertrauten Art und Weise über die Augen wischte, aber er hatte doch keinen blassen Schimmer, worum es überhaupt ging.
„Blut ist eben doch dicker als Wasser, hm?“ Scorpius schniefte auf und drehte sich auf den Absätzen um, steuerte auf die Tür in die Eingangshalle zu.
„Warte!“ Louis hastete ihm nach und griff Scorpius‘ Handgelenk. Allerdings schaute Scorpius ihn auch dann nicht an, als Louis ihn zu sich herumgedreht hatte. „Kann ich nicht irgendetwas anderes tun?“
Scorpius schnaubte mit dieser Portion Spott auf, die ihm das Nichts geschenkt hatte. „Damit du mich doch noch ins Bett kriegst? Ich hab dir gesagt, was du tun musst, um zu bekommen, was du willst. Gib Potter, was er verdient, und du kannst mit mir machen, was immer du willst.“
James. Louis dachte sofort an James. Nicht an Harry, Ginny, Albus oder Lily, sondern brachte den glühenden Funken Hass in Scorpius‘ Augen sofort mit James in Verbindung. Und vielleicht lag es auch daran, dass hier nicht alles komplett anders war, als dort wo er herkam. Es gab James, Scorpius und ihn, das schien sich genauso wenig plötzlich zu ändern, wie Bill und Dracos Geturtel selbst nach Jahrzehnten.
„Aber er ist mein Cousin“, versuchte Louis es, nur reagierte Scorpius schon wieder nicht, wie er es erwartet hatte.
„Und ich bin dein Bruder!“ Tränen glitzerten in Scorpius‘ Augen wie Tau im Nebel. Es war fast schade, dass er die Augen schloss, damit Louis nicht bis tief in seine faszinierend unbekannte und doch vertraut verletzte Seele schauen konnte. „Wenn du zu schätzen wüsstest, dass wir zusammen aufgewachsen sind, dann würdest du mir kompromisslos helfen, anstatt nur daran zu denken, was du tun musst, um deinen ausgelutschten Schwanz einmal in meinen wunderbar unberührten Arsch stecken zu können, du verfluchter Mistkerl!“
Louis wollte etwas sagen, wollte nachdenken, aber er konnte nichts davon auch nur beginnen, bevor Scorpius die Verschlüsse seines Umhangs aufschnappen und den Stoff von seinen Schultern gleiten ließ, sich herumdrehte und mit einem Ruck sein Hemd über den Kopf zog. Der Anblick seines Rückens presste jegliche Luft aus Louis‘ Lungen.
Die tiefen, roten Narben auf Scorpius‘ Rücken schienen eine perfekte Spiegelung von denen zu sein, die James neuerdings vorzuweisen hatte.
„Schau dir genau an, was dein geliebter Cousin mir angetan hat, und dann leb damit, dass das der letzte Blick auf meinen Rücken für dich gewesen ist.“ Scorpius hob seinen Umhang wieder auf und presste ihn sich gegen die Brust, als er über die Schulter schaute. „Geh doch einfach aus Spaß deinen Cousin vögeln, wenn der dir so wichtig ist.“
Und Louis glaubte wieder ganz intuitiv zu wissen, dass hier – wo auch immer hier war – Scorpius ihm das bedeutete, was James ihm dort bedeutete.
„Scorpius…“ Louis versuchte noch einmal Scorpius festzuhalten, aber der schüttelte heftig den Kopf und stürmte in Richtung Eingangshalle davon, wahrscheinlich in sein Zimmer. Aber ihm zu folgen war sicherlich keine gute Idee. Louis schaute über die Schulter in Richtung Terrasse. Dorthin zurückzugehen erschien ihm nur als Zeitverschwendung.
Er wollte wieder nach Hause. Er wollte zu James… Und weil er nicht wusste, wie er wieder nach Hause kommen sollte, würde er jetzt zu James gehen.
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